Der Mann war im Morgengrauen aufgebrochen und den gesamten Tag gefahren. Er hatte kaum gegessen und nichts getrunken, um unterwegs nicht anhalten zu müssen. Im späten Licht des Winternachmittags ließ er den Wagen nach der letzten Grenzkontrolle im syrischen Wüstenschotter ausrollen. Er hieß Omar, ein klassischer Vorname der Sunniten. Er war schiitischen Schergen in letzter Sekunde entronnen, hatte alle seine Habe in und auf seinen alten Toyota gepackt und war von Bagdad 700 Kilometer gen Nordwesten gefahren, nach Syrien, zur letzten für Iraker noch offenen Grenze. "Irak, sei deinen Söhnen gnädiger, als du es mir gewesen bist", sagte er. Und: "Fima'lah!" Der irakische Abschiedsgruß. Dann kehrte er seiner Heimat den Rücken, sprach ein Dankgebet für die Gnade des Entkommens und fuhr westwärts davon. Fima'lah, wörtlich: "Möge Gott dich beschützen." Ein kleines Wort nur, aber mit unverwechselbarem, scharfem Klang. Es ist in Amman, Damaskus, Beirut und Istanbul zu hören, in Flüchtlingslagern und Villenvierteln, in verrauchten Nachtcafés wie in teuren Restaurants. Der Gruß ertönt im Basar von Teheran, an der Küste des Jemen wie auf Athener Baustellen. Es genügt, die Augen zu schließen, dieses gutturale irakische Arabisch mit seinen Zischlauten zu hören, und schon fühlt man sich nach Bagdad zurückversetzt. Nur: Das Bagdad der Cafés, Kinos, Restaurants und Geschäfte, der Picknicks am Tigris-Ufer und Fußballspiele am Wochenende - es existiert nicht mehr.
Das ganz normale Leben, welches es unter der eisernen Glocke von Saddams Diktatur und noch in den chaotischen, aber vergleichsweise friedlichen ersten Monaten nach der Invasion 2003 gab, es zerfällt, stirbt. Zuerst gingen die Reichen, die Klügsten, die gut Ausgebildeten. Es folgten die Minderheiten, die Mittelklasse, jene, die das Pech haben, im falschen Stadtviertel, am falschen Ort zu wohnen. Inzwischen verlässt, wer irgend kann, das Land. Jeder siebte Iraker ist auf der Flucht, 3,7 Millionen Menschen sind es nach den Schätzungen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR: 1,7 Millionen im ruhigeren Norden und tiefen Süden, knapp zwei Millionen im Ausland. 2003 waren als Folge des Krieges Massen erwartet worden - doch sie blieben aus. Jetzt aber kommen sie, jeden Tag ein-, zweitausend; es ist ein steter, anschwellender Strom ohne Hoffnung auf Rückkehr. Der Auszug aus dem verfluchten Land.
Die Christen gingen als erste
Die Christen gingen als erste. 1,4 Millionen gab es noch Ende der 1980er Jahre im Irak, eine der größten und ältesten Gemeinden im Nahen Osten. Mit Rom unierte Chaldäer, orthodoxe Assyrer und Katholiken lebten im Land, das eng mit der biblischen Geschichte verwoben ist: Der Garten Eden aus der Genesis soll hier gelegen haben, Abraham kam aus dem Ur der Chaldäer. Es zählte zu den Paradoxien der Diktatur, dass die religiöse Toleranz unter Saddam Hussein größer war als etwa in Ägypten. Minderheiten putschen nicht, das schätzte Saddam und beschäftigte einen christlichen Hofkoch, ließ den christlichen Vizepräsidenten Tariq Aziz hinter seiner Glasbausteinbrille mit dem Rest der Welt verhandeln. Wer sich ruhig verhielt, konnte beten, in welche Richtung es beliebte.
Doch nach dem Sturz der Diktatur dauerte es keinen Monat, da brannten die ersten Alkoholgeschäfte, kein Jahr, da detonierten die ersten Bomben vor Bagdads Kirchen. In Saddams Irak hatte es nur die beiden Extreme gegeben: Angst oder Allmacht. Das funktionierte, solange die Allmacht in festen Händen war. Saddams Untergang aber brachte keine Demokratie respektvoller Toleranz hervor, sondern zahllose Miniatur-Saddams: machtgierige Milizen, Todesschwadrone und kriminelle Banden. Christliche Kaufleute waren unter den Ersten, die entführt wurden, denn Christen haben keine Stämme, keine Milizen, die sie verteidigen könnten.
