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SPD und Gewerkschaften Händchen halten ist nicht mehr

Es gibt wieder Gruppenfotos, Nettigkeiten und gemeinsame Papiere - zum Beispiel jenes für ein soziales Europa, das am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde. Trotzdem ist die alte Liebe zwischen Gewerkschaften und SPD tot. Eine Wahlempfehlung mag DGB-Chef Sommer jedenfalls nicht herausgeben.
Von Jens König

Das Bild hat Symbolcharakter. Gewerkschaftsführer und Spitzensozis stehen in der DGB-Zentrale in Berlins Mitte einträchtig nebeneinander. DGB-Vorsitzender Michael Sommer, Verdi-Chef Frank Bsirske, SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz, SPD-Vize Andrea Nahles und der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Martin Schulz, präsentieren an diesem Dienstag ein gemeinsames Positionspapier für ein soziales Europa. Wenn sie sich auf der Pressekonferenz gegenseitig das Wort erteilen, sprechen sie sich mit Vornamen an ("Olaf, du bist dran"). Fehlt nur noch, dass sie Händchen halten.

Zwischen der SPD und den Gewerkschaften entwickelt sich wieder so etwas wie Zuneigung. Es vergeht ja kaum eine Woche, in der sich die beiden Großorganisationen nicht zu verstehen geben, wie sehr sie einander schätzen und brauchen. Auf der 1. Mai-Kundgebung des DGB in Ludwigshafen wurde SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier als "langjähriges Gewerkschaftsmitglied", als "einer von uns" vorgestellt. Im Gegenzug bot Steinmeier den Gewerkschaften eine verstärkte Zusammenarbeit an. Nach jedem zweiten Satz sagte er "liebe Kolleginnen und Kollegen". Ein paar Tage zuvor hatte sich SPD-Chef Franz Müntefering mit über 200 Betriebsräten in Potsdam getroffen und ihnen "ganz hervorragende Arbeit" in Zeiten der Krise attestiert.

Es geht nicht ohne

Und jetzt das gemeinsame Papier von DGB und SPD. Gleich im ersten Satz heißt es: "Die SPD und der DGB mit seinen Mitgliedergewerkschaften treten gemeinsam für sozialen Fortschritt in Europa ein." Die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften wollen den sozialen Grundrechten den Vorrang vor den wirtschaftlichen Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarkts einräumen. Die neue EU-Kommission wird nur dann mit der Unterstützung der SPD und der deutschen Gewerkschaften rechnen können, wenn sie sich zu dieser Klarstellung zugunsten der sozialen Grundrechte bekennt. Als der DGB-Chef die Kernpunkte des Papiers erläutert, nickt Andrea Nahles die ganze Zeit mit dem Kopf.

Aber die alte Liebe zwischen Genossen, die das gleiche Parteibuch in der Tasche tragen und gemeinsam durch dick und dünn gehen, ist das nicht mehr. Kann es wohl auch nicht sein. Zu tief sitzt bei den Gewerkschaften die Enttäuschung über die SPD-Politik der vergangenen Jahre: Agenda 2010, Hartz IV, Rente mit 67. Als Steinmeier am 1. Mai in Ludwigshafen redete, hielten ihm drei Gewerkschafter ein Plakat entgegen. "SPD = Rentenlüge" stand darauf zu lesen. Doch trotz dieser unüberbrückbaren Meinungsverschiedenheiten haben sich die alten Partner aneinander wieder genähert. Der eine kann nicht ohne den anderen, schließlich tragen sie eine alte, gemeinsame Geschichte mit sich herum.

Von Beck zu Müntefering

Der frühere SPD-Chef Kurt Beck hat diese Annäherung seit 2007 bewusst vorangetrieben. Er gab ihr im Herbst 2008 ein Symbol: die längere Zahlung des Arbeitslosengeldes I. Becks Nachfolger Müntefering, geistiger Vater der Rente mit 67, hat diesen Kurs fortgesetzt - zur Überraschung der meisten Gewerkschafter. Plötzlich waren Mindestlohn und Reichensteuer in der SPD wieder angesagt. Und jetzt kommt die Finanz- und Wirtschaftskrise hinzu. Die alten Konflikte verblassen. Arbeitsplätze müssen gerettet werden, und das geht nach Überzeugung von SPD und DGB gemeinsam immer noch am besten. "Sozialdemokratie und Gewerkschaften miteinander - das ist die Lehre, die wir aus diesem Desaster ziehen müssen", sagt Steinmeier heute. "Die Betriebsräte, die oft 20 Jahre im Unternehmen sind, kennen sich besser aus im Betrieb als die Manager, die dort auf der Durchreise auftauchen", sagt Müntefering. Kurzarbeit, Konjunkturprogramm, Rettung von Opel - die gemeinsamen Interessen von SPD und Gewerkschaften in der Krise sind offensichtlich. Die Sozialdemokraten ziehen mit einem linken Programm in den Bundestagswahlkampf: Reichensteuer, Börsenumsatzsteuer, starker Staat. Da dürfte es vielen Gewerkschaftern leichter fallen als 2005, SPD zu wählen. Und trotzdem: Heiraten werden die beiden nicht mehr. Zu vieles steht zwischen ihnen. Die Gewerkschaften wollen eine Vermögenssteuer - lehnt Steinmeier ab. Ein 100 Milliarden Euro schweres drittes Konjunkturpaket - ist Finanzminister Peer Steinbrück dagegen. Keine Schuldenbremse im Grundgesetz - mit der SPD nicht zu machen.

DGB-Chef Sommer, grimmig

DGB-Chef Sommer wird am Dienstag gefragt, ob die Gewerkschaften angesichts der wachsenden Zuneigung nicht langsam mal wieder eine Wahlempfehlung für die SPD abgeben wollen. Sommer guckt grimmig. "Wir geben Empfehlungen für eine bestimmte Politik", sagt er "nicht für bestimmte Parteien."

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