Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich auf einen gemeinsamen Kurs in der Irak- Krise verständigt und dabei auch Gewalt als letztes Mittel nicht ausgeschlossen. In einer gemeinsamen Erklärung betonten sie am Montagabend beim Sondergipfel in Brüssel jedoch den Willen der Union, den Konflikt friedlich zu lösen. "Es ist klar, dass das europäische Volk dies will", heißt es in der Erklärung mit Blick auf die weltweiten Friedensdemonstrationen vom Wochenende. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sagte, dass es sich um einen Kompromiss handele, bei dem man Zugeständnisse habe machen müssen. An der grundsätzlichen Position der Bundesregierung habe sich aber nichts geändert.
Gewalt als letztes Mittel
Krieg sei nicht unvermeidbar, heißt es in der Erklärung. "Gewalt sollte aber nur als letztes Mittel gebraucht werden." Die EU unterstütze zwar die Fortsetzung der Arbeit der UN-Waffeninspekteure im Irak. "Jedoch können die Inspektionen nicht unbegrenzt weitergehen ohne eine volle Kooperation des Iraks." Die EU erkennt zudem an, dass unter anderem der militärische Aufmarsch in der Golfregion wesentlich dazu beigetragen habe, dass die Waffeninspekteure in den Irak zurückkehren konnten. Am heutigen Dienstag will die EU die Regierungschefs der Beitrittskandidaten bei einem Treffen in Brüssel bitten, die Irak- Erklärung zu unterstützen. Eine große Mehrheit dieser Länder hat sich bislang mit dem Kurs der US-Regierung solidarisch gezeigt.
Zitat
Jaques Chirac:
"Sie (die Beitrittskandidaten, Anm. d. Red.) haben eine großartige Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten"
Streit um Formulierungen
Nach Angaben von Kanzler Schröder sei es für die Bundesregierung wichtig gewesen, dass das Ziel eine friedliche Entwaffnung des Iraks bleibe, Bagdad dafür voll mit den UN-Inspekteuren zusammenarbeiten müsse und die Entscheidungsgewalt beim UN-Sicherheitsrat liege. Eine ursprünglich von Großbritannien angestrebte Formulierung - "Die Zeit für den Irak läuft schnell ab" - sei für Berlin nicht akzeptabel gewesen und daher herausgestrichen worden.
England nach wie vor kriegerisch
Frankreichs Präsident Jacques Chirac betonte mit Blick auf das Vorgehen der USA, es sei deutlich geworden, dass allein der UN- Sicherheitsrat entscheiden dürfe, auf welche Weise der Irak entwaffnet werde. Eine zweite Resolution des UN-Sicherheitsrats zum Irak lehnte er ab. Der britische Premier Tony Blair betonte erneut die Entschlossenheit für ein militärisches Eingreifen. "Der Irak wird entwaffnet werden. Ob friedlich oder mit Gewalt, das ist Saddams Entscheidung."
Debatte im Weltsicherheitsrat
In einer offenen Debatte wollen am heutigen Dienstag mehr als 40 Länder im Weltsicherheitsrat in New York ihre Ansichten und Sorgen zum Irak-Konflikt äußern. Der amtierende Präsident des Rates, der deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger, wird die Debatte leiten. Die US-Regierung will möglicherweise schon heute eine zweite Irak- Resolution einbringen. UN-Diplomaten erwarten den Entwurf für eine "Minimal-Resolution", die lediglich erklärt, dass der Irak die Auflagen der ersten Resolution bisher nicht erfüllt hat, und die erneut "ernste Konsequenzen" für den Fall androht, dass sich an der Verweigerungshaltung von Saddam Hussein nichts ändert.
Aufklärungsflugzeug
Unterdessen ist im Rahmen der UN-Waffenkontrollen im Irak am Montag erstmals ein U-2-Aufklärungsflugzeug eingesetzt worden. Wie die irakische Nachrichtenagentur INA berichtete, dauerte der Flug des amerikanischen Spionageflugzeugs knapp viereinhalb Stunden. Weitere Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt. Die irakische Führung hatte erst am Montag vergangener Woche unter erheblichem Druck der Vereinten Nationen dem Einsatz der amerikanischen U-2-Flugzeuge über irakischem Territorium zugestimmt.
