Sie alle waren angereist, zuerst nach Johannesburg, von dort aus nach Durban. Zum Halbfinale. Mutter Mertesacker saß da mit der Freundin ihres Sohnes auf der Tribüne, Vater Khedira mit einem seiner Söhne, der Sami, der auf dem Feld stand, zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Frau vom Bundestrainer war da und die von Cacau und auch die Eltern vom Teamarzt Tim Meyer. Und weitere Verwandte und Freundinnen der Spieler der deutschen Nationalmannschaft. Sie alle hatten gehofft, es gehe weiter wie bisher bei dieser Weltmeisterschaft.
Auf dem Platz verloren ihre Lieben dann klar und deutlich gegen Spanien. Tiefer in der Nacht waren alle froh, den verstopften Flughafen von Durban hinter sich gelassen, in Johannesburg angekommen und von dort in die Hotels in der Nähe von Centurion (die Spieler) und in Pretoria (der Anhang) gelangt zu sein. Am Samstag geht es gegen Uruguay um den dritten Platz oder, wie auf der Pressekonferenz ein Reporter sagte, der lange dabei ist: um die goldene Ananas. Joachim Löw hat ihm nicht widersprochen.
Im Verein pfui, im DFB-Dress hui
Es war viel passiert in den Wochen vor und während der Fußball-Weltmeisterschaft 2010. Verletzungspech hatte die deutsche Mannschaft erlitten, Stammspieler wie Ballack, Adler und Westermann eingebüßt. Mit gewohnter Präzision hatte sie sich auf das Turnier vorbereitet, in Sizilien und Südtirol, und sich schließlich in Südafrika von anderen Teams in einem wesentlichen Punkt unterschieden: Die meisten guten Mannschaften boten Spieler auf, die nicht so stark spielten wie in ihren Klubs. Bei Deutschland war es, siehe Klose, Friedrich, Podolski, umgekehrt.
Die bedeutendste Neuerung aber liegt in dem offensiven, mit schnellem Kurzpassspiel durchsetzten Fußball, den die Nationalelf gezeigt hat. Ungekannt ballsicher, höchst ansehnlich zuweilen und erfolgreich auch gegen zwei große Nationen. In den nächsten Tagen und Wochen wird es deshalb um mehr als eine saftige Südfrucht gehen. Das neue Deutschland, längst noch nicht am Ziel, wie der Vergleich mit Spanien gezeigt hat, sollte den eingeschlagenen Weg fortsetzen.
Gegen Platzhirschentum wird sich das Team sträuben
Ein paar Punkte sind dafür zu klären, etwa das Führungsproblem, das diese junge, eigentlich ja streng flachhierarchische Gruppe hat. Sollte Michael Ballack wiederkommen und seine Mitspieler zudem erreichen wollen, müsste er seinen Ton ändern. Trotz der Niederlage gegen Spanien ist die Mannschaft inzwischen selbstbewusst genug und auch WM-Kapitän Lahm. Gegen Platzhirschentum wird sie sich sträuben.
Philipp Lahm kommt es zu, den offenen Konflikt zu moderieren. Er hat die K-Frage zum brisanten, viele sagen: falschen Zeitpunkt, gestellt und der Debatte so Nahrung gegeben. Nun muss er sie dominieren. Zuzutrauen ist ihm das, Lahm ist niemand, der in solchen Situation umherstolpert und nicht weiß, wohin er will. Natürlich aber muss er mehr hervorbringen als sein Statement in der Mixed Zone von Durban. Da hatte er versucht, zurückzurudern, die Frage nach dem Kapitänsamt sei ihm gestellt worden, dann müsse man sie doch beantworten, sagte Lahm. Und es sei doch klar, dass er gern weitermachen würde als Spielführer.
