1. Die CDU muss sich Sorgen machen
Der Satz trifft zu: "Das ist heute kein guter Wahlabend für die CDU", sagte deren Generalsekretär Paul Ziemiak am Sonntagabend. Doch war selbst die Ersteinschätzung der Ergebnisse eine Untertreibung. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz fuhren die Christdemokraten historische Tiefstände ein, der hohe Anteil an Briefwählern hat womöglich Schlimmeres verhindert: Viele dürften ihr Kreuz vor Bekanntwerden der sogenannten Maskenaffäre – Unionsabgeordnete sollen sich ihr Handeln in der Coronakrise versilbern lassen haben – und auffälliger Verquickungen zur Autokratie in Aserbaidschan (mehr dazu lesen Sie hier) gemacht haben. Beides schlägt den Christdemokraten in den bundesweiten Umfragen ins Kontor.
Zusätzlich, wohlgemerkt: Das Impfdesaster ist noch lange nicht behoben, beim Start der Testkampagne ruckelt es gewaltig, die Zahl der Coronainfektionen steigt wieder – verantwortlich zeichnen hier vor allem Krisenmanager, die von der Union gestellt werden. Pannen, Pech und nun auch (Wahl-)Pleiten: eine unheilvolle Melange für den neuen CDU-Vorsitzenden Armin Laschet.
Seine Partei startet mit vielen Baustellen ins Superwahljahr, der erste Stimmungstest gerät zum Tiefschlag – vor allem in Baden-Württemberg, einem ehemaligen CDU-Stammland. Vor Laschet stehen nun buchstäblich Wochen der Wahrheit: Einerseits muss er weitere Blessuren für die Union in der Masken- und Lobbyaffäre verhindern, andererseits wächst der Druck auf ihn, die Frage nach der Kanzlerkandidatur mit CSU-Chef Markus Söder zu klären.
Die Wahlschlappen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz werden auch gute landesspezifische Gründe gehabt haben, doch trafen sie eine bereits angeschlagene Bundespartei. Und Laschet, der ohnehin mit der Hypothek eines knappen Sieges ins Amt als CDU-Chef gestartet ist, muss nun ohne zusätzlichen Rückenwind um Rückhalt kämpfen. Kein guter Wahlabend für die CDU, konstatierte zwar sein Generalsekretär. Der viel treffendere Satz kam aber von seinem inoffiziellen Kontrahenten ums Kanzleramt, Söder: "Die Wahlen gestern waren ein schwerer Schlag in das Herz der Union."
2. Vor allem auf die Spitzenkandidaten kommt es an
Sollte das Laschet mit Blick aufs Bundeskanzleramt nun entspannen oder beunruhigen? Die Urnengänge haben auch gezeigt: Die Wahlsiege für die Grünen und die SPD sind auch oder vor allem der hohen Popularität ihrer Spitzenkandidaten geschuldet. Sowohl Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als auch Rheinland-Pfalz' Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) fuhren Wahlergebnisse ein, von der ihre Bundesparteien (noch) träumen dürfen. Allein: Die SPD in Rheinland-Pfalz holte fast 20 Prozentpunkte mehr als im Bund, in Baden-Württemberg wollten sogar die Wählerinnen und Wähler von CDU lieber Kretschmann als Regierungschef als die eigene Spitzenkandidatin Eisenmann.
Aber lässt das Rückschlüsse auf die Bundestagswahl zu?