Schelte für die Junior-Partner
Der französische Präsident Jacques Chirac hat am Rande des Sondergipfels die EU-Beitrittskandidaten aus Osteuropa scharf für ihre pro-amerikanische Haltung in der Irak-Krise kritisiert.
Kindisch und gefährlich
"Sie haben eine großartige Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten", sagte Chirac nach einem Sondergipfel der Europäischen Union (EU) zum Irak-Konflikt. "Diese Länder haben sich nicht sehr gut benommen und die Gefahr durch eine zu schnelle Solidarisierung mit der amerikanischen Position nicht bedacht", sagte er weiter. Es sei von Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik und den baltischen Staaten kindisch und gefährlich gewesen, einen von Großbritannien und Spanien initiierten Brief mit zu unterzeichnen, in dem die Staaten die harte Haltung der USA in der Frage eines Militärschlags unterstützten. Die drei Staaten treten im Mai 2004 der Union bei.
"Wenn man zur Familie gehört (...) hat man mehr Rechte, als wenn man darum bittet dazu zu gehören und an der Tür klopft", sagte Chirac. Auch sei es von Rumänien und Bulgarien unvorsichtig gewesen, sich zu schnell mit der US-Position zu solidarisieren. Falls sie ihre Chancen auf einen Beitritt verringern wollten, "hätten sie kaum einen besseren Weg finden können, das zu tun." Die beiden Länder wollen bei der nächsten Erweiterung der EU aufgenommen werden. Chirac warnte davor, dass Spaltungen in Europa eine kritische Haltung gegenüber der EU-Erweiterung verstärken könnten.
Spannungen in der EU
Chiracs Ausbruch dürfte die Spannungen zwischen west- und osteuropäischen Staaten in der Union verstärken. Einige der 2004 beitretenden Länder hatten verärgert darauf reagiert, dass sie nicht zu dem Sondergipfel eingeladen wurden. Polen zog sich deswegen von einem Treffen der EU-Beitrittsländer zurück, bei dem die griechische Ratspräsidentschaft am Dienstag über die Ergebnisse des Gipfels informieren will. Das Land hat zuvor bereits mehrere EU-Mitglieder mit der Entscheidung gegen sich aufgebracht, Kampfflugzeuge aus amerikanischer und nicht aus französischer oder britisch-schwedischer Produktion zu bestellen. Damit erweckte Polen in der EU den Eindruck, vor allem an guten Beziehungen zu den USA interessiert zu sein.
Polen weist Chirac-Vorwürfe zurück und verlangt «Respekt»
Der stellvertretende polnische Außenminister Adam Rotfeld wies die Vorwürfe des französischen Präsidenten Jacques Chirac zurück. Polen habe wie Frankreich das Recht auf eine eigene Politik und Interessenverfolgung, sagte er am Dienstag im polnischen Rundfunk. Diese Haltung solle mit Respekt behandelt werden. Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz werde am Dienstag in Brüssel zu den Vorwürfen Chiracs auf dem Gipfel der EU zur Irak-Krise Stellung beziehen.
Vertreter der polnischen Regierung waren am Montag nicht zu den Gesprächen in Brüssel eingeladen. Cimoszewicz wollte während eines Treffens mit Journalisten am Montag nicht kommentieren, ob dies eine «Abstrafung» sei, betonte aber, es wäre besser gewesen, wenn Polen und andere Kandidatenstaaten «auf partnerschaftlicher Grundlage» an der Diskussion hätten teilnehmen können.
Mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft
Der Präsident der Europäischen Kommission, Romano Prodi, sagte, er sei weniger verärgert als traurig darüber, dass Beitrittskandidaten eine pro-amerikanische Haltung eingenommen hätten. Dies zeige, dass sie noch nicht verstanden hätten, dass die EU mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft sei. "Ich hoffe sie sehen ein, dass eine gemeinsame Zukunft eine gemeinsame Zukunft bedeutet", sagte er.
Die USA hatten mit Genugtuung auf die Unterstützung durch die ehemals kommunistischen Staaten reagiert und den deutsch-französischen Widerstand gegen einen Militärschlag den Worten von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zufolge als isolierte Haltung des "alten Europa" bewertet.