Bis zum Sommer sollen die Lieferungen des begehrten Corona-Impfstoffs in Deutschland deutlich anziehen. Nach dem "Impfgipfel" von Bund und Ländern hoffen vor allem die Kommunen auf mehr Planungssicherheit bei den Impfungen für die Bürger. Doch bis in den April hinein rechnet Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erst einmal noch mit "harten Wochen der Knappheit" beim Impfstoff (lesen Sie hier mehr zum "Impfgipfel"). Linke, FDP und Grüne zeigten sich enttäuscht von den Ergebnissen der Spitzengespräche von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Vertretern von Ländern, Pharmaindustrie und der EU-Kommission am Montag – und auch in den Meinungsspalten deutscher Zeitungen kommt das Treffen nicht nur gut weg. Die Presseschau:
Pressestimmen zum Coronavirus-Impfgipfel
"Süddeutsche Zeitung" (München): "Je länger sich die Probleme beim Impfen ausbreiten, je mehr Berichte es gibt über leer stehende Impfzentren in den Ländern, über verzögerte Lieferungen durch die Hersteller, über vermeintlich zu kleine Bestellungen durch die EU-Kommission und über gravierende Lücken beim Impfen der Ältesten – desto heftiger spüren viele Politiker den Drang, mit dem Finger auf andere zu zeigen. (...) Aber die Regierung hätte früh ahnen können, wo Unternehmen mit ihren Kapazitäten an ihre Grenzen kommen. Sie hätte früh Kooperationen anregen und unterstützen können. (...) Der Impfgipfel ist, so gesehen, wenigstens ein Anfang, um es von nun an besser zu machen – ein bitter nötiger Anfang bei dem Versuch, die Menschen nicht zu verlieren, die mit immer noch breiter Mehrheit das Vorgehen der Regierung mittragen."
"Rhein-Zeitung" (Koblenz): "Die beiden Seiten haben voneinander gelernt: Die staatlichen Stellen müssen früher und präziser wissen, wann welche Mengen kommen, um das Einladungsmanagement darauf auszurichten. Die Hersteller sollten umgekehrt das Versprechen der Politik austesten, die Verfügbarkeit sensibler Stoffe zu verbessern. Absehbar ist, dass die Mangelverwaltung länger dauert als gehofft, weil die Hersteller nicht so schnell liefern können. Absehbar ist aber auch, dass die größere Herausforderung bald bei der Politik liegt, täglich Hunderttausende Impftermine zu organisieren. Umso wichtiger ist, dass es einen funktionierenden nationalen Impfplan gibt und alle Beteiligten ein voneinander lernendes System darstellen."
"Volksstimme" (Magdeburg): "Der Gipfel war ein schlecht vorbereitetes Forum, auf dem alle noch einmal bekannte Statements verkünden durften. Es bleibt die Tatsache: Die EU hat nicht schnell genug für Impfstoff gesorgt. Dass die Ursachen dafür noch nicht klar sind, zeigt die Forderung auch aus CDU-Kreisen, dass die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch einmal vor den Gesundheitsausschuss zitiert werden soll. Jens Spahn hat längst die Konsequenzen verkündet. Ja, Impfungen können auf Anhieb das Leben einzelner, vor allem alter Menschen retten. Aber nein, einen Einfluss auf das Infektionsgeschehen werden wir frühestens im Herbst spüren. Monate später als die Bürger Israels. Und erst jetzt soll die Impf-Organisation und die Impfstrategie an die vorhandenen Vakzine angepasst werden. Ein so ergebnisloser Gipfel ist auch ein deutlicher Hinweis darauf, warum es bei Eindämmung und Impfung schlecht läuft. Die Bundesregierung moderiert, regiert aber nicht."
"Weser-Kurier" (Bremen): "Es bestand die Gefahr, dass dieser Gipfel nur dem Zweck dienen sollte, den Schwarzen Peter von der Politik zu den angeblich unzuverlässig liefernden Pharmafirmen zu schieben. Und mal wieder war es Markus Söder, der vor Beginn am heftigsten austeilte und mit staatlichen Eingriffen in die Impfproduktion drohte. Ja, geht’s noch? Statt auf die Pharmakonzerne einzudreschen, müssen sich die politisch Verantwortlichen vielmehr den Vorwurf gefallen lassen, eine Erwartungshaltung geweckt zu haben, die unmöglich zu erfüllen war. Immerhin hier hat der Impfgipfel mehr Klarheit und gegenseitiges Verständnis gebracht. Politischer Druck sorgt eben nicht für mehr Impfstoff, sondern nur für mehr Empörung. Jetzt ist klar: Erst im zweiten Quartal wird in deutlich größerem Umfang geimpft werden können."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Leipziger Volkszeitung": "Bund und Länder nehmen nach gemeinschaftlicher Rückkoppelung mit den Herstellern nun einen neuen Anlauf für eine Strategie, wie erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik in Rekordzeit fast die gesamte Bevölkerung geimpft werden kann. Aber auch der schönste nationale Impfplan nützt wenig, wenn nicht einmal die Terminvergabe klappt, ganz zu schweigen von Lieferkürzungen der Hersteller. Damit der Impfgipfel der Kanzlerin und Länderregierungschefs und -chefinnen mit Pharmafirmen keine Symbolpolitik bleibt, muss bei aller schon bisherigen Kraftanstrengung jetzt dies dringend obendrauf gesattelt werden: Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, Vertrauen. Auf allen Ebenen."
