Rücktrittsgesuch Michael Glos, der untote Minister

Er wollte das Amt des Wirtschaftsministers nie. Ausgerechnet jetzt, ein halbes Jahr vor den Wahlen, hat Michael Glos, CSU, ein Rücktrittsgesuch eingereicht - doch Parteichef Horst Seehofer lehnt es ab. Der Großen Koalition droht eine fatale Hängepartie.

Ob er ein Tänzchen wagt? Nur so zum Spaß, um der ganzen Welt zu zeigen, wie wurscht ihm das politische Chaos ist, das er angestiftet hat? Bundeswirtschaftsminister Michael Glos kreuzte am Samstagabend wie geplant beim Ball des Sports in Wiesbaden auf. In Smoking, weißem Hemd und Fliege, seine Frau Ilse trug Federboa und Perlenkette. Kommentare lehnte Glos ab. Stattdessen lächelte er sybillinisch in die Kameras.

Am Nachmittag war bekannt geworden, dass Glos seinem Parteichef Horst Seehofer ein Rücktrittsgesuch geschickt hatte. Es entspreche nicht seiner Lebensplanung, schrieb Glos, nach der Bundestagswahl weiter Minister zu bleiben. Für die CSU sei es wichtig, Glaubwürdigkeit und Gestaltungskraft zu signalisieren. " Zur Glaubwürdigkeit gehört auch, vor der Wahl genau zu wissen, welche Personen nach der Wahl für führende Ämter zur Verfügung stehe." Daher solle Seehofer ihn jetzt auswechseln. "Ich bitte Dich, mich von meinen Ministerpflichten zu entbinden." Punkt.

Unionsfraktion völlig überrascht

Dieser Brief, den die "Bild am Sonntag" in Auszügen publizierte, traf die Unionsfraktion im Bundestag nach stern.de-Informationen völlig unvorbereitet. Auch Horst Seehofer gab sich überrascht. "Ich muss erst mal mit ihm reden", sagte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz und fuhr in die Staatskanzlei. Zweieinhalb Stunden später erklärte ein CSU-Sprecher, Seehofer habe gesagt: "Michael Glos hat mein Vertrauen. Ich habe Michael Glos in einem Telefonat mitgeteilt, dass ich der Bitte nicht entspreche." Kanzlerin Angela Merkel, die Glos am Nachmittag persönlich über sein Gesuch informiert hatte, schweigt.

Und damit ist das Chaos perfekt. Ein amtsmüder Wirtschaftsminister, der am liebsten sofort seinen Stuhl räumen würde - und das in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Ein CSU-Chef, der das Gesuch ablehnt, und damit riskiert, dass der Minister die Imagewerte seiner Partei weiter in Grund und Boden regiert. Und eine Kanzlerin, die wieder einmal abwartet, wie sich die Dinge so entwickeln. Ein hochnotpeinliches Schauspiel.

Der "Problembär"

In Hintergrundgesprächen hatte Glos nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm das Amt des Wirtschaftsministers nicht liegt. Er musste es übernehmen, weil Edmund Stoiber 2005 überraschend nicht in Merkels Kabinett eintrat und nach Bayern flüchtete. Halbherzig machte Glos seinen Job, er lebte nur auf, wenn er ins Ausland reisen oder Witze erzählen konnte. In der Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs ging das noch durch, in der beginnenden Rezession nicht. Während Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) in Nachtsitzungen gigantische Notprogramme zusammenzimmerten, verschwand Glos in der politischen Tapete. FDP-Vize Rainer Brüderle nannte ihn den "Problembären" der Regierung, Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn spottete über die "Schlaftablette auf zwei Beinen".

Zu allem Unglück beschwerte sich Glos auch noch in einem Interview, dass ihn die Kanzlerin an den Rand gedrängt habe - und räumte damit ein, dass er ein Mann ist, der sich an den Rand drängen lässt. Horst Seehofer, der nach dem Wahldebakel der CSU Parteivorsitzender und bayerischer Ministerpräsident wurde, wollte das offenbar nicht länger tolerieren. In den vergangenen Monaten soll er Glos mehrfach dazu gedrängt haben, rabiater gegen Merkels wirtschaftspolitischen Kurs vorzugehen. Doch Glos hatte innerlich schon resigniert. Das habe allein seine Körpersprache verraten, sagt ein führendes CSU-Mitglied zu stern.de: "Schauen Sie ihn sich doch einfach an!".

