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Umfrage-Einbruch Drei Gründe, warum Scholz an Boden verliert (und Merkel Zuversicht stiften kann)

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
Im Umfragetief: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)
© Kay Nietfeld/ / Picture Alliance
Die Ampel-Koalition rutscht in der Wählergunst ab, auch der Bundeskanzler verliert an Beliebtheit. Muss Olaf Scholz besorgt sein?

Die Erwartungen waren groß, die Verheißung einer neuen Regierung und Regierungsspitze beschwingte die Bundesrepublik. Im Kanzleramt konnte man sich über einen Beliebtheitsrekord freuen, gute Noten für das Kabinett, überwiegende Zufriedenheit mit der Koalitionsarbeit.

Und auch Angela Merkel, die gut zehn Wochen in Amt und Würde war, konnte zufrieden sein.

Wenige Monate später, im September 2006, drehte sich der Wind. Die anfängliche Euphorie wich erster Ernüchterung: Die Kanzlerin verlor an persönlicher Zustimmung, fuhr ihrerzeit den schlechtesten Wert seit ihrem Amtsantritt an, die Koalition sorgte zunehmend für Frust statt Freude. Plötzlich hatte Merkel ihren Führungsstil gegen Zweifel und Vorwürfe zu verteidigen.

Wie schnell sich die Stimmung drehen, der schöne Schwung in schlechte Schwingungen umschlagen kann, erlebt derzeit auch ihr Amtsnachfolger. Olaf Scholz, der seit 59 Tagen regiert, erlebt im aktuellen ARD-"Deutschlandtrend" einen einmaligen Absturz.

Mit seiner politischen Arbeit sind demnach nur noch 43 Prozent der Deutschen "zufrieden" oder "sehr zufrieden" – ein Sinkflug von 17 Prozent im Vergleich zu Anfang Januar, der laut infratest dimap damit einen bundesrepublikanischen Negativrekord für einen Kanzler markiert. Auch die Arbeit der Ampel-Koalition und -Kabinettsmitglieder büßt dem Meinungsforschungsinstitut zufolge an Zustimmung ein. Und es gibt eine neue Nummer eins in der Sonntagsfrage: die Union, die sich klar vor die SPD setzt.

Das sitzt. Aber bleibt es Scholz und seinem Kabinett auch in den Klamotten hängen?

Umfragen sind Momentaufnahmen, die auch immer im Kontext betrachtet werden sollten. Merkel erklärte im September 2006 den Knick in den Umfragen mit der Haushaltkonsolidierung, die den Bürgern wehtue, dazu stritt man sich in der Großen Koalition aus Union und SPD über das Erscheinungsbild der Bundesregierung. Scholz hat durch die Corona-Pandemie zu navigieren, eine nie dagewesene Krise, und eine weitere nimmt an der ukrainischen Grenze durch den Aufmarsch russischer Truppen immer weiter Kontur an.

Das drückt offenbar auf die Stimmung, aber auch das kann sich schleichend oder schnell ändern – niemand dürfte das besser wissen als Scholz.

Er galt lange Zeit als abgeschrieben, die Umfragewerte der SPD schienen im Keller einbetoniert. Ihr Kanzlerkandidat agierte im Wahlkampf so geräuschlos, dass die Konkurrenz kaum von ihm Notiz nahm. Und ihm damit auf dem Leim ging. Er ist nicht aufgefallen, auch nicht negativ. Und wer nicht negativ auffällt, weckt Vertrauen. Das war seine Strategie, das Kanzleramt seine Prämie. Dort angekommen wird jedoch deutlich, dass seine verbale Zurückhaltung bereits Konsequenzen hat – und sich einige Baustellen aufgetan haben.

1. Die Corona-Politik

"Nach wenigen Wochen im Amt wird deutlich, dass der Schwung, mit dem die Bundesregierung an einen Neuanfang gehen wollte, unter die Räder gekommen ist", sagt Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Universität Köln zum stern mit Blick auf den aktuellen ARD-"Deutschlandtrend". "Das gilt besonders für den Bundeskanzler, dem die Handwerksfehler und die Formelkompromisse der Koalition zugerechnet werden."

In mehreren Bereichen werde deutlich, dass Scholz strategielos im Raum schwebe und keinen Boden unter die Füße bekomme. So hätten die Bürger inzwischen feste, wenn auch unterschiedliche Meinungen zur Coronapolitik: Den einen gehe zu weit, was den anderen nicht reicht. "Die Haltung des Bundeskanzlers bleibt vage und das kommt nicht gut an", schlussfolgert Jäger.

Das Spannungsfeld spiegelt sich im ARD-"Deutschlandtrend" wider: Zwar spricht sich eine Mehrheit der Deutschen für eine Impfpflicht ab 18 Jahren aus (53 Prozent), rund ein Drittel lehnen diese aber komplett ab. Kanzler Scholz gehört zu den Befürwortern, überlässt die Details und Ausarbeitung einer entsprechenden Regelung aber dem Bundestag. Sein Plan, diese bis "Anfang März" ins Werk zu setzen, dürfte nicht mehr zu halten sein. Ob, wann und in welcher Form eine Impfpflicht kommen könnte: unklar.

Derweil stagniert die Impfkampagne der Bundesregierung. Das von Scholz ausgegebene Impfziel für Ende Januar wurde deutlich verfehlt. Auch vor diesem Hintergrund sprechen sich Experten, aber auch Scholz selbst, gegen Lockerungen der Regeln zum jetzigen Zeitpunkt aus, während europäische Nachbarländer weniger Strenge walten lassen. Zwar empfindet laut ARD-"Deutschlandtrend" eine Mehrheit von 44 Prozent die aktuellen Maßnahmen als angemessen, aber für 31 Prozent gehen diese zu weit – das sind sechs Prozentpunkte mehr als im Vormonat.

