Geständnisse eines Verräters: Rainer Rupp war der gefährlichste spion des Ostblocks - er gab Top Secrets der Nato an die DDR weiter. Im stern redet er erstmals seit der Haftentlassung über seinen schmutzigen Job
Herr Rupp, Sie waren der Topspion des Ostblocks, der zwölf Jahre lang für die DDR die Nato ausforschte. Hat man Ihnen deshalb den Namen eines Edelsteins gegeben - Topas?
Mag sein. Mein ursprünglicher Deckname hieß »Mosel«, wahrscheinlich, weil ich aus Rheinland-Pfalz stamme. Ich habe einen gehörigen Schrecken bekommen, als mir die Hauptverwaltung Aufklärung des Staatssicherheitsdienstes Ende 1979 den neuen Namen verpasste. Ich war damals schon drei Jahre bei der Nato in Brüssel, und mir fiel sofort der Hitchcock-Film »Topas« ein. Da arbeitete ein Agent Moskaus in der Nato an der gleichen Stelle wie ich, allerdings noch in Paris. Zuerst habe ich mich gefragt, ob die in Ost-Berlin noch ganz gescheit sind. Dann erkannte ich die positive Seite. Sollte ich jemals verdächtigt werden, als »Topas für Ostberlin zu arbeiten, könnte ich immer sagen, Ihr habt wohl zu viele Hitchcock-Filme gesehen.
Wann hatten Sie sich beim DDR-Geheimdienstverpflichtet?
1968 bin ich als Student in Mainz angeworben worden. Das war die Zeit der Studentenproteste u.a. gegen den Vietnamkrieg. Ich habe Volkswirtschaft studiert und wollte als überzeugter Marxist die Welt verbessern. Die DDR war für mich ein Land, in dem soziale Gerechtigkeit herrschte, allerdings bei niedrigem Konsum.
Was hat Sie als jungen Mann angetrieben, ausgerechnet für einen östlichen Geheimdienst zu arbeiten?
Ich wollte etwas verändern. Dass dafür ein paar Demos nicht ausreichten, war mir klar. Und für den langen Marsch durch die Institutionen war ich zu ungeduldig. Nach meiner Verpflichtung habe ich zunächst das Studium beendet und 1977 dann als Länderreferent in der Nato begonnen. Dieses Bündnis mit den USA an der Spitze war der Feind meines Weltbildes, meiner Vorstellungen von einer gerechteren Welt, für die ich mich einsetzen wollte.
Wie lautete Ihr Auftrag?
Als ich in der Nato anfing, hatte ich nur einen sehr kleinen Bereich zu bearbeiten, die Verteidigungsplanung. Mein Arbeitsbereich weitete sich jedoch immer weiter aus, ohne dass ich mich nach vorne gedrängt hätte. Der Grund dafür liegt vielleicht darin, dass ich nicht wie manche andere in meinem Job lediglich die Zeit abgesessen habe, sondern durch meine besondere Motivation alles möglichst genau verstehen wollte. So wuchs ich in eine Position hinein, in der ich u.a. beauftragte wurde für die NATO bei wichtigen Konferenzen teilzunehmen und Reden zu halten. Dies wieder lenkte die Aufmerksamkeit von Leuten in Washington auf mich, wo ich z.B. als einziger Europäer in einem Ausschuss saß, der eine Empfehlung an den amerikanischen Präsidenten über die die US-China-Politik in den neunziger Jahren vor dem Hintergrund der Entwicklung im strategischen Dreieck Moskau, Peking, Washington ausarbeitete Teil meiner regelmäßigen Reisen nach Washington waren stets auch Besuche sowohl im Pentagon und im State Departement als auch bei der CIA und der DIA, beim militärischen Geheimdienst.
Sie waren angekommen im Zentrum der westlichen Macht.
So könnte man das nennen. Je länger ich bei der NATO war, um so mehr Arbeit wurde mir zugeschoben. Es gab wenige neue Initiative, bei der ich nicht von der einen oder anderen Seite aufgefordert wurde, teilzunehmen. Die Bundesanwaltschaft sagte später im Prozess mal ironisch, ich sei »der ständige Vertreter des Warschauer Pakts bei der NATO« gewesen. Da ist was dran. Wie eine Botschaft bekam ich fast alle Papiere oder hatte zumindest Zugang zu ihnen.
