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Die Geschichte des Iran, Teil 4 Der Gottesstaat

Der verhasste Schah flieht 1979 ins Exil, unter dem Jubel der Massen kehrt Ayatollah Chomeini zurück. Von nun an regieren die Mullahs. Ein Jahr später überfallen Saddam Husseins Truppen den Iran. Nach Chomeinis Tod beginnt das Regime zögernd, den Menschen mehr Freiheiten zuzugestehen. Doch dann kommt Mahmud Ahmadinedschad an die Macht.
Von Steffen Gassel

Zweimal streicht die Boeing 747 der Air France am frühen Morgen des 1. Februar 1979 im Sichtflug über den Teheraner Airport hinweg. In der Kabine herrscht bange Stille. Keiner der Passagiere weiß, ob die Maschine landen darf. Aus Sorge, das Rollfeld könnte mit Barrieren gesperrt oder von Panzern blockiert sein, hat der Pilot vor dem Start in Paris extra viel Kerosin tanken lassen. Er ist bereit, die Landung jederzeit abzubrechen und umzukehren.

Nur einer an Bord scheint unbekümmert: In seinem Sessel auf dem Oberdeck hat Ayatollah Ruhollah Chomeini ein Nickerchen gehalten, gebetet, ist dann wieder in die Sandalen geschlüpft, hat den schwarzen Turban aufgesetzt und sich anschließend zum Frühstück ein Omelett servieren lassen. Als einer der mitgereisten Journalisten den 76-Jährigen kurz vor dem Landeanflug fragt, was er in diesem Moment empfinde, antwortet der weißbärtige Alte nur: "Hitschi - gar nichts." Als sei seine Rückkehr in den Iran nach 14 Jahren Exil eine Selbstverständlichkeit. Oder göttliche Fügung.

So jedenfalls empfinden sie Millionen seiner Landsleute. Als der Jumbo mit Chomeini im dritten Anlauf auf dem Rollfeld aufsetzt, gerät Teheran in kollektive Verzückung. "Der Heilige ist gekommen", rufen die Leute. "Er ist das Licht unseres Lebens." Zu Hunderttausenden säumen Iraner aus allen Teilen des Landes die Straßen. Das Gedränge ist so dicht, dass Chomeinis Wagen nur im Schritttempo vorwärtskommt und zum Schluss ganz in der Menschenmenge stecken bleibt. Ein Hubschrauber muss ihn schließlich befreien und die letzten Kilometer zum Gräberfeld Behescht-e Sahra fliegen. Dort hält er eine Totenmesse für die Märtyrer, die im Kampf gegen den verhassten Schah ihr Leben verloren haben. "Wo sind die Menschenrechte, wenn wir eine neue Regierung wählen wollen und dafür einen Friedhof voller Toter ernten?", fragt Chomeini. Ein Knabenchor singt: "Möge jeder Tropfen ihres Blutes sich in eine Tulpe verwandeln und für immer blühen." Die Massen rufen: "Chomeini, oh Imam."

Rebellischer Prediger

Wer ist dieser Alte, den sie wie einen Messias willkommen heißen an diesem kühlen iranischen Wintertag vor 30 Jahren?

Es ist ein Mann, der sich sein Leben lang als Werkzeug Gottes betrachtet hat. Als Kämpfer für die Rechte der Unterdrückten und gegen die Arroganz der Macht. Der Vater wurde wenige Monate nach seiner Geburt im September 1902 von einem Großgrundbesitzer erschlagen, der junge Ruhollah wächst bei der Mutter auf. Er besucht die Koranschule in seinem Heimatort Chomein, 160 Kilometer südwestlich von Qom, dem Zentrum schiitischer Gelehrsamkeit. Hierher wechselt er später ans Seminar eines einflussreichen Klerikers und studiert neben den heiligen Schriften des Islam auch die Texte der griechisch-römischen Antike. Platos Lehre vom Philosophen-Herrscher wird sein Denken entscheidend prägen.