2. Der Konflikt mit Russland

Neben der Coronapolitik beschäftigt die Deutschen auch die potenzielle Kriegsgefahr in Europa, eine Mehrheit hält die außenpolitische Bedrohungslage Deutschlands demnach für "sehr bedrohlich" oder "bedrohlich". Wie umgehen mit Russland? Das spaltet nicht nur die Bundesbürger, sondern auch die SPD um Kanzler Scholz.

"Die Mehrheit seiner Partei, der Koalition und der Deutschen wünscht sich eine weiche Politik gegenüber Russland. Das aber kann Scholz international nicht vertreten", so Politikwissenschaftler Jäger. "Und da Scholz nicht enden möchte wie Helmut Schmidt, der sicherheitspolitische Haltung zeigte, und nicht auftreten kann wie Gerhard Schröder, der die Nato auflösen möchte, bezahlt er das Lavieren mit Popularitätseinbußen."

Wie es die SPD mit Russland hält, kommt darauf an, wem man in der SPD zuhört. Um eine gemeinsame Position zu finden, kamen am Montag führende Sozialdemokraten auf Einladung des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil zusammen. Dennoch sieht Scholz die SPD an dieser Stelle "sehr einig", wie er am Mittwochabend im ZDF-"heute journal" sagte. Die Partei stehe "hinter der Politik, die der Kanzler verfolgt." Und die sei "sehr klar übrigens schon seit sehr langer Zeit und immer wieder sehr präzise beschrieben." Gemeint: Der "hohe Preis", den Russland im Falle eines Einmarsches in die Ukraine zahlen müsse – und den Scholz erneut nicht näher bezifferte.

Die Kritik an Deutschlands Ukraine-Engagement wächst, Verbündete zweifeln schon an der Verlässlichkeit Berlins. Moskau und Kiew erreichen derzeit Vermittlungsversuche von Staatschefs aus allen Himmelsrichtungen – nur anscheinend nicht aus Deutschland. "Natürlich habe ich auch mit dem russischen Präsidenten gesprochen", versicherte Scholz im ZDF-Interview und ließ Zeitpunkt und Inhalt des Gesprächs offen. Man bereite "natürlich sorgfältig all das vor, was jetzt notwendig ist."

Die Vermittlerrolle kommt derweil anderen Ländern zu, etwa Frankreich, Großbritannien und der Türkei. Mit einer Reihe von Auslandsreisen und mehreren Treffen in Berlin will Scholz in den nächsten zwei Wochen seine Bemühungen um eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise deutlich machen. Wie der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Freitag mitteilte, wird der Kanzler am 14. Februar Kiew besuchen, bevor er einen Tag später den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau trifft. Bereits an diesem Sonntag bricht Scholz nach Washington auf und wird dann am Montag von Präsident Joe Biden im Weißen Haus empfangen.

3. Die Energiepreise

Dabei könnte Scholz' größtes Problem im Kampf gegen die Umfragedelle ein anderes werden. "Wenn die Energiepreise und die Inflation so hoch bleiben wie derzeit, haben Scholz' Umfragewerte ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht", glaubt Politikwissenschaftler Jäger. "Dann kann die Koalition insgesamt in sehr schwere Fahrwasser kommen." Die Deutschen würden erwarten, dass die Regierung Probleme löse. "Was mit Problemen in geografischer und zeitlicher Ferne gelingen mag, scheitert, sobald es an die eigenen Geldbörsen geht."

Denn die Preise für Strom, Gas und Öl steigen und steigen – und treiben viele Menschen in die Verzweiflung. Wie teuer wird warm? Eine Frage, die nicht nur der stern in seiner aktuellen Titelgeschichte verhandelt, sondern auch viele Bürger beschäftigt. Die Politik sucht nach Auswegen, etwa durch die geplante Abschaffung der EEG-Umlage. Doch was eigentlich eine milliardenschwere Entlastung der Stromkunden werden soll, könnte jetzt immer mehr zur Notbremse werden.

Was bedeutet das alles für Scholz?

Umfrage-Einbruch: Drei Gründe, warum Scholz an Boden verliert (und Merkel Zuversicht stiften kann)

"Ob aus der deutlichen Einbuße an Zustimmung für den Bundeskanzler ein Trend wird, hängt von der Entwicklung der nächsten Wochen ab", meint Politikwissenschaftler Jäger. "Internationale Krisen, wirtschaftliche Probleme und soziale Proteste könnten zum Kennzeichen des nächsten Jahres werden – außer die Ereignisse sind freundlich zu Scholz." Vieles habe der Kanzler nicht in der Hand, er brauche bei einigen Entwicklungen auch Glück.

Auf Glück kann sich kein Politiker verlassen – ebenso wenig wie auf Umfragen. Als Merkel im September 2006 Gegenwind in den Umfragen zu spüren bekam, erklärte sie die schlechten Ergebnisse auch mit den "unglaublich schwierigen Dingen", die von der Bundesregierung angepackt worden seien. Zudem habe sie sich nach der Bundestagswahl "sowieso ein Stück meiner Gläubigkeit an Umfragen abgewöhnt".

Ihre Amtszeit sollte 5860 Tage, also mehr als 16 Jahre, andauern.

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