Sie waren damit der gefährlichste Spion, den der Osten hatte.
Das sagen Sie. Ich hoffe und das ist verschiedentlich auch schon gesagt worden, dass ich zur Friedenserhaltung beigetragen habe. Selbst das Düsseldorfer Oberlandesgericht hält in seinem Urteil fest, dass es mir »darum ging, zum Abbau von Vorurteilen und Besorgnissen des Warschauer Paktes die Absichten der NATO transparent zu machen und damit zum Frieden beizutragen«.
Transparenz verlangt Aufklärung beider Parteien, Sie aber haben nur für eine Seite verraten.
Ich war natürlich kein Mittler oder Vermittler zwischen den Blöcken. Als solcher habe ich mich auch nie gefühlt. Ich hatte Einblick, wie viel wir in der Nato über den Osten, über die Sowjetunion kannten. Wir wussten sehr gut Bescheid. Dass Transparenz notwendig ist, das hat man dann insbesondere bei der so genannten »Nachrüstung« des Westens mit Mittelstreckenraketen aufgrund des Nato-Doppelbeschlusses gesehen. Da war es wichtig für die Sowjetunion, genau zu erkennen, dass sie mit ihrer anfänglichen Starrheit alles nur schlimmer machte und den USA in die Hände spielte. Die Situation war kritisch.

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Ihr Verrat war so umfassend, dass er im Falle eines Ost-West-Konflikts kriegsentscheidend für den Warschauer Pakt gewesen wäre.
Das wurde mir vorgeworfen. Allerdings kannten wir in der NATO die sowjetische Militärdoktrin. Der Osten hatte keinen Angriffsplan. Für die Sowjets stand aufgrund ihrer Erfahrung aus dem letzten Weltkrieg jedoch fest, dass bei einem Angriff der Nato der Kampf nicht auf dem Boden der Sowjetunion geführt werden darf. Im Falle eines NATO-Angriffs wollten die Sowjets daher den Krieg offensiv nach vorne tragen, um ihn auf dem Territorium des Westens auszufechten. Dies wurde von der NATO wiederum als sowjetische Angriffsabsicht dargestellt. Ein gefährliche Spirale, die ohne vertrauensbildende Maßnahmen nicht durchbrochen werden konnte.
Sie haben mindestens 132 Akten-Bände an die Hauptverwaltung Aufklärung der DDR geliefert, eine ganze Bibliothek. Glauben Sie, dass Sie dem Osten mit Ihren Informationen zu einer anderen Sicht der Dinge verholfen und einen Raketenkrieg verhindert haben?
Also, ein einziger Mensch verhindert keinen Krieg. Aber wenn ich dazu beigetragen konnte, gefährliche Entwicklungen zu stoppen, dann wäre ich froh darüber. Um dieser Frage nachzugehen, habe ich auch dem Filmprojekt zugestimmt.
Bei allem Bemühen um Transparenz, ein Spion waren Sie doch.
Ich bezeichne mich selbst als Aufklärer. Die hat es schon in der Bibel gegeben. Sie wurden losgeschickt in das Land Kanaan. Aber ich gebe zu, ein bisschen mehr als Johannes der Täufer habe ich schon gemacht.
Wegen schweren Landesverrats wurden Sie 1994 vom Düsseldorfer Oberlandesgericht zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Nach sieben Jahren Gefängnis kamen Sie vergangenes Jahr frei. Ein hartes Urteil?
Ich bin von der Bundesanwaltschaft und der Staatsabteilung des Bundeskriminalamtes hart, aber fair behandelt worden. Die haben ihre Pflicht getan und entsprechend der bestehenden Gesetze gehandelt. Es sind die Politiker, die beim Einigungsprozess versagt und sich der Gesamtverantwortung entzogen haben. Nur Wolfgang Schäuble hatte eine Gesetzesvorlage zur Straffreiheit vorgelegt, weil er die Unsinnigkeit erkannt hatte, die von beiden Seiten hinüber und herüber betriebene Spionage in Taten »guter« Westspione und »böser« Ostspione zu unterteilen. Das Gesetz ist von der SPD aus kurzsichtigen, wahlstrategischen Gründen boykottiert worden.
Was war Ihr spektakulärster Coup?
