"Russische Ethnie" bedroht Putin und Medwedew erzählen den Russen neues Horrormärchen – und Alice Schwarzer plappert ihnen nach

Wladimir Putin und Dmitri Medwedew zeichnen für Russland eine düstere Zukunft 
Wladimir Putin und Dmitri Medwedew zeichnen für Russland eine düstere Zukunft – sollte der Krieg in der Ukraine für den Kreml verloren gehen 
© Mikhail Metzel/TASS PUBLICATION / Imago Images
Drei Tage sollte der Krieg in der Ukraine dauern. Doch auch nach einem Jahr ist für Russland kein Sieg in Sicht. Je länger der Krieg dauert, desto schwieriger wird es für den Kreml ihn zu erklären. Ein Untergangsszenario soll die Russen nun von seiner Notwendigkeit überzeugen. Die Parolen verfangen sogar in Berlin.  

Als Wladimir Putin den Angriff auf die Ukraine befahl, war man sich im Kreml sicher: Die Ukraine wäre in wenigen Tagen besiegt. Die drei Tage, die von der Kreml-Propaganda für den russischen Sieg veranschlagt wurden, sind inzwischen sprichwörtlich geworden. Doch aus den hochfliegenden Plänen wurde nichts. Inzwischen geht der Krieg in sein zweites Jahr. Und während die Propagandisten vom Schlage eines Wladimir Solowjows den Russen zu erklären versuchen, warum es dennoch richtig war, ihn vom Zaun zu brechen, spart sich der russische Oberbefehlshaber jegliche Erklärung. Stattdessen beschwört Putin ein Horrorszenario herauf, das seinen Untertanen die vermeintliche Notwendigkeit des Blutvergießens aufzeigen soll.

Der Westen habe nur ein Ziel, behauptete Putin in einem Interview mit dem Staatssender Rossija 1. Und das sei die Zerteilung der ehemaligen Sowjetstaaten, allen voran Russlands. "Vielleicht werden sie uns in die Reihe der sogenannten zivilisierten Völker aufnehmen. Aber jeden Teil gesondert. Wozu? Damit sie diese Teile herumschubsen und unter ihre Kontrolle bringen können", meinte der Kreml-Chef und malte aus, was Russland in solche einem Fall drohen würde. "Wenn wir diesem Weg folgen, wird das Schicksal sehr vieler Völker Russlands, insbesondere des russischen Volkes, sich radikal verändern. Ich weiß gar nicht, ob dann die russische Ethnie, wie sie heute existiert, bewahrt werden kann. Dann wird es die Moskauer, die Uralen und so weiter geben." 

Erstaunliche Worte für einen Präsidenten, der in den vergangenen Jahren nicht müde wurde, zu betonen, dass Russland ein Vielvölkerstaat sei, der allen ein Zuhause bietet. Insgesamt leben im Riesenreich mehr als 160 Völkergruppen. Viele Minderheiten wie die Tschuwaschen oder Baschkiren wurden über Jahrhunderte hinweg diskriminiert und benachteiligt. Und nun sorgt sich also Putin um den Bestand der "russischen Ethnie". 

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Untergangsszenario für Russland

Den Zusammenhalt Russlands sieht der Kreml-Chef nicht durch solche Aussagen gefährdet, sondern durch die angeblichen Machtgelüste des ominösen kollektiven Westens. In den vergangenen Wochen hat die Kreml-Propaganda die Zerschlagung der Russischen Föderation zu einem neuen Schreckensszenario erhoben. Der Krieg in der Ukraine dürfe nicht verloren werden. Anderenfalls drohe der Föderation die Zerschlagung, so die vorgegebene Devise des Staatsfernsehens. Chaos, Willkür, Niedergang – der Zerfall Russlands in seine einzelnen Republiken wird zu einem Untergangsszenario verklärt.

