Zwei-Prozent-Ziel der Nato Der kostspielige Satz des Pistorius

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD)
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD)
© Johannes Simon / Getty Images
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) spricht sich dafür aus, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für Verteidigungsausgaben als Untergrenze zu definieren. Ein überschwänglicher Vorschlag eines übermotivierten Ministers?  

Ein dicker Batzen Geld, so viel steht auf jeden Fall am Ende jener Rechnung, die Boris Pistorius nun aufgemacht hat. Der Bundesverteidigungsminister möchte davon deutlich mehr in die Hand nehmen, nicht zuletzt, um die Bundeswehr wieder auf Vordermann zu bringen, aber auch, um ein schon 2014 ausgegebenes Ziel zu erreichen: die Zwei-Prozent-Vorgabe der Nato.

Für Deutschland würde das Mehrausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe bedeuten, bislang werden jährlich deutlich weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigung investiert. Für 2022 lagen die Ausgaben schätzungsweise bei 55,6 Milliarden Euro (1,44 Prozent), nötig für das Zwei-Prozent-Ziel könnten an die 77 Milliarden Euro sein, legt man die jüngsten Zahlen zum BIP des Statistischen Bundesamtes zugrunde.

Und das soll nur die Untergrenze sein, geht es nach Pistorius.

"Sich allein dem Zwei-Prozent-Ziel annähern zu wollen, wird nicht reichen", sagte er am Mittwochmorgen am Rande einer Sitzung der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. "Das muss die Basis sein für alles Weitere." Ist das der überschwängliche Vorstoß eines übermotivierten Verteidigungsministers? Wohl eher ein präventives Bekenntnis: Pistorius bringt damit jenen Ehrgeiz zum Ausdruck, der bald ohnehin von der Bundesregierung und weiteren Bündnispartnern erwartet werden könnte.

Im Jahr 2014, nach Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim, vereinbarten die Staaten, die noch unter dem Zwei-Prozent-"Richtwert" liegen, sich "innerhalb von zehn Jahren" darauf "zuzubewegen, um ihre Nato-Fähigkeitsziele zu erreichen und Fähigkeitslücken der Nato zu schließen". Dieser Punkt wäre 2024 erreicht. Und dann? Dann könnte jener "Richtwert" zum minimalen Pflichtwert werden. 

In der Nato werden schon Gespräche darüber geführt, das bisherige Ziel als Untergrenze zu definieren – und alles darüber hinaus als wünschenswert. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Mittwoch in der Abschlusskonferenz, es liege auf der Hand, "dass wir mehr ausgeben müssen" und die Ausgaben in Höhe von zwei Prozent des BIP das Minimum sein sollten. Eine Einigung wurde nicht gefasst, soll aber spätestens beim nächsten regulären Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in Litauens Hauptstadt Vilnius erzielt werden.

Boris Pistorius: "Die Realität ist so, wie sie ist"

Dass Deutschland mitziehen will, hat Pistorius nun deutlich gemacht. Offen bleibt indes, wann Deutschland durchs Zwei-Prozent-Ziel gehen könnte. "Der Bundeskanzler, SPD-Chef Lars Klingbeil und ich sind uns einig, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel erreichen müssen. Mindestens", betonte Pistorius nun im "Spiegel". "Eigentlich kann es nur die Basis sein, auch darüber sind sich längst alle einig. Wie weit wir dann darüber hinauskommen und wann wir das erreichen, steht auf einem anderen Blatt."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Um das Ziel zu erreichen, aber auch um laufende wie entstehende Kosten zu decken, sei Pistorius zufolge eine Erhöhung des laufenden Wehretats nötig. Bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sollen seine Beamten in ersten Etatgesprächen eine Aufstockung von jährlich zehn Milliarden Euro angemeldet haben, unabhängig vom bereits beschlossenen Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro (das Pistorius ohnehin nicht für ausreichend hält). Sein Etat würde damit auf rund 60 Milliarden Euro steigen.

