Der iranische Drohnen-Angriff auf Israel konnte auch Dank internationaler Unterstützung abgewehrt werden. Ist Israel doch nicht so isoliert, wie es zuletzt den Anschein hatte?
Die gute Nachricht ist: Bei aller Kritik an der Politik der Netanjahu-Regierung und Israels Kriegsführung in Gaza steht die Solidarität des Westens, wenn es darauf ankommt. Deutschland hat Israels Sicherheit zur Staatsräson erklärt, aber gehandelt haben die USA, Frankreich, Großbritannien. Gehandelt haben aber auch Saudi-Arabien und Jordanien. Dass diese arabischen Staaten die Bedrohung durch den Iran höher bewerten als die Differenzen, die sie zu Israel haben, ist ein enorm wichtiges politisches Statement.
Wie neu ist das?
Bereits in den vergangenen Jahren haben einige Staaten der Region ihre Beziehungen zu Israel neu justiert. Mit den Golf-Staaten und den Ländern der Maghreb-Region sind neue Bündniskonstellation entstanden. Es war immer klar, dass Saudi-Arabien hinter den Kulissen an dieser Annäherung beteiligt war. Jetzt ist es offiziell geworden.
Hat sich der Iran mit seinem Angriff selbst einen Bärendienst erwiesen?
In doppelter Hinsicht. Zum einen hat sich gezeigt, dass Israel in der Lage ist, Drohnen- und Raketenangriffe dieser Dimension abzuwehren. Zum anderen hat der Iran das Coming-out Saudi-Arabiens provoziert. Dass die Saudis sich demonstrativ an die Seite Israels und gegen den Iran stellen, zeigt sehr deutlich: Der Konflikt mit dem Iran ist der neue definierende Konflikt in der gesamten Nahost-Region.

Zur Person: Ralf Fücks
Politiker, Publizist, Vordenker – Ralf Rücks war und ist vieles. Senator, später Bürgermeister in Bremen. Von 2007 bis 2017 war er der Vorsitzender der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Gemeinsam mit seiner Frau, der ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Marie-Luise Beck, hat Füchs danach die Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne gegründet, die er bis heute leitet.
Bisher scheint Israel auf eine militärische Reaktion zu verzichten. Bleibt die befürchtete Eskalation jetzt trotzdem aus?
Das ist noch nicht entschieden. Es hängt sehr davon ab, wie der Westen auf den iranischen Angriff reagiert. Gibt es ernsthafte neue ökonomische Sanktionen? Gibt es diplomatische Initiativen zur Isolierung des Iran? Gibt es Beistandsverpflichtungen im Fall eines erneuten Angriffs? Von der Antwort auf diese Fragen hängt ab, ob Israel nicht doch noch militärisch antwortet.
Wie könnte eine solche Antwort aussehen?
Es könnte ein Angriff auf die iranische Drohnen-Produktion oder ein Schlag gegen Raketenbasen sein. Israel steckt in einem Dilemma. Der Iran steht kurz vor dem Besitz der Atombombe. Damit würde er unangreifbar. Teheran könnte dann über seine Stellvertreter – von der Hizbollah über den Islamischen Dschihad bis zum Regime in Syrien – Israel angreifen, wäre aber selbst vor Vergeltung weitgehend geschützt. Wenn man nicht will, dass Israel diese Gefahr militärisch abwendet, braucht es Sicherheitsgarantien.
Staatsräson heißt im Zweifel auch militärisch einzugreifen?
Warum stellt die Nato Israel nicht eine Mitgliedschaft im Zuge einer politischen Lösung des Nahost-Konflikts in Aussicht?
Weil in der israelischen Politik im Moment niemand eine Zwei-Staaten-Lösung anstrebt?
Die Aussicht auf einen Nato-Beitritt Israels wäre ein Anreiz, eine politische Lösung des Konflikts voranzutreiben. Sie würde auch die moderaten arabischen Staaten einschließen.
Wenn wir auf die aktuelle Lage schauen: 99 Prozent aller Drohnen und Raketen, so die Aussage der israelischen Luftwaffe, konnten abgewehrt werden. Was schließen Sie daraus?
