Was Bush plant Der Irak ist erst der Anfang

Freiheit und Demokratie verspricht der US-Präsident dem gesamten Nahen Osten. Dabei weiß er noch nicht einmal, wie die Nachkriegsordnung im Irak aussehen soll. Stattdessen träumen seine Strategen schon von weltweiter Dominanz: Amerika will jeden Rivalen in die Knie zwingen

Mit jedem Tag, den der Krieg gegen den Irak näher rückt, werden die Visionen des amerikanischen Präsidenten großspuriger. Und seine Minister schmallippiger. Denn während ihr Chef in imperialen Höhen schwebt, stecken sie in den Tiefen der Details fest. Im Schatten gewaltiger Sternenbanner sprach George W. Bush vergangene Woche von der Befreiung Iraks als "einem dramatischen und inspirierenden Beispiel", das der Welt "die Macht der Freiheit zeigt, wenn sie eine ganze Region verändert und in das Leben von Millionen Menschen Hoffnung und Fortschritt bringt".

Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz, einer der militantesten Verfechter eines Kriegs gegen den Irak, zog es dagegen im Kongress in Washington vor, über die Zahl der benötigten Truppen, die Dauer ihres Einsatzes und die Kosten jede Aussage zu verweigern: "Wir haben keine Ahnung, was wir wirklich brauchen, solange wir nicht vor Ort sind."

Und zwei Abteilungsleiter

aus dem Außen- und dem Verteidigungsministerium mussten bei einer Anhörung vor einem Komitee des US-Senats zugeben, dass ihre Ressorts bei den entscheidenden Fragen zur Nachkriegsordnung über das Diskussionsstadium noch nicht hinausgekommen sind. Sie waren so sehr mit Grabenkämpfen über Amerikas Haltung zum Irak beschäftigt, dass sie keinen Plan für die Nachkriegsordnung, geschweige denn für einen Wiederaufbau vorlegen konnten. Washingtons Bürokraten sind sich nicht einmal einig darüber, ob nur jeweils die Top-Leute von Saddams Verwaltung ausgewechselt werden (wogegen die irakische Exil-Opposition heftig protestiert) oder auch die niedrigeren Ränge (was die Militärs ablehnen, weil sie ohne die Apparatschiks ein Chaos fürchten).

Eine Regierung, die ihre Vorgänger im Amt unter Bill Clinton dafür ausgelacht hat, auf dem Balkan "nation building" zu betreiben, den Neuaufbau durch Krieg zerstörter Gesellschaften, muss nun erkennen, dass sie sich gewaltig verschätzt hat. Dass die 50 Milliarden Dollar, die sie einst für einen neuen Golfkrieg veranschlagt hat, bei weitem nicht ausreichen werden. Aus den 40 000 bis 50 000 Soldaten sind längst 100 000 bis 250 000 geworden, die nach Schätzungen des Militär-Experten Michael O' Hanlon von der Washingtoner Brookings Institution allein im ersten Jahr nach dem Sturz des irakischen Diktators in der irakischen Wüste Dienst tun müssen.

Weil der erste Tag nach dem Krieg

noch im Dunkeln liegt, sprechen die Anhänger eines schnellen Angriffs lieber vom ersten Tag nach dem Ende des Friedens. Die gegenwärtigen Pläne für eine Invasion sollen den Irak "physisch, emotional und psychologisch erschüttern", sagt der Militärstratege Harlan Ulman. Die "Schock- und Überwältigungs-Strategie" soll einen Effekt haben "wie die Atombomben auf Hiroshima. Das dauert nicht Tage oder Wochen, sondern nur Minuten."

