1. April 2003. Die beiden deutschen Spione melden aus Bagdad: In Rohbauten rechts neben den Trümmern des Offiziersclubs sind unter Tarnnetzen untergezogen höherwertige Militärfahrzeuge und Soldaten der Republikanergarden - Koordinaten 44 Grad 26 Minuten 2 Sekunden Nord 33 Grad 18 Minuten 14 Sekunden Ost Radius ca. 150 Meter.
Die Nacht in Bagdad ist ruhig gewesen. Erstmals ist eine US-Einheit in der Stadt geblieben. Nur vereinzelt waren Schüsse zu hören. Erst im Morgengrauen geht es wieder los. "Guten Morgen München", beginnen die beiden deutschen Agenten Rainer Mahner und Volker Heinster ihre verschlüsselte Depesche an die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach. "Um 05:55 erschütterte eine starke Explosion das Gebäude und ließ den Boden sekundenlang nachschwingen. 2-5 Sekunden war eine nicht so starke 2. Detonation zu spüren. Danach war bis zum Absetzen dieses Berichts wieder Ruhe."
Es ist Mittwoch, der 9. April 2003, der 20. Tag des Krieges. Das irakische Regime ist geschlagen. Saddam Hussein wird fieberhaft gesucht.
Rainer Mahner schiebt seit vier Uhr Wache in der Botschaft Frankreichs. Er und Volker Heinster hausen hier mit sechs französischen Agenten. Die Männer vom Partnerdienst DGSE sind neben den Deutschen die einzigen westlichen Agenten, die geblieben sind, seit Bomben auf Bagdad fallen. Das alte Europa gluckt zusammen. Doch es duckt sich nicht nur weg. Es mischt mit in diesem Krieg. Heimlich. Präzise. Effektiv.
Oberstleutnant Mahner und Regierungsoberinspektor Heinster sind die personifizierte Lüge des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der eine fast schon verloren geglaubte Wahl im September 2002 mit einem "Nein zum Irak-Krieg" in letzter Sekunde herumriss. Und heute wirken die beiden BND-Agenten wie lähmendes Gift für einen, der demnächst Kanzler werden will: Frank-Walter Steinmeier, seinerzeit Kanzleramtschef und schon von Amts wegen vertraut mit den für die Amerikaner wertvollen Zuträgerdiensten der BND-Männer in Bagdad.
Geheime Unterlagen der Bundesregierung belegen, wie sich der BND kurz nach der Bundestagswahl 2002 mit den Amerikanern auf seinen Kriegsbeitrag vorbereitete. Sie erklären, obwohl in großen Teilen zensiert, wie der Einsatz der Agenten in Absprache mit Steinmeier und Außenminister Joschka Fischer arrangiert wurde. Und sie beweisen, wie das offiziell kriegsabstinente Deutschland auf Druck des Pentagons kriegswichtige Informationen ins US-Kriegshauptquartier in Qatar lieferte.
Auge und Ohr der Kriegsmaschinerie
Aufklärungsanforderungen der Amerikaner sind Arbeitsfeld des deutschen Agentenduos. In Bagdad sind die beiden Deutschen Auge und Ohr für die Kriegsmaschinerie der Supermacht Amerika, so seltsam das klingt. Seit Jahren haben Pentagon und CIA menschliche Quellen vernachlässigt, man setzt allein auf milliardenteure Hightech- Satelliten und Aufklärungsflugzeuge mit hoch auflösendem Radar. Das hilft den Planern des V. US-Korps zwar, Bagdad in 55 Zonen aufzuteilen, jeden Straßenblock und jedes Gebäude zu nummerieren als Grundlage für präzise Einsätze. Doch wenn es so weit ist, müssen die Bodentruppen in terra incognita einmarschieren. Satelliten können nicht unter Brücken und Tarnnetze lugen oder die psychologische Wirkung bunkerbrechender Bomben beschreiben.
Genau das ist der Job der Deutschen. Mahner ist Mitte 40 und gelernter Luftwaffenoffizier, Kamerad Heinster ein paar Jahre jünger und ausgebildeter Fallschirmjäger. Und sie liefern. Sie werten Bombentreffer im Stadtzentrum aus und konkretisieren damit amerikanische Schätzungen. Sie fotografieren Hotelstockwerke, wo angeblich Regimegrößen untergetaucht sind, und übertragen die Bilder Minuten nach der US-Anfrage. Sie schicken GPS-Koordinaten von Stellungen mit Offizieren der Republikanergarde und von Ausweichquartieren von Saddams Geheimdienst, die wenig später mit Laser- oder GPS-gelenkten Bomben dem Erdboden gleichgemacht werden. Insgesamt verlassen mehr als 130 Meldungen, oft mehrere am Tag, das Zentrum der Stadt, das im Jargon der US-Militärs "Red Zone" heißt.