Vielleicht. Zweifellos haben bei den Landtagswahlen besonders Persönlichkeiten statt Parteien gepunktet, die aktuellen Amtsinhaber haben ganz offensichtlich überzeugt. Auf die Bundesebene übertragen dürfte diese Erkenntnis – auf die Spitzenkandidaten kommt es an – zumindest für eine interessante Ausgangslage sorgen: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) tritt nach 16 Jahren im Amt nicht mehr an, respektive niemand mit entsprechendem Amtsbonus zieht ins Rennen. Damit kann zwar auch die Union nicht mehr auf die nach wie vor hohen Beliebtheitswerte Merkels bauen. Aber bislang ist das Feld der Kontrahenten ohnehin übersichtlich – Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) ist bisher der einzige Spitzenkandidat für die Bundestagswahl. Wird er gegen Teamplayer Laschet oder den markigen Söder antreten? Auch die Grünen klären noch, ob nun Robert Habeck oder Annalena Baerbock nach dem Kanzleramt greifen soll. Nach den Landtagswahlen dürften sich die Parteien noch gewissenhafter über ihre möglichen Spitzenkandidaten beugen.
3. Das kleine Comeback der FDP lässt die Ampel blinken
Nicht ohne Genugtuung – und wohl auch mit ein bisschen Häme – hat SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in der Wahlanalyse festgestellt: Es seien auch Mehrheiten ohne die Konservativen möglich. Anlass zu dieser Aussage dürfte vor allem das Ergebnis der FDP in Baden-Württemberg gegeben haben. Die Liberalen haben zwar nur hier und auch nur geringfügig zugelegt, dafür aber die rein rechnerische Möglichkeit einer Ampelkoalition mit den Grünen im Fahrersitz (also: Grün-rot-gelb) geschaffen. Da die FDP in den vergangenen Jahren nicht wirklich mit Erfolg verwöhnt war, lässt sich das schon als kleines Comeback werten. In Rheinland-Pfalz, wo die FDP leicht eingebüßt hat, wird Dreyer ein solches Bündnis wahrscheinlich fortsetzen.
Es wird eifrig darüber spekuliert, ob eine Ampelkoalition auch im Bund gebildet werden könnte. Aktuell, schon dem Zahlenwerk zufolge: eher unwahrscheinlich. Auch programmatisch wären noch einige Brücken zu bauen. Doch unabhängig davon haben die Landtagswahlen auf jeden Fall Bewegung in die Koalitionsspekulationen gebracht – und den Parteien neue Machtoptionen eröffnet. In Baden-Württemberg gibt es nun faktisch eine Alternative zum amtierenden Bündnis zwischen Grünen und CDU, im Bund bekommt die beliebte schwarz-grüne Erzählung zumindest Konkurrenz.
4. Die Parteienlandschaft trotzt der Coronakrise
Doch bei allen Gedankenspielen, die durch die Landtagswahlen möglich wurden, lässt sich auch eine Gewissheit ausmachen: Das vergangene Jahr, die Coronakrise, hat die Parteienlandschaft nicht radikal umgekrempelt. Im Gegenteil: Große Überraschungen blieben in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz praktisch aus, die Wählerinnen und Wähler entschieden sich für Kontinuität, indem sie die bisherigen Amtsinhaber bestätigten.
Und damit kommen wir zur AfD.
Die Rechtspopulisten haben zwar in beiden Bundesländern deutlich an Boden verloren, bleiben aber in beiden Landesparlamenten vertreten – allem Ungemach zum Trotz. Der Bundesverfassungsschutz will die Partei als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen, zunächst ohne Erfolg, macht regelmäßig durch innerparteiliche Querelen aufmerksam, kämpft um den eigenen Kurs und prangert die Coronamaßnahmen an.
All das hat noch immer 9,7 Prozent der Wähler in Baden-Württemberg und 8,3 Prozent in Rheinland-Pfalz nicht davon abgehalten, die Partei zu wählen (Stand: 15. März, 0.55 Uhr). In Baden-Württemberg liegen die Rechtspopulisten sogar nur knapp hinter der SPD (11,0 Prozent).
Die AfD ist also zu einem festen Bestandteil der Parteienlandschaft geworden, hat sich etabliert. Das zeigt auch ein Blick auf andere Bundesländer. So rangieren die Rechtspopulisten etwa in Sachsen-Anhalt, wo am 6. Juni die nächste Landtagswahl in diesem Jahr stattfinden soll, in Umfragen bei mehr als 20 Prozent.