"Es begann mit Drohungen"
"Es begann mit Drohungen", erinnert sich Nabil, ein Automechaniker aus Mosul, der drittgrößten irakischen Stadt. Wie viele Chaldäer ist er nach Istanbul geflohen. "Christen sind unrein, sind Schweine, kauft nicht bei Christen!", bekam er zu hören. Dann brannten die ersten Kirchen. Nabils Frau, bald sogar seine dreijährige Tochter wurden gezwungen, das Haus nur noch verschleiert zu verlassen. Nabils Nachbar wurde erschossen, weil er für die US-Truppen als Übersetzer arbeitete, ein Priester entführt und erst wieder freigelassen, als seine Gemeinde 80.000 Dollar Lösegeld aufgebracht hatte. "Wir hatten anfangs so viel Hoffnung", sagt Nabil und fixiert die schimmelige Wand der winzigen Wohnung in Istanbul, in der sie nun fast ohne Möbel zu viert hausen: "Wir dachten, die Amerikaner hätten einen Plan."
Er hatte eine kleine Autowerkstatt, spezialisiert auf Motoren. Eines Morgens im Januar 2005 standen fünf Maskierte vor ihm: Er arbeite für die Amerikaner, behaupteten sie. "Die wussten mehr als ich, denn ich bekam die Motoren doch meist von anderen Werkstätten." Die Maskierten gaben ihm 48 Stunden, um zu verschwinden, sonst würden sie alle umbringen. Er gehorchte. "Wir hatten ein Haus mit Garten. Ich habe mich nicht einmal umgedreht, als wir gingen. Niemand in Mosul kauft mehr ein Haus von Christen. Jeder weiß, dass wir ohnehin gehen." Seine Werkstatt übernahm ein armenischer Freund, der dachte, er sei sicher, solange er nicht für US-Truppen arbeite.
Nach zwei Wochen wurde der Armenier erschossen
Anfangs telefonierte Nabil noch regelmäßig mit denen, die ausharrten. Nach zwei Wochen wurde der Armenier erschossen. Und bald war niemand mehr da, den Nabil anrufen konnte. Nach und nach schlossen die Kirchen, im Herbst 2006 wurde Priester Boulos Iskander Behnam entführt, in drei Teile zerhackt und vor der Kirche abgeladen mit einem Zettel: Nun könne ihm ja Jesus helfen. "Fast alle sind fort", schließt Nabil. "Fima'lah, Irak - für uns ist es vorbei." Mosul steht auf dem Grund des biblischen Ninive. Der Prophet Jonas soll dorthin gekommen sein, nachdem der Wal ihn wieder ausgespien hatte. Nun enden hier fast zwei Jahrtausende Christentum. Kaum anders sieht es in Bagdad aus. Und von den 1000 christlichen Familien, die Anfang 2004 noch in Basra im Süden lebten, sind ganze 50 übrig geblieben. Die christliche Gemeinde im Irak löst sich einfach auf im Säurebad der Angst, des Mordens, der Schutzlosigkeit.
Wie Nabil, der illegal sechs Tage die Woche als Hilfsmechaniker arbeitet, sind viele Chaldäer in die Türkei geflüchtet. Hier werden die Iraker zumindest geduldet, sofern sie sich bei der Polizei melden. Außerdem residiert der stellvertretende chaldäische Patriarch in Istanbul. Als Monsignor François Yakan an diesem kalten Sonntagmorgen die Treppe zum Kellergewölbe der Kirche St. Antoine im alten Europäerviertel Beyoglu hinabsteigt, sind schon 600 Menschen da, und es werden immer mehr. Junge Frauen in Schwarz stehen bang mit brennenden Kerzen in der Hand vor Heiligenbildern, alten Männern mit harten Gesichtern treten Tränen in die Augen. Inbrünstig wird gesungen, auf Aramäisch gebetet, und in die uralte, melodiöse Sprache von Yakans Predigt mischen sich fremde Worte: "UNHCR", "Visa", "Kanada", "Australia". Seine Gottesdienste gleichen eher Rechtshilfe-Sprechstunden als spiritueller Erbauung, "Aber was soll ich machen? Die Kirche ist der einzige sichere Ort, zu dem alle kommen." Ansonsten meiden die meisten Flüchtlinge Versammlungen aus Angst vor Verhaftungen, treffen sich höchstens in ihren Kellerwohnungen zum Totengedenken für im Irak ermordete Angehörige. Wer es bis in die Türkei geschafft hat, ist nicht gekommen, um zu bleiben. Jeder will weiter, in die gelobten Länder: Australien, Kanada, Schweden. Dass die USA nicht darunter sind, liegt am Unwillen Washingtons.
