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Landung in Minsk "Staatsterrorismus": Ließ Belarus-Diktator Ryanair-Flugzeug zu Boden bringen, um Oppositionellen zu inhaftieren?

Die Ryanair-Maschine auf dem Flughafen der belarussischen Hauptstadt Minsk
Die Ryanair-Maschine auf dem Flughafen der belarussischen Hauptstadt Minsk
© Onliner.by / AFP
Das belarussische Regime hat offenbar die Landung eines Ryanair-Flugzeugs ins Minsk erzwungen, um einen Oppositionellen an Bord zu verhaften. Der Vorgang löst international Empörung aus. Der Festgenommene muss nun um sein Leben fürchten.

Flug FR4978 hob am Sonntagmorgen um 7.29 Uhr vom Internationalen Flughafen in der griechischen Hauptstadt Athen ab. Keine drei Stunden später sollte die Boeing 737 (rund 190 Sitzplätze) von Ryanair in der litauischen Hauptstadt Vilnius landen – ein Flug von EU-Land zu EU-Land.

Die geplante Route führte fast wie mit dem Lineal gezogen nach Norden über Bulgarien, Rumänien, die Ukranie, Belarus. Doch nach gut zwei Stunden wich die Maschine im belarussischen Luftraum vom Kurs ab, dreht nach Osten, um wenig später auf dem Flughafen der Hauptstadt Minsk zu landen. So belegen es Daten des Portals "Flightradar24". Grund für das Manöver sei eine "Notlandung" wegen einer "Bombendrohung", hieß es zunächst.

Aufzeichnungen von "Flightradar24" zeigen die Route von Flug FR4978
Aufzeichnungen von "Flightradar24" zeigen die Route von Flug FR4978

Doch schon kurz darauf verdichteten sich die Hinweise, dass ein beispielloser Vorgang zu dem ungeplanten Stopp in Minsk führte. Ließ der belarussische Langzeit-Diktator Alexander Lukaschenko die Ryanair-Maschine zu Boden bringen, um einen an Bord befindlichen missliebigen Journalisten einsperren zu können? Sehr viel spricht dafür. Mehrere Politiker in der Europäischen Union sprachen ihr Entsetzen aus, sogar von "Staatsterrorismus" des Regimes in Minsk war die Rede.

Es geht um Roman Protassewitsch, der mit den übrigen nach vorläufigen Angaben 122 Passagieren am Samstagmorgen in Athen die Ryanair-Maschine betreten hatte, um nach Vilnius zu fliegen. Als Mitbegründer und früherer Redakteur des oppositionellen Nachrichtenkanals "Nexta" steht der 26-Jährige auf der Liste der "Staatsfeinde" des Lukaschenko-Regimes. Unter anderem wird ihm die Beteiligung an terroristischen Handlungen vorgeworfen.

Tadeusz Giczan, einer seiner "Nexta"-Mitstreiter, schrieb bei Twitter, Protassewitsch haben beim Besteigen des Flugzeugs bereits bemerkt, das Mitarbeiter des belarusssichen Geheimdienstes mit an Bord gegangen seien. Im belarussischen Luftraum sollen diese dann eine Auseinandersetzung mit der Besatzung begonnen haben, sodass die Cockpit-Crew SOS gefunkt habe.

Roman Protassewitsch bei einer Festnahme 2017
Roman Protassewitsch bei einer Festnahme 2017
© Sergei Grits / AP / DPA

Die belarussische Flugsicherung habe dem Kapitän der Boeing daraufhin von einer Bombe an Bord berichtet und die Maschine nach Minsk beordert, meldete dazu die russische Zeitung "Novaya Gazeta" – angeblich auf direktes Geheiß von Alexander Lukaschenko, wie die Staatsagentur "Belta" schrieb. Der eigentliche Zielflughafen Vilnius wäre den "Flightradar24"-Aufzeichungen zufolge näher gewesen. Nach Angaben belarussischer Behörden ist nach dem Alarm ein MiG-29-Kampfjet aufgestiegen, um das Flugzeug zum Minsker Flughafen zu eskortieren.

Dort gelandet, seien Flugzeug, Passagiere und Besatzung überprüft worden. Eine Bombe wurde nicht gefunden. Allerdings ist Roman Protassewitsch laut "Nexta" an Ort und Stelle festgenommen worden. 

"Sie haben uns aus dem Flugzeug geholt, die Hunde haben an unserem Gepäck gerochen. Sie haben diesen Mann (Roman) beiseite genommen und seine Sachen auf die Landebahn geworfen. Wir haben ihn gefragt, was los ist", schilderte ein Passagier laut "Nexta"-Chefredakteur Giczan. Protassewitsch habe dem Mitreisenden zitternd gesagt, wer er ist. Dann seien Soldaten gekommen, um den Oppositionellen abzuführen.

Sollten die Vorwürfe zutreffen, wäre dies ein neuerlicher Tabubruch des belarussischen Diktators. Entsprechend klar fallen die Reaktionen aus den Reihen der Europäischen Union aus:

  • Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) haterzwungene Landungmit scharfen Worten verurteilt und die Freilassung des belarussischen Oppositionellen Roman Protasewitsch verlangt. Die Bundesregierung sei "sehr besorgt über Meldungen, dass auf diesem Weg der Journalist Roman Protasewitsch verhaftet wurde", fügte Maas hinzu.
  • "Es ist absolut inakzeptabel, den Ryanair-Flug von Athen nach Vilnius zu zwingen, in Minsk zu landen", schrieb EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Alle Passagiere müssten in der Lage sein, ihre Reise nach Vilnius unverzüglich fortzusetzen, und ihre Sicherheit müsse sichergestellt werden. Verletzungen der internationalen Luftverkehrsregeln müssten Konsequenzen haben.
  • Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte: "Alle Passagiere müssen ihre Reise umgehend fortsetzen können." Er schloss dabei Roman Protassewitsch ausdrücklich mit ein
  • Am deutlichsten wurde der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Er verurteilte "Entführung eines Zivilflugzeugs" als "Akt des Staatsterrorismus".

Dieser Einschätzung schloss sich auch der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen an. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte: "Ein solcher Akt verstößt gegen internationales Recht und kann nicht unbeantwortet bleiben." Aus etlichen anderen europäischen Ländern kamen ebenfalls entsetzte und empörte Reaktionen. Vereinbart ist, dass die offenbar erzwungene Notlandung des Flugzeugs beim EU-Sondergipfel am Montagabend diskutiert wird – und weitere Konsequenzen gegen das Lukaschenko-Regime beschlossen werden. Auch die Nato hat sich mittlerweile eingeschaltet. Das Verteidigungsbündnis nannte die Flugzeug-Umleitung durch Minsk einen "ernsthaften und gefährlichen Vorfall".

Inzwischen ist die Ryanair-Maschine – nun mit der Flugnummer FR497 – in Vilnius gelandet. Ob Roman Protassewitsch an Bord an Bord war, ist noch nicht bekannt.

Die in Litauen im Exil lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja erklärte, ihm drohe nun die Todesstrafe in seinem Heimatland. Bevor Protassewitsch von den Soldaten abgeführt worden sei, soll er seinem Mitreisenden seine furchtbare Vorahnung mitgeteilt haben. "Sie werden mich hier hinrichten."

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde mehrfach um neue Informationen ergänzt.

Quellen: "Flightradar24"Tadeusz Giczan bei Twitter, "Novaya Gazeta", "Belta", Norbert Röttgen bei Twitter, Nachrichtenagenturen DPA und AFP

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