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Schwarz-Gelb und die Landtagswahlen Mehr als nur ein Erdbeben

Die schwarz-gelbe Sprachregelung lautet: Japan hat die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verhagelt. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Ein Besuch bei den Berliner Verlierern.
Von Laura Himmelreich und Hans Peter Schütz

Es war eine Japan-Wahl, es war eine Japan-Wahl, es war eine Japan-Wahl. Das ist die Losung, die FDP-Parteichef Guido Westerwelle am Sonntagabend im Thomas-Dehler-Haus ausgibt. Aber er sagt auch, mit Blick auf die Atomfrage: "Wir haben verstanden." Und er deutet an, dass diese Ergebnisse - knapp über fünf Prozent in Baden-Württemberg, unter fünf Prozent in Rheinland-Pfalz - Konsequenzen haben werden. "Dieser Wahlabend geht an niemandem spurlos vorüber." Schon vor Monaten hatte Westerwelle einen Termin angesetzt, an dem sich Präsidium und Landesvorsitzende über Personalfragen unterhalten wollen. Es wird der 11. April sein. Miriam Gruß, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, sagt stern.de mit ernstem Gesicht: "Ich glaube, dass die Partei ein Ventil braucht."

Dieses Ventil, es könnte direkt unter Wirtschaftsminister Rainer Brüderle aufgehen. Geradezu fassungslos sehen die Berliner Liberalen, was Brüderle, der an diesem Abend in Mainz ist, vor der Kamera erzählt. Die Libyen-, Euro- und Energiepolitik der Regierung sei für das Wahldesaster verantwortlich, sagt er. Ein Minister, der die Arbeit seines eigenen Kabinetts für Mumpitz erklärt? Vor allem die Abgeordneten aus Baden-Württemberg sind stinksauer auf Brüderle. Sie haben sich an den Wahlkampfständen dafür beschimpfen lassen müssen, dass Brüderle das AKW-Moratorium zum Wahlkampf-Kalauer erklärt hatte.

Brüderle, Homburger, Pieper

Das Ventil könnte auch unter Birgit Homburger aufgehen, Fraktionsvorsitzende im Bundestag und Chefin der baden-württembergischen FDP. Sie ist eine der großen Verliererinnen dieses Abends. Cornelia Pieper, FDP-Chefin in Sachsen-Anhalt, hat nur eine Woche zuvor eine herbe Niederlage bei den Landtagswahlen eingefahren. Während Westerwelle spricht, steht sie hinter ihm auf dem Podium und dreht Däumchen. "Vielleicht genießt sie ihren letzten Auftritt hier", höhnt ein Liberaler.

Brüderle, Homburger, Pieper - kann Westerwelle seine eigene Haut retten, wenn er den Kollegen Kompetenzen abnimmt, sie umbesetzt, vielleicht opfert? Die Personaldebatte, die die Liberalen nach dem Dreikönigstreffen mit Macht unterdrückt haben, kehrt an diesem 27. März zurück - und keiner kann ihre Dynamik kalkulieren. Noch bleiben die Jungstars Daniel Bahr, Philipp Rösler und Christian Lindner in Deckung. Greifen sie an, wäre auch Westerwelle nicht mehr zu halten.

Die Stimmung in der Berliner-FDP-Parteizentrale schwankt zwischen Fatalismus, Trotz und Galgenhumor. "Ach Du Scheiße", sagt ein Mittdreißiger im grauen Jackett und fährt sich durch das halblange Haar, als die Prognose für Rheinland-Pfalz über den Bildschirm flimmert. Kaum sind die Ergebnisse für Baden-Württemberg übermittelt, fangen ein paar Liberale an zu klatschen - weil die FDP wenigstens nicht aus dem Landtag geflogen ist. Als sie merken, dass niemand ihre Haltung teilt, hören sie verschämt auf. Es wird nichts mehr mit der Stimmung, nicht an diesem Abend, nicht in den nächsten Wochen. "Die Verantwortung trägt die gesamte Parteispitze, insbesondere der Chef", sagt ein Liberaler aus Würzburg zu stern.de.

