In Las Vegas pinkeln Hotelgäste und Casinobesucher an die Berliner Mauer. Die Toiletten des Hotels und Casinos "Main Street Stations" hängen an einem Stück "original Berlin Wal". Die Gäste haben keinen Blick für die Gedenktafel an der Wand, die an die Todesopfer der Mauer erinnern soll. Sie haben ein dringenderes Bedürfnis.
In Berlin ist die Mauer gerade wieder aufgebaut worden. Vor dem Eingang des Westin Grand Hotels in der Friedrichstraße. Vier Meter hoch, knapp drei Tonnen schwer, einen Meter breit. Hotelgäste, die das Angebot "Mauerfall Berlin" gebucht haben, dürfen sich bei Currywurst und Champagner ein Stückchen Weltgeschichte abmeißeln und es als Souvenir mit nach Hause nehmen.
Auch das Hilton in Dallas setzt auf ein Stück Berliner Mauer als Attraktion. Der Brocken steht im Hotelgarten, zwischen dem Teich mit den japanischen Zierfischen und dem Imitat eines indischen Miniatur-Palastes aus weißem Marmor. Die Hotelgäste dürfen die Mauer in Texas allerdings nur bestaunen. Wehe dem Hotelgast, der zu Hammer und Meißel greift. Das ist nämlich verboten.
Die Mauer als Geschäftsmodell
Die Mauer steht sogar im Internet. Bei Ebay. Für 3,99 Euro inklusive Porto- und Verpackungskosten wird ein eingeschweißtes Mini-Mauerstück mit Echtheitszertifikat im Handtaschenformat zum Kauf angeboten. Auch Immobilienmakler Thomas Schlüchter aus dem westfälischen Lünen geht auf dem Internet-Flohmarkt im World Wide Web auf Käufersuche für seine beiden Mauerstücke. Je 25.000 Euro sollen die fast drei Tonnen schweren Stücke kosten. Plus Transportkosten. Er habe die Stücke nach der Wende in Berlin gekauft, sagt Schlüchter. Von wem? Betriebsgeheimnis. Drei Elemente habe er schon verkauft, sagt Schlüchter. Unter anderem an einen Bäcker aus der Nähe von München, der sich ein knapp vier Meter hohes Stück Mauer neben den heimischen Swimmingpool gesetzt haben soll.
Um herauszufinden, wohin es die Berliner Mauer verschlagen hat, die nach dem 9. November 1989 abgebrochen und in alle Welt exportiert wurde, begab sich die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur auf Spurensuche. Für das jetzt erschienene Buch: "Die Berliner Mauer in der Welt" haben die Autoren sich nicht nur mit der Frage beschäftigt, wo eigentlich das Geld aus dem Mauergeschäft geblieben ist (siehe Kasten: Der Ausverkauf der Berliner Mauer). Sie spürten die Reste in den entlegensten Winkeln der Welt auf und wissen viele Anekdoten rund um den Mauerverkauf zu erzählen.
Jack Janes, Direktor des Instituts für Deutschlandstudien an der School of Advaced International Studies (SAIS) in Washington D.C., war sehr stolz auf das Mauerstück, dass er sich im Sommer 1994 bei einem Berlin-Besuch ausgesucht hatte. Auf einem Graffito hatte der Professor die Buchstaben "FRE" erblickt und glaubte darin, das abgeschnittene Wort "frei" zu erkennen. Hoch erfreut, ein Mauerstück "mit besonderer Symbolkraft" ergattert zu haben, ließ Janes das tonnenschwere Segment in die USA verschiffen und an der John Hopkins Universität aufstellen - als Mahnmal für die Freiheit, die dem Volk der DDR fast 30 Jahre lang verwehrt worden war. Als sich Janes das Mauersegment nach dem Aufstellen allerdings noch einmal genauer ansah, musste er jedoch feststellen, dass auf dem Betonklotz nicht etwa jemand das Wort "frei" gesprüht hatte, sondern den Männernamen: "FRED".
US-Präsident Bill Clinton sollte ein meterhohes Segment der Berliner Mauer bekommen. Der Berliner Künstleragent Patrice Lux wollte ihm das gute Sück schenken. Die Dresdner Bank richtete 1998 anlässlich der Deutschlandreise des Präsidenten einen Empfang aus, auf dem Clinton das Geschenk symbolisch entgegen nehmen sollte. Doch Clinton konnte sich nicht satt sehen am Schloss Sanssouci in Potsdam, hatte nach der Besichtigung keine Zeit mehr für den Empfang und das Mauer-Präsent. Bundespräsident Herzog wartete auf ihn. Deshalb wurde das Mauerstück nach Baltimore verschifft. Lux reiste in die Staaten, um Clinton zu treffen. Doch inzwischen war der Präsident vollends damit beschäftigt, sich wegen seiner Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky zu verteidigen. Enttäuscht reiste Lux wieder nach Deutschland. Die Mauer wurde in einer Lagerhalle in Baltimore abgestellt. Und wenig später gestohlen. Sie tauchte nie wieder auf.
