Internationale Presseschau Ein Flugzeugabsturz, gedacht als "Botschaft an andere potenzielle Putschisten"

Menschen tragen einen Leichensack aus dem Wrack eines abgestürzten Privatjets
Menschen tragen einen Leichensack aus dem Wrack eines abgestürzten Privatjets, in dem sich Söldnerführer Jewgeni Prigoschin befunden haben soll
© Uncredited/AP / DPA
Lange hat Jewgeni Prigoschin finstere Kampfaufträge für den Kreml erfüllt. Dann meuterte er und machte sich Präsident Wladimir Putin zum Feind. Nun stürzt der Söldnerchef offenbar mit einem Flugzeug ab. So kommentiert die internationale Presse.

Der russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin ist zwei Monate nach seiner rätselhaften Meuterei beim Absturz eines Flugzeugs in Russland mutmaßlich getötet worden. Eine offizielle Bestätigung steht noch aus. Die Luftfahrtbehörde Rosawiazija teilte indes mit, sein Name habe auf der Passagierliste gestanden. Alle zehn Personen an Bord seien vorläufigen Informationen zufolge ums Leben gekommen, teilte der russische Zivilschutz mit.

"Prigoschin starb als Ergebnis der Handlungen von Verrätern Russlands", hieß es in einem Post des Telegram-Kanals "Grey Zone", den Prigoschin nutzte. "Aber selbst in der Hölle wird er der beste sein!"

So kommentieren internationale Zeitungen den Fall Prigoschin.

Prigoschin-Flugzeug abgestürzt: "Kaum jemand wird an einen tragischen Zufall glauben wollen"

"The Telegraph", London: "Meldungen über den Abschuss eines Flugzeugs, das angeblich den Wagner-Führer Jewgeni Prigoschin an Bord hatte, sind eine weitere außergewöhnliche Wendung in der neueren russischen Geschichte. Sie zeugen zudem von der totalen Dysfunktion des Staates nach Putins desaströsem Einmarsch in der Ukraine. In welchem anderen europäischen Land, das nicht im Einflussbereich des Kremls liegt, leben die wichtigsten politischen oder militärischen Führer in Angst vor solchen Ereignissen? Doch in Russland ist das Außergewöhnliche fast schon zur Normalität geworden. (...)

Auf jeden Fall wird dieser Absturz nicht das Ende der innerrussischen militärischen Auseinandersetzungen sein. Es gibt nach wie vor eine große Zahl ausgebildeter und aktiver Wagner-Kämpfer, die durch Gefechte in der Ukraine oder Plünderungen in Afrika kampferprobt und mit der Führung ihres Landes in hohem Maße unzufrieden sind. In der Tat fanden einige junge Russen Prigoschins Botschaft überzeugend, da sie der Meinung sind, dass Putin einