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Massenproteste in Ägypten Mubarak kontert die Facebook-Revolution

Der Showdown auf den Straßen steht bevor - und mit aller Gewalt versucht Ägyptens Präsident den Demonstranten eine ihrer wichtigsten Waffen aus der Hand zu schlagen: den Zugang zu sozialen Medien.
Von Florian Güßgen

Was können wankende arabische Herrscher aus dem Umsturz in Tunesien lernen? Fackelt nicht lange, kümmert Euch um die wichtigsten Waffen der Demonstranten, kurz: legt Facebook, Twitter & Co lahm. Denn wie bei keiner anderen Revolution haben die neuen, sozialen Medien die politische Mobilisierung der Tunesier befeuert.

Der ägyptische Präsidenten Hosni Mubarak hat diese Lektion zweifellos verinnerlicht. In der Nacht zu Freitag kappte sein Regime Internetverbindungen und blockierte offenbar auch Teile des Mobilfunknetzes. Wie der US-Nachrichtensender CNN unter Berufung auf Webdienste, die das Funktionieren des Internets überprüfen, berichtete, waren die Server des Hauptanbieters in Ägypten am Freitagmorgen nicht erreichbar. Webseiten wie Twitter, Facebook und Gmail, der Email-Dienst von Google, waren demnach vollständig blockiert. Auch Textnachrichten konnten nicht mehr via Blackberry versendet werden.

Der Präsident sitzt auf einem Pulverfass

Spätestens seit Dienstag sitzt Mubarak auf einem Pulverfass, das jeden Moment explodieren kann. Zehntausende gingen in vielen Städten des Landes auf die Straße. In Kairo. In Suez. Es sind die größten Demonstrationen seit Mubaraks Machtübernahme vor 30 Jahren. Seit Beginn der Proteste am Dienstag starben dabei mindestens sieben Menschen, etwa 1000 wurden festgenommen.

Am Freitag könnte der Protest die entscheidenden Funken schlagen und auf die Massen überspringen. Am Mittag, nach dem Freitagsgebet in den Moscheen des Landes, soll wieder demonstriert werden, auch die fundamentalistische Muslimbruderschaft hat zum Widerstand aufrufen.

Die Rolle der sozialen Medien scheint dabei in Ägypten, wie auch bei dem Sturz des Despoten Zine El Abidine Ben Ali in Tunesien, bislang zentral bei der Organisation des Protests gewesen zu sein. Die äygptische Facebook-Seite des anonymen Administrators ElShaheeed etwa wird von über 420.000 Nutzern gelesen, unter dem Hashtag #Jan25 rattern sekündlich Meldungen über Twitter. Mehrere Facebook-Seiten hatten schon für den Dienstag, eben den 25. Januar, den "Tag der Polizei", zu Protesten aufgerufen. Wie die sozialen Medien den Aufstand direkt unterstützen, lässt sich gegenwärtig noch schwer sagen. Dennoch ermöglichen sie auf jeden Fall eine direkte, umfassende Massenkommunikation. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte Mubarak, eigentlich ein Verbündeter der USA und auch Israels, noch am Mittwoch dazu aufgefordert, die Finger von den sozialen Medien zu lassen, die sogenannte Internetfreiheit nicht zu beeinträchtigen. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte am Freitag die Abschaltung des Internets.

Nur eine scheinbare Internetfreiheit

Beeindruckt hat der Appell aus Washington Kairo nicht. Angesichts der Proteste hat es seine Bereitschaft verkündet, mit aller Härte gegen Demonstranten vorzugehen - und seinen Gegnern zunächst einmal die Kommunikation erschwert. Facebook und Twitter waren schon in den vergangenen Tagen nur schwer zugänglich, die Beobachter der Seite www.herdict.org, die vom Berkman Center for Internet & Society der Harvard Universität betrieben wird, mutmaßten schon gestern, dass die Regierung offenbar über die Internetanbieter Seiten herausfilterte.

Dabei ist es in Ägypten durchaus nicht neu, dass Mubaraks Regime gegen die Meinungsfreiheit im Internet massiv vorgeht. Zwar wurde dem Regime noch 2009 selbst von der unabhängigen OpenNet Initiative attestiert, dass es kaum Seiten sperre, lediglich der Zugang zu einigen islamistischen Seiten sei behindert worden. Und auch die schiere Existez einiger regimekritischer Blogger, wie etwa von Kareem Amer oder Wael Abbas, diente noch vor einigen Jahren als Beleg dafür, dass Ägypten zumindest ein Minimum an Meinungsfreiheit zuließ. Denn auch in Ägypten entwickelt sich das Netz langsam zum Massenmedium. 2010 hatten rund 17 Millionen der rund 80 Millionen Ägypter Zugang zum Netz. Das entspricht einer sogenannte "Internet-Durchdringungsrate" von 21,2 Prozent. In Tunesien, zum Vergleich, liegt die Rate bei 34 Prozent.