Die Sicherung der Nato-Studie MC 161 war unter nachrichtendienstlichen Gesichtspunkten sicherlich ein großer Erfolg. Das war eine als cosmic - top secret eingestufte Dokumentenserie, die man nur unter Aufsicht zum Lesen bekam. ?For eyes only? so zu sagen. MC 161 war das Kondensat von etwa 40 Ausschüssen, die im Jahresrhythmus tagten. Es enthielt komprimiert das gesamte Wissen der Nato über das Militär und die militärisch relevanten Fakten des Warschauer Paktes.
Der größte Verrat in der Geschichte der Nato. Wie haben Sie diese Akten herausbekommen?
Ich habe sie fotografiert.
Und wie haben Sie die Aufpasser ausgetrickst?
Das ist eine Frage, die wurde mir während der gesamten Untersuchung kein einziges Mal gestellt. Aber auch Ihnen sage ich nicht, wie ich das geschafft habe. Damit würde ich womöglich Menschen schaden, die heute noch leben.
Sie müssen sich sehr sicher gefühlt haben. Wie haben Sie während Ihrer Tätigkeit als Agent das Absicherungssystem der Nato und die Spionageabwehr des deutschen Verfassungsschutzes beurteilt?
Na ja, nicht besonders effizient. Viel Arbeit, aber wenig Kreativität. .
Haben Sie jemals das Gefühl gehabt, dass es eng wurde, dass die Sicherheitskräfte nah an Ihnen dran waren?
Nein. Sie waren es ja auch nicht. Nur am Ende, als die CIA die Rosenholzlisten entschlüsselt hatte.
Wie haben Sie den Tag erlebt, als die Mauer fiel?
Da war ich in Brüssel. Ich habe mir das im Fernsehen angesehen und gedacht, die Sache muss schon lange auf sehr tönernen Füßen gestanden haben. Es gab niemanden mehr, der die DDR verteidigte. 14 Tage vorher hatten zwei Leute vom Bundesnachrichtendienst bei mir zuhause am Küchentisch gesessen und behauptet: Die DDR existiert noch in hundert Jahren.
Hatten Sie Angst, dass Sie bald verpfiffen werden könnten?
Nein. Ich hatte noch Hoffnung. Die Leute vom Runden Tisch wollten ja nicht die DDR abschaffen. Die wollten nur einen Sozialismus, der offener und demokratischer sein sollte.
Wann haben Sie Ihre letzten Berichte geliefert?
Noch kurz vor Weihnachten 1989. Ich habe alle Informationen gesammelt, derer ich habhaft werden konnte, damit die neue Regierung der DDR ein klares Bild über die Haltung der Nato und der Bundesrepublik zur Wende bekam.
Obwohl der HVA-Oberst Heinz Busch dem BND bereits 1990 den Hinweis auf die Quelle Topas gab, dauerte es drei Jahre, bis Sie enttarnt wurden. 1993 nahm man sie in der Nähe von Trier fest, als Sie Ihre Mutter zum Geburtstag besuchten. Warum sind Sie nicht vorher getürmt?
Ich wollte meinen drei Kindern nicht das Leben auf der Flucht zumuten. Die Jahre vor der Festnahme waren eine bleierne Zeit. Aber ich war mental immer darauf vorbereitet gewesen, für das, was ich getan hatte, ins Gefängnis zu gehen.
Glauben Sie, dass die Nato heute besser abgesichert ist?
Das weiß ich nicht.
Gibt es einen Topas-Nachfolger in der Nato?
Auch das weiß ich nicht.. Allerdings ist es nach dem Untergang der Sowjetunion die ideologische Basis für die Anwerbung von Agenten verschwunden. Heute müssten die Staaten wieder nach den klassischen Prinzipien vorgehen und das ist viel schwerer.
1984 haben Sie dem Warschauer Pakt ein Papier geliefert, das heute wieder an Aktualität gewonnen hat: die Einschätzung der Lage der Sowjetunion nach fünf Jahren Afghanistan-Krieg. Was stand drin?
Die Studie kam zu dem Schluss: Die UdSSR kann den Krieg durchhalten, aber nicht gewinnen. Die Sowjets können in Afghanistan bleiben, aber es wäre ein ?bloodletting without end?, ein Aderlass ohne Ende.