Bald argumentiert der junge Prediger entgegen schiitischer Tradition, die Mullahs müssten sich stärker in die Politik einmischen, und erwirbt sich so den Ruf eines Rebellen. Als 1944 der junge Schah das Seminar besucht, weigert Chomeini sich als Einziger, zur Begrüßung aufzustehen. Von nun an wird er nicht müde, gegen den Herrscher in Teheran zu wettern. Sein Charisma reißt viele Zuhörer mit. Vor 100.000 Menschen sagt er 1963 in Qom, man müsse "nur mit dem Finger schnippen", um den Schah hinwegzufegen. Der stellt den aufsässigen Kleriker - inzwischen ist er in den Rang eines Ayatollah aufgestiegen - unter Hausarrest, steckt ihn mehrfach ins Gefängnis und zwingt ihn schließlich 1964 ins irakische Exil. Dort, in der Pilgerstadt Nadschaf, entwickelt Chomeini in einer Vorlesungsreihe seine Theorie vom "Welajat-e Faqih", der "Herrschaft des Rechtsgelehrten" - die von Plato inspirierte Blaupause der islamischen Revolution.

Kampf um die Staatskontrolle

Die jedoch ist mit der gefeierten Rückkehr des Imam noch lange nicht gewonnen. Zwar stimmt eine überwältigende Mehrheit der Iraner bei einer Volksabstimmung Ende März 1979 auf die Frage "Wollt ihr eine Islamische Republik?" mit Ja. Doch um die Macht im Land zwischen Kaspischem Meer und Persischem Golf ist unter den Revolutionären ein erbitterter Kampf entbrannt.

Da erschießen Unbekannte namhafte Kleriker auf offener Straße. Da werden ehemalige Schah-Getreue von religiösen Standgerichten im Schnellverfahren zum Tod verurteilt und auf Hausdächern per Genickschuss hingerichtet. Da konkurriert eine neue zivile Regierung liberaler Nationalisten mit einem von Mullahs dominierten Revolutionsrat um die Kontrolle über den Staat. Beide wiederum bekämpft eine Guerilla radikaler Studenten, die sich schwer bewaffnet auf dem Universitätscampus verschanzt und niemandes Autorität anerkennen will. Und draußen in der Provinz begehren die Kurden und andere Minderheiten Unabhängigkeit.

Über allem thront Chomeini, an der Spitze der von ihm selbst entworfenen Hierarchie des Gottesstaats, im Amt des geistlichen Führers. Dieser Posten ist es, der die neue Islamische Republik im Göttlichen verankert. Denn sie bezieht ihre Legitimation nicht etwa aus den Wahlen, zu denen das Volk in regelmäßigen Abständen aufgerufen wird. Im Gegenteil: Die demokratischen Entscheidungen des Volks wären nichtig und wertlos ohne die Aufsicht und Anleitung des geistlichen Führers. Er ist der Statthalter des Imam, des "Messias", der nach schiitischem Glauben am Jüngsten Tag aus der Verborgenheit wiederkehren und eine Herrschaft absoluter Gerechtigkeit einläuten wird.

Punktesieg für die Kleriker

Die Rolle dieses Statthalters in der weltlichen Ordnung hat sich der charismatische Ayatollah auf den Leib geschrieben. Dieser schon recht gebrechliche alte Mann, der es selten schafft, mehr als fünf Stunden am Tag zu arbeiten - und vor dem der einst so mächtige Schah Reißaus genommen hat. Den sie alle irgendwie verehren, auf dessen Wort alle irgendwie hören - noch. Denn im Chaos der ersten Monate nach dem Umsturz droht selbst er den Halt zu verlieren. Der Anführer der Bewegung wird zum Getriebenen der Ereignisse.

Da besetzen im Morgengrauen des 4. November 1979 ein paar Tausend Studenten die Botschaft der USA im Zentrum Teherans und nehmen 66 Diplomaten in Geiselhaft. Ihr Ziel: eine Auslieferung des krebskranken Schahs, der sich seit knapp zwei Wochen in einem US-Krankenhaus behandeln lässt. Keiner der Geiselnehmer hat Chomeini um Erlaubnis gefragt. Der erfährt von der Aktion der Studenten in seiner Residenz in Qom - und erkennt eine goldene Gelegenheit. Während die zivile Regierung in Teheran die US-Regierung noch beschwichtigt und eine baldige Freilassung der Amerikaner in Aussicht stellt, schickt der Imam seinen Sohn zu den Studenten - um ihnen zu gratulieren. Der liberale Ministerpräsident reicht daraufhin seinen Rücktritt ein. Genau das hatte Chomeini bezweckt: einen Punktsieg für die Kleriker im Kampf um die Macht.