Showdown mit Verkehrspolizist

Zum Showdown soll es diese Woche gekommen sein. Glos legte eine groteske Miniaffäre hin, als ein Streifenpolizist seinen Dienstwagen nicht passieren lassen wollte und es zu einer lautstarken Auseinandersetzung kam. Glos musste sich öffentlich entschuldigen ("Falls ich unwirsch reagiert haben sollte, bedaure ich dies"). Der Spott, dass ihn nicht einmal ein Polizisten erkenne, war ihm ohnehin gewiss. Gleichzeitig fahndete Seehofer offenbar bereits nach einem Nachfolger. Jedenfalls ventilierte Seehofers journalistischer Intimus, Jürgen Fischer vom "Donau Kurier", den Gedanken, der bayerische Unternehmer und CSU-Schatzmeister Thomas Bauer könnte den Job künftig machen. Glos soll darüber stinksauer gewesen sein. Nach stern.de-Informationen unterrichtete er Seehofer bereits Ende der Woche, dass er zurücktreten wolle. Seehofer habe eingewilligt, sich aber Zeit für eine Nachfolgeregelung ausbedungen. Glos' öffentliches Rücktrittsgesuch wäre demnach ein Versuch, Seehofer zum Handeln zu zwingen. Seehofers Weigerung, den Rücktritt anzunehmen, die Retourkutsche.

Damit droht der Bundesregierung - und insbesondere der Union - in der momentan alles entscheidenden Wirtschaftspolitik eine unerträgliche Hängepartie. Glos hat sich selbst ins Aus geschossen und dürfte als Minister auf Abruf nicht weiter ernst genommen werden. Thomas Bauer, so ist aus Bayern zu hören, könne nicht von jetzt auf gleich nach Berlin wechseln, da er in seiner Firma gebraucht werde. Georg Fahrenschon, der neue bayerische Finanzminister, ist ebenfalls unabkömmlich. Der Berliner Landesgruppenchef Peter Ramsauer wäre fachlich geeignet, aber er interessiert sich vornehmlich für Außenpolitik. Außerdem ist Ramsauer Oberbayer, was den Proporz der Stämme verletzten würde. Nicht nur die Franken, zu denen Glos zählt, haben jetzt schon das Gefühl, die Oberbayern wollten die gesamte CSU dominieren. Und eine Kabinettsumbildung, bei der CDU und CSU gleich mehrere Posten neu besetzen würden, ist unwahrscheinlich, weil sie ein halbes Jahr vor den Wahlen zu viel Unruhe sähen würde.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Austragshäuserl im Präsidium

Glos kann es egal sein. Er wurde Anfang Dezember mit 100 Prozent der Stimmen als Direktkandidat seines Wahlkreises Schweinfurth für die Bundestagswahl 2009 nominiert. Bei den vergangenen Bundestagswahlen holte er hier 54,1 Prozent der Erststimmen, an der Basis ist der gelernte Müllermeister beliebt. Was er bei einer Wiederwahl zu tun gedenkt, hat Glos die Öffentlichkeit auch schon wissen lassen: Er würde gerne ins Bundestagspräsidium einziehen, wo ihn ein paar schöne repräsentative Aufgaben im In- und Ausland erwarten. Ein politisches "Austragshäuserl", wie man in Bayern so sagt.

Um die Wirtschaftskrise - und die darbende Wirtschaftskompetenz der Union - müssen sich dann andere kümmern. Ein Parteifreund, der sich in Glos Lage nach der Polizistenaffäre und den Querelen mit Seehofer hineinzuversetzen suchte, sagte zu stern.de, Glos habe sich beim Abfassen des Rücktrittsgesuchs vermutlich nur eines gedacht: "Leck' mich am Arsch."

Mitarbeit: Gabriele Rettner-Halder, Georg Wedemeyer