Ein "feministischer Traum" In Mexiko bewerben sich zwei Kandidaten aufs Präsidentenamt – erstmals sind beides Frauen

Präsidentschaftskandidatinnen Mexiko 2024
Claudia Sheinbaum (l.) kandidiert für das linke Koalitionsbündnis und ist ein Zögling des amtierenden Präsidenten in Mexiko. Xóchitl Gálvez (r.) geht für das konservative Oppositionsbündnis ins Rennen und hat sich schon mit dem Präsidenten gezofft
© Gerardo Vieyra / Fernando Llano / AP / DPA
In Mexiko startet ein historischer Wahlkampf: Zwei Kandidatinnen streben an die Spitze des Landes, nur eine kann es schaffen. Es wäre das erste Mal, dass eine Frau das Land regiert. Die Erwartungen sollten trotzdem nicht zu hoch sein.

In Mexiko ringen zwei Frauen um das Präsidentenamt. Erstmals in der Geschichte des Landes könnte die Spitze der "traditionellen Macho-Nation" und Deutschlands wichtigstem Handelspartner in Lateinamerika weiblich werden. Lange vor der eigentlichen Wahl feiern Aktivistinnen die Kandidaturen bereits als "feministischen Traum".

Dass zwei Frauen für das sonst männliche Präsidentenamt kandidieren, verbucht man in Mexiko schon jetzt als feministischen Triumph – und einen weiteren Höhepunkt der Emanzipation. Eine gesetzliche Frauenquote sichert seit 2018, dass Männer und Frauen zu gleichen Teilen im Parlament vertreten sind. Im internationalen Vergleich steht das Land mit Rang fünf beim Frauenanteil im Kongress gut da. (Deutschland liegt auf Platz 45.) Und seit diesem Jahr führt erstmals eine Frau den Obersten Gerichtshof in Mexiko an.

Jetzt also zwei Kandidatinnen für die Präsidentschaftswahl – und voraussichtlich eine Siegerin.

Vergangenen Sonntag gab die Oppositionspartei Frente Amplio bekannt, dass sie die 60-jährige und ehemalige Computer-Ingenieurin Xóchitl Gálvez ins Rennen ums Präsidentinnenamt schickt. Sie soll für die konservative Koalition Breite Front antreten.

Ihre Herausforderin ist Claudia Sheinbaum, 61 Jahre alt, Physikerin und Ex-Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt. Sie setzte sich in einem turbulenten Auswahlverfahren gegen fünf Konkurrenten durch.

Claudia Sheinbaum: ein politischer Zögling

Sheinbaum gilt als Verbündete und Zögling des amtierenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador. Im Jahr 2000 berief er sie als damaliger Bürgermeister der Hauptstadt zur Umweltministerin der Metropole. Während seiner missglückten Präsidentschaftskandidatur 2006 war Sheinbaum Obradors Sprecherin. 2018 schaffte er den Aufstieg an die politische Landesspitze – und Sheinbaum beerbte ihn in Mexiko-Stadt.

Seit Jahren genießt der linksnationalistische Präsident nun das Vertrauen der Mexikaner, seine Zustimmungswerte liegen über 60 Prozent; seine von der Partei Morena angeführte Regierungskoalition regiert in 23 von 32 Bundesstaaten. Nach sechs Jahren Amtszeit darf Obrador nicht mehr kandidieren. Jetzt wiederholt sich das Spiel der letzten Jahre: Obrador tritt ab, Sheinbaum folgt ihm. Dessen Beliebtheitswerte und ihre Verbindung zu Obrador könnten ihre Eintrittskarte ins Präsidentenamt sein. In der Bevölkerung sieht sie sich als Ikone: "Die Mädchen sehen in mir ein Vorbild", sagte sie zuletzt dem Magazin "Gatopardo".

Bei der Verkündung ihrer Kandidatur zeigte sich Sheinbaum kämpferisch– und ein wenig siegesgewiss. "Heute hat die Demokratie gewonnen. Heute hat das mexikanische Volk entschieden."

Und: "Die erste Präsidentin zu sein, wäre für unser Land historisch."