Dass die Bundesrepublik sich am Krieg im Irak beteiligte und dass die Amerikaner BND-Informationen für Einsätze nutzen konnten, bestreitet die Bundesregierung bis heute. Welche Konsequenzen aber USMilitärs zogen, wenn das BND-Duo Anfragen etwa nach bestimmten Orten in Bagdad bediente, verdeutlicht ein Offizier, der damals für den BND in Qatar als Verbindungsreferent am Katzentisch der USGeneräle sitzt. Im US-Oberkommando Centcom nimmt er Aufklärungsaufträge für die BND-Männer in Bagdad entgegen und meldet deren Ergebnisse zurück. Zack, zack, ohne großen Zeitverzug. "Antworten, die erst nach 24 Stunden oder später eintreffen", schreibt Oberstleutnant Porster im April 2003, sind "unbrauchbar". Die Begründung liefert der BND-Offizier mit Decknamen "Gardist" gleich mit: "Centcom ist ein Kriegshauptquartier. Auf eine Anfrage nach gewissen Standorten folgen in der Regel konkrete Operationen an diesem Ort." Militärdeutsch in Zeiten des Krieges. Bomben heißt das.
Rückblende. Freitag, 11. Oktober 2002. "Eilt sehr!", steht auf einer Tischvorlage für BND-Präsident August Hanning. Für den Kriegsfall will das zuständige Regionalreferat 13EA ein "Sondereinsatzteam" nach Bagdad schicken.
Ein schwieriges Unterfangen. Vor drei Wochen erst hat Bundeskanzler Schröder mit seinem "Nein!" die Wahl gewonnen. Aber für eine Mission in Bagdad braucht Hanning die Zustimmung von ganz oben. Vorsichtshalber hat ihm ein Mitarbeiter noch handschriftlich auf die Vorlage gekritzelt: "BK und AA muss befasst werden." BK steht für Bundeskanzleramt, AA für Auswärtiges Amt. Hanning setzt seine Paraphe dazu. Noch fünf Monate bis Kriegsbeginn.
19./20. Oktober 2002: Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem SPD-Parteitag in Berlin: "An unserer Einstellung, die wir zur Irak-Frage eingenommen haben, hat sich nichts geändert und wird sich nichts ändern."
In Pullach laufen die Planungen für die Operation Bagdad. Steinmeier unterstützt den Plan. Hochrangige BND-Mitarbeiter treffen sich mit Vertretern der CIA und DIA, dem Militärgeheimdienst der USA. Die Deutschen bieten an, BND-Spezialisten in Bagdad zu akkreditieren. Bei einem der Treffen regt ein BND-Offizieller an, einen deutschen Verbindungsoffizier (VO) bei Centcom, dem US-Kriegshauptquartier in Qatar, zu stationieren. Die Reaktion der Amerikaner geht aus einem Geheimvermerk des BND vom 28. November 2002 hervor: "Vorgang mit CENTCOM besprochen. Aussage dort: Wenn BND intensiv aus Bagdad berichtet, dann kann ein VO in Qatar integriert werden. Aber nur dann!"
21. Januar 2003: Bundeskanzler Schröder auf einer Wahlkampfveranstaltung im niedersächsischen Goslar: "Unter meiner Führung wird sich Deutschland an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen."
Mittwoch, 22. Januar 2003.
Der Deal wird vollzogen. Der BND verabredet mit dem US-Militärgeheimdienst DIA, im Krieg zu kooperieren.
Einen Tag später setzt BND-Chef Hanning das Kanzleramt in Kenntnis. Schriftlich teilt er Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau Angriffspläne der Amerikaner mit und berichtet über die Absprachen mit dem US-Militärgeheimdienst.
Trotz ihres offiziellen Neins zum Krieg haben sich die Deutschen somit Zugang zur Schaltzentrale der amerikanischen Kriegsmaschinerie verschafft. Dafür zahlen sie einen hohen Preis: Im Gegenzug müssen BND-Agenten in Bagdad für die US-Streitkräfte spionieren. Am 4. Februar 2003 wird der Deal in einer formellen "Regelung zur Übereinkunft" festgezurrt. Noch sechs Wochen bis zum Krieg.