So funktioniert er das Geiseldrama von Anfang an um zum Instrument im internen Machtkampf gegen die Konkurrenz der Kleriker, gegen die Liberalen und die Linken, gegen Kommunisten und Militärs. Das Drama um die US-Botschaft wird genau so lange dauern, wie es ihm nützlich ist: 444 Tage. In dieser Zeit wird der junge Gottesstaat in einer ersten großen Repressionswelle auf Linie gebracht: Die Universitäten werden geschlossen und Frauen einem strengen islamischen Dresscode unterworfen, in Schulen, Ministerien und der Armee finden Säuberungen statt, denen Tausende missliebige Beamten und Offiziere zum Opfer fallen. Wer aufmuckt, wird als Schwächling in Zeiten der Konfrontation mit dem "großen Satan" USA gebrandmarkt.

Desaströs gescheitert

Die rituelle Verdammung mit der Formel "Marg bar Amrika - Tod für Amerika" wird von nun an zu einer tragenden Säule des Systems (so wie es die öffentlichen Flüche gegen die Osmanen zur Zeit der Safawiden waren). Die US-Regierung von Jimmy Carter gerät immer stärker unter Druck, etwas zu unternehmen, um die Geiseln nach Hause zu holen.

Acht RH-53D-Hubschrauber heben am 24. April 1980 nach Sonnenuntergang vom US-Flugzeugträger "Nimitz" im Golf von Oman ab. Ihr Ziel ist die Salzwüste südöstlich von Teheran. Dort haben Stunden zuvor Transportmaschinen ein paar Dutzend US-Elitesoldaten abgesetzt. Zusammen mit den Helikopterverbänden sollen sie die Geiseln in Teheran befreien und ausfliegen. Doch der tollkühne Plan endet im Desaster.

Sandstürme zwingen eine der Maschinen zur Umkehr, eine andere zur Notlandung, eine dritte fällt mit Hydraulikproblemen aus. Als die US-Regierung die Aktion abbricht, kollidieren beim Start zum Rückflug ein Hubschrauber und eines der Transportflugzeuge und gehen in Flammen auf. Acht Soldaten sterben, zwölf werden verletzt. Am nächsten Tag gehen die Fotos der Wracks in der Wüste um die Welt, und ein Mullah pult vor laufenden Kameras mit einem Küchenmesser in den verkohlten Leichen der Soldaten herum.

"Blitzkrieg" mit ungeahnten Ausmaßen

Die Bilder dieser Demütigung brennen sich ein ins kollektive Gedächtnis der Supermacht. Und der revolutionäre Eifer der Chomeini- Anhänger ist neu befeuert. Monate später schließen die USA und die Islamische Republik durch algerische Vermittlung einen Vertrag, in dem sich die Amerikaner im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln dazu verpflichten, eingefrorene iranische Guthaben in Höhe von zehn Milliarden Dollar freizugeben und sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten des Iran einzumischen.

Doch schon wenige Jahre später geraten der Gottesstaat und die Supermacht an den Rand eines Kriegs. Unterstützt durch Waffenlieferungen des Westens, überfällt der irakische Diktator Saddam Hussein im September 1980 den Iran. Er will die ölreiche iranische Provinz Chusestan erobern und setzt auf einen schnellen Sieg. Doch was als Blitzkrieg gegen einen schwachen Gegner gedacht war, wird zu einem achtjährigen Konflikt mit Beteiligung einer Supermacht.

Weil die Gegner Iran und Irak 1984 Öltanker im Persischen Golf beschießen, nehmen die USA die Flotten arabischer Anrainer wie Kuwait unter ihre Flagge und schicken eigene Kriegsschiffe in den Golf. Sie wollen die Versorgung der Weltmärkte mit dem wichtigen Rohstoff sicherstellen - und werden so nach und nach in die Kämpfe hineingezogen.

Chomeinis Traum platzt

Am 3. Juli 1988 passiert dem Kommandeur des Kreuzers "USS Vincennes" schließlich ein tragischer Fehler: Während er Schnellboote der iranischen Revolutionsgarden verfolgt, taucht auf dem Radar ein Flugzeug auf. Der Kommandeur vermutet einen Angriff, lässt eine Rakete abfeuern - und trifft einen zivilen Airbus der Iran Air auf dem Weg von Bandar Abbas nach Dubai. Alle 290 Passagiere kommen ums Leben.

