Rücktrittsbitte des Wirtschaftsministers Glos versetzt Regierung in Schockstarre

Rätselraten in Berlin: Nachdem CSU-Parteichef Horst Seehofer den Rücktritt von Wirtschaftsminister Michael Glos abgelehnt hat, herrscht im politischen Berlin Ratlosigkeit. Kanzlerin Angela Merkel hält sich bedeckt, dafür lästert die Opposition umso lauter. Und ein Ersatzkandidat hat sich auch schon selbst ins Spiel gebracht.

Wirtschaftsminister Michael Glos hat die Bundesregierung mit seinem zunächst gescheiterten Rücktrittsversuch in Schockstarre versetzt. Eine Reaktion von Bundeskanzlerin Angela Merkel stand am Sonntagmittag 20 Stunden nach dem politischen Paukenschlag noch aus. Auch Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier zeigte sich ratlos. Die CSU befinde sich "im Hindernislauf", sagte der SPD-Kanzlerkandidat laut ZDF in Wiesbaden. "Wie der ausgeht, weiß ich auch noch nicht."

Glos hatte seinen Rücktritt am Samstagnachmittag CSU-Chef Horst Seehofer völlig überraschend in einem Brief angeboten. Als Beweggründe gab der 64-Jährige sein Alter an und die fehlende Bereitschaft, sich für eine weitere Amtszeit nach der Bundestagswahl im September zu bewerben. Die bayerische Landtagswahl habe gezeigt, "dass Erneuerung, Gestaltungskraft und Glaubwürdigkeit mehr denn je gefragt sind", schrieb der Minister. Der Brief landete am Samstag nicht nur beim CSU-Chef, sondern etwa gleichzeitig auch bei der "Bild am Sonntag" und damit in der Öffentlichkeit.

Seehofer lehnte das Angebot ab. In einem Telefonat sprach er Glos sein Vertrauen aus. "Die in dem Brief dargestellten Beweggründe werde ich in einem persönlichen Gespräch mit ihm erörtern", erklärte der CSU-Chef anschließend.

Beispielloser Vorgang

Die Ablehnung eines Rücktrittsgesuchs gilt als außerordentlich ungewöhnlicher Vorgang. In der Bundespolitik hat es so etwas noch nicht gegeben. Formell ist nicht Seehofer, sondern Kanzlerin Merkel für die Besetzung von Kabinettsposten und die Entlassung von Ministern zuständig. "Die Bundesminister können jederzeit entlassen werden und ihre Entlassung jederzeit verlangen", heißt es im Bundesministergesetz. Die CSU hat aber die politische Entscheidungsgewalt über die Besetzung des Wirtschaftsressorts. In den Koalitionsverhandlungen waren ihr zwei Ministerposten zugestanden worden. Außer Glos gehört Verbraucherministerin Ilse Aigner der CSU an.

Eine Reaktion aus dem Kanzleramt zu den Vorgängen gab es bis Sonntagmittag auch auf Nachfrage nicht. Merkel nahm am Samstag an der Sicherheitskonferenz in München teil. Am Sonntag hatte sie keine öffentlichen Termine. Die "Bild am Sonntag" hatte zunächst berichtet, Merkel und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD) hätten sich am Samstag gegen einen Rücktritt von Glos ausgesprochen. Merkel habe darauf bestanden, dass der Minister im Amt bleibe, berichtet die Zeitung. Steinmeier habe Merkel am Abend informiert, dass auch er keinen Rücktritt wolle. Diese Informationen wurden bislang allerdings nicht bestätigt.

Ebenfalls nicht bestätigt ist ein Bericht der Deutschen Presse Agentur, wonach derzeit in der CSU-Spitze intensiv beraten werde, ob man dem Wunsch von Glos nach Ablösung mitten in der Wirtschaftskrise doch noch entsprechen könne. Angela Merkel sei in die Entscheidungsfindung eingebunden.

In CSU-Kreisen hieß es, Glos habe souverän über sein Ausscheiden aus dem Amt entscheiden wollen und einer Diskussion über seine Person auch in der eigenen Partei vor der Bundestagswahl zuvorkommen wollen. Zwar war der Wirtschaftsminister wegen seiner Amtsführung immer wieder in die Kritik geraten. Seit der Umbildung der bayerischen Staatsregierung und der CSU-Spitze im Oktober galt es allerdings als relativ sicher, dass er bis zur Bundestagswahl im September auf seinem Posten bleiben würde.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Diese Regierung gleicht einem Tollhaus"

Glos tauchte am Samstagabend trotz seines gescheiterten Rücktrittsversuchs auf dem Ball des Sports in Wiesbaden mit seiner Frau Ilse auf. Auf Fragen von Journalisten reagierte er nicht. Auch sein Sprecher Steffen Moritz wollte sich in Berlin nicht zu der Ablehnung des Rücktrittswunschs äußern.

Die Opposition reagierte empört auf die Vorgänge. "Diese Regierung gleicht einem Tollhaus", erklärte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. "Eine außer Kontrolle geratene bayerische Regionalpartei blockiert das ganze Land und die Kanzlerin schaut macht- und tatenlos zu."

Die Linke forderte Merkel auf, dem Rücktrittsgesuch von Glos zu entsprechen. "In Zeiten der schwersten Wirtschaftskrise einen Wirtschaftsminister im Amt zu halten, der keine Lust mehr hat, ist unverantwortlich", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Klaus Ernst. " Glos sei von Anfang an eine Fehlbesetzung gewesen. Wenn "zur Unfähigkeit nun auch noch Arbeitsverweigerung kommt", müsse die Kanzlerin handeln.

Auch beim Koalitionspartner SPD machte sich Unmut breit. SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier sagte, angesichts der Wirtschaftskrise müsse die Union "rasch für Klarheit und Ordnung sorgen. Wir brauchen in dieser Lage einen handlungsfähigen Wirtschaftsminister".

Unterstützung erhielt Glos unterdessen von CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. "Michael Glos genießt das uneingeschränkte Vertrauen sowohl der CSU-Landesgruppe als auch der Partei", sagte Ramsauer der "Main-Post" (Montagausgabe). "In schwierigsten Zeiten wechselt man nicht die Pferde", betonte Ramsauer. Glos sei "der richtige Wirtschaftsminister, um diese Krise zu meistern". Zugleich wies Ramsauer Kritik an der Amtsführung des Ministers zurück: "Gerade wegen seines glasklaren Kurses wurde er häufig angerempelt."

Unterdessen bringt sich Ramsauers Parteifreund, der Unternehmer und CSU-Schatzmeister Thomas Bauer, selbst ins Spiel um die Glos-Nachfolge. Der mit ihm gut befreundete CSU-Chef Seehofer habe ihn in der Vergangenheit mehrmals gefragt, ob er ein höheres politisches Amt in Land oder Bund übernehmen wolle, sagte Bauer. Nach anfänglichem Zögern habe er sich das grundsätzlich vorstellen können. Allgemein sei bei den Perspektiven auch über das Wirtschaftsministerium gesprochen worden. Allerdings schätze er selbst "die Wahrscheinlichkeit, dass ich das mache, als nicht sehr hoch ein".

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