Reaktion des Westens Wo sich noch Druck auf Russland ausüben lässt – und welche Risiken das birgt

Russlands Präsident Wladimir Putin
"Ein Aussätziger auf der politischen Weltbühne": Russlands Präsident Wladimir Putin
© Mikhail Klimentyev/Pool Sputnik Kremlin/AP / DPA
Russland ist wirtschaftlich und politisch isoliert, dennoch gibt sich Präsident Putin unbeirrt. Der Ruf nach schärferen Sanktionen wird laut. Die Möglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft – aber auch nicht ohne Risiken.

Lässt sich Wladimir Putin noch von seinem Kurs abbringen? Zwölf Tage nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind keine Anzeichen der Entspannung zu erkennen. Die Luftangriffe auf Charkiw reißen nicht ab, die Sorge vor einem Sturm auf Kiew wächst – obwohl die russische Wirtschaft bereits unter den scharfen Sanktionen des Westens ächzt, Russland politisch zunehmend isoliert ist.

"Die Dreistigkeit des Aggressors ist ein klares Signal an den Westen, dass die gegen Russland verhängten Sanktionen nicht ausreichen", sagte Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft auf seinem Telegram-Kanal. Der ukrainische Präsident forderte eine Ausweitung der Sanktionen gegen Russland. Auch innerhalb der EU wird über eine weitere Verschärfung der Maßnahmen diskutiert.

Denn so eindeutig das Ziel der westlichen Finanzaktionen definiert ist – Putins Kriegskasse und seinen Rückhalt in der Bevölkerung empfindlich zu schwächen, um ein Ende der Angriffe zu erzwingen –, so unklar bleibt auch, ob die Maßnahmen tatsächlich einen Kurswechsel des Kreml zur Folge haben werden.

Zuletzt drehte Russlands Präsident weiter an der Eskalationsspirale. Er reagierte nicht etwa mit ähnlichen Gegenmaßnahmen, sondern mit sicherheitspolitischen Drohgebärden, indem er etwa die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzen ließ. Nicht zuletzt ließ er die Angriffe auf die Ukraine fortsetzen.

Eine diplomatische Lösung erscheint daher nicht nur Experten zunehmend unwahrscheinlich. Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) fehlt dafür offenbar die Fantasie, im Gespräch bei "Anne Will" war Diplomatie zumindest keine ihrer Losungen.

Wie also lässt sich noch Druck auf Russland ausüben?

Zwar zeigen die bisher getroffenen Finanzsanktionen schon jetzt Wirkung. Der Rubel rollt rasant in den Keller, die Inflationsrate explodiert und die Börse bleibt vorerst geschlossen. Doch noch fließt Geld, vor allem für Rohstoffe. Die Möglichkeiten zu weiteren Maßnahmen sind also noch nicht ausgeschöpft.

Die Preisfrage

Diskutiert werden etwa Sanktionen gegen weitere Oligarchen und Personen aus Putins engstem Zirkel, aber auch die Ausweitung und Anpassung bereits bestehender Sanktionen.

"Das ist nicht das Ende. Wir bereiten weitere Schritte vor", kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag im Deutschlandfunk an. "Der nächste Schritt ist, dass wir Schlupflöcher füllen werden, um maximale Wirkung zu erzielen, Umgehungsmöglichkeiten zu beenden."

So werden etwa zeitnahe Maßnahmen zu Kryptowährungen erwartet. Zuletzt war der Kurs des Bitcoin und anderer Digitalwährungen stark gestiegen. Womöglich eine Folge des Versuchs, den Wertverlust der russischen Währung auf diesem Weg zu umgehen.

Wesentlich empfindlicher könnte die russische Wirtschaft aber durch eine Verschärfung der Wirtschafssanktionen getroffen werden, insbesondere durch den Aussschluss weiterer Banken aus dem Zahlungssystem Swift und dem Verzicht auf Rohstoffimporte. Beides birgt Risiken.