Chomeini vermutet, dass die USA nun an der Seite des Irak in den Krieg eintreten wollen, und erklärt sich zwei Wochen später willig zum Waffenstillstand bereit. "Diese Entscheidung war tödlicher als Gift", sagt Chomeini, als er den Vertrag unterschreibt. "Für mich wäre der Tod erträglicher gewesen." Denn er gibt damit eine jahrelang gepflegte Illusion auf: die Idee vom Export der Revolution in den Rest der islamischen Welt. Die hätte durch einen Sieg des Iran Auftrieb erhalten. Eben darum hatte Chomeini sechs Jahre lang Welle um Welle aus Kriegsfreiwilligen der Bassidsch-Miliz, viele von ihnen Kinder, in die Minenfelder geschickt und gegen die Artilleriestellungen der Iraker anrennen lassen.

Der einzige Ort außerhalb des Iran, wo sein Entwurf vom Gottesstaat auf fruchtbaren Boden fällt, ist ein von verarmten Schiiten bevölkerter Landstrich Tausende Kilometer weiter westlich im Libanon. Dort hat sich Mitte der 80er Jahre mit tatkräftiger Hilfe Teherans die Hisbollah gegründet.

Ein ausgelaugtes Land

Im Sommer 1989 stirbt Chomeini 87-jährig an Krebs. "Ein Mann, der über Leichen ging, um einen islamischen Gottesstaat zu errichten, und der Millionen die Hoffnung auf ein besseres und gerechteres Leben gab", schreibt Peter Scholl-Latour im stern. Beim Begräbnis zerren hysterische Gläubige den toten Ayatollah von der Bahre und reißen das Leichentuch in Fetzen, die sie als Reliquien nach Hause tragen. Im Gedränge der Prozession werden 11.000 Trauernde verletzt.

Doch sosehr diese Szenen der Hingabe an den ruhmreichen Einzug des Imam zehn Jahre zuvor erinnern: Sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der tote Führer ein ausgelaugtes Land hinterlässt. Jahre des Terrors durch nächtliche irakische Raketenangriffe haben die Menschen mürbe gemacht. Die Wirtschaft ist kollabiert, Arbeitslosigkeit und Inflation sind außer Kontrolle. Und bei alldem wächst das Volk rasant: Von 34 Millionen auf 49 Millionen hat sich die Einwohnerzahl zwischen 1976 und 1986 erhöht - hinter diesen Zahlen verbirgt sich sozialer Sprengstoff für die Zukunft der Islamischen Republik.

Fürs Erste jedoch sitzen Chomeinis Erben an der Spitze des Gottesstaats fest im Sattel. Zum Nachfolger im Amt des geistlichen Führers wird wenige Tage nach Chomeinis Tod Ayatollah Ali Chamenei bestimmt, ein Pfeife rauchender Kleriker, der während des Kriegs als Präsident fungierte. Sein Nachfolger wird der Technokrat Akbar Haschemi Ranfsandschani. Beide sind Revolutionäre der ersten Stunde und werden für Jahrzehnte graue Eminenzen im undurchsichtigen Machtgefüge bleiben. Sie machen sich an den Wiederaufbau des geschundenen Landes - mit einigem Erfolg.

Druck von vielen Seiten

Steigende Ölpreise bescheren dem Iran Anfang der 90er Jahre jährliche Wachstumsraten um acht Prozent. Die verbesserte Gesundheitsversorgung vor allem auf dem Land hilft, die Kindersterblichkeit um die Hälfte zu senken. Viele abgelegene Dörfer, die zur Schahzeit vernachlässigt wurden, bekommen Strom, fließendes Wasser, Telefonanschlüsse und Schulen. Gerade in solchen Gegenden befördert die strenge Geschlechtertrennung außerdem die Chancen junger Frauen auf eine Ausbildung: Konservative Väter beginnen, ihre Töchter in die Schule zu schicken, weil die Mullahs Zucht und Ordnung garantieren. Nach den Jahren des Kriegs und der Abschottung wird das gesellschaftliche Klima auch in den Städten merklich offener: Es gibt wieder Konzerte mit Musik westlicher Komponisten; Schach, das altiranisches Königsspiel, das Chomeini als Laster verboten hatte, ist wieder erlaubt; die Frauen wagen, unterm Kopftuch dezentes Make-up zu tragen.