Ob Pistorius ein solch deutlicher Aufschlag gewährt wird, bleibt abzuwarten. Nach Jahren der Krisenhaushalte und Entlastungspakete sind die Mittel wieder knapper, die Ausgabenwünsche der Fachressorts aber nach wie vor groß: Laut "Handelsblatt" wollen die Bundesministerien im kommenden Jahr 70 Milliarden Euro mehr ausgeben. Mitte März will das Bundeskabinett einen Beschluss zu den Eckpunkten des neuen Bundeshaushalts fassen. Ein bemerkenswerter Briefwechsel zwischen Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) deutet schon jetzt auf heftige Verteilungskämpfe hin. 

Jedenfalls muss über die milliardenschweren Erhöhung der Verteidigungsausgaben noch diskutiert werden, das räumt auch Pistorius ein. "Das wird in der Koalition noch zu verabreden sein", sagte er am Freitag vor Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz bei seiner Ankunft im Tagungshotel. "Aber klar muss jedem sein: Nur mit knapp zwei Prozent werden die Aufgaben nicht zu erfüllen sein, die vor uns liegen." Er führte Bündnis- und Landesverteidigung sowie internationale Einsätze an. "Das alles wird Geld kosten, und wir alle sind uns einig: Jeder von uns würde lieber mehr Geld für andere Dinge ausgeben. Aber die Realität ist so, wie sie ist." 

Für seine Pläne bekommt Pistorius durchaus Rückendeckung – aber auch Gegenwind. "Der Minister hat unsere Unterstützung. Wir werden auf Dauer den Wehretat erhöhen müssen", sagte Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, zum stern. "Aber zuerst einmal sollte er nun dafür Sorge tragen, dass das Sondervermögen konkret und zügig investiert wird", mahnte die FDP-Politikerin. Tatsächlich ist von den 100 Milliarden Euro bislang nur ein Bruchteil ausgegeben worden. 

Auch die CDU schließt sich der Forderung des Verteidigungsministers an. Das Zwei-Prozent-Ziel sei "überholt" und könne "nur noch eine Untergrenze sein", sagte der Außenpolitiker und Oberst a.D. Roderich Kiesewetter, der neben der finanziellen Ausstattung ebenso auf Effizienz im Beschaffungswesen pochte. Pistorius' Parteikollege Ralf Stegner äußerte sich hingegen skeptischer. Man werde im Bundestag ergebnisoffen darüber beraten, sagte er der "Rheinischen Post", verwies aber gleichzeitig auf das bereits beschlossene Sondervermögen und "noch andere wichtige Herausforderungen wie der klimaneutrale Umbau der Industrie, der soziale Zusammenhalt und Zukunftsinvestitionen", die ebenfalls eine große Rolle spielten. Die Linke lehnt Mehrausgaben vehement ab: Co-Chefin Mohamed Ali sagte der Zeitung, dass schon das Zwei-Prozent-Ziel "Teil einer unverantwortlichen Hochrüstungspolitik" seien.

Allein das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro dürfte jedenfalls nicht reichen, um die Nato-Vorgabe zu erfüllen. Nach einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wird Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel voraussichtlich erst 2024 und 2025 erreichen – also dann, wenn Ausgaben aus dem Sondervermögen zu Buche schlagen. Ab 2026 wäre Deutschland demnach voraussichtlich wieder unter zwei Prozent, wenn der reguläre Verteidigungshaushalt nicht "um mindestens fünf Prozent" pro Jahr steigt.

So weit will es Pistorius offenkundig nicht kommen lassen – und bekommt dafür Unterstützung vom wichtigsten Regierungsmitglied. "Deutschland wird seine Verteidigungsausgaben dauerhaft auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben", bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Rede bei der Sicherheitskonferenz in München. Zur Diskussion über eine Anhebung dieser Schwelle über die Zwei-Prozent-Marke hinaus äußerte sich der Kanzler zwar nicht. Aber Deutschland mache "Schluss mit der Vernachlässigung der Bundeswehr", versicherte Scholz, mit dem Sondervermögen sei "das Fundament dafür gelegt". Das dürfte auch Pistorius gern hören.