Münchener Sicherheitskonferenz 2007 Rückblick auf den großen Bruch: Als Putin im "Bayerischen Hof" dem Westen den neuen Kalten Krieg erklärte

Putin Sicherheitskonferenz
Wladimir Putin bei seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007
© Zuma Wire / Imago Images
Vor 16 Jahren brach Wladimir Putin auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit dem Westen. In einer harten Rede beklagte er sich über die USA und die Nato. Im Nachhinein wirkte sein Wutausbruch wie eine programmatische Grundsatzerklärung.

Der Schlag ins Gesicht erfolgte nur eine Woche nach einem Spitzentreffen im Weißen Haus in Washington. Und er saß. "Ungebremste Anwendung von Hypergewalt", "Welt vor einem Abgrund von Konflikten", "Grenzen in fast allen Bereichen überschritten" waren die drastischen Worte, die Wladimir Putin wählte, als er 2007 als erster russischer Präsident auf der Münchener Sicherheitskonferenz sprach. Wen er meinte, war schnell klar: die USA, die Europäer, also den "Westen".

"Hatte Putin seinen Gefühlen freien Lauf gelassen?"

Die anwesenden Diplomaten, die Regierungsvertreter, die Forscher und Fachleute waren verdaddert angesichts dieser Rede, die wie eine Kriegserklärung wirkte und es letztlich auch war. Eines neuen Kalten Krieges. Putins Auftritt markierte einen Wendepunkt im Verhältnis Russlands zu Nato, USA und EU. Doch warum? Und warum zu diesem Zeitpunkt. Die damalige stern-Russland-Expertin Katja Gloger schrieb nach der Rede aus der bayrischen Hauptstadt: "Hatte da einer endlich einmal seinen Gefühlen freien Lauf gelassen - Putin pur sozusagen, ein Ex-KGB-Oberst im anti-amerikanischen O-Ton? Wollte da einer endlich einmal die Karten auf den Tisch knallen und klar machen, wer der Gegner ist, die wahre Gefahr für den Weltfrieden? Die USA nämlich?"

2007 tobte im Irak noch der Krieg, der von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und der "Koalition der Willigen" rechtswidrig begonnen worden war. Einer der größten Profiteure war Russland, das wegen des hohen Ölpreises plötzlich in Petrodollars schwamm. Dem Iran verkaufte Moskau ein Raketenabwehrsystem, was wiederum die USA als potentielle Bedrohung sahen. Kurz vor der damaligen Sicherheitskonferenz hatte US-Verteidigungsminister Robert Gates, wie Putin ein ehemaliger Geheimdienst-Mann, Russland deshalb in einem Atemzug mit den "Schurkenstaaten" Iran und Nordkorea genannt.

Putin kam gleich zur Sache

Schon die Anreise des russischen Präsidenten und seiner 200-köpfigen Delegation hatte vor 16 Jahren für Aufsehen gesorgt. In langer Mercedes-Limousine fuhr Putin vor dem "Bayerischen Hof" vor. "Im 'Kaisersaal' kam er gleich zur Sache, keine Sätze, die sich in höflichen Allgemeinheiten erschöpften", so stern-Reporterin Bettina Sengling damals. "'Diese Konferenz gibt mir die Möglichkeit, ihnen zu sagen, was ich wirklich über die Sicherheit auf der Welt denke'", begann er seine Rede. Das sei ja das Gute an einer Konferenz: Man brauche nicht in angenehmen, aber leeren Phrasen zu reden. Er hoffe, dass der Vorsitzende der Konferenz, Horst Teltschik, ihm nicht gleich das rote Licht einschalte und das Mikro abdrehe.'"

Der Kremlchef ahnte offenbar welche Wucht seine Worte entfalten würde. Auch wenn seine Diplomaten und Mitarbeiter sie danach herunterspielten. Der damalige russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow sagte auf einer anschließenden Pressekonferenz: "Ich denke, dass die Rede des russischen Präsidenten sehr auf den Punkt war. Das ist kein Denken des kalten Krieges." Dann erinnerte er noch an die gewaltigen Unterschiede der Verteidigungsbudgets, und daran, dass es mittlerweile mehr gewaltsame Konflikte gäbe als zu Zeiten des Kalten Krieges und dass das damals geplante Raketenabwehrsystem in Polen und Tschechien schon aus technischen Gründen nur Russland treffen könne.

Im "Bayerischen Hof" begann Putin auch erstmals damit, die Nato-Osterweiterung als Bedrohung für Russland zu skizzieren. Keine zwei Jahre zuvor hatte der Außenminister, der damals schon Sergej Lawrow hieß, noch über einen (theoretischen) Nato-Beitritt der Ukraine und Georgien gesagt, dass das "deren Sache" sei. Der Kremlchef lieferte allerdings eine Erklärung dafür, warum er dem Militärbündnis zunehmend skeptisch gegenüberstehe: "Die Bedrohung heute geht von Terroristen aus. Dennoch schiebe die Nato militärische Infrastruktur an die russische Grenze. Während des Kalten Krieges war das System zerbrechlich, ein bisschen schrecklich, aber verlässlicher als die Welt heute!", so Putin damals.

Wutausbruch und Grundsatzrede

Auch im Nachhinein noch klingen die Worte des Präsidenten sowohl wie ein Wutausbruch über die verlorene Weltmachtrolle als nach programmatischer Grundsatzrede. "Russland hat eine mehr als tausendjährige Geschichte", sagte Putin an einer Stelle trotzig. stern-Reporterin Gloger schrieb danach: "Und diesem Russland und seinen Herrschern soll gefälligst niemand mehr auf der Nase herumtanzen. Soll niemand mehr Rechtstaatlichkeit fordern oder die Einschränkung der Bürgerrechte kritisieren und gar Aufklärung verlangen, wenn mutige Journalisten wie Anna Politkowskaja ermordet werden. Soll sich niemand mehr für Demokratie in den ehemaligen Sowjetrepubliken stark machen, in Georgien, der Ukraine, in Belarus."

Im Belarus herrschte damals wie heute der enge Kremlpartner Alexander Lukaschenko. In Georgien begehrte das Volk auf, 2008 fiel Russland über die Kaukasusrepublik her und griff es fünf Tage lang mit Flugzeugen und Panzern an. Und in der Ukraine stand Wiktor Juschtschenko an der Spitze des Staats und warb vehement für einen Nato-Beitritt seines Landes. Von moskaufreundlicher Ruhe in den Staaten, die Russland als seine "Einflusszone" betrachtet, konnte also nur ein einem Fall die Rede sein.

Beginn des neuen Kalten Krieges

Wladimir Putin kommentierte seine eigene Rede mit dem Hinweis, dass "dies nur eine Konferenz" sei. Der frühere Herausgeber der "Zeit", Josef Joffe, sagte dagegen: "Vielleicht werden sich später Historiker an die 43. Sicherheitskonferenz erinnern als den Beginn des neuen Kalten Krieges". 16 Jahre später steht fest: Es ist nicht bei einem neuen, kalten Krieg geblieben.

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