Doch gegenüber dem Ausland bleibt der Iran auf Konfrontationskurs. Im September 1992 erschießen iranische Agenten im Restaurant Mykonos in Berlin-Wilmersdorf vier Funktionäre einer kurdischen Exilpartei. Im Laufe der Ermittlungen decken deutsche Richter eine Befehlskette auf, die bis in höchste Regierungskreise in Teheran reicht. 14 europäische Staaten ziehen darauf ihre Botschafter aus dem Iran ab. Auch die Regierung Clinton erhöht den Druck: 1995 verhängt sie die schärfsten Wirtschaftssanktionen seit der Geiselkrise gegen den Iran. Die USA drohen nun auch Firmen aus Drittstaaten, die in die Öl- und Gasindustrie des Iran investieren, mit Handelsstrafen.

Die Mörder von Hitoshi Igarashi kommen zum Feierabend. Es ist 19 Uhr, als der Islamwissenschaftler der Universität Tokio aus seinem Büro tritt, um nach Hause zu gehen. Doch er kommt nur bis zum Fahrstuhl. Dort findet ein Hausmeister wenig später den 44-Jährigen mit tiefen Schnittwunden an Hals, Gesicht und Händen. Igarashi wurde erstochen - und die Spur der Täter führt in den Iran.

Hetze mit Folgen

"Hiermit informiere ich die stolzen Muslime der Welt, dass der Autor des Buches ‚Die Satanischen Verse‘ sowie alle, die an seiner Publikation teilhaben, zum Tode verurteilt sind. Ich rufe alle pflichtbewussten Muslime dazu auf, sie so schnell wie möglich zu exekutieren, wo immer sie sind." Mit diesem Todesurteil hat der greise Chomeini Monate vor seinem Tod einen weltweiten Sturm des Entsetzens ausgelöst - und nun sieht es ganz danach aus, als reiche die Macht seines Fluchs auch über das Grab hinaus: Der Japaner Igarashi hatte Salman Rushdies Buch übersetzt. Er bleibt nicht das einzige Opfer. Es folgen Anschläge auf Übersetzer aus Italien und Norwegen. Der britisch-indische Autor muss sich jahrelang verstecken. Buchhandlungen werden in Brand gesetzt, British Airways erhält Bombendrohungen und verweigert Rushdie die Beförderung.

Einen Eklat gab es auch schon 1987, als Rudi Carrell in der ARD einen Sketch zeigte, bei dem Frauen in Tschadors Ayatollah Chomeini zum achten Jahrestag der Revolution Schlüpfer und Büstenhalter zuwerfen. Die Mullahs nahmen den 14-Sekunden-Film zum Vorwand, das Teheraner Goethe-Institut zu schließen, deutsche Diplomaten wurden des Landes verwiesen.

Doch die Propagandaschlacht mit dem Iran wird auch in umgekehrter Richtung geführt. Im April 1991 kommt der Film "Nicht ohne meine Tochter" in die deutschen Kinos. Der in Israel und den USA gedrehte Hollywoodstreifen über das qualvolle Leben einer amerikanischen Mutter im Gottesstaat wird zum Kassenschlager des Jahres, obwohl er vor rassistischen Klischees über den Islam und den Iran strotzt - oder genau deshalb? Iraner jedenfalls stellt Betty Mahmoody, die Autorin der Romanvorlage, fast durchgängig als stinkende, inzüchtige Fanatiker dar - und bedient so seit Jahrhunderten gängige Vorurteile über den Orient. Schon das Buch hat sich im deutschsprachigen Raum sieben Millionen Mal verkauft.

Der moderne Mullah

Dann ist es ausgerechnet ein Mullah, der den Ruf des Iran im Westen nach Jahren der Konfrontation ein wenig aufzuhellen vermag: Mohammad Chatami, ein hochaufgeschossener Kleriker mit grau meliertem, gepflegtem Bart und randloser Brille. Völlig überraschend erringt der ehemalige Kulturminister bei den Präsidentschaftswahlen 1997 einen Erdrutschsieg, vor allem Frauen und junge Wähler sind ihm in Scharen zugelaufen. Auf den Straßen von Teheran, Schiras und Täbris feiern die Menschen ausgelassen. Es scheint, als könnte eine Zeitenwende anbrechen in der Islamischen Republik, hin zu mehr Freiheit und Weltoffenheit.