Gröhe, Kohl, Merkel

Es war eine Japan-Wahl, es war eine Japan-Wahl, es war eine Japan-Wahl. Sie hat wenig mit Stefan Mappus und schon gar nichts mit Angela Merkel zu tun. Das ist die Losung, die CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe am Sonntagabend im Konrad-Adenauer-Haus kurz nach Bekanntwerden der ersten Hochrechnungen ausgibt. Immerhin redet er die Ergebnisse nicht schön. "Wir haben sehr schmerzhafte Verluste in Baden-Württemberg erlitten", sagt er. Die CDU-Anhänger, die sich in der Parteizentrale versammelt haben, wirken niedergeschlagen, lustlos kauen sie auf Salzbrezln herum. Nach fast 60 Jahren die Regierung in Baden-Württemberg abgeben zu müssen, schmerzt sie, es schmerzt sie tief. Gröhe versucht, seine Parteifreunde aufzumuntern, indem er aus dem Zahlensalat auch eine positive Nachricht dreht. In Rheinland-Pfalz läge die CDU ja nun "auf Augenhöhe" mit der SPD. Ein paar 100-Prozentige klatschen, sonst niemand. Das ist kein Abend, an dem sich mit Immerhin-haben-wir-doch-Bemerkungen irgendetwas retten ließe.

Gröhe lässt nur wenige Nachfragen von Journalisten zu. Ob denn nun das Kabinett umgebildet werde? Gröhe: "Das ist nicht mein Thema heute." Unbeantwortet bleibt auch die Frage, ob Altkanzler Helmut Kohl dem baden-württembergischen Spitzenkandidaten Stefan Mappus in der Rücken gefallen sei, als er kurz vor dem Wahltag in der "Bild" gegen das AKW-Moratorium der Kanzlerin polemisierte. Auch Mappus war auf das Moratorium eingeschwenkt.

Koch, Merz, Wulff, Guttenberg

Hinter den Kulissen, im vertraulichen Gespräch, werden die CDU-Strategen deutlicher. Natürlich treffe Mappus eine Mitschuld an der Wahlniederlage. Sein Zickzack-Kurs in der Atomfrage habe die Grünen stark gemacht. Aber das erkläre nur einen Teil der Lage. Viele Wähler hätten auch deshalb nicht ihr Kreuzchen bei der CDU gemacht, weil sie über Merkels Konturlosigkeit zornig seien. Sie benutze die Programmatik der CDU als Steinbruch, um ihre Macht abzusichern. Mal sei sie für die Wehrpflicht, dann dagegen. Mal für Atomkraftwerke, dann dagegen. Mal für eine harte Euro-Politik, dann dagegen. Mal für eine werteorientierte Außenpolitik, dann gegen eine Einmischung in Libyen. Eine Mitbestimmung der Partei in diesen Fragen dulde die Kanzlerin nicht, sie regiere per ordre de Mufti. Unter Merkel, so heißt es, sei der Identitätskern der CDU verkümmert.

Aber wer bietet sich als Alternative an? Im Gegensatz zur FDP sind in der CDU nicht einmal mehr Kandidaten zu erkennen, die das Zeug dazu hätten. Roland Koch hat sich in die Wirtschaft verabschiedet, Christian Wulff ist wegbefördert, Friedrich Merz ausgeschieden, Jürgen Rüttgers weg, Karl-Theodor zu Guttenberg weg, nun auch Mappus, den manche als konservatives Bollwerk gegen Merkel verstanden wissen wollten.

Wichtig: weitermachen

Merkel, sagt einer, werde diesen Wahlabend nutzen, um sich zu überlegen, wie sie die Wahlschlappen so umdeuten kann, dass nichts an ihr hängen bleibt. Sie will weitermachen. Und sie wird weitermachen. Egal, wie die FDP an ihrer Seite auch aussehen mag.

Mitarbeit: Lutz Kinkel, Julius Leichsenring

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