Washington hat zugesagt, 7000 irakische Flüchtlinge einzulassen
Fliehende Iraker aufzunehmen wäre ein Eingeständnis des Scheiterns. Im Februar schließlich hat Washington zugesagt, 7000 irakische Flüchtlinge einzulassen. Zwei Promille. Gleichwohl ein gigantischer Fortschritt: Von April 2003 bis September 2006 wurde 466 Irakern Asyl gewährt. Von jenen, die sich in die Türkei durchschlagen, wollen sich viele nicht einmal registrieren lassen, wollen nur weiter. Weshalb das UNHCR von nur 10.000 Irakern in der Türkei ausgeht, obwohl Zehntausende jedes Jahr kommen: kriechend die meisten, geschmuggelt über die Bergausläufer der gemeinsamen Grenze. Dann in umgebauten Tanklastzügen oder Lieferwagen nach Istanbul, von dort geht es nach Griechenland oder mit gefälschten Pässen im Flugzeug nach Mitteleuropa. Selbst Husseyin Artas, der Polizeichef von Silopi, Grenzstadt und Drehscheibe des Schmuggels, kann die Iraker verstehen. "Aber wir müssen sie trotzdem aufhalten, letztes Jahr haben wir allein 6000 von hier aus zurückgeschickt." An einem Mittwoch Anfang März sind wieder 40 dran, die erst in der Nacht zuvor durch das Grenzflüsschen wateten. "Im Irak ist mein Leben weniger wert als das eines Insekts", ruft einer von ihnen, "ich habe 5000 Dollar gezahlt, um bis nach Griechenland zu kommen. Bis Silopi ziehen die Schmuggler davon nur 200 ab, ich kann es wieder versuchen. Und das werde ich!" "Ich auch, zum sechsten Mal", ruft der Nächste, andere heben die Hand mit abgespreiztem Finger: drei, vier, fünf Mal ist jeder schon gescheitert - "und wir werden es wieder versuchen!", beteuern sie, völlig unbeeindruckt vom Polizisten im Bus. Der sie zwei Stunden später hinter die Grenze zurückschicken wird. "Es gibt nichts mehr im Irak", sagt ein Mann aus Bagdad, "keinen Strom, keine Schulen, keine Universitäten, keine Liebe. Sie töten dich, selbst wenn du dich nur verliebst."
Die Türkei hat noch eine der kleinsten irakischen Flüchtlingsgemeinden: 20.000 bis 40.000 sind im Libanon, mehr als 50.000 im Iran, 100.000 in Ägypten, 500.000 bis 700.000 in Jordanien, bis zu einer Million in Syrien. Neben den Christen und Saddams Günstlingen waren es vor allem die Reichen, dann die Professoren und Ärzte, die als Erste den Irak verließen: weil die Entführungen sich epidemisch ausbreiteten, und weil - vor allem schiitische - Todesschwadronen gezielt Jagd auf die - vor allem sunnitische - Intelligenz machten. Besonders das kleine, prosperierende Nachbarland Jordanien ist zum Ziel derer geworden, die es sich leisten können. Mieten und Immobilienpreise in der Hauptstadt Amman haben sich binnen drei Jahren verdoppelt bis verdreifacht, mittlerweile werden vor allem junge Männer und Schiiten immer häufiger an der Grenze abgewiesen.