Xóchitl Gálvez: im Clinch mit Mexikos Präsidenten

Das gilt allerdings auch für ihre Herausforderin Xóchitl Gálvez. 2018 wurde sie zur Senatorin gewählt. Nach ihrem Stipendium an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko gründete die Ingenieurin ein Unternehmen, das Kommunikations- und Energienetze für Bürogebäude entwirft. Im Jahr 2000, nach dem Wahlsieg von Vincente Fox, wurde Gálvez zur Leiterin des Präsidialbüros für indigene Völker. Achtzehn Jahre später wurde sie schließlich als Vertreterin der konservativen Partei der Nationalen Aktion zur Senatorin gewählt. Innerhalb der letzten Monate stieg sie zur Kandidatin der Oppositionskoalition auf.

Gálvez inszeniert sich als Kämpferin, die ihr Studium trotz Misshandlungen durch ihren Vater fortsetzt und sich im Alter von 17 Jahren mit einem Lötkolben gegen einen Vergewaltiger wehrt.

Der amtierende Präsident hält offenbar wenig von Gálvez, sieht sie sogar als mögliche Gefahr für seinen eigenen Nachwuchs. Kürzlich beschimpfte er sie als Marionette mächtiger Männer. Gálvez beschuldigte ihn daraufhin des Sexismus. Die Anfeindungen von Präsident Obrador konnten ihr politisch nichts anhaben. Im Gegenteil, sie steigerten ihre Präsenz in der Öffentlichkeit.

Und als sie in einem Interview der Nachrichtensendung "Entre Todos" auf Mexikos Kampf gegen bewaffnete Verbrecherbanden angesprochen wurde, sagte sie: "Man braucht Eierstöcke. Nicht nur Eier."

Eine Präsidentin macht Politik nicht unbedingt frauenfreundlich

In ihren Kampagnen betonen beide Kandidatinnen immer wieder die Schwachstellen der jeweiligen Gegnerin. Beide haben ein Ingenieurdiplom. Beide sind nicht explizit feministisch, unterstützen aber die Entkriminalisierung von Abtreibung. Gálvez grenzt sich damit sogar von ihrer streng konservativen Partei ab. Beide Kandidatinnen sind sozial fortschrittlich und wollen die in der Bevölkerung beliebten Programme zur Armutsbekämpfung beibehalten. Wie sie sich im Wahlkampf voneinander abgrenzen werden, muss sich erst noch zeigen.

Und trotzdem könnte Sheinbaum von ihrem politischen Ziehvater profitieren. Und er auch von ihr. Denn mit Sheinbaum im Amt könnte Obrador noch einige Zeit seinen politischen Einfluss in Mexiko geltend machen. Auch wenn er im März das Gegenteil behauptete: "Ich werde mich vollständig zurückziehen. Ich bin kein Häuptling und ich fühle mich auch nicht unersetzlich. Ich bin kein starker Mann; ich bin kein Messias."

In einem Bericht des "Center for Strategic and International Studies" kommen Analysten aber zu einem anderen Schluss. Bei einem Sieg Sheinbaums "könnte es Änderungen in bestimmten Politikbereichen geben, obwohl die Grundzüge seiner Agenda intakt bleiben werden", schreiben die Wissenschaftler des Forschungsinstituts in Washington. Und sollte Gálvez gewinnen, werde Obrador "nicht still und leise in den Hintergrund treten". Sein politisches Erbe könnte die Opposition daran hindern, bestimmte Entscheidungen rückgängig zu machen – etwa Sparmaßnahmen.

Und eine Präsidentin kann die traditionell männlich dominierte Politik nicht von heute auf morgen frauenfreundlicher machen. "Wir haben weibliche Kandidaten, aber die Parteien, Ressourcen und Agenden werden weiterhin von Männern kontrolliert", sagte Bárbara González, eine politische Analystin in der Stadt Monterrey der "Washington Post". Schon jetzt befürchten Aktivistinnen, dass sich das tägliche Leben von Mexikanerinnen auch durch eine Präsidentin nicht nennenswert verbessern wird.

"Sie sind keine magischen Einhörner, sie haben keine Zauberstäbe. Sie werden die jahrhundertelange Diskriminierung von Frauen nicht über Nacht beseitigen", sagt auch Jennifer Piscopo, Professorin für Gender und Politik an der Universität London der Zeitung.

Welche Kandidatin siegt, ist ungewiss, auch wenn sich gegenwärtig eine Tendenz abzeichnet. Doch bis zur Abstimmung am 2. Juni 2024 dauert es noch. Vieles scheint möglich. Klar ist in Mexiko derzeit nur: "Es ist die Zeit der Frauen."