Am Montag sprang Dmitri Medwedew seinem alten Herrn bei und half, diese Angst zu schüren. In einem Artikel für die kremltreue Zeitung "Izwestija" ließ sich der auf das Abstellgleis geratene ehemalige Präsident darüber aus, warum der Krieg in der Ukraine unvermeidlich gewesen sein soll. Medwedew sieht vor allem im Zusammenbruch der Sowjetunion den Kern des Bösen: "Schließlich ist das, was wir jetzt sehen, mehr als einmal passiert – in dem Moment, als ein weiteres Weltreich an sein Ende kam", führt der völlig befugnisfreie stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats aus. 

"Jedes zusammengebrochene Imperium begräbt die halbe Welt unter seinen Trümmern, wenn nicht mehr", schreibt Medwedew. "Es scheint, dass diejenigen, die zuerst die die Sowjetunion ruiniert haben und jetzt versuchen, die Russische Föderation zu zerstören, dies nicht verstehen wollen." Es sei eine wahnhafte Illusion, zu glauben, dass Russland wie einst die Sowjetunion ohne einen einzigen Schuss ins Jenseits geschickt werden könne.

"Wir brauchen keine Welt ohne Russland"

"Das ist ein sehr gefährlicher Irrtum. (...) Wenn die Frage nach der Existenz Russlands ernsthaft aufgeworfen wird, wird sie nicht an der ukrainischen Front entschieden werden. Sondern zusammen mit der Frage nach dem Fortbestand der gesamten menschlichen Zivilisation. Und hier sollte es keine Zweideutigkeit geben. Wir brauchen keine Welt ohne Russland", postuliert Medwedew. 

"Natürlich könnte man weiterhin Waffen in das neofaschistische Kiewer Regime pumpen und jede Gelegenheit blockieren, die Verhandlungen wiederzubeleben", schreibt Medwedew, während Kreml-Sprecher Dmitri Peskow zur gleichen Zeil erklärt: "Im Moment sehen wir nicht die Voraussetzungen dafür, dass die Sache einen friedlichen Weg einschlagen könnte".

Für Medwedew sind es dennoch die "Feinde" Russlands, deren "Ziele offensichtlich zu einem totalen Fiasko führen. Zur Niederlage aller. Zum Zusammenbruch. Zur Apokalypse. Sodass das frühere Leben für Jahrhunderte vergessen werden muss, bis die rauchigen Ruinen keine Strahlung mehr abgeben."

Was der Unterschied zwischen dem heutigen Russland und der Sowjetunion ist, erklärt Medwedew freilich nicht. Genau so wenig, ob Russland ein "Imperium" ist und warum es nicht zerfallen kann, wenn doch alle Imperien zerfallen sind. Doch mit solchen Feinheiten hält sich im Machtapparat Putins längst niemand mehr auf. Was wichtig ist, ist die Botschaft, die sich in den Köpfen festsetzen soll. Und die ist eindeutig: Eine Niederlage Russlands wird für alle die Apokalypse bedeuten.

Kreml-Parolen in Berlin 

Auch wenn der wichtigste Adressat Putins und Medwedews das heimische Publikum ist: Ihre Botschaften verfangen auch im Ausland, wie am vergangenen Wochenende Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht auf einer Demo in Berlin demonstrierten. "Ist das Ziel der Rückzug der Russen aus den seit dem 24. Februar 2022 besetzten Gebieten?", stellte Schwarzer eine rhetorische Frage. "Das wäre legitim und durchaus in Verhandlungen von beiden Seiten und mit Kompromissen zu erreichen. Oder ist das Ziel nicht nur die Schwächung, sondern die Vernichtung von Russland? Das wäre weder legitim noch realistisch", erklärte sie. Dabei hat außer Putin und seinen Getreuen niemand jemals von der Vernichtung Russlands gesprochen.

"Man kann die große Atommacht nicht besiegen", setzte Schwarzer noch einen drauf und zitierte somit fast wörtlich Medwedew. Alles nur ein Zufall? "Ich glaube nicht!", würde da Putins Propagandist Dmtri Kisseljow sagen.