Mehr als 3000 Präzisionsbomben und Marschflugkörper werden in den ersten 48 Stunden zum Einsatz kommen, doppelt so viele wie in den 40 Tagen des Golfkriegs von 1991. Auch wenn diese Waffen nach offiziellen Angaben des Pentagon das Risiko für die Zivilbevölkerung so klein wie möglich halten sollen, erklärte ein Beamter des Verteidigungsministeriums dem Fernsehsender CBS: "Es wird keinen sicheren Ort in Bagdad geben. Das schiere Ausmaß dieses Angriffs hat es nie zuvor gegeben." Sollte es den Truppen der Amerikaner und der Briten gelingen, Saddam Hussein und seinen engsten Zirkel tatsächlich zu beseitigen und die Hauptstadt binnen kurzer Zeit in die Hände der Alliierten fallen, wäre der Krieg schnell gewonnen. Der Frieden noch lange nicht.

Selbst die erzkonservativen Visionäre in der Bush-Regierung begreifen allmählich, dass es leichter sein könnte, den Irak einzunehmen, als die Macht an eine zivile Regierung zu übergeben. Niemand weiß, ob US-Soldaten als Befreier gefeiert oder als Besatzer gehasst werden.

Eine Militärverwaltung unter dem

Vier-Sterne-General Tommy Franks müsste strategische Einrichtungen sichern, die Ölproduktion überwachen, die Schiiten und Kurden am Bügerkrieg hindern (siehe auch Seite 30), Beamte des alten Apparats aus Saddams Regierungszeit in die neue Verwaltung integrieren und eine durch Embargo, Unterdrückung und Krieg gebeutelte Zivilbevölkerung womöglich mit Nahrung und Trinkwasser vor einer humanitären Katastrophe bewahren.

Laut Umfragen ist nur jeder dritte Amerikaner bereit, für den Wiederaufbau des Landes zu zahlen. Die US-Präsenz im Irak verlangt, so Armee-Stabschef Eric Shinseki, "Hunderttausende von Soldaten" und die Kosten könnten, so Senator Robert Byrd, "in die Hunderte von Milliarden gehen und den Bundeshaushalt aus den Angeln heben". Nach fast einem Jahr Kriegsplanung haben Pentagon und Außenministerium es nicht geschafft, ein solides Konzept für eine erfolgreiche Nachkriegspolitik zu schaffen.

Ohne sich darum Sorgen zu machen, haben die Strategen um Donald Rumsfeld und Paul Wolfowitz längst Größeres im Sinn. Um "die Welt vom Bösen zu befreien", wie Präsident Bush es nennt, nehmen sich die USA in ihrer im September 2002 verabschiedeten Nationalen Sicherheitsdoktrin das Recht, "gegen heraufziehende Bedrohungen zu handeln, bevor sie voll ausgeformt sind". Sie wollen auch ohne Partner vorgehen, "wenn unsere Interessen und einzigartigen Verantwortlichkeiten es verlangen". Dafür müssten die US-Streitkräfte jeden möglichen Rivalen daran hindern, durch Aufrüstung "der Macht der USA überlegen oder ebenbürtig zu sein".

Wer immer auf die Idee käme, Massenvernichtungswaffen

gegen Amerika anzuwenden, muss mit "Präventivmaßnahmen" und sogar dem Einsatz von Atomwaffen rechnen, heißt es in einem im Dezember nachgeschobenen Strategiedokument. Imperialistische Vorherrschaft, militärisches Ungleichgewicht, Präventivkriege, Nukleareinsatz - die Tabus, die selbst im Kalten Krieg einen heißen verhinderten, fallen wie Domino-Steine. Amerikas Leitmotiv heißt "full spectrum dominance" - totale Überlegenheit. Der Irak-Krieg ist der Testfall für den Versuch, die Welt neu zu ordnen. Das machen zwei der führenden neokonservativen Vordenker der Bush-Administration in dem Büchlein "The War Over Iraq" deutlich.

Mit obskuren Hinweisen auf "unbekannte Bedrohungen hinter dem Horizont" schreiben Lawrence Kaplan und William Kristol: "Die Erhaltung einer anständigen und annehmbaren internationalen Ordnung erfordert fortgesetzte amerikanische Führung bei der Abwehr aggressiver Diktatoren und feindlicher Ideologien. Die Mission beginnt in Bagdad, aber sie endet dort nicht ..."

