Neue Veröffentlichungen verschiedener französischer Medien, die sich in dem Bündnis "Made in France" zusammengetan haben, bestätigen Ergebnisse des Rechercheprojekts #GermanArms von Ende Februar, das der stern mitgetragen hatte. Demnach geht aus geheimen Unterlagen der französischen Regierung hervor, welche Waffensysteme Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) im Jemen-Krieg und bei der Seeblockade des Landes einsetzen, darunter Kriegswaffen aus Deutschland oder mit zentralen deutschen Komponenten.
Die französische Recherche-NGO Disclose zitiert dazu Berichte des französischen Militärgeheimdienstes DRM (Direction du Renseignement Militaire) von Ende September und Anfang Oktober 2018. In einem der Berichte, die Disclose im Originaltext online gestellt hat, werden ausdrücklich die in Deutschland gebauten Kriegsschiffe der Typen Muray Jib und Frankenthal (beziehungsweise auf arabisch Al Murjan) erwähnt. Der Typ Muray Jib - ein Raketenschnellboot - sei sowohl bei der Seeblockade beteiligt wie "zur Unterstützung von Landoperationen auf jemenitischem Küstengebiet". #GermanArms hatte die Präsenz des Schiffs im Hafen von Assab in Eritrea - 60 Kilometer von der Küste des Jemen - anhand von Satellitenbildern belegt.
Der Minenräumer Al Murjan - bis 2005 bei der Bundeswehr als "Frankenthal" im Einsatz - sei im Juli 2017 von den Huthi-Rebellen angegriffen worden, bestätigt der französische Bericht. Der stern hatte das Schiff mit dem Team von #GermanArms auf TV- und Satellitenbildern und im Hafen von Mocha im Jemen identifiziert, wo der Angriff seinerzeit stattgefunden hatte.
Wie schon #GermanArms erwähnen die neuen Berichte französische Haubitzen vom Typ Caesar. Sie rollen auf Fahrgestellen des Typs Unimog von Daimler. Die Geschütze mit einer Reichweite von 42 Kilometern haben die Saudis an der Grenze zum Jemen stationiert und bombardieren von dort das Territorium der Huthi-Rebellen im Jemen. Laut den von "Made in France" zitierten Dokumenten befinden sich in den Zielgebieten der insgesamt 48 Caesar-Haubitzen auch Ortschaften, in denen Zivilisten leben. Sie würden, so die Regierungspapiere, von den Bomben "bedroht".
Rüstungsexporte an Kriegsparteien nicht erlaubt – eigentlich
Die von "Made in France" zitierten Dokumente erwähnen auch die in Frankreich gebauten Kampfpanzer des Typs Leclerc, die mit Motoren von MTU aus Friedrichshafen ausgerüstet sind. 70 von ihnen setzt die emiratische Armee demnach im Jemen ein, etwa von Militärbasen in Mocha und Al Khawkhah an der Westküste des Landes. Einige seien aber auch in Assab in Eritrea stationiert. Das passt zu Sichtungen dieser Panzer nahe Al Khawkhah, über die der stern und die anderen Partner von #GermanArms im Februar berichtet hatten. Laut des DRM-Berichts nehmen die Leclerc-Panzer nicht direkt an Kämpfen an der Frontlinie im Jemen teil. Zweifel daran erlaubt zum Beispiel ein Foto der französischen Nachrichtenagentur AFP vom November 2018, das einen Leclerc auf einem Tieflader in der Hafenstadt Hodeidah zeigt. Sie ist bis heute zwischen der Saudi-Koalition und den Huthi umstritten.
Einige dieser Leclerc-Panzer sind offenkundig mit einer seitlichen Zusatzpanzerung des Typs CLARA ausgerüstet. Sie stammt von dem deutschen Hersteller Dynamit Nobel Defence in Burbach. Im März 2017 genehmigte die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD die Ausfuhr solcher Reaktivpanzerungen für die VAE im Wert von 126 Millionen Euro.
