Deutsch-französischer Streit Der dramatische Poker um den Euro

Deutschland und Frankreich liefern sich einen Nervenkrieg um die Rettung der europäischen Gemeinschaftswährung. Der Streit der beiden Länder gibt anderen den Zeitplan vor. Eine Chronik.

Die Tage von Mittwoch bis Sonntag hätten die Tage glücklicher Geschichten werden können. Von einem Präsidenten, der zufrieden seine kleine Tochter in den Armen hält, gleich nach der Geburt.

Von einer Kanzlerin, die für ein starkes Europa wirbt. Von einem Treffen in Brüssel, das endlich den Bürgern, den Finanzmärkten, der Realwirtschaft und dem Rest der Welt klare Signale gibt. Die Tage wurden nicht glücklich. Nicolas Sarkozy hat eine gesunde Tochter, aber während der Geburt war er bei einem Krisentreffen in Frankfurt. Das Krisenbaby werden er und seine Frau Carla Bruni-Sarkozy bestimmt nicht Angela nennen.

Angela Merkel ist mehrfach plötzlich verschwunden. Durch einen Hinterausgang der Alten Oper am Mittwochabend in Frankfurt, vom Treffen mit den Kultusministern, von der Tagesordnung des Bundestages am Freitag. Und die anderen Staats- und Regierungschefs dürfen am Sonntag nach Brüssel reisen, obwohl ihnen Merkel und Sarkozy schon mitgeteilt haben, dass es noch nichts zu beschließen gibt. Eine Chronik:

Mittwoch, 16.30 Uhr, Paris

Sarkozy braust in einem dunkelblauen Renault aus der Privatklinik im 16. Pariser Bezirk, in der seine Frau gerade ihr Kind bekommt. Eine halbe Stunde ist er geblieben, dann eilt er nach Frankfurt. "Wir leben in einem Krisenkontext, aber wenn die menschliche Fortpflanzung an die Aussicht auf ein perfektes Leben gebunden wäre, gäbe es uns alle nicht", hatte Carla Bruni im September gesagt.

Mittwoch, 19.30 Uhr, Frankfurt

Vor der Alten Oper: Der Festakt für den scheidenden Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet , ist vorbei. In einer halben Stunde beginnt das Eröffnungskonzert der EZB-Kulturtage. Konzertbesucher strömen über den roten Teppich ins Foyer, aus dem jeden Moment Merkel und Sarkozy treten sollen. Aber die treffen sich mit den Spitzen der EU in einem Seitenflügel. Die schweren Vorhänge sind zugezogen, durch einen schmalen Spalt ist nur der Kronleuchter zu sehen. Um 20.40 Uhr geht das Gerücht um, Sarkozys Baby sei auf der Welt.

Keine zehn Minuten später rauscht der Präsident an der Pressemeute vorbei. Sarkozy steigt in eine Limousine und braust mit Eskorte davon. Ihm folgen beinah im Minutentakt und genauso wortkarg Kommissionspräsident José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy .

Die Frage, ob man zu einer Entscheidung gekommen sei, kommentiert nur Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker: "Wir beraten uns noch." Und die Kanzlerin? "Frau Merkel ist schon weg, durch den Seiteneingang." Merkel, ist später zu erfahren, hat in den Runde angedeutet, dass der Gipfel platzen könnte.

Mittwoch, 23.00 Uhr, Paris

Sarkozy ist wieder in der Klinik. Gut eine Stunde bleibt der junge Vater diesmal bei Bruni und seiner Tochter - die Giulia heißt. Am nächsten Morgen stattet er noch einmal einen Besuch ab, bevor er zu einer Recyclingfabrik im Westen des Landes aufbricht. Dass Sarkozy darauf verzichtete, seiner Frau bei der Geburt beizustehen, um die gemeinsame Währung zu retten, kann im Wahlkampf hilfreich sein: Er kann jetzt immer darauf verweisen, dass er private Interessen gegenüber dem Gemeinwohl zurückstellt.

Donnerstag, 14.00 Uhr, Berlin

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble behauptet in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Wirtschaftsminister Philipp Rösler, Deutschland und Frankreich seien sich in der Schuldenkrise einig. Einen Dissens bei der Hebelung will er nicht erkennen. Die "Working Group" der Staatssekretäre in Brüssel arbeite an den Details und werde dann die Einigung bekannt geben. Dann könne auch der Haushaltsausschuss des Bundestages zustimmen. Ohne dessen Placet sei jeder deutsche Regierungsvertreter in Brüssel gezwungen, mit "Nein" über das Rettungspaket abzustimmen.

Donnerstag, 15.00 Uhr, Brüssel

Gerüchte über eine Absage des Gipfels kommen auf. "Das hängt von den Beratungen der Staatssekretäre ab", heißt es in informierten Kreisen. Offiziell gibt es keine Bestätigung.

Donnerstag, 15.00 Uhr, Berlin

Merkel lässt die Kultusminister wegen dringender Telefonate über eine Stunde warten. Dann sagt sie ihre Teilnahme an der Ministerkonferenz ab. Fotografen sichten sie nahe des Gesprächsortes in Berlin-Mitte telefonierend im Auto. Schäuble soll um 15 Uhr eine Rede beim Wirtschaftsrat der CDU zur Schuldenkrise halten. Am Morgen sagt er ab, dann wieder zu. Kurz vor Beginn der Veranstaltung muss Kurt Lauk, der Präsident des Wirtschaftsrates, bekannt geben, dass statt Schäuble Staatssekretär Steffen Kampeter sprechen wird.

Donnerstag, 16.30 Uhr, Brüssel

"Der Gipfel findet am Sonntag statt", heißt es in der Umgebung Van Rompuys. Bezogen auf die deutsche Rechtslage, dass die Bundesregierung bei Entscheidungen rund um den EFSF erst den Haushaltsausschuss des Bundestages befragen muss, sagt der Beamte: "Wie immer können wir uns auf deren Gefühl für die Dringlichkeit der Lage verlassen und auf den bemerkenswerten Grad von Organisation bauen, der das Markenzeichen der Bundesrepublik ist." Ausweichend reagierte er auf die Frage, ob in naher Zukunft ein weiterer Gipfel auf den am Sonntag folge. "Gibt es ein Leben nach dem Tod?"

Donnerstag, 19.00 Uhr, Paris, Berlin

Eine deutsch-französische Erklärung nach einem Telefonat von Präsident und Kanzlerin schafft Klarheit in der Unklarheit. Die Treffen am Wochenende finden statt, um die EFSF, die Rekapitalisierung der Banken und die Hilfen für Griechenland "tiefgehend zu erörtern". Die beiden beraten darüber schon am Samstagabend in Brüssel. "Definitive" Entscheidungen würden "bis spätestens Mittwoch" getroffen. So dicht sind noch nie zwei Gipfel aufeinander gefolgt.

FTD
P. Ehrlich, F. Ladleif, W. Proissl, J. Lörchner, L. Klimm