Die langen Umhänge der Frauen sind zwar nicht abgeschafft, aber die Kopftücher und Manteaus werden plötzlich bunter und etwas taillierter getragen; Frauen dürfen Fußballspiele auch im Stadion ansehen, auf eigens für weibliche Fans reservierten Rängen. Das erste Internetcafé eröffnet in Teheran, und binnen kürzester Zeit wird das World Wide Web für viele junge Iraner zu einer Spielwiese, auf der die strengen Regeln der Islamischen Republik nicht durchzusetzen sind. Farsi avanciert zu einer der häufigsten Blog-Sprachen.

Chatami versucht den sanften Sinneswandel auch in die Beziehungen des Iran zum Ausland zu tragen. Er lädt ein zu einem "Dialog der Zivilisationen" und weckt die Hoffnung auf einen entspannteren Umgang des Iran mit dem Rest der Welt. Er reist nach Deutschland, besucht Weimar, zitiert Goethe und Hafis und weiht ein Denkmal der beiden Dichter ein. Mit Hans Küng und Johannes Rau diskutiert er über Gott, die Welt und den Iran. In einem denkwürdigen Interview mit CNN sagt er über das Verhältnis zwischen dem Iran und den USA: "Wir Iraner spüren, dass wir dasselbe suchen wie die Gründer der amerikanischen Zivilisation vor vier Jahrhunderten: eine Synthese zwischen Freiheit und Glauben. Darum empfinden wir eine Nähe zum Kern der amerikanischen Zivilisation." Das sind ungewohnte Worte vom Präsidenten eines Landes, dessen nationales Credo fast 20 Jahre lang "Tod für Amerika" gewesen ist.

Auflehnung der Fundamentalisten

Bald wird klar: Chatamis neuer Kurs spiegelt einen Wunsch nach Aufbruch wider, den viele Iraner teilen. Eine Umfrage des iranischen Parlaments im Jahr 2002 ergibt, dass 74 Prozent der Bürger sich eine Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen mit Washington wünschen. Nach den Jahren erst der Konfrontation, dann der Isolation und schließlich der vorsichtigen Öffnung erscheint das als logischer nächster Schritt.

Wohl auch deshalb hat Chatami von Anfang an mit den Fundamentalisten zu kämpfen. Die lassen den deutschen Geschäftsmann Helmut Hofer wegen einer angeblichen Affäre mit einer muslimischen Studentin verhaften. Oder 13 Juden aus Schiras wegen angeblicher Spionage für Israel. Damit fallen die Hardliner Chatami bei seinen Avancen gegenüber dem Ausland in den Rücken. Als 1998/99 eine Serie von Morden an Intellektuellen das Land erschüttert, hat der Präsident keine Macht, das Töten zu stoppen.

Im Sommer 1999 demonstrieren Zehntausende Studenten gegen die Schließung reformorientierter Zeitungen. Sie werden von Schlägertrupps des Regimes brutal zusammengeschlagen. Doch der Präsident schweigt dazu zwei Wochen lang - und dann beschwichtigt er nur.

Unter Verdacht

Gegen Ende seiner zweiten Amtszeit 2005 rufen seine alten Anhänger ihm bitter enttäuscht zu: "Chatami, wo ist die Freiheit, die du uns versprochen hast?" Er entgegnet: "Ich glaube an dieses System und an die Revolution." Der Honeymoon Chatamis mit dem Westen ist da schon lange vorbei.

Im Januar 2002 hat US-Präsident Bush den Iran gemeinsam mit Nordkorea und dem Irak zu einer "Achse des Bösen" erklärt. Ein halbes Jahr danach löst eine Pressekonferenz in Paris eine Kettenreaktion des Misstrauens aus, die nicht mehr zu stoppen ist. Mitglieder einer iranischen Oppositionsgruppe im Exil enthüllen die Existenz zweier geheim gehaltener Atomanlagen im Iran: einer Anlage zur Produktion von schwerem Wasser und einer Anreicherungsanlage für Uran. Der Westen ist alarmiert. Bastelt der Iran an der Bombe?