Der Iran verfügt über ein sehr viel größeres Potenzial. Im Fall eines finalen Showdowns wäre selbst die israelische Luftabwehr überfordert. Die positive Nachricht ist dennoch, wie wirksam eine moderne Flugabwehr im Zusammenspiel mit der Luftwaffe von Partnern sein kann. Für mich war es gleichzeitig eine Erinnerung an die Situation in der Ukraine.
Inwiefern?
Die Ukraine ist fast täglich russischen Raketen- und Drohnenangriffen ausgesetzt – und ein Großteil dieser Drohnen stammt aus iranischer Produktion oder hat ein iranisches Patent. Weshalb zögern wir, auch der Ukraine die Möglichkeit zu geben, sich besser zur Wehr zu setzen? Warum verteidigen wir die Ukraine nicht genauso entschieden wie Israel? Wir haben es mit Kriegen im Nahen Osten und in Europa zu tun, die offenkundig miteinander verbunden sind: In beiden spielt die Achse Moskau-Teheran eine zentrale Rolle.
Tatsächlich fordert der ukrainische Präsident Selenskij erneut mehr Luftunterstützung. Die ganze Welt habe in Israel gesehen, was möglich sei.
Close the sky – das war schon zu Beginn des Krieges eine zentrale Forderung der Ukraine. Das haben die USA und ihre europäischen Partner immer abgelehnt, weil sie die Gefahr einer direkten Kriegsbeteiligung befürchtet haben. Völkerrechtlich ist das aber nicht der Fall. Die Beteiligung an der Abwehr iranischer Drohnen hat die USA, Frankreich oder Großbritannien gegenüber dem Iran nicht zur Kriegspartei gemacht. Das war Beihilfe zur Selbstverteidigung Israels. Genauso wäre es in der Ukraine.
Politisch bliebe es weiterhin riskant.
Wenn man das politische Risiko für zu hoch hält, dann muss man die Ukraine zumindest mit der nötigen Luftabwehr ausstatten, damit sie sich selbst schützen kann. Man kann nicht von der Ukraine verlangen, dass sie keine Ziele in Russland angreift, gleichzeitig aber hinnimmt, dass jeden Tag Dutzende Raketen, Cruise-Missiles und Drohnen ukrainische Städte angreifen.
Aber gilt, was Sie für den Iran gesagt haben, nicht erst recht für Russland: Als Atommacht ist man unangreifbar? Schränkt das nicht die Mittel und Optionen ein?
Es geht nicht darum, dass die Nato Ziele in Russland angreift. Es geht darum, der Ukraine zu helfen, russische Angriffe abzuwehren. Das umfasst auch Lenkwaffen, mit denen die Ukraine Flughäfen und Basen angreifen kann, von denen aus sie selbst attackiert wird. Mit der Beschränkung auf bloße Abwehr kann man keinen Krieg gewinnen.
Und wie sollte sich Europa, der Westen gegenüber dem Iran verhalten?
Das erste wäre, dass man endlich die Fäden miteinander verknüpft, also den Konflikt rund um Israel, den Krieg im Jemen und in Syrien, und den Krieg in der Ukraine. Diese Schauplätze sind alle miteinander verwoben. Es sind keine isolierten Konflikte. Überall ist es der Iran, der seine Alliierten bis an die Zähne bewaffnet, ausbildet und berät. Wir müssen aufhören, den Iran als schwierigen Partner zu betrachten. Wir müssen ihn als strategischen Gegner behandeln.
Was heißt das konkret?
Ein striktes wirtschaftliches Embargo, harte Sanktionen gegen die Revolutionsgarden, eine strategische Allianz der Demokratien. Wir brauchen endlich eine kohärente politische, ökonomische und militärische Strategie gegenüber Teheran. Der Gipfel der Hilflosigkeit war der Appell unseres Bundeskanzlers, die "Konfliktparteien" sollten doch bitte den Pfad der Deeskalation einschlagen. Das wird im Fall des Iran so viel helfen wie zuvor bei Putin: nichts.