Die Gäste eines Burger-Restaurants in der New Yorker Madison Avenue sitzen im Sommer im Schatten von Mauerstücken, die zu denen gehören, die Hans Eichel während seiner Zeit als Bundesfinanzminister teuer zu stehen kamen. Von den Segmenten lachen die Gesichter der Künstler Kiddy Citny ("Mein Atelier war die Berliner Mauer in Kreuzberg") und Thierry Noir, die diese Mauerstücke schon vor der Wende nachts heimlich besprüht hatten. Die herzförmigen Gesichter mit den fröhlichen Glotzaugen wurden als Postkartenmotiv und Fotokulisse berühmt. Deshalb konnte die Außenhandelsfirma Limex die begehrten Stücke zu einem Gesamtpreis von einer Million Mark verkaufen. Die Künstler gingen allerdings leer aus. Sie sollten mal froh sein, dass sie nicht wegen Sachbeschädigung belangt würden, ließ das Finanzministerium die Mauermaler abblitzen. Das sahen die Richter des Bundesgerichtshof anders und sprachen den Künstlern 500.000 D-Mark zu. Grund: Ihre Graffito hätten den Waschbeton veredelt und eine erhebliche Wertsteigerung erreicht. Hans-Olaf Henkel, ehemaliger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, exportierte die Mauer nach Frankreich in die Normandie. Nachdem er das Stück Mauer im Garten seines Ferienwohnsitzes platziert hatte, wurden ganze Familien von der geschichtsträchtige Attraktion angelockt. Ein Nachbar schlug Henkel vor, doch sein ganzes Grundstück mit Mauerresten abzuzäunen. Als Schutz gegen Einbrecher.
Sogar der Papst hat ein Stück der Berliner Mauer. Es ist das Geschenk eines italienischen Geschäftsmannes, der es auf der ersten Mauer-Auktion in Monaco ersteigert hatte. Heute schmückt das Stück Weltgeschichte die Vatikanischen Gärten. Das Motiv auf dem Waschbeton: eine alte Ost-Berliner Kirche mit Glockenturm.
Und selbst auf Ibiza ist die Mauer zu sehen. Um seinen in Spanien geborenen Kindern deutsche Geschichte nahe zu bringen, hat der Journalist Olaf Stölt, die Mauer von Deutschland auf die Insel importiert. Stöldt ersteigerte das Stück für 7.000 Euro und stellte es vor den Eingang seines Hauses in Cala Vadella. Der Journalist wollte seinen Kindern nicht nur von der Mauer erzählen, sondern ihnen auch "einen sichtbaren Beweis" für die deutsche Geschichte liefern. "Dabei geht und ging es mir nicht nur um die Nachkriegszeit und die deutsche Teilung, sondern letztlich auch darum, dass die Mauer ein unmittelbares Ergebnis der Hitlerdiktatur und des Nazis-Regimes war."
Die meisten Mauerreste stehen in Europa und in den USA, doch auch auf der anderen Seite der Erdkugel hat die Berliner Mauer Platz gefunden. Ein "alter Ossi" holte die Mauer nach Japan und ließ sie vor dem Gebäude des TÜV Rheinland in Yokohama aufstellen. Uwe Bast, geboren in der DDR, ließ sogar Mauerkünstler Thierry Noir einfliegen, der die verblassten Farben seines Graffito auffrischte und restaurierte. "Es ist toll, dass ich alter Ossi nun die Gelegenheit habe, mir dieses ehemalige Element der Eingrenzung als Demonstration meiner Freiheit dahin setzen zu können, wo ich es will", freut sich Bast.
Die Reste der Berliner Mauer sind heute in aller Welt zu finden. Aus dem Stadtbild Berlins ist die Mauer dagegen fast so gut wie verschwunden. Sicher. In Berlin-Friedrichshain steht sie noch. Auf 1300 Metern, als "East Side Gallery." Und am Mauerpark. Dennoch sind Touristen oft enttäuscht, wenn sie in der Hauptstadt nach Resten der Mauer als Mahnmal suchen. Im "Zorn der ersten Stunde" wurde die Mauer abgerissen und in alle Welt verkauft. "Es ist vor allem ein bleibender Verdienst der Krämerseelen im Berliner Senat, die nie ein eigenes, überzeugendes Konzept für die Relikte der Geschichte entwickelt haben. Mauer, igitt - das war der Reflex der Eingemauerten. Er hält sich bis heute, auch bei den Regierenden", geißelte die Süddeutsche Zeitung den Mangel an Berliner Gedächtniskultur kürzlich in einem Kommentar. Tatsächlich hat Berlin die Chance vertan, die Mauer, das Symbol für Unterdrückung und Menschenverachtung schlechthin, als Mahnmal zu erhalten.
"Die Berliner Mauer in der Welt", herausgegeben im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Berlin Story, 2009, ISBN: 978-3-86855-023-8, 192 Seiten, 19,80 Euro.