Recherchen der Geheimdienste und der Internationalen Atomenergiebehöre in Wien fördern geheime Projekte zur Entwicklung verbesserter Zentrifugen und zum Bau von Mittelstreckenraketen zutage - und geben dem Verdacht neue Nahrung.

Ein Präsident für Hardliner

Aus dem schleichenden Misstrauen wird blanker Schrecken, als ein Mann die politische Bühne des Iran betritt, dessen puritanischer Eifer an längst überwunden geglaubte Zeiten anknüpft. Mahmud Ahmadinedschad, ein ehemaliger Provinzbeamter und Bürgermeister von Teheran, wird 2005 völlig überraschend zum Präsidenten gewählt. Er verspricht, "die Öleinnahmen auf die Tische der Leute zu bringen", und verteilt im Wahlkampf Bündel mit Bargeld an Wähler auf dem Land. Das Bekenntnis zu mehr sozialer Gerechtigkeit kommt an, gerade weil viele Mitglieder der alten Mullah-Elite im Ruf stehen, sich selbst zu bereichern und das Volk zu vergessen. Ahmadinedschad ist der Anti-Chatami. Ein Scharfmacher und Populist, der den Radikalen im Regime nach dem Mund redet - und im selben Atemzug vom Recht auf Kernforschung schwadroniert und das Existenzrecht Israels infrage stellt.

Er lässt die Kapazitäten zur Urananreicherung rasant ausbauen, Raketen testen und setzt auf Eskalation. Und schon im zweiten Jahr seiner Amtszeit gibt er auf einer eigens einberufenen Konferenz einer internationalen Riege von Holocaust- Leugnern ein Forum. Im Westen wächst die Sorge, Israels Regierung könnte einen präventiven Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm führen und damit einen Flächenbrand in der Region auslösen. Mehrere Sanktionsrunden des UN-Sicherheitsrats bringen den Iran nicht von seiner starren Haltung im Atomkonflikt ab.

Doch am Ende von Ahmadinedschads erster Amtszeit scheint sich ein Wechsel anzukündigen. Der Präsidentschaftswahlkampf 2009 wird zu einer Demonstration der Unzufriedenheit von Hunderttausenden mit der Politik Ahmadinedschads. In großer Zahl laufen die Menschen seinem Konkurrenten Mir Hossein Mussawi zu. Erstmals vor einer iranischen Wahl gibt es TV-Debatten nach amerikanischem Vorbild. Ahmadinedschad ist dabei nicht in der Lage, die Kritik der drei Gegenkandidaten an seiner gescheiterten Wirtschafts- und Außenpolitik zu widerlegen. Das ganze Land sitzt gebannt vor den Bildschirmen und sieht, wie ihr Präsident vorgeführt wird.

Die Sehnsucht eines Landes

Als das Innenministerium am Tag nach der Wahl das Ergebnis der Stimmauszählung bekannt gibt, wollen viele Iraner es nicht glauben: 63 Prozent für Ahmadinedschad, das kann nicht sein. In den folgenden Tagen erlebt der Iran Proteste wie seit der Revolution vor 30 Jahren nicht mehr. Das Regime setzt brutale Schlägertrupps gegen die Demonstranten ein. Dutzende sterben dabei, Hunderte geraten in Haft.

Einer von ihnen ist Said Lailas, ein Teheraner Ökonom, der seit Jahren zu den schärfsten Kritikern der Wirtschaftspolitik Ahmadinedschads gehört. Einige Monate vor der Wahl hat er in einem Interview einen Bogen geschlagen zwischen der jahrtausendealten Geschichte des Iran und der Gegenwart 30 Jahre nach der Revolution Chomeinis. Von den Zeiten der großen Achämeniden zur Islamischen Republik des Mahmud Ahmadinedschad.

Laylaz sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der iranischen Politik des Jahres 2009 und dem historischen Erbe der untergegangenen persischen Reiche. "Wir haben eine Sehnsucht, wieder eine Supermacht zu werden", sagt er. "Die nuklearen Ambitionen unseres Landes stehen in direktem Zusammenhang mit diesem Wunsch. Sosehr sie auch mit der Gegenwart kollidieren mag: Diese Supermacht- Nostalgie gründet in unserer Geschichte."

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