Gehen die Explosionen in Kiew und etlichen andere ukrainische Städte vom Montag schon auf sein Konto? Sergej Wladimirowitsch Surowikin ist der neue starke Mann in Putins Armee. Der Kreml übertrug am Wochenende die militärische Führung des Ukraine-Feldzuges an den 55-jährigen General. Der Kommandeurswechsel könnte als Zeichen in einem Machtkampf gewertet werden – aber vor allem dem Krieg noch einmal ein anderes, ein brutaleres Gesicht geben.
Der in Nowosobirsk geborene Surowikin ist ein Mann mit erheblicher Kriegserfahrung. Er war an den Kriegen in Tadschikistan in den 90ern und in Tschetschenien in den 2000ern beteiligt. Berüchtigt wurde er aber vor allem durch zwei andere Einsätze, wie unter anderem der britische "Guardian" berichtet. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ließ er, nicht einmal 30 Jahre alt, in Moskau das Feuer auf pro-demokratische Demonstranten eröffnen. Mindestens drei Menschen wurden getötet, eine Untersuchung gegen Surowikin wurde anschließend eingestellt.
Wer ist Sergej Surowikin?
2017 leitete der vierfache Familienvater die russischen Streitkräfte im (Bürger-)Krieg von Syrien – und machte sich durch wahllose Bombardements, unter anderem in Aleppo, einen zweifelhaften Namen. Auch durch Surowikins Hilfe konnte die syrische Regierung wieder Kontrolle über große Teile des Landes gewinnen. Für die Führung des Einsatzes wurde er von Präsident Wladimir Putin zum "Helden der Russischen Föderation" ernannt.
"Seit mehr als 30 Jahren ist Surowikins Karriere von Korruptions- und Brutalitätsvorwürfen geprägt", schreibt der britische Geheimdienst laut "Guardian" über den General. Unter anderem wurde wegen illegalen Waffenhandels zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.
Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

Zuletzt war Surowikin Befehlshaber der mehr als 400.000 Mann starken russischen Luft- und Weltraumtruppen und auch in den Überfall auf die Ukraine in leitender Position eingebunden. Er befehligte die Truppen Moskaus im Süden des Nachbarlandes.
Die Beförderung des kremltreuen Hardliners zum Befehlshaber über die gesamten Invasionstruppen wird mitunter als Versuch Moskaus gedeutet, nationalistische Kräfte ruhig zu stellen. Sie hatten zuletzt angesichts des Vormarsches der ukrainischen Armee und des bisweilen chaotischen Zustands der russischen Streitkräfte immer wieder eine Neuaufstellung der Truppen in der Ukraine gefordert. Rechte Blogger, Feldkommandeure und die private Kampftruppe "Wagner" reagierten Medien zufolge begeistert auf die Ernennung des "verantwortungsbewussten" Soldaten. Allein die Mitteilung über den Austausch des Kommandeurs kann dabei schon als Zeichen ins Land und in die Armee gewertet werden. Der Name des bisherigen Kommandeurs des Einsatzes in der Ukraine war nie offiziell genannt worden, wenngleich unter anderem westliche Geheimdienste diesen Posten Armeegeneral Alexander Dwornikow zuschrieben.
Russlands Armee hat in der Ukraine Probleme
Auf Surowikin warten große Herausforderungen. Nach der ukrainischen Gegenoffensive musste die russische Armee etliche Städte und Landstriche aufgeben. Er muss diese in der Kreml-Logik nun zurückgewinnen und halten, parallel dazu die durch die Teil-Mobilmachung hinzukommenden 300.000 Soldaten in die Strukturen einbinden sowie die Streitkräfte auf den Winter vorbereiten – kann Surowikin das Blatt wenden?
Direkt nach dem Überfall auf die Ukraine wurde Surowikin auf die Sanktionsliste der Europäischen Union (EU) aufgenommen. Er sei zuständig für Luftoperationen in oder gegen die Ukraine. "Er ist damit verantwortlich für die aktive Unterstützung und Umsetzung von Maßnahmen, die die territoriale Integrität, Souveränität der Ukraine untergraben deren Unabhängigkeit sowie Stabilität und Sicherheit bedrohen."
Die Ernennung Surowikins erfolgte am Tag der Explosionen auf der Krim-Brücke. Kreml-Chef Putin macht dafür die Ukraine verantwortlich – und wollte Vergeltung. Und Surowikin liefert offenbar. Wie zum Beweis für die Einschätzung der EU griff die russische Armee am Montagmorgen massiv ukrainische Städte an, fast im gesamten Land gab es zwei Tage nach den Explosionen auf der Krim-Brücke Luftalarm. Allein in der Hauptstadt Kiew sind nach ukrainischen Angaben mindestens neun Menschen gestorben. Die britische Regierung bezeichnete die russischen Raketenangriffe in einer ersten Stellungnahme als "Kriegsverbrechen". Die Handschrift des bulligen Glatzkopfes?
"Ungewöhnlich und knallhart"
Der General sei Anhänger massiver Raketenschläge, auch auf die zivile Infrastruktur, schreibt das exilrussische Nachrichtenportal "Medusa" laut "Frankfurter Allgemeine Zeitung". "Sentimentalitäten hat Surowikin nicht." Er könne "ungewöhnlich und knallhart" handeln, urteilt demnach die kremltreue Boulevardzeitung "Komsomolskaja Prawda". Der Nahost-Experte Charles Lister beschreibt Sergei Surowikin auf Twitter als "brutalen, von Kalkül geprägten" Befehlshaber.

Doch reicht Surowikins Härte allein aus, damit die russische Armee auf dem Schlachtfeld Erfolge verbuchen kann? Russland-Experte Gerhard Mangott sagte dem Nachrichtenportal "T-Online", man traue dem General offensichtlich mehr zu als dessen Vorgängern. "Er kann aber nichts Grundsätzliches an der Situation ändern, die die russische Armee in diese Defensive gebracht hat." Man dürfe angesichts der Herausforderungen jetzt keine gesicherte militärische Kehrtwende erwarten.
Jewgenij Prigoschin, Gründer der Söldnertruppe "Wagner" dagegen setzt offenbar auf den neuen starken Mann. Er sei der "fähigste Kommandeur der russischen Armee", ließ er Medienberichten zufolge verlauten, eine "legendäre Figur", die geboren wurde, "um seinem Vaterland treu zu dienen". Der US-Think-Tank Jamestown Foundation erklärt in einem Bericht schlicht: "Surowikin hat einen Ruf für totale Rücksichtslosigkeit."
Hinweis der Redaktion: In einer vorherigen Version dieser Artikel fehlte die Angabe, dass die Verurteilung Surowikin eine Bewährungsstrafe nach sich zog. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Quellen: "The Guardian", Sanktionsliste der Europäischen Union, Britischer Staatssekretär Tim Tugendhat bei Twitter, Charles Lister bei Twitter, "Frankfurter Allgemeine Zeitung"(kostenpflichtiger Inhalt), "T-Online", "Frankfurter Rundschau", Euronews, Nachrichtenagenturen DPA und AFP