In einem halb leeren Kinosaal in Amman sitzt der Arzt Dr. Harith al Janabi, 27, und mag nicht über seine Entführung sprechen. "Es ist wie ... die Summe all deiner Ängste. Ich kann es schwer beschreiben. Vorher war ich Arzt, komme aus einer guten sunnitischen Familie, mein Vater ist Ingenieur, meine Mutter Biologin. Mein bester Freund wusste nicht einmal, ob er Sunnit oder Schiit war. Wir fragten ihn, wie betest du? Nie, sagte er. Alle lachten. Es war egal. Heute ist es eine Frage, die über Leben und Tod entscheidet. Ich war nie für Saddam, aber mittlerweile glaube ich, der Irak braucht so jemanden."
Nachdem seine Eltern ihn freigekauft hatten, floh al Janabi im Sommer 2005 nach Amman, wo er mit sieben irakischen Ärzten in einer kleinen Wohnung lebt. Eine Wohngemeinschaft der Ohnmächtigen. "Wir dachten, wir würden die Elite des Landes. Und was sind wir? Arbeitslos, denn offiziell dürfen wir nicht arbeiten, und arm - während drüben die Wahnsinnigen das Land übernehmen und eine Generation heranwächst, die nur das Töten kennt."
"Als Arzt in Ramadi bist du jedermanns Opfer"
Sein Mitbewohner Dr. Saadoun al Duleimi arbeitete im Krankenhaus von Ramadi im sunnitischen Dreieck, gewissermaßen an der Front zwischen US-Truppen und den al Kaida-Mudschaheddin. "Als Arzt in Ramadi bist du jedermanns Opfer", redet er sich die Wut von der Seele. "Die Mudschaheddin musst du permanent überzeugen, dass du ihre Verwundeten nicht an die Amerikaner auslieferst - aber von denen wiederum wirst du verhaftet, wenn du Mudschaheddin behandelst. Wenn du mit Amerikanern auf Englisch redest, töten dich die Milizen als Verräter. Ein Scheich sagte seinen Leuten, sie sollten ihre Opfer nicht auf der Straße erschießen, weil sich keiner mehr traut, die wegzuräumen. Da haben sie begonnen, sie vor unserer Notaufnahme hinzurichten. Wenn sie Zeit hatten, wurden die Männer enthauptet, wenn es ihnen eilig war, erschossen. Darunter waren welche, die ich kannte: wie der Angestellte des Ex-Gouverneurs, der nichts verbrochen hatte, außer seinem Chef immer den Tee zu bringen. Sie haben ihn vor meinen Augen erschossen." Als Verwandte eines ihm unter den Händen gestorbenen Patienten anrückten, um ihn umzubringen, floh auch er.
Die acht können sich manchmal eine Kinokarte leisten, ein Falafel-Sandwich, einen Cappuccino, an dem sie sich dann Stunden festhalten in einem der eleganten Einkaufszentren. Während immer mehr Iraker nach Ablauf ihrer dreimonatigen Aufenthaltsfrist schon die täglichen anderthalb Dinar (zwei Euro) Überziehungsgebühr nicht aufbringen können und mit der steten Angst vor Festnahme und Abschiebung leben, hat sich in Amman ein "Little Baghdad" der Reichen aller politischen Lager gebildet. Für 150.000 Dollar Bankeinlage gibt es die Aufenthaltsgenehmigung, die beiden ältesten Töchter Saddams wohnen in der Nachbarschaft von dessen langjährigem Todfeind Ijad Allawi, dem ersten Nachkriegspremier.
Die Reichen flohen
Da mit den Reichen auch die Restaurantbesitzer flohen, ist ein getreues Replikat des Vorkriegsbagdads entstanden. Abu Abdallah Qaduris legendäres, einst ab Mitternacht geöffnetes Frühstückscafé an der Abu-Nuwas-Uferpromenade lag erst im Streuwinkel der Mörsergranaten gegen die Grüne Zone, wurde dann von einem Selbstmordbomber attackiert, bis Qaduri nach Amman zog. Selbst einst beliebte Schmachtsänger wie Saad Ali fehlen nicht. Ihm hatten Islamisten mit Enthauptung gedroht, Liebeslieder seien unislamisch. Feste, wie sie in Bagdad keiner mehr zu feiern wagt, beginnen hier im Restaurant Zad al Cheir, wo draußen die Parkplätze knapp werden für die schweren Geländewagen, während drinnen die Köche den Masgouf-Karpfen am offenen Feuer grillen wie in Bagdad. Weiter geht es ins Hotel Bristol, wo irakische Sänger die Nostalgie beschwören. "Bardaad", ruft einer den arabischen Namen der Kapitale als melancholischen Schlachtruf in die Menge. "In meinen Augen ist der Himmel", schallt es zurück. "Bardaad", abermals. "Ist unsere eine und einzige Liebe!"