Kristol, Gründer des neokonservativen Strategiezirkels Project for the New American Century (PNAC), leitet seit vielen Jahren einen Kreis ehemaliger Politiker und Beamter aus der Zeit der Präsidenten Ronald Reagan und George Bush Senior. Unter Bush Junior sind sie wieder in einflussreiche Stellungen gelangt. Zu ihnen gehören Abrüstungsgegner wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Pentagon-Berater Richard Perle, Vertreter der Öl-Lobby wie Vizepräsident Dick Cheney, christliche Rechte wie Justizminister John Ashcroft und Israel-Anhänger wie Bushs Nahost-Berater Elliott Abrams. Ihr Star ist der scharfsinnige Vize-Verteidigungsminister Wolfowitz, Sohn eines polnischen Juden, dessen Familie im Holocaust umkam. Er legte schon 1992 als Politikplaner im Pentagon die Grundlagen für Bushs Doktrin der weltweiten Dominanz.

Die USA sollen in der Weltpolitik einzig und allein bestimmen, Rivalen wie China oder Russland "von jeder größeren regionalen oder globalen Rolle entmutigen" und ihre Verbündeten wie Deutschland oder Japan wie unmündige Kinder unter "Erwachsenenaufsicht" stellen. Präsident Bush Senior lehnte damals solche Anmaßung ab. Heute ist Wolfowitz, so Kristol, "der intellektuelle Kompass der konservativen Bewegung". Er hat es geschafft, dass das Pentagon in Fragen der Außenpolitik den Ton angibt - für Amerikas Überrüstung, die vorbehaltlose Unterstützung Israels und den Sturz des stärksten Israel-Feinds Saddam.

Am 26. Januar 1998 hatte der Republikaner Wolfowitz

schon den demokratischen Präsidenten Bill Clinton "zur Beseitigung des Saddam-Regimes von der Macht" gedrängt: Waffeninspektionen im Irak seien nutzlos, die "vitalen Interessen" der USA am Persischen Golf müssten per Militäraktion gewährleistet, ein "demokratischer Irak" geschaffen werden, ohne sich vom UN-Sicherheitsrat "behindern zu lassen". Den Brief unterzeichneten außer Wolfowitz auch Kristol, Rumsfeld, Perle und Zalmay Khalilzad, inzwischen Bushs Irak-Sonderbeauftragter. Doch für Clinton war Krieg "keine Option".

Den 11. September 2001 nutzten die "Neocons" für einen neuen Anlauf: Ohne einen Zusammenhang zwischen al Qaeda und Saddam, zwischen World Trade Center und Massenvernichtungswaffen nachzuweisen, forderte Wolfowitz wenige Tage nach den Anschlägen: Saddam muss weg! Dann wagt keiner mehr, Amerika anzugreifen. Als George Bush in der vergangenen Woche vor dem American Enterprise Institute seine Rede hielt, konnte man deutlich heraushören, dass Wolfowitz ganze Arbeit geleistet hat: Ziel ist nun der Aufbau eines "demokratischen Irak" als Vorbild für die Umgestaltung der gesamten arabisch-islamischen Welt. O-Ton Wolfowitz: "Der größere Krieg, vor dem wir stehen, ist der Krieg der Ideen, ein Kampf über Modernität und Säkularismus, Pluralismus und Demokratie und echte wirtschaftliche Entwicklung."

Skeptiker befürchten, dass dies den Nahen Osten

nicht demokratischer machen, sondern zum oft beschworenen "Krieg der Kulturen" führen und islamistische Fanatiker wie Osama bin Laden eher stärken wird. Eine individualisierte Gesellschaft nach US-Vorbild, die im weltlichen Irak vielleicht noch möglich wäre, ist in religiös geprägten Staaten wie Saudi-Arabien, Iran oder Pakistan kaum vorstellbar. "Was ist", fragt Elizabeth Cheney, Nahostexpertin im Außenministerium und Tochter des Vizepräsidenten, "wenn demokratiefeindliche Kräfte an die Macht kommen und nie wieder Wahlen zulassen?"