Die EU schloss unter anderem sieben russische Banken aus dem internationalen Zahlungssystem Swift aus, darunter die zweitgrößte Bank des Landes, VTB, und die Rossija-Bank. Die Sberbank als größte Bank Russlands sowie die Gazprombank des gleichnamigen staatlichen Gaskonzerns sind von der Strafmaßnahme ausgenommen: Beide Häuser sind eng mit dem Öl- und Gassektor verbunden. Die Sorge: Eine Sanktionierung könnte negative Auswirkungen auf die Energieversorgung der EU haben.

"Als nächster Schritt sollten die verbleibenden russischen Großbanken und bestimmte Wirtschaftssektoren gezielt vom Swift-System abgekoppelt werden", forderte Manfred Weber, der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, im "Tagesspiegel". Zudem müsse die Bundesregierung "umgehend den Kauf von fossilen Brennstoffen aus Russland einschränken". Weber bezeichnete es als "absurd", dass Putin trotz der verhängten Sanktionen weiter "seine Kriegskasse durch eine höhere Nachfrage und höhere Preise füllen" könne. Auch CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen forderte einen Importstopp für Öl und Gas.

"Die nächste Stufe wäre ein Embargo für russisches Gas, Öl und Metalle", sagt auch der Politologe und Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck zum stern. "Auch ein allgemeines Handelsembargo wäre möglich." Die Frage sei nur: Was ist das Ziel der Sanktionen? "Möchte man Putin dazu bewegen, seine Haltung in der Ukraine-Frage zu verändern – oder ihn für sein Handeln bestrafen und die Lebensverhältnisse in Russland so verändern, dass daraus ein größerer Prozess erwächst und möglicherweise einen Regimewechsel einleitet?"

Dabei stellt sich für die westliche Allianz auch die Frage nach Kosten und Nutzen eines möglichen Embargos.

Die Ukraine fordert den Westen seit geraumer Zeit zu einem Verzicht auf Rohstoffimporte aus Russland auf. Russisches Öl und Gas würden "nach ukrainischem Blut riechen", sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Sonntag bei CNN. Am Sonntag bestätigten die USA, dass sie mit der EU über ein Verbot diskutieren. Es gebe "sehr aktive Diskussionen" zu dem Thema, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Sonntag dem US-Sender CNN. 

Die Bundesregierung hat entsprechenden Forderungen jedoch erneut eine Absage erteilt. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sprach sich am Sonntag bei "Bild TV" gegen ein Embargo gegen Rohstoffimporte aus Russland aus: "Verzichten wir auf Gas, Öl und Kohlelieferungen aus Russland, bedeutet das, dass die Preise in Westeuropa und in der Welt dramatisch steigen werden aufgrund der erwartbaren Knappheit", sagte er. Schon jetzt liegen die Öl- und Spritpreise auf Rekordniveau.

Außerdem bezweifelte Lindner die Wirksamkeit eines Embargos für den Krieg: "Wenn ein Embargo bei Gas, Öl und Kohle etwas an der konkreten Situation heute in der Ukraine verändern würde, dann wäre ich für ein Embargo." Das sei aber nicht der Fall. Zuvor hatte sich bereits Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei ZDF ähnlich geäußert.

Was ist mit Belarus und China?

Der politische Spielraum erscheint hingegen überschaubar. "Politisch haben die westlichen Staaten schon alles getan, das unterhalb der Schwelle von einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen liegt", so Politologe Mangott. Ein vollständiger Abbruch sei zwar noch möglich, würde aber außer einer "radikal-symbolischen Geste" wenig Sinn ergeben. "Schon jetzt ist Russland diplomatisch isoliert, Putin ist ein Aussätziger auf der politischen Weltbühne". Dennoch lasse sich keine Verhaltensänderung des russischen Präsidenten feststellen.

Im Fokus der westlichen Überlegungen steht daher auch Belarus, dem "anderen Aggressor in diesem Krieg", wie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen die jüngsten Sanktionen gegen das "Lukaschenko-Regime" rechtfertigte. Putin und der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko sind enge Verbündete. Russische Truppen waren auch über Belarus in die Ukraine einmarschiert.