Ballack in Bestform kann noch immer helfen
Das Match gegen Spanien aber zeigte: Michael Ballack in Bestform kann diesem Team noch immer helfen - wenn er selbstlos spielt wie zuletzt bei Chelsea. Die Jugend wird auch mit ihm alle Chancen bekommen, sich weiter zu profilieren. Die deutsche Nationalmannschaft verfügt mit Neuer, Schweinsteiger, Lahm, Müller, Özil, Podolski über Spieler, die auf Jahre gesetzt scheinen. Das Prinzip des Konkurrenzkampfes jedoch dürfte weiter gelten - und verhindern, dass Deutschland kategorisch an seiner ja recht stabilen ersten Südafrika-Elf festhält. Kein Stürmer bietet sich im Moment jenseits des 23er-Kaders an (allenfalls der bereits erprobte Patrick Helmes), doch in Abwehr und Mittelfeld drängen die Talente nach vorn.
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Wer spielt auf der Sechser-Position
Es ist die Sechser-Position, auf der Stefan Reinartz aus Leverkusen, sein Vereinskollege Lars Bender und dessen Bruder Sven Bender (Dortmund) abräumen, natürlich auch der Stuttgarter Christian Träsch. Und es ist die Innenverteidigung, wo der Dortmunder Mats Hummels und der Schalker Benedikt Höwedes das amtierende Stammplatzpärchen Mertesacker/Friedrich vor sich hertreiben könnten. Von den WM-Fahrern sind hier Jerome Boateng und Holger Badstuber Alternativen.
Diese Mannschaft ist eine Löw-Mannschaft, er hat die taktische Ausbildung begonnen - und noch nicht beendet. Er hat ihr auch das Selbstvertrauen gegeben, das man braucht, um England und Argentinien aus dem Turnier zu werfen. Es gibt nicht das geringste Anzeichen dafür, dass er die Spieler nicht mehr erreicht. Und dass er sich einen, im Alltag sicherlich ungleich stressigeren, Job in einem Verein suchte. Löw sollte weiter machen.
Dafür wäre notwendig, dass der DFB-Präsident geschmeidig verhandelt. Theo Zwanziger blieb hart, als er Löw im Februar ein Ultimatum zur Vertragsverlängerung setzte. Die Einschätzung ließ er stehen, der Bundestrainer und sein Vertrauter Bierhoff seien raffgierig und unverschämt und wollten den DFB ausnehmen. Zwanziger wurde soft, als der Bundestrainer während der WM Erfolg hatte. Flink nahm er neben ihm auf dem Podium Platz, lobend, werbend, seine hohe Wertschätzung beteuernd.
Zumindest das Trainer-Team funktioniert
Der Einzug ins Halbfinale hat Löw nun aber eine ausgezeichnete Verhandlungsposition verschafft. Er könnte viel mehr Geld als zuvor und außerdem, als weitere Bedingung, die Fortbeschäftigung seines Stabs fordern. Zu dem gehören Manager Bierhoff, seine Assistenten Flick und Köpke und auch der Pressechef Stenger. Zwanziger hat bisher nicht verhehlt, dass er aus diesem Quartett Bierhoff und Stenger nicht vertraut. Das Team rund um den Trainer aber funktionierte prächtig.
Die Öffentlichkeit und wohl auch das Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes könnten im Moment kaum nachvollziehen, warum eine Vertragsverlängerung mit Joachim Löw scheitern sollte. Zudem steht Zwanziger im Oktober wieder zur Wahl. Will er sein Amt behalten, das ihm viel Befriedigung verschafft und das er lange auch durchaus mit Geschick ausgefüllt hat - er dürfte Löw kaum einen Wunsch abschlagen.
In Zukunft ist noch mehr zu erwarten
Und so steigen die Spieler und der Trainer am Sonntag selbstbewusst und sicher auch nicht mehr so traurig wie gestern Abend in das Flugzeug Richtung Deutschland. Sie haben viel gemacht aus den gemeinsamen Wochen und für die Zukunft noch mehr zu erwarten - jedenfalls mehr als Duelle um die goldene Ananas.