"Anne Will" "Trauen Sie Putin zu, dass er uns angreift?", fragt Anne Will. Und Annalena Baerbock kann nicht "Nein" sagen

  • von Mark Stöhr
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin
Konnte nicht persönlich erscheinen: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin.
© NDR / Dietmar Gust
Wie weit geht Putin? Bis zur "Berliner Mauer", wie es Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj befürchtet? Politiker und Militärs guckten bei Anne Will in die Glaskugel und sahen: nichts Gutes. Noch mehr Grausamkeit. Der ukrainische Botschafter forderte ein direktes Eingreifen des Westens. Anders sei Putin nicht zu stoppen.

"All die Menschen, die von heute an sterben, werden auch Ihretwegen sterben": Wolodymyr Selenskyj war zwischen Wut und Verzweiflung, als die Nato den Entschluss fasste, keine Flugverbotszone über der Ukraine einzurichten. Dieser Satz habe sie ins Herz getroffen, sagte Annalena Baerbock. Aber: "Wir müssen trotzdem kühlen Kopf bewahren." Eine Flugverbotszone hieße, dass Nato-Flugzeuge russische Flugzeuge abschießen müssten. Ein No-Go für den Westen. "Wir können ein Überschwappen dieses Krieges auf Polen und die baltischen Staaten nicht verantworten."

Es diskutierten bei Anne Will:

  • Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesaußenministerin
  • Alexander Graf Lambsdorff (FDP), stellvertretender Fraktionsvorsitzender
  • Andrij Melnyk, ukrainischer Botschafter
  • Egon Ramms, ehemaliger NATO-General
  • Frans Timmermans, Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission

Für Andrij Melnyk, den ukrainischen Botschafter in Berlin, ist die Zurückhaltung der Allianz kaum zu ertragen. Kein Wunder angesichts der vielen Toten, Verletzten und Vertriebenen und der in Schutt und Asche gebombten Städte in seiner Heimat. "Man muss helfen mit allem, was man hat", forderte er. Von Deutschland seien seit der legendären Sondersitzung des Bundestages vor einer Woche gerade mal 50.000 Lebensmittelpakete angekommen. "Da müsste mehr geschehen." Doch was genau muss und was darf auf keinen Fall geschehen?

Kampfjets für die Ukraine ernsthafte Option

Eine direkte Konfrontation zwischen Nato und Russland müsse um jeden Preis verhindert werden, sagte Alexander Graf Lambsdorff. "Wenn die zweitgrößte Nuklearmacht gegen die größte Nuklearmacht der Welt, die USA, kämpft, stehen wir an der Schwelle zum Atomkrieg." Die trotzig-apokalyptische Replik von Melnyk: "So verzögern sie ihn nur."

Kampfflugzeuge für die Ukraine sind laut Baerbock eine Option, die offenbar ernsthaft erwogen wird. Das Problem: Ukrainische Piloten können nur russische Migs fliegen, über die ausschließlich Polen verfügt, das dafür wiederum Ersatzkampfjets bräuchte, um nicht komplett blank dazustehen. Das dauert. Der Systemunterschied kommt Ex-Nato-General Ramms zufolge auch bei den Luftabwehrwaffen zum Tragen. Ukrainer müssten wochenlang ausgebildet werden. Und: "In Europa gibt es keine Nation, die diese Waffen auf Vorrat hat." In Zeiten des Kalten Krieges seien die Depots voll gewesen, jetzt herrsche dort gähnende Leere.

Die Menschen in den von Krieg und Gewalt betroffenen Gebieten in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Die Stiftung stern arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen, die von uns geprüft wurden. Wir leiten Ihre Spende ohne Abzug weiter. Über diesen Link kommen Sie direkt zu unserem Spendenformular.
Die Menschen in den von Krieg und Gewalt betroffenen Gebieten in der Ukraine brauchen unsere Hilfe. Die Stiftung stern arbeitet mit Partnerorganisationen vor Ort zusammen, die von uns geprüft wurden. Wir leiten Ihre Spende ohne Abzug weiter. Über diesen Link kommen Sie direkt zu unserem Spendenformular.

Bleibt also die Frage: Was stoppt Putin? Frans Timmermans hat den Russen 1991 kennengelernt, als er noch stellvertretender Bürgermeister von St. Petersburg war. "Dieser Mann macht nie einen Rückzieher, der kann nur eskalieren", lautet seine Einschätzung. Moskau werde es nie gelingen, die Ukraine zu kontrollieren, das sei völlig ausgeschlossen. Zu dieser Analyse käme auch der Kreml, "die sind ja nicht blöd." Aber es gäbe keinen Ausweg, weil Putin nicht zurückziehen könne. Timmermans erwartet, dass der Autokrat in seinem eigenem Land Schwierigkeiten bekommen wird. Von den Bürgern, die allesamt die Sanktionen zu spüren bekommen würden – und von den Machtkreisen, die nach einer Exit-Strategie suchten.

Eine Milliarde Euro für Energieexporte

Eine Milliarde Euro nimmt Russland für den Export von Gas, Kohle und Öl ein – pro Tag.  "Putin muss diesen Krieg finanzieren, und jeden Tag bekommt er eine Milliarde", empörte sich Andrij Melnyk und forderte einen Energieboykott durch Europa. Auch hier kassierte er eine Absage. Man müsse immer abwägen, wen der Boykott mehr träfe, erwiderte Timmermans – den Boykottierten oder den Boykottierenden. "Unsere Gesellschaft muss stark bleiben." Die EU sei mit Hochdruck dabei, ihre Energiequellen zu diversifizieren. Es fänden Gespräche darüber etwa mit Katar, Ägypten und den USA statt. Ansonsten lautet das Konzept des Niederländers für die fossile Unabhängigkeit von Russland: eine beschleunigte Energiewende und zur Überbrückung Atom.

Krieg gegen Russland: Deutschland liefert alte DDR-Raketen an die Ukraine
Krieg gegen Russland: Deutschland liefert alte DDR-Raketen an die Ukraine
Deutschland liefert alte DDR-Raketen an die Ukraine: Was bringen die Waffen wirklich?

Und das alles wegen des imperialen Größenwahns eines alten Mannes. Man habe sich abgewöhnt, sagte Anne Will zu Beginn der Sendung, Putin nicht alles zuzutrauen. "Trauen Sie ihm zu", fragte sie Annalena Baerbock, "dass er uns angreift?" Die Antwort der Außenministerin: "Die letzten zehn Tage haben gezeigt, dass es offenbar keine roten Linien gibt."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

ch