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Vor COP26 in Glasgow Die Situation vor dem Weltklimagipfel in der Analyse

Klimaprotest mit dargestellten Flammen vor dem Weltklimagipfel in Glasgow
Aktivisten protestieren zwischen Flammen-Attrappen vor dem Weltklimagipfel auf dem George Square in Glasgow. "Beendet den Klima-Notstand" lautet ihre Forderung.
© Andrew Milligan / DPA
Auf der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow müssen Fachleute und Staatsoberhäupter endlich die Weichen stellen, um die Klimakrise noch managen zu können. Kann das gelingen? Die Situation vor dem Gipfel.

Am Sonntag beginnt der Weltklimagipfel in Glasgow, kurz COP26, also der 26. schon. Doch wohl noch nie richteten sich rund um den Globus die Blicke in dieser Eindringlichkeit auf die Fachleute und Staatsoberhäupter, die zwei Wochen lang um Einigungen und Beschlüsse ringen werden. Entscheidungen, die nichts weniger sollen als die Welt vor einem Klimakollaps zu bewahren. Extreme Wetterereignisse haben sich weltweit in den letzten Jahren gehäuft – auch vor unserer Haustür: Hitzesommer, deren Dürrefolgen bis heute nicht vollständig ausgeglichen sind, die Flut nie gekannten Ausmaßes im Ahrtal, vielerorts Waldsterben. Katastrophen machen die Klimakrise zunehmend erfahrbar, enorme Hilfsgelder müssen bereitgestellt werden. Auch den Letzten wird klar: Es muss etwas geschehen, um die Folgen der weltweiten Klimaveränderungen noch handhaben zu können. Die Welt braucht Lösungen.

Doch kann die Konferenz das leisten? Kann ein weiterer Gipfel die enormen Erwartungen erfüllen? Wenn man so will, ist Glasgow so etwas wie die Folgekonferenz von Paris. Das vor sechs Jahren im Klima-Abkommen beschlossene 1,5-Grad-Ziel – gemeint ist eine Beschränkung der globalen Erwärmung um diesen Wert im Vergleich zur vorindustriellen Zeit – gehört inzwischen fast zum Allgemeinwissen. Kein Wahlkampf, keine Talkshow, kein Klimaprotest, in dem das 1,5-Grad-Ziel nicht als Richtschnur für Maßnahmen im Kampf gegen die Klimakrise genannt wird. Was die Staaten seinerzeit in Paris versprochen haben, steht in Glasgow auf dem Prüfstand. Es soll und muss nun nachjustiert werden.

Pariser Beschlüsse müssen in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden

"Was jetzt passieren muss ist zu sichern, dass das [Pariser] Abkommen auch umgesetzt wird", sagt Klimatologin Friederike Otto von der Universität Oxford im stern/RTL-Podcast "heute wichtig". Die globalen Ziele, die im Pariser Abkommen stehen, und die nationalen Ziele, die sich die wichtigsten Staaten gesetzt haben – also Netto Null an Treibhausgasemissionen bis 2050 – müssten nun wirklich in konkrete Umsetzungen in den Nationalstaaten übersetzt werden, so die Mitbegründerin der Zuordnungsforschung, mit der sich extreme Wetterereignisse konkret auf den Klimawandel zurückführen lassen.

Allerdings: Die Umsetzung von Beschlüssen ist das eine, die Akzeptanz der sich daraus ergebenden Folgen im Alltag das andere. Aktuelles Beispiel: Derzeit sorgen die hohen Sprit- und Heizöl-Preise hierzulande weithin für Verärgerung. Zu ihnen trägt auch die neue, dynamische CO2-Steuer bei, die eingeführt wurde, um den Ausstoß schädlicher Treibhausgase über steigende Kosten zu verringern. Das übersteigt schon jetzt den Geldbeutel vieler Menschen, die nach eigener Aussage auf das Auto angewiesen sind. Prompt wächst – trotz mehrheitlicher Zustimmung zu mehr Klimaschutz – die Ablehnung dieser konkreten Klimaschutz-Maßnahme.

Laut dem ARD-Deutschlandtrend von diesem Freitag finden große Mehrheiten, dass die Verteuerung von Strom und Gas (84 Prozent der Befragten), ein steigender Benzinpreis (78 Prozent) und teurere tierische Lebensmittel (57 Prozent) nicht der richtige Weg seien, der Klimakrise zu begegnen. In solchen Themen liegt politischer Sprengstoff für Regierungen, und das bleibt nicht ohne Einfluss auf die Klima-Entscheidungen. Die Verringerung des Treibhausgas-Ausstoßes aber ist essenziell, will man das Aufheizen der Welt eindämmen.

"Es gibt Fortschritte, aber bei weitem nicht genug"

Trotz aller Probleme kann man aber nicht behaupten, dass bisher noch nichts geschehen sei. "Die Welt hat die Klima-Emissions-Kurve abgekippt", stellt Niklas Höhne vom Climate Action Tracker (CAT) in der "New York Times" fest. Der CAT ist eine Forschungsgruppe, die regelmäßig die Klima- und Energie-Maßnahmen, die die Staaten weltweit umgesetzt haben, analysiert. Daraus berechnen sie, wie stark der globale Temperaturanstieg sein wird.