13. Februar 2003: Bundeskanzler Schröder im Bundestag: "Diese Regierung hat die Frage, ob wir uns am Irak-Krieg beteiligen, mit Nein beantwortet, und dabei bleibt es."
Samstag, 15. Februar 2003. Die BND-Männer Mahner und Heinster beginnen in Bagdad mit ihrer Arbeit. Zehn Tage später bezieht Oberstleutnant Porster alias "Gardist" Position bei Centcom in Qatar. Sofort richten die US-Streitkräfte via Porster in Qatar und Pullach die erste Anfrage an das deutsche Agentenduo in Bagdad. Noch drei Wochen bis zum Beginn der Bombardements. Und noch mehr als 60 Anfragen der Amerikaner bis zum Ende des Kriegs.
Donnerstag, 20. März.
Bagdad. Um 5.34 Uhr Ortszeit versucht die US-Air Force einen "Enthauptungsschlag" gegen Saddam. Doch der Diktator ist nicht da, wo die Bomben einschlagen. Der Krieg beginnt mit einer Fehleinschätzung der CIA.
Die Amerikaner informieren die Deutschen vorab über Luftangriffe auf Bagdad. Mahner und Heinster wollen sich "nur in Feuerpausen" in die Stadt wagen. Sie haben in ihrer Zentrale schriftlich darauf gepocht, "Infos des Centcom" an Bagdad "verzugslos" zu bekommen.
20. März 2003: Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Fernsehansprache an die Nation: "Der Krieg hat begonnen. Es bleibt dabei: Deutschland beteiligt sich nicht an diesem Krieg."
Allein in den ersten vier Tagen schlagen in Bagdad 1565 Bomben und Raketen ein. Anders als im Golfkrieg 1991 wollen US-Militärs die Infrastruktur des Iraks - Kraftwerke, Ölraffinerien, Brücken - diesmal weitgehend erhalten. "Regimeziele" stehen auf den Ziellisten, der Diktator und seine Schutztruppen, Gebäude von Baath-Partei und Geheimdiensten, Saddams Propagandasender, Treffpunkte von Obristen und Gefechtsstände der Republikanergarden.
An solchen Zielen orientieren sich auch die Aufgaben für Rainer Mahner und Volker Heinster.
Freitag, 28. März 2003, Tag 9 des Krieges. Am Morgen meldet das deutsche Team nach einer gemeinsamen Patrouille mit den Franzosen, dass der Offiziersclub der irakischen Luftwaffe zerstört ist. "In den Ruinen/Gebäuden kann man beobachten, wie Sandsäcke aufgebaut werden. Indizien, dass man sich auf Häuserkämpfe einstellt." Es dauert nicht lange, dann schlägt die US-Luftwaffe am Offiziersclub erneut zu.
Dienstag, 1. April,
Tag 13 des Krieges. Mahner meldet um 12.25 Uhr einen erneuten Treffer auf den Club. "Dem Erdboden gleichgemacht", berichtet das BNDTeam anderthalb Stunden später. Im Gebäude gegenüber habe man noch immer "Offiziere gesichtet", in Rohbauten rechts neben den Trümmern "sind unter Tarnnetzen untergezogen höherwertige Militärfahrzeuge", wie sie nur Offiziere benutzen, und "Soldaten der RG", der Republikanergarden. Der BND arbeitet akkurat: "Koordinaten 044 Grad 26 Minuten 02 Sekunden Nord 33 Grad 18 Minuten 14 Sekunden Ost Radius ca. 150 Meter".
Mittwoch, 2. April,
Tag 14 des Krieges. Es gibt Probleme mit der Datenübertragung aus Bagdad. Rainer Mahner informiert Pullach telefonisch über den "Einsatz mobiler TV-Sendewagen" und die Zeiten der festgestellten Detonationen. In der Stadt brennen die mit Öl gefüllten Gräben, was die Satellitenaufklärung erschweren soll. "Wetter ist gut, sonnig, ca. 24 Grad, rohölverhangener Himmel. Viele Grüße aus Bagdad."
Freitag, 4. April. Es ist der 16. Tag des Krieges. Im Centcom-Hauptquartier in Qatar diskutieren US-Generäle am Morgen, wie man an den Defensivpositionen der Iraker vorbei Bagdad einnehmen könnte. Um 10.50 Uhr meldet sich Pullach telefonisch bei Oberstleutnant Mahner. Er erfährt von seinem Referatsleiter, "dass US-Streitkräfte vor der Entscheidung stehen, die Gunst der Stunde zu nutzen und gleich durchzumarschieren. Daher sind aktuelle Infos zum aktuellen Lagebild in Bagdad von größter Wichtigkeit". Frist: bis 15 Uhr.