"Wir machen das Leben nicht schwerer"

Dennoch konnten auch vor den aktuellen Protesten keine Zweifel daran bestehen, dass das Regime die Internetaktivitäten seiner Bürger genau überwachte - und mit aller Härte gegen Regimekritiker vorging. Gesetze verpflichteten Betreiber von Internet-Cafés, detaillierte Angaben über ihre Kunden zu erheben, bevor diese Surfen dürfen. Der anonyme Zugang wurde so erschwert. Prominente Blogger, wie auch Journalisten anderer Medien, waren immer wieder Ziele von willkürlichen Polizeiaktionen und wurden unter Vorwänden zu Haftstrafen verurteilt. Kareem Amer wurde 2007 wegen "Anstiftung zum Hass gegen den Islam" und wegen "Beleidigung des Präsidenten" zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt und erst Ende 2010 frei gelassen. Er berichtete von Einzelhaft und Folter. Wael Abbas' wurde Anfang 2010 mit einer mehrmonatigen Haftstrafe belegt. Das <Komitee zum Schutz von Journalisten" zählt Ägypten zu den zehn Staaten weltweit, in denen es Blogger am schwersten haben.

Zudem, und für die konkrete Kommunikation der Demonstranten möglicherweise sogar wichtiger, hat die Regierung das Mobilfunknetz schon länger im Blick. Denn laut Daten vom Ende August 2010 nutzten zwar Ende August 2010 nur rund 4 Millionen Ägypter Facebook, was einem Anteil von 5,1 Prozent entspricht (Tunesien: 15,8 Prozent). Aber fast jeder (über 60 Millionen) verfügte über ein Handy. Nicht ohne Grund hatte das Regime deswegen erst im Oktober 2010 ein Gesetz erlassen, dass es Nutzern erschwerte, Gruppen-SMS zu schicken. Die fundamentalistischen Moslembruderschaft hatte Massen-SMS in der Vergangenheit effektiv zur Mobilisierung eingesetzt. Es handele sich nicht um ein Gesetz gegen politische Aktivitäten, hatte der zuständige Minister damals treuherzig behaupte. Es gehe lediglich darum zu verhindern, dass sensible Informationen, zum Beispiel Börseninformation, an die falschen Adressaten gelangten. "Wir machen das Leben nicht schwerer, wir organisieren es einfach besser", hatte der Minister damals zynisch gesagt.

Mund-zu-Mund-Propaganda als wichtigstes Mittel

Aber einerlei, ob es um Facebook, Twitter oder SMS geht: die Proteste in Ägypten treiben die Debatte um die Rolle sozialer Medien bei politischen Umwälzungen weiter voran - und damit auch die Debatte, ob eine Förderung sozialer Medien ein wichtiger Bestandteil der Außenpolitik westlicher, demokratischer Staaten sein muss. Spätestens seit den missglückten Aufständen der sogenannten Grünen Revolution im Iran im Sommer 2009 streiten sich Akademiker über die tatsächliche oder vermeintliche Bedeutung von Twitter und zunehmend auch von Facebook. Skeptiker behaupten, dass gerade die vermeintliche Facebook-Revolution eher dem Wunschdenken westlicher Gutmenschen entspricht, dass soziale Medien Regimen sogar die Möglichkeit geben, ihre Gegner besser zu überwachen. Optimisten halten dagegen, dass die neuen Medien mittelfristig ein wichtiges Mehr an Meinungsfreiheit mit sich bringen und kurzfristig, in Krisensituationen, ein wichtiges, verbessertes Mittel der Massenkommunikation sein können. In den USA ist diese Debatte schon in die politische Arena geschwappt. Konkret wird darüber diskutiert, wie westliche Staaten Menschen den Zugang zu einem freien Internet erleichtern können.

Den Demonstranten in Ägypten dürften diese Auseinandersetzungen am Freitag herzlich egal sein. Ihnen geht es darum, nach dem Gebet in den Moscheen möglichst viele Menschen auf die Straßen zu bringen. Kurz vor den geplanten Großkundgebungen waren nicht nur Internetverbindungen blockiert, Sicherheitskräfte nahmen auch zahlreiche Oppositionelle fest. Der anonyme Administrator der Facebook-Seite ElShaheeed hatte dem US-Online Magazin The Daily Beast schon Mitte der Woche verraten, auf welche Art von sozialen Medien er trotz der digitalen Gegenoffensive der Regierung Mubarak hofft. "Viele zentrale Figuren sind verhaftet worden", sagte er. "Aber wir hoffen, dass die Menschen die Informationen in den Moscheen und Kirchen weitergeben." Von Mund zu Mund.

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