Mit den Maßnahmen will die EU unter anderem verhindern, dass Moskau die Wirtschaftssanktionen über Minsk unterläuft. Die USA zielen mit neuen Sanktionen gegen Belarus darauf, dass "Güter, Technologien und Software" nicht über Belarus nach Russland gelangen.

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Die Erfolgsaussichten weiterer Sanktionen gegen Belarus sind allerdings fraglich, meint Politologe Mangott. "Belarus steht in starker politischer, wirtschaftlicher und militärischer Abhängigkeit von Russland. Sanktionen gegen Belarus würden dort die Lebensverhältnisse verschlechtern", sagt er. Angesichts der zunehmend finanziellen Schwäche Russlands, würde die Hilfe aus Moskau "mindestens ausdünnen oder sogar ein Ende finden". Das könnte zu neuem Druck auf den belarussischen Machthaber Lukaschenko führen – der allerdings nicht davor zurückschrecke, seine Macht mit repressiven Maßnahmen gegen die Bevölkerung zu sichern.

Und China? Bis zuletzt schien der Westen darauf zu hoffen, dass Peking mit seinem Einfluss vermittelnd auf Russland einwirken könnte. "Das Land wirtschaftlich eng mit Russland und der Ukraine verbunden, definiert territoriale Integrität und politische Unabhängigkeit als grundsätzliche Leitplanken", erklärt Politologe Mangott. "Argumentativ ist China daher in der Defensive und vermeidet eine klare Verurteilung der Verletzung ihrer Grundsätze durch Russland." Eine Gratwanderung.

Druck auf China würde jedoch nur den Zusammengang mit Russland beschleunigen, meint der Experte. Das Gegenteil sei erforderlich: "Der Westen sollte China ersuchen, alles dafür zu tun, was in seiner Macht steht, um Einfluss auf die russische Führung zu nehmen." China habe in den vergangenen Jahren zu spüren bekommen, dass sich in vielen Bereichen eine "zunehmend westliche Front" bilde. Peking dürfte daher nicht zur Vermittlung geneigt sein, wenn der Westen eine konfrontative Haltung einnehme.

Das Szenario erscheint aber zunehmend unwahrscheinlich: Chinas Außenminister Wang Yi hat am Montag zwar Vermittlung im Ukraine-Krieg angeboten, gleichzeitig aber die "felsenfeste Freundschaft" seines Landes zu Russland betont. "Egal, wie tückisch der internationale Sturm ist, China und Russland werden ihre strategische Entschlossenheit aufrechterhalten und die umfassende kooperative Partnerschaft in der neuen Ära vorantreiben", sagte Wang Yi auf eine Frage nach den internationalen Sanktionen gegen Russland.

"Noch heißt es: könnte"

Der Krieg in der Ukraine ist offenbar nicht so verlaufen, wie Moskau sich das vorgestellt hat. Die russischen Truppen stoßen auf mehr Widerstand als erwartet. Mehrere Länder schicken Waffen und Geld in die Ukraine. Auch die Bundesregierung prüft nach Angaben von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) weitere Lieferungen. "Militärisch tut der Westen, was er gerade noch verantworten kann", so Politologe Mangott.

Zuletzt hatten jedoch Berichte für Aufsehen gesorgt, wonach die USA Polen etwa dazu bewegen wollten, die Ukraine mit Kampfflugzeugen auszustatten. "Polen wird seine Kampfjets nicht in die Ukraine schicken", dementierte die Regierung prompt. Auch Russland reagierte – und warnte vor schwerwiegenden Konsequenzen.

"Wenn osteuropäische Länder wie Polen damit anfangen sollten, eigene Kampfflugzeuge zu liefern, könnte die militärische Unterstützung zu weit gehen", sagt der Experte. Die Eskalation könnte dann eine Schwelle erreichen, die den Krieg ausweite.

Russland hab bereits angedeutet, dass entsprechende Pläne als Beteiligung an den Kampfhandlungen gewertet werden könnten. "Noch heißt es: könnte. Aber hier liegt explosives Potenzial", sagt Mangott. "Der Westen muss sich darüber klar werden, wie weit er gehen will."

tkr