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Bundesverfassungsgericht Koalitionsstreit um Verfassungsrichter

Nichts scheint mehr vor der Streitlust der großen Koalition sicher zu sein. Selbst eine vakante Richterstelle beim heiligen Bundesverfassungsgericht gerät mittlerweile zu einem Konflikt. Der von der SPD vorgeschlagene Hors Dreier wurde von der Union abgelehnt. Die Sozialdemokraten bestehen aber auf ihren Kandidaten.

Das Koalitionsklima der Bundesregierung wird durch einen neuen Streitpunkt schwer belastet. Anlass des Konflikts zwischen Union und SPD ist die Neubesetzung des Vizepräsidentenamtes des Bundesverfassungsgerichts. Die SPD, die in diesem Fall das Vorschlagsrecht innehat, hatte den Würzburger Rechtsprofessor Horst Dreier als Nachfolger für den aus Altersgründen ausscheidenden Winfried Hassemer vorgeschlagen. Die strikte Ablehnung durch die Union hat nicht nur die SPD verärgert. Dass die angesehenste Institution der bundesdeutschen Demokratie, das Bundesverfassungsgericht, zum Objekt der Koalitionsstreitereien geworden ist, sorgt für mindestens ebenso viel Empörung.

Ein vermeintlich guter Vorschlag

Mit dem renommierten Würzburger Hochschullehrer Horst Dreier glaubte die SPD, einen geeigneten Kandidaten dafür gefunden zu haben, der 2010 auch als Nachfolger des dann in den Ruhestand tretenden Gerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier aufrücken könnte. Schließlich hat sich der Staatsrechtler auch als Mitautor eines Grundgesetz-Kommentars und Mitglied des Nationalen Ethikrats einen Namen gemacht. Zudem gehört er der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an und war auch Vorsitzender der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer. Allerdings scheint dem Rechtsprofessor jetzt gerade seine emsige wissenschaftliche Publikationstätigkeit zum Verhängnis zu werden. Mit zwei Äußerungen hat sich Dreier dabei nämlich Feinde von rechts und links gemacht.

Umstrittene Haltung zu Embryonenschutz

CDU und CSU stoßen sich vor allem daran, dass das 53-jährige SPD-Mitglied dem ungeborenen Leben insbesondere vor Einnistung der befruchteten Eizelle in die Gebärmutter eine geringeren rechtlichen Schutz beimisst. Selbst eine weitgehende Liberalisierung des Embryonenschutzgesetzes nebst einer völligen Freigabe der Stammzellenforschung hält Dreier nicht für verfassungswidrig. So eine Haltung sei vor allem den Kirchen nicht zu vermitteln, sagen die Gegner des Juristen in den Unionsparteien. Allerdings hat sich die CDU selbst ja auf ihrem jüngsten Parteitag in Hannover für eine Lockerung des Stammzellengesetzes stark gemacht. Mit Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmten die Delegierten für eine Verschiebung des Stichtags, bis zu dem Stammzellen entstanden sein dürfen, deren Einführung aus dem Ausland zu Forschungszwecken zulässig ist.

Wegen einer schriftlichen Äußerung zu einem weiteren Punkt wird Dreier indes auch von ganz anderer Seite kritisiert. Amnesty International, Grüne und Linkspartei lehnen seine Wahl zum Verfassungsrichter ab, weil er den Schutz der Menschenwürde in Extremfällen zur Disposition und so möglicherweise auch das absolute Folterverbot indirekt in Frage stelle. Es könne Situationen geben, in denen der Staat die Pflicht habe, die Würde zweier Menschen zu schützen, diese Pflicht aber nur bei einem von beiden erfüllen könne. "In diesen Konstellationen dürfte der Rechtsgedanke der rechtfertigenden Pflichtenkollision nicht von vornherein auszuschließen sein", schrieb Dreier.

SPD hält an Dreier fest

Die SPD lehnte den von der Union geforderten Rückzug Dreiers strikt ab. "Er bleibt unser Mann", versicherte Bundestagsfraktionschef Peter Struck der "Stuttgarter Zeitung". Dreier sei unter Verfassungsexperten unumstritten. Auch Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen, SPD-Koordinator bei der Neubesetzung der Stelle, steht weiter fest zu Dreier. "Er ist ein herausragender Jurist, der an keiner Stelle seiner wissenschaftlichen Arbeit das Folterverbot aus Artikel 1 des Grundgesetzes relativiert hat."