Ihr Weltbild muss doch zusammengebrochen sein, als sich der russische Präsident Wladimir Putin mit US-Präsident George Bush im Schulterschluss gegen den Terrorismus zusammenfand?
Keinesfalls. Putins Realpolitik kann ich gut nachvollziehen. Eigentlich kann es ihm nur recht sein, wenn die Amerikaner wegen Afghanistan auf seine Hilfe angewiesen sind. Da bewegt sich dann auch etwas in einem Bereich, der für Russland viel, viel bedeutender ist: nämlich beim Erhalt des ABM-Vertrages und dem von den USA geplanten Raketenabwehrschildes im Weltraum. Wenn man da über die Anti-Terrorallianz auf eine einvernehmliche Grundlage kommt, dann hat Putin den russischen Interessen sehr gedient.
Denken Sie angesichts solcher neuer Allianzen nicht über Ihr eigenes Leben nach. Wozu Sie das alles gemacht haben?
Leider hat sich herausgestellt, dass das, wofür ich gekämpft habe, nur eine weitere Etappe in der langen Reihe von historischen Versuchen war, eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen. Es wurden viele Fehler gemacht. Aber das erzeugt keine Bitterkeit in mir. Leider leben wir jetzt wieder in einer Welt, in der auch bei uns der Krieg als Instrument zur Fortführung der Politik mit anderen Mitteln wieder enttabuisiert wird. Dagegen kämpfe ich immer noch, heute hauptsächlich mit Artikeln und Hintergrundanalysen.
Wovon leben Sie?
Im Moment bin ich arbeitslos. Aber bereits im nächsten Monat werde ich mich selbstständig machen und u.a. als Berater für internationale Angelegenheiten für ein Sicherheitsunternehmens in Solingen arbeiten.
Keine Arbeit mehr für einen erfahrenen Agenten?
Für die Verhinderung von Kriegen findet sich heute kein Auftraggeber mehr.
Sie sind in der PDS Mitglied des Parteirates.
Die PDS ist im Bundestag die einzige Partei, die eine klare und deutliche Politik gegen jede Art von Angriffsplänen vertritt. Da ich Krieg als das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit sehe, war für mich klar, dass ich mich in dieser Partei engagiere.
Aber Gregor Gysi ist offenbar nicht der Mann, für den Sie stehen. In einem Kommentar attackierten Sie ihn öffentlich als ?Feldherr Gysi?, weil er sich für begrenzte Militärschläge und Kommandounternehmen in Afghanistan ausgesprochen hat.
Ich habe großen Respekt vor Gregor Gysi. Er hat mich im Gefängnis besucht und sich für mich eingesetzt. Das habe ich nicht vergessen. Wenn aber die PDS nicht in die gleiche Falle wie die Grünen fallen will, muss sie vorsichtig sein. Sie darf nicht mit der Hoffnung auf Koalitionen und Machtbeteiligung Grundsätze ihrer Friedenspolitik aufgeben.
Sie engagieren sich nicht nur politisch. Sie helfen auch einem humanitären Verein. Wollen Sie damit etwas gut machen?
Hier schließt sich für mich ein Kreis. Der amerikanische Völkermord in Vietnam hat mich schon als Student auf die Straße getrieben. Heute engagiere ich mich für den Verein Medizinische Hilfe für Vietnam*. Dieser Verein kümmert sich , hauptsächlich um Kinder, die nach wie vor unter den Folgen des amerikanischen Krieges gegen Vietnam leiden. Jeden Monat gibt es etwa 60 neue Opfer der in Reisfeldern liegenden Minen und Munition. Durch das Agent-Orange-Gift, dem auch Teile der vietnamesischen Bevölkerung ausgesetzt waren, hat sich das Erbgut verändert und selbst in der dritten Generation werden immer noch total verkrüppelte Kinder zur Welt gebracht.
Treffen Sie sich noch mit Ihren ehemaligen Spionage-Freunden aus der DDR.
Aber ja. Das waren nicht nur professionelle Kontakte, sondern daraus sind auch tiefe persönliche Freundschaften geworden.
* Medizinische Hilfe für Viet-Nam e.V. Berlin.
Spenden:
Sparkasse der Stadt Berlin BLZ 10050000 Konto: 1010003727
Kennwort:
»Agent Orange«
Interview: Gerd Elendt/ Klaus Wirtgen