In Washington melden sich inzwischen Kritiker des neuen Kurses zu Wort - zu spät, um einen Krieg zu verhindern. Gary Sick, Sicherheitsberater mehrerer Präsidenten: "Das ist die verwegenste Regierung, die ich je erlebt habe. Mich beunruhigt sehr, dass sie willens ist, alles auf eine Karte zu setzen."

Der Zugang zum Erdöl ist dabei nicht das einzige, aber ein wichtiges Motiv. Donald Kagan, Vizepräsident des PNAC, befürwortet nach Saddams Ende "auf lange Zeit eine große US-Truppenkonzentration im Nahen Osten". Denn: "Wenn wir Truppen im Irak haben, wird es keine Störung des Ölexports geben." Schon lassen die Washingtoner Nachkriegsplaner durchblicken, dass sie Iraks Öl auch politisch nutzen wollen, etwa um Russland mit seinen Förderinteressen gefügig zu machen.

Die Kontrolle über Iraks Ölreserven - etwa 15 Milliarden Tonnen - gibt den USA auch die Chance, sich mehr aus der Abhängigkeit von den Saudis zu lösen, die auf etwa 35 Milliarden Tonnen Reserven sitzen. Denn die USA werden in 20 Jahren, so rechnen Washingtons Energiepolitiker, zwei Drittel ihres Öls einführen müssen. Könnte jetzt auch noch der Iran wie zu Zeiten des Schahs auf Amerikas Seite gebracht werden, hätte der größte Energieverbraucher der Welt einige Sorgen weniger. Und nach einem Krieg im Irak werden US-Truppen an der 1458 Kilometer langen Grenze zum Iran stehen.

Bushs Kreuzzug gegen das Böse

soll mit dem Irak nicht enden. Noch ehe der Neuordnungsprozess im Nahen Osten auch nur angefangen hat, sortieren Washingtons neokonservative Vordenker schon die Konflikte der Zukunft: Während sie im Iran dazu neigen, den Reformprozess im Innern abzuwarten und die Gegner der Mullahs mit Geld und Waffen zu fördern, rückt Iraks westlicher Nachbar Syrien ins Fadenkreuz. Denn die Syrer sind der unversöhnliche Feind Israels und Förderer der Hisbollah-Milizen im Libanon, die ihrerseits US-Militäraktionen ebenso fürchten müssen wie der "Schurkenstaat" Libyen oder der "gescheiterte Staat" Somalia.

In Wolfowitz' strategischen Überlegungen gibt es nur drei Mächte, die Amerika auf lange Sicht herausfordern könnten: die Europäische Union, ein erstarktes Russland und China. Die Irakkrise hat EU und Nato womöglich auf lange Zeit geschwächt. Moskaus Aufstieg aus den Trümmern des Kommunismus zieht sich. Bleibt das Reich der Mitte.

Wolfowitz und der stellvertretende Außenminister

Richard Armitage haben zusammen schon eine "Vision" entwickelt, die Rumsfeld und Cheney anscheinend noch zu "soft" ist. Sie wollen, so der Fernost-Fachmann David Shambaugh über die geheime Strategie, Japan erheblich stärken, Indien einbinden und Südkorea, Australien sowie die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Usbekistan und Kirgisistan nutzen, um China einzukreisen. Dazu wäre es nötig, Taiwan militärisch und politisch wieder aufzuwerten, möglichst ohne Peking zum Krieg zu provozieren. Der Schritt vom Neoimperialismus zum Abenteurertum ist klein.

Größtes Problem bei den Denkspielen der Weltstrategen aus Pentagon und Weißem Haus sind die amerikanischen Wähler. Im November 2004 hofft Bush, als glänzender Sieger von Bagdad die Wahl gewinnen zu können. Doch weiß der US-Kriegsreporter Robert Kaplan: "Ein einziger Krieg mit beträchtlichen amerikanischen Verlusten könnte den Appetit unserer Öffentlichkeit auf den neuen Internationalismus verderben."

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Mario R. Dederichs