Mahner legt los. Schon um 12.20 Uhr meldet er: "Viele hochrangige irakische Stabsoffiziere halten sich vor der französischen Botschaft auf." In einigen der Gebäude, "Umkreis ca. 200 Meter", sind vermutlich Ausweichgefechtsstände.
In den weiteren Telefonaten und Fernschreiben zwischen Bagdad, Pullach und Qatar geht es um "Schanzmaßnahmen (vorwiegend Republikanergarden)" an Palästen und um Villen irakischer Parteifunktionäre. Es geht um die Kampfmoral der Iraker und die Wirkung von Bombentreffern am Messegelände, einem Versteck irakischer Geheimdienstler. Mahner und Heinster treffen sich sogar mit überlebenden Agenten des irakischen Geheimdienstes und horchen sie aus. Auf US-Anfrage Nr. 24 melden sie telefonisch erneut militärische Details: "mannshohe Sandsackwände, häufig in U-Form".
Dienstag, 8. April 2003, Tag 19 des Krieges. Mahner und Heinster werden nachts um 23 Uhr vom Lage- und Informationszentrum des BND aufgefordert, Saddam Hussein zu suchen. Die Amerikaner hätten einen heißen Tipp bekommen. Doch dieses Mal rücken sie nicht aus. In der Morgendepesche schreiben die Agenten: "Hätten wir zu dem vermuteten Aufenthaltsort hinfahren, klingeln und nach SADDAM fragen sollen?" Schon das Auftauchen ihres auffälligen Diplomaten-Mercedes dort hätte "zum sofortigen Verlassen durch Saddam" geführt und "zu ebenso sofortiger Erschießung unsererseits. Wir sind uns nur über die Reihenfolge unklar."
Montag, 21. April 2003.
Das alte Regime ist gestürzt, der Diktator geflüchtet. Stolz schreibt das BND-Duo am Nachmittag in einem Sachstandsbericht: "An der deutschen Botschaft wurde heute um 14:00 Uhr Ortszeit von Mitarbeiter Mahner und Mitarbeiter Heinster im Beisein von 6 Wachen wieder die deutsche Flagge gehisst."
Während des Fronturlaubs im Mai 2003 werden Mahner und Heinster bei der Residententagung des BND in München beklatscht und bejubelt, im Beisein von Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier. Im Namen von George W. Bush verleiht das amerikanische Militär ihnen und Oberstleutnant Porster im November 2003 die "Meritorious Service Medal", einen Militärorden. In der Laudatio danken amerikanische Generäle den BND-Mitarbeitern "für entscheidend wichtige Informationen an das US-Zentralkommando, um Kampfoperationen im Irak zu unterstützen". Am 16. Dezember 2003 lässt sich Außenminister Joschka Fischer im jordanischen Amman von den BND-Männern den heiklen Fronteinsatz schildern.
Eim Missverständnis
Erst Jahre später, im Januar 2006, erfährt die Öffentlichkeit, dass der BND während des Irak-Kriegs in Bagdad war. Danach gefragt, erklärt Joschka Fischer, der Sachverhalt sage ihm "nichts". Sein Amtsnachfolger Steinmeier antwortet auf die Frage, ob er von den BND-Aktivitäten gewusst habe, mit "Nein". Ein Missverständnis, beteuert das Außenamt später.
Und Steinmeier geht in die Offensive. Es gilt, einen drohenden Untersuchungsausschuss zu verhindern. Die BND-Agenten hätten nur sogenannte Non-Targets geliefert - also Ziele wie Krankenhäuser oder Botschaften, die US-Bomberpiloten verschonen sollten. Das Duo habe Kopf und Kragen riskiert, um das "Leben Unschuldiger zu retten", sagt Steinmeier, im Kanzleramt einst oberster Chef der Geheimdienste. "Klare politische Grundentscheidung" sei gewesen: "keine aktive Unterstützung von Kampfhandlungen im Irak", sagt Steinmeier, nun Außenminister. "Jetzt versuchen einige, die Geschichte umzuschreiben."
Genau das wird zu klären sein. Wer sagt die Wahrheit? Wer hat gelogen? Am kommenden Donnerstag müssen Heinster und Mahner vor dem Untersuchungsausschuss aussagen. Dann geht es um die Frage, wie die rot-grüne Regierung mit den USA im Krieg kooperiert hat. Vermutlich noch in diesem Jahr wird auch der Kanzlerkandidat der SPD als Zeuge geladen.