"Neue Osnabrücker Zeitung": "Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Je länger die Corona-Pandemie dauert, je mehr Menschen sich drangsaliert oder gar eingesperrt fühlen und je verzweifelter sich Hunderttausende ein ums andere Mal erfolglos um einen Impftermin bemühen, desto größer ist die Gefahr, dass das Band der Solidarität reißt. Das darf nicht passieren. Denn es würde das Land im Kampf gegen die Pandemie womöglich um Wochen und Monate zurückwerfen, wenn Regeln plötzlich nicht mehr ernst genommen würden oder es gar zu Straßenprotesten käme wie in den Niederlanden. Der Impfgipfel in Berlin war insofern schon allein wegen seiner langen Dauer eine gute Nachricht. Denn die Teilnehmer signalisierten so: Wir geben alles."
Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg): "Wir brauchen einen Impfplan! So tönte es am Montag vor dem virtuellen Gipfel im Bundeskanzleramt. Das ist ein Satz in der Kategorie von: Wir brauchen eine neue Außenpolitik! Er stimmt immer, hat einen absoluten Anspruch und später kann der Urheber so oder so behaupten: Das habe ich doch gleich gesagt. Auf der Basis dieses Satzes aller Sätze berieten die Länderchefs, die Kanzlerin und Vertreter der EU und Pharmaindustrie, wie Deutschland raus kommt aus der Zwickmühle von zu wenig Impfstoff, hohen Erwartungen und der echten Notlage, dass die Pandemie kaum zu stoppen ist und ohne Impfperspektive das Land vor die Hunde, na ja, wohl eher vor die Coronaviren, geht."
"Stuttgarter Zeitung": "Statt Tempo aufzunehmen, verläuft die Impfkampagne noch langsamer als erwartet. Der Eindruck, die EU habe naiv verhandelt, aus Kostengründen zusätzlich angebotene Impfstoffdosen ausgeschlagen und somit nicht alles für den Schutz ihrer Bürger getan, kann existenzbedrohend werden. Umso wichtiger war es, dass der Impfgipfel ein realistisches Lagebild zu zeichnen versucht hat: Die deutsch-europäische Strategie ist noch kein "Impffiasko" – auch die EU ging früh ins Risiko, bestellte die richtigen Vakzine. Es läuft aber nicht alles nach Plan, wie die Kanzlerin und ihr Gesundheitsminister meinen. Um noch mehr Verdruss zu vermeiden, muss nun klar werden, wer im ersten Quartal bei weniger Menge wirklich geimpft werden kann. Alles andere ist Gift für den arg strapazierten Corona-Durchhaltewillen."
"Südwest-Presse" (Ulm): "Längst ist das Impf-Thema kein rein sachliches mehr. Wir sind mittendrin in dem Versuch, sich gegenseitig den Schwarzen Peter dafür zuzuschieben, dass es ein paar Wochen länger dauern wird, bis die Normalität zurückkehrt. Der Unmut ist verständlich. Immerhin kostet diese Zeit auch Menschenleben. Das ist ein Grund, eine gemeinsame Kraftanstrengung zu vollführen. Aber es ist nicht die Zeit, sich gegenseitig mit Vorwürfen zu überziehen. Auch wenn der Wahlkampf unaufhaltsam näher kommt."
"Münchner Merkur": "Es ist ein mehr als irritierender Zungenschlag, der sich im Vorfeld des 'Impfgipfels' in manche Politikeräußerung eingeschlichen hatte: Weil die Impfhersteller sich als so unzuverlässig erwiesen hätten, müsse die Politik jetzt Zwangsmaßnahmen ergreifen, um den Schutz der Bevölkerung sicherzustellen. In Wahrheit war es genau umgekehrt: Forschende Privatunternehmen haben in Rekordgeschwindigkeit das rettende Vakzin entwickelt, doch durch das Versagen der Politik gelangt es in Europa nicht rechtzeitig zu den Bürgern. Das kostet täglich viele Leben. Doch das neue Reden passt ins Weltbild der Merkel-Republik: Die gute Politik ist für die Moral zuständig, böse Unternehmen nur für den eigenen Profit. Lässt man all das Wortgeklingel beiseite, war der Berliner Impfgipfel vor allem eines: ein großes Ablenkungsmanöver."