Die anhaltende Blockade des von der SPD vorgeschlagenen Würzburger Rechtsprofessors Horst Dreier könne zum "gefährlichen Eigentor" für den Koalitionspartner werden, warnte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, in Berlin. Wenn die Union ihr Veto gegen einen der "versiertesten deutschen Verfassungsjuristen mit untadeligem Ruf" einlege, so könne sich das auch auf andere anstehende Personalentscheidungen auswirken, bei denen ebenfalls eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich sei, erklärte Oppermann.

Oettinger will Entscheidung für Länder

In der SPD-Führung gibt es spürbare Verwunderung darüber, dass sich die CDU-Vorsitzende, Kanzlerin Angela Merkel, dem Wunsch von SPD-Chef Kurt Beck bislang entzogen hat, über den Vorgang unter vier Augen zu reden. Beck hatte der Union eine Abkehr von einer jahrzehntlangen Praxis bei Richterwahlen vorgeworfen und deshalb dringend um ein Gespräch mit Merkel gebeten.

Nach Ansicht von Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) ist eine Klärung nicht Sache der Parteispitzen. "Diese Entscheidung ist keine Angelegenheit von von zwei Parteivorsitzenden", sagte er. Für diese Wahl sei turnusmäßig der Bundesrat zuständig. Laut Oettinger, der die Unionsseite bei der Richterwahl koordiniert, gilt die Unions-Ablehnung Dreiers unverändert. Der Vorschlag für die Besetzung des Postens liege aber bei der SPD. Die Union sei darüber weiter gesprächsbereit.

Scharfe Kritik vom ehemaligen Präsidenten

Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, hat den politischen Streit um die Besetzung des höchsten deutschen Gerichts kritisiert. "Das Geschacher der Parteien ist schädlich", sagte Benda der "Rheinischen Post". "So ein Gezank hat es um den Richterposten noch nie gegeben." Benda stand von 1971 bis 1983 an der Spitze des Karlsruher Gerichts. Mit Blick auf den von der SPD vorgeschlagenen Rechtsprofessor Horst Dreier sagte Benda, es könne nicht sein, dass ein Kandidat "beschädigt" werde, bevor er dieses wichtige Amt antrete. Bisher seien die Diskussionen zwischen den Parteien stets vertraulich verlaufen

Der derzeitige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer wollte sich bei der Jahres-Pressekonferenz der Karlsruher Richter weder zum Streit um seinen möglichen Nachfolger, noch zu Horst Dreier selbst äußern. "Ich werde dazu kein Wort sagen, und ich glaube, es gibt dafür auch gute Gründe", sagte der noch amtierende "Vize". Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans Jürgen Papier, bat um Verständnis, "wenn ich das Verfahren und auch die Personen der in Frage kommenden Kandidaten nicht kommentiere".

Warten auf den Ruhestand

Auf die Frage nach seiner Befindlichkeit angesichts des anhaltenden Parteienstreits um seine Nachfolge hat der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts nur ein Wort parat:"Grausam", sagte Winfried Hassemer bei der Jahres-Pressekonferenz der Karlsruher Richter mit nur leicht ironischem Unterton auf eine entsprechende Frage. Schließlich weiß der 67-Jährige selbst nicht, wie lange er jetzt noch über seine eigentlich in zwei Wochen anstehende Pensionierung hinaus weiter arbeiten muss. Erst wenn sich die politischen Parteien doch noch auf einen neuen Vizepräsidenten verständigt haben und dieser auch gewählt ist, darf Hassemer wirklich in den wohlverdienten Ruhestand gehen.

Hassemer ging darauf nur indirekt noch einmal ein: Noch zu seiner Amtszeit wolle der Zweite Senat das lange überfällige Urteil zum Inzest eines Geschwisterpaars in Sachsen vorlegen, versprach er. "Das hat aber nur eine begrenzte Aussagekraft, weil Sie ja nicht wissen, wie lange die noch geht", fügte der amtierende Vizepräsident augenzwinkernd hinzu. Hassemer bleibt nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen.

DPA/AP/Reuters/sh/mtg AP DPA Reuters

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