Die bisherigen Ergebnisse geben demnach sowohl Grund zur Hoffnung als auch zur Sorge. Im Jahr vor dem Pariser Abkommen, so die CAT-Erkenntnisse, war die Welt auf dem Weg  zu einer Erwärmung um 3,6 bis 4,2 Grad Celsius. Werte, bei denen die Folgen des Klimawandels gemeinhin als nicht beherrschbar angesehen werden. Seit Paris sei die Temperaturkurve – nicht zuletzt durch den Ausbau sauberer Energiequellen – auf aktuell 2,7 bis 3,1 Grad gedrückt worden. Ein klarer Fortschritt, aber "einfach noch nicht genug", so Niklas Höhne, denn auch bei diesen Werten seien noch kaum beherrschbare Folgen zu erwarten.

Hier wird die große Herausforderung für den Glasgower Gipfel deutlich, denn das ist der aktuelle Stand. Nimmt man die Versprechungen vieler Länder hinzu, Treibhausgas-Emissionen noch schneller als bisher zu senken, würde die Welt laut CAT-Berechnungen bei 2,1 bis 2,4 Grad landen. Doch diese Versprechungen existierten meist lediglich auf dem Papier. Für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels, bei dem die Folgen der globalen Erwärmung als einigermaßen beherrschbar gelten, seien deutlich drastischere Maßnahmen als bisher erforderlich. Denn laut dem CAT-Thermometer werden die 1,5 Grad bisher selbst bei optimistischsten Angaben leicht bis deutlich verfehlt. Als kritische Grenze gilt dabei eine Erwärmung von 2,0 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Darüber hinaus seien die Folgen kaum abschätzbar, heißt es. Derzeit liegt die Erwärmung bereits bei 1,1 Grad – und schon jetzt sind etliche "Sinking Islands" wohl nicht mehr zu retten: Tuvalu, Kiribati, die Malediven und andere.

Industrienationen müssen ärmeren Ländern mit Milliardensummen helfen

Die besonders gefährdeten Inselstaaten sind wie alle ärmeren Länder der Welt beim Klimaschutz auf die Hilfe der Industriestaaten angewiesen. Pro Jahr sollten von 2020 bis 2025 100 Milliarden Dollar (etwa 86 Milliarden Euro) von den reichsten Staaten zur Verfügung gestellt werden. Bisher nicht mehr als ein Versprechen. Doch der deutsche Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth ist sich sicher: "Wir werden noch nicht 2022 an diesem Ziel sein. Aber 2023 werden wir dieses Ziel erreichen oder sogar übersteigen", so Flasbarth während einer Online-Pressekonferenz am vergangenen Montag. Hintergrund des Ziels ist, dass ärmere Länder, die selbst am wenigsten zum menschengemachten Klimawandel beitragen, am stärksten davon betroffen sind. Das Geld soll sowohl in Anpassungsmaßnahmen fließen als auch in einen klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft.

Die Klimafinanzierung durch reichere Länder gilt ebenfalls als wichtige Grundlage für einen Erfolg der Verhandlungen beim Glasgower Gipfel. "Verständlicherweise gab es viel Frustration in Entwicklungsländern", sagt der designierte britische Präsident des Gipfels, Alok Sharma, über die bislang nicht erreichten Ziele. Es gehe nun darum, Vertrauen wiederherzustellen und Fortschritte zu erzielen. Doch es gibt Zweifel: "Der Plan ist vor allem der Versuch der reichen Länder, die Enttäuschung der ärmeren Länder über das nicht gehaltene Versprechen aufzufangen – um zu einem aus Sicht der reichen Länder erfolgreichen Gipfel beizutragen", kritisiert der Finanzexperte Jan Kowalzig von Oxfam Deutschland. Es fehlten konkrete Zusagen, dass die Ausfälle später nachgeholt würden und die Gelder für die Anpassung an den Klimawandel erhöht würden.

Erfolg wird sich nicht wie Sensation anfühlen

Die Finanzierung des Klimaschutzes in den ärmeren Ländern sichern; das Vertrauen der Menschen gewinnen, dass sie auch mit Klima-Maßnahmen ihren Alltag bewältigen und bezahlen können; und bei all dem konkrete Schritte beschließen und umsetzen, die viel schärfer sein müssen als bisher, um die globale Erwärmung tatsächlich auf ein erträgliches Maß zwischen 1,5 und 2,0 Grad begrenzen zu können: große Aufgaben für eine Konferenz, auf der verschiedene Interessen in aller Regel in zähem Ringen verhandelt werden müssen, um zu einer Lösung zu finden. Dementsprechend wird sich, sollte der Glasgower Gipfel ein Erfolg werden – und dazu scheint er verdammt – die gute Nachricht kaum sofort wie eine Sensation anfühlen. "Es ist kein sehr sexy Thema", meint Klimatologin Friederike Otto. "Wenn es gut läuft, dann werden wir das wahrscheinlich nicht in großen Schlagzeilen merken, sondern in tatsächlich sinkenden Emissionen in den nächsten Jahren. Denn das ist das einzige, was wirklich als Maßnahme zählt." Ob es dazu tatsächlich kommen wird? Friederike Otto: "Das vermag ich nicht vorherzusagen."

Quellen:Ziele Weltklimagipfel Glasgow; Climate Action Tracker; "New York Times"Dürremonitor Deutschland; Waldschadensbericht 2021; ARD-Deutschlandtrend; Nachrichtenagentur DPA.

tkr

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