Die Vereinten Nationen müssen nach Ansicht der westlichen UN-Botschafter härter gegen das Regime in Syrien vorgehen. Nach neuen tödlichen Übergriffen auf Demonstranten müsse der Sicherheitsrat "weitergehende Schritte" erwägen, wenn die Führung weiter mit Gewalt gegen ihr eigenes Volk vorgehe und sich Reformen verweigere, sagte Großbritanniens Vize-Botschafter Philip Parham am Mittwoch (Ortszeit) nach einer geschlossenen Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums. Welcher Art diese Schritte sein sollten, sagte er nicht.
Parham sprach auch im Namen seiner Amtskollegen aus Frankreich, Portugal und Deutschland. Die Botschafter Brasiliens, Indiens und Südafrikas hatten sich unterdessen nach Damaskus aufgemacht, erzielten aber keine greifbaren Ergebnisse. Die Vereinten Nationen gehen inzwischen von 2000 toten Zivilisten seit Beginn der Unruhen im März aus. Weitere 3000 Menschen seien verschwunden. Die Nachrichten über die Gewalt gegen die Oppositionellen seien "entsetzlich".
"Wir fordern das syrische Regime auf, die Rufe zu hören, die vom Sicherheitsrat, aus der Region selbst und von anderen Teilen der internationalen Gemeinschaft kommen", sagte Parham. Bisher habe Präsident Baschar al Assad die einstimmige Forderung des Sicherheitsrates nach Reformen und einem Ende der Gewalt ignoriert. Stattdessen seien 13 000 Syrer von der Geheimpolizei festgenommen worden, Zehntausende seien geflohen. Allein 8000 harrten in Flüchtlingslagern in der Türkei aus.
Syrien schottet sich weiterhin ab
Syriens UN-Botschafter Baschar Jaafari bezeichnete die Darstellung der vier Europäer als "fehlerhaft": "Meine Kollegen, die verantwortungsbewusste Diplomaten sein sollten, haben die sogenannte Situation in Syrien falsch verstanden und falsch gedeutet", sagte der Vertreter der Regierung in Damaskus. "Sie versuchen, die Wahrheit zu manipulieren und halten wichtige Fakten und Bestandteile zurück." Dem Fernsehsender Al Jazeera sagte Jaafari im Hinblick auf die Krawalle in London, die westlichen Länder sollten Syrien nicht kritisieren, wenn sie selbst Proteste mit Polizeigewalt niederschlagen würden.
Trotz wachsender Kritik des Westens setzt die syrische Armee ihre Offensive gegen die Bevölkerung fort. Gepanzerte Fahrzeuge rückten in den frühen Morgenstunden in die strategisch wichtig gelegene Stadt Sarakeb nahe der Grenze zur Türkei ein, wie ein Anwohner am Donnerstag berichtete. Die Soldaten würden scheinbar wahllos um sich schießen und Wohnhäuser stürmen. Insgesamt seien 14 gepanzerte Fahrzeuge in die Stadt gefahren. Die Armee habe zudem etwa 50 Busse und Kleintransporter auffahren lassen. Die Angaben lassen sich kaum überprüfen, weil Syrien ausländische Korrespondenten des Landes verwiesen hat.
US-Botschafterin Susan Rice sagte hingegen, der Sicherheitsrat könne mehr Druck auf Assad ausüben. "Nach Ansicht der Vereinigten Staaten wäre Syrien ohne Assad ein besserer Ort", sagte sie nach der Beratung. "Er hat alle Legitimität verloren."
Menschenrechtsorganisationen fordern härteres Durchgreifen
Auch Human Rights Watch forderte eine härtere Gangart. "Es ist Zeit, über Sanktionen zu sprechen, über ein Waffenembargo und eine Untersuchungskommission", sagte Peggy Hicks von der Menschenrechtsorganisation. "Wenn der Rat in der nächsten Woche wieder berät, muss er mehr tun als nur zu diskutieren. Wir brauchen Schritte, die die syrische Regierung zu einem Kurswechsel bewegen." Die Mission der Botschafter von Indien, Brasilien und Südafrika nach Damaskus nannte sie "enttäuschend".
Die syrische Armee ist nach Angaben einer Menschenrechtsorganisation am Donnerstagmorgen in die Stadt Sarakeb im Nordwesten des Landes eingerückt. Die Truppen seien von mehreren Panzern begleitet worden, erklärte die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Nach dem Einmarsch seien Schüsse in der Stadt zu hören gewesen, in der es nach dem islamischen Abendgebet täglich Demonstrationen gegen die Führung von Präsident Baschar el Assad gegeben habe.
Sarakeb liegt in der Provinz Idleb. Noch am Mittwoch hatten die Sicherheitskräfte eigentlich angekündigt, sich aus der Region zurückzuziehen. Die syrische Armee geht seit Monaten mit aller Härte gegen die Protestbewegung vor. Bei der blutigen Unterdrückung des Aufstands kamen nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten seit Mitte März mindestens 2000 Menschen ums Leben. Die USA verschärften zuletzt ihre Sanktionen gegen syrische Unternehmen, um den Druck auf Assad zu erhöhen. Im UN-Sicherheitsrat zeichnet sich bislang aber keine gemeinsame Linie für Sanktionen ab, weil die Veto-Mächte Russland und China dagegen sind.