Die FDP bleibt stur und pocht trotz Widerstands in der Regierungskoalition darauf, über eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke zu sprechen. Der energiepolitische Sprecher der Liberalen, Michael Kruse, schlug sogar einen "Kernkraftgipfel" vor. Am gleichen Tag kommt aus Japan die Meldung, dass vier frühere Tepco-Manager, Betreiber des havarierten AKW in Fukushima, verurteilt wurden, umgerechnet 94,6 Milliarden Euro Schadenersatz zahlen zu müssen. Kernkraft ist immer teuer – im Normalbetrieb und vor allem, wenn Unglücke passieren.
Selbst die AKW-Betreiber wollen nicht mehr
Ende des Jahres sollen die drei noch laufenden Meiler Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 vom Netz gehen. Das wurde vor elf Jahren beschlossen und selbst die Energiekonzerne als Besitzer haben kein Interesse mehr daran, "in diese risikobehaftete und teure Technologie zurückzukehren", wie die Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae, sagte. Beim Betreiber des Reaktors Emsland, heißt es auf Anfrage des stern: "RWE schätzt die Hürden für einen sinnvollen verlängerten Betrieb als hoch ein." In anderen Worten: Niemand in Deutschland hat ein Interesse daran, an der Atomkraft festzuhalten.
Interessanterweise ist es die FDP sowie die ebenfalls atomkraftbefürwortende Union, die den mitregierenden Grünen nun vorwerfen, beim Thema Laufzeitverlängerung "ideologisch" zu agieren. Dabei besteht die eigentliche Ideologie darin, an einer Technik festzuhalten, für die weder technisch, wirtschaftlich noch politisch etwas spricht. Und, je nach Betrachtung, nicht einmal Umwelt und Klima sonderlich profitieren, wie sich bei einem Blick auf ein paar Zahlen und Mythen zeigt (die, zugegeben, je nach Erfassung, Quellen und Verbreiter variieren).
Können Atomkraftwerke über das geplante Ende weiterlaufen?
Eher nicht. Zwar ist es möglich, die Anlagen auf niedrigerem Niveau weiter zu betreiben, aber das würde auch nur kurzzeitig helfen. Eines der Probleme dabei, ist das dann fehlende Personal, das schlicht nicht mehr eingeplant ist. Vor allem aber gehen den Meilern die Brennstäbe aus. RWE schreibt dazu: "Unser Kraftwerk Emsland in Lingen ist auf den Auslaufbetrieb zum Ende des Jahres [2022, d. Red.] ausgerichtet, entsprechend haben wir auch den Brennstoffeinsatz auf dieses Datum hin optimiert. Neue Brennelemente müssen für jede Anlage individuell hergestellt werden. Die Beschaffung von neuen Brennelementen dauert nach unseren Erfahrungen in der Regel zwölf bis 24 Monate."
Ist Atomkraft CO2-neutral?
Nein. Über die Kohlendioxid-Emissionen von Atomkraftwerken gibt es unterschiedliche Angaben. Der Klimakommission IPCC zufolge stoßen sie zwischen 3,7 bis 110 Gramm CO2-entsprechende Klimagase pro Kilowattstunde aus – je nachdem, ob man den kompletten Lebenszyklus eines Kraftwerks mitberechnet – also inklusive Bau und Rückbau – oder nur den reinen Betrieb – worin aber auch Produktion und Transport von Uran inbegriffen ist. Die wahrscheinliche Menge liegt wohl im Bereich von 12 bis 31 Gramm. Mit diesen Werten steht die Kernkraft zwar besser da als fossile Energieerzeugung, ist aber längst nicht auf dem Niveau von erneuerbaren Energieträgern.
Taugt Atomkraft, um Gas zu ersetzen?
Höchstens indirekt. Zum einen: Kernkraftwerke erzeugen Strom und keine Wärme. Daher sind sie kein Ersatz für ausbleibende Gaslieferungen. Allerdings wird ungefähr zwölf Prozent des Erdgases genutzt, um Strom zu erzeugen. Deswegen lautet das Argument, dass dieses Gas eingespart werden kann, wenn stattdessen AKW die Energie erzeugen. Der Großteil dieser Gasverstromung aber geht in Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und an Industrie- oder dezentrale Blockheizkraftwerke. Das aber reduziert die Möglichkeit für Gaseinsparungen in Wärme-Kraftwerken.
Ist Atomkraft günstig?
Das stimmt nur, solange Bau und Unterhalt von Kraftwerken staatlich unterstützt werden. Nur durch erhebliche Steuervergünstigungen sowie Subventionen für den aufwändigen Bau (und Rückbau) eines Atomreaktors und den Unterhalt (etwa die Entsorgung des Atommülls) lohnt sich der Betrieb. Schätzungen zufolge hat die Bundesrepublik die AKW-Betreiber in den vergangenen 40 Jahren mit etwa 187 Milliarden Euro bezuschusst. Darin nicht enthalten sind die Kosten für mögliche Unfälle. Die Haftpflichtversicherung würde nur für maximal 2,5 Milliarden Euro Schäden aufkommen. Laut dem Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft kostet eine Kilowattstunde Atomstrom eigentlich rund 42 Cent. Vergleich: Die Windenergie liegt bei etwa 8 Cent.

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Selbst wenn man großzügig über einen oder mehrere dieser Einwände hinweg sieht, bleibt die Diskussion über die Laufzeitverlängerung am Ende "komplett unsinnig", wie es SPD-Chefin Saskia Esken formulierte. Auch Kanzler Olaf Scholz sieht keine "Voraussetzung, um sich überhaupt dieser Frage weiter widmen zu können."
Quellen: DPA, AFP, BUND, Deutsche Welle, Deutschlandfunk, RWE, Destatis, "Spiegel"