Als Reaktion auf die Recherchen von #GermanArms hat die Bundesregierung inzwischen offiziell eingeräumt, dass sie es Saudis und Emiratis gestattet hat, solches Kriegsgerät im Jemen-Krieg einzusetzen. Beide Länder unterstützten dort die international anerkannte Regierung, hieß es in einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums zu #GermanArms vom 4. April: "Soweit dabei Rüstungsgüter zum Einsatz kommen, die in der Vergangenheit aus Deutschland oder als deutsche Zulieferung über EU-/NATO-Partner nach Saudi-Arabien oder in die Vereinigten Arabischen Emirate geliefert wurden, verletzt deren militärische Nutzung – auch außerhalb der Grenzen des Hoheitsgebiets dieser Staaten – nicht die Endverbleibserklärungen, auf deren Grundlage die Genehmigungen erteilt wurden."
Anders als andere EU-Länder – etwa Österreich – erteilte Berlin bei Rüstungsexporten an die Kriegsparteien im Jemen also keine Auflage, das Kriegsgerät dort nicht einzusetzen. Laut den Politischen Grundsätzen für Rüstungsexporte, an die sich die Bundesregierung nach eigenem Bekunden halten will, sind eigentlich keine Genehmigungen an Drittländer möglich, "die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind".
"Staatslüge" in Frankreich
Die französischen Geheimdokumente sind auch deshalb interessant, weil sie zeigen, in welcher Detailtiefe westliche Geheimdienste den Verlauf des Kriegs im Jemen verfolgen können. Ähnlich wie noch kürzlich die Bundesregierung im Fall deutscher Rüstungstechnologie hatte auch die Regierung in Paris in der Vergangenheit beteuert, ihr sei von einem Einsatz französischer Waffen im Kriegsgebiet gar nichts bekannt. Dies bezeichnet das französische Investigativportal Mediapart, das neben dem Sender Arte und anderen an dem Projekt "Made in France" beteiligt ist, jetzt als "mensonge d’Etat" – als "Staatslüge".
Laut den Dokumenten, die die französischen Medien auswerten konnten, nehmen auch in Frankreich entwickelte und an die VAE gelieferte Korvetten des Typs Baynunah an der Seeblockade teil. Sie würden - wie die Muray Jib - überdies "zur Unterstützung von Landoperationen auf dem jemenitischen Küstengebiet" eingesetzt, heißt es in einem DRM-Dokument von Ende September 2018. Die 70 Meter langen Baynunah-Korvetten werden von Motoren des deutschen Herstellers MTU angetrieben und sind mit Geschützen von Rheinmetall ausgerüstet. Außerdem nutzen sie Flugabwehrsysteme der Typen RAM und ESSM, die deutsche Komponenten enthalten.
Seit März 2016 lassen sich Korvetten dieses Typs – wie andere, vollständig in Deutschland gebaute Kriegsschiffe – immer wieder im Hafen von Assab in Eritrea ausmachen. Die Emiratis haben dort eine Militärbasis eingerichtet. Eine Expertengruppe für den UN-Sicherheitsrat warf den VAE daher bereits im Jahr 2017 eine "Verletzung" des UN-Waffenembargos vor, dass jahrelang über Eritrea verhängt war. Erst Ende 2018 hob die UN die Sanktionen wieder auf. Nach der deutschen Außenwirtschaftsverordnung war noch bis März 2019 sogar die "Durchfuhr" von Kriegswaffen durch Eritrea verboten. Die Bundesregierung ist bisher der Frage ausgewichen, ob es den Emiratis erlaubt war, mit der Stationierung von in der Bundesrepublik gefertigtem Kriegsgerät die UN-Sanktionen und womöglich deutsche Ausfuhrregeln zu brechen.
Aus deutscher Sicht ebenfalls interessant: Der Bericht von "Made in France" erwähnt auch das deutsch-französische Artillerieradarsystem Cobra, für das die Bundesregierung erst vor einigen Tagen die Ausfuhr von Komponenten genehmigte, mit dem Endbestimmungsland VAE. Eines dieser Systeme haben die Saudis demnach knapp nördlich der Grenze zum Jemen stationiert, nahe des Orts Najran - angeblich nur "zur Verteidigung".
Partner des Projekts #GermanArms waren neben dem stern das ARD-Magazin "Report München", das niederländische Recherchebüro Lighthouse Reports, das Investigativnetzwerk Bellingcat sowie die Deutsche Welle.