Bardaad, das Wort genügt, den Gesichtern Tränen in die Augen zu treiben. Im Morgengrauen, wie früher in den heißen Nächten Bagdads, geht es weiter zu Qaduris Nachtrestaurant, zu Tee und "Bagilla", dem traditionellen Frühstück aus Eiern, Bohnen und Brot in Fett gesotten. Fi-ma'lah, Bagdad, wir kaufen uns ein neues.
Die Armen gehen nach Syrien
Die Armen aber, die sich keine Schleuser nach Europa und kein Leben in Amman leisten können, sie gehen nach Syrien. Ins letzte Nachbarland, das seine Grenzen noch nicht geschlossen hat für Iraker, wo das Leben immer noch billiger ist als anderswo. Auch wenn in Damaskus die Mieten sich ebenfalls verdoppelt haben, die Preise für Kochgas und Nahrungsmittel steigen. Nach Syrien kommen vor allem die Schiiten, die sich rund um den Schrein ihrer Heiligen Saida Zainab niederlassen. Wie die geschiedene Umm Ali mit ihren sechs Kindern aus Najaf. Keine der vier Töchter traute sich in Najaf noch zur Schule, nachdem selbst der Direktor geflohen war und zwei Mitschülerinnen von Kriminellen entführt und vermutlich vergewaltigt worden waren, "aber so genau wissen wir das nicht". Denn von den Leichen schickten die Entführer nur die Köpfe zurück. Um in Syrien zur Schule gehen zu können, brauchten sie Unterlagen. Ein alter Freund der Familie versprach, sie zu bringen. Er wurde auf dem Weg erschossen. Jetzt arbeitet Yassim, der älteste Sohn, in einer Bäckerei und zeigt mit den von Brandwunden übersäten Unterarmen die Medaillen, die er einst als Fliegengewichts-Champion von Najaf gewann. "Wenigstens gibt es hier keine Bomben", sagt er zur Ermutigung, aber die Ruhe ist angespannt: Schiiten wohnen im einen, Sunniten im anderen Viertel und belauern einander. Es hat erste Fälle in Syrien gegeben, in denen Iraker Iraker kidnappten.
Wie sagte es doch die 40-jährige Zainab, die mit ihrem Mann Mohammed nach Amman floh: "Bagdad lässt dir drei Möglichkeiten: Selbstmord, zum Kriminellen werden oder zum Killer der Dschihadisten." Sie wurde, in einer der bizarrsten Variationen des irakischen Albtraums, Opfer der neuen Freiheit: Kurz nach dem Krieg erschien ein Buch über die Geschichte der kommunistischen Partei des Irak. Darin ein Foto des berühmten Kommunisten Samir Nadr, der mit seiner jüdischen Frau Walzer tanzt. Zainabs Großvater. Kaum war das Buch erschienen, begann die Jagd auf die "jüdische Verräterin", "dabei wusste ich bis zu dem Zeitpunkt gar nichts von meiner jüdischen Großmutter. Meinen Papieren nach bin ich Muslima, aber das interessierte die gar nicht". Eine sunnitische Miliz kidnappte Mohammed, drohte, ihn zu töten, wenn er sich nicht scheiden ließe. Er willigte ein zum Schein, sie flohen. Mohammeds Bruder wurde Ende 2006 entführt und ermordet. Der Mann von Zainabs Schwester trennte sich von ihr und rief später an: Sein Scheich habe ihm aufgetragen, seine Ex-Frau und den eigenen Sohn zu töten, weil sie Juden seien. So floh auch die Schwester.
Sie habe Saddam nie gemocht, sagt Zainab, ihr Mann Mohammed wurde einst monatelang in den Kellern des Diktators gefoltert. "Aber mittlerweile sehne ich mich wieder nach ihm. Die Hölle, die wir einander bereiten, das tun nicht die Amerikaner. Das tun wir Iraker selbst." Fi-ma'lah, Irak. Möge Gott dich beschützen. Die Menschen haben es nicht vermocht.