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Plötzlich ist der Mitarbeiter weg Integrierte Flüchtlinge abgeschoben: Diese klaren Worte finden Firmen aus ganz Deutschland

Geflüchtete mit Arbeitsvertrag sind von Abschiebungen bedroht
Ein Job kann ein wichtiger Schritt zur Integration sein. Und doch sind viele Geflüchtete mit Arbeitsvertrag von Abschiebungen bedroht
© Monika Skolimowska / DPA
Nach der jüngsten Abschiebung von 69 Afghanen in ihr Heimatland wächst die Kritik an der Praxis von Bund und Ländern. Zahlreiche Unternehmer beklagen, wichtige Mitarbeiter verloren zu haben - und den Glauben an die Zusagen der Politik.

Für die Einen ist sie ein unverhofftes Geburtstagsgeschenk, für die Anderen eine Tragödie und ein Skandal: die Abschiebung von Migranten in ihr Heimatland. Jüngstes Beispiel ist der Abschiebeflug mit 69 Afghanen von München nach Kabul am 69. Geburtstag von Horst Seehofer (CSU) - "ausgerechnet", wie der Bundesinnenminister süffisant hinzufügte. 

An Bord der Maschine saßen jedoch mitnichten nur Gefährder und Kriminelle, es waren gerade einmal fünf, sondern auch jene Menschen, die als integrationswillig gelten, die unsere Sprache lernen, die sich in der Gesellschaft engagieren, die sich ein bescheidenes Leben in Sicherheit aufgebaut haben, die eine feste Arbeitsstelle haben.

Abschiebungen reißen Mitarbeiter aus Firmen

Dass Mitarbeiter aus ihren Firmen gerissen werden, bringt inzwischen mehr und mehr Chefs auf die Palme. Es sind Geschäftsführer von mittelständischen Unternehmen, die Angela Merkels Worte ("Wir schaffen das!") mit Leben füllen, die den Geflüchteten hierzulande eine Perspektive geben wollen.

Einer von ihnen ist zum Beispiel Jürgen Burkhard, Chef der Burkhard Group mit Sitz im bayrischen Kaufbeuren. Sein familiengeführtes Unternehmen mit 175 Mitarbeitern ist in der Metallverarbeitung tätig: Wärmebehandlung, Löten, Schweißen. Eine Firma von der Sorte, die in den (Sonntags-)Reden der Politiker gerne als Stütze unserer Wirtschaft beschrieben wird.

Auch Burkhard hat die Herausforderung nach dem Zuzug vieler Menschen nach Deutschland angenommen und vor dreieinhalb Jahren einem jungen Afghanen einen Chance und eine Arbeitsstelle gegeben. Am 4. Juli kam sein Angestellter unerwartet nicht in die Firma - er war unfreiwillig auf dem Weg nach Afghanistan - in Seehofers "Geburtstagsflieger".

+++ Lesen Sie dazu im stern auch: "Nach acht Jahren in Deutschland: Er saß in Abschiebeflug an Seehofer-Geburtstag: Afghane begeht in Kabul Suizid" +++

Jürgen Burkhard ist empört von der Abschiebepraxis: "Es muss möglich sein, dass ein unbefristet Beschäftigter, der sich selbst finanziert und die deutsche Sprache erlernt hat, bei uns bleiben kann." Sein Unternehmen habe viel Geld und Zeit investiert. Mit unerwarteten Abschiebungen von integrierten Mitarbeitern sei die Zukunft nicht planbar.

"Absolute Sauerei"

Der Geschäftsführer fordert eine Wende in der Abschiebepraxis: "Wir brauchen die Möglichkeit eines Spurwechsels von der Flüchtlingsintegration zur Zuwanderung in den Arbeitsmarkt." Seine Mitgeschäftsführerin Tanja Burkhard wurde im Bayrischen Rundfunk deutlicher: Die Abschiebung sei eine "absolute Sauerei".

Mit ihrer deutlichen Kritik stehen die Burkhards nicht alleine da. Viele Chefs, nicht nur aus der bayrischen Wirtschaft, haben den Eindruck, dass mitunter die Falschen Deutschland verlassen müssen. "Leider hören wir nach wie vor von unseren Handwerksbetrieben, dass Flüchtlinge trotz gültigem Ausbildungsvertrag oder während eines Praktikums abgeschoben werden", sagte Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, zum Beispiel der "Süddeutschen Zeitung". 

Die Geschäftsführerin eines Kaffeehauses in Murnau (Landkreis Garmisch-Partenkirchen) sagte nach der Abschiebung ihres nigerianischen Mitarbeiters dem "Münchner Merkur", sie habe den jungen Mann als "äußerst zuverlässig, ehrlich, talentiert und fleißig" erlebt.

Eine Outdoor-Firma aus Oberschwaben hat zwölf Geflüchtete eingestellt, von denen einige abgeschoben werden sollten. Deren Chefin regte sich kürzlich in der "Südwest-Presse" auf: "Die Unternehmer sind 2015 von der Politik aufgefordert worden, einen Beitrag zur Integration zu leisten. Das haben wir getan (...) Wir wollen nicht einfach Spielball der Politik sein und diese Fachkräfte wieder verlieren."

Abschiebepraxis als ungerecht empfunden

"Damit auch jedes Unternehmen klar erkennen kann, was von den vollmundigen Zusagen der Politik zu halten ist", machte der Chef einer Feinblechfirma aus Jena seinem Ärger in der "Thüringer Allgemeinen" Luft, nachdem sein Mitarbeiter aus Afghanistan den Abschiebungsbescheid erhielt. "Wir hören tagein, tagaus, dass Fachkräfte in unserem Land ­fehlen“, sagte er dem Blatt. Kümmere sich eine Firma dann, würde sie von den Behörden alleine gelassen.

In der "Badischen Zeitung" beklagten sich gleich 60 Firmen allein aus Baden-Württemberg, dass ihre Mitarbeiter das Land verlassen müssten. "Da heißt es immer, die Leute müssen integriert werden - dann macht man etwas, und sie werden abgeschoben", erklärte etwa eine Bauunternehmerin, die einen Mann aus Gambia angestellt hat.

So kann man es schier endlos fortführen. Landauf, landab beklagen Firmeninhaber die als ungerecht und willkürlich empfundene Praxis. Integrierte Geflüchtete müssen das Land verlassen, straffällig gewordene dagegen können fast unbehelligt jahrelang hier weiterleben. Für die Unternehmen ist das mehr und mehr ein unhaltbarer Zustand.

Und die Bundesregierung? Die hat es bislang immer noch nicht geschafft, ein modernes Einwanderungsgesetz auf den Weg zu bringen. Stattdessen schmückt sich ihr Mitglied Horst Seehofer mit Zahlen von Abgeschobenen. Doch in Wirklichkeit geht es nicht um Zahlen. Es geht um Menschen - Geflüchtete und auch ihre Arbeitgeber - und um deren Zukunft. 

Die Bundesagentur für Arbeit wirbt weiter dafür, Flüchtlinge einzustellen. Bei den aktuellen Voraussetzungen wird sich vermutlich jeder Geschäftsführer zweimal überlegen, ob er "Wir schaffen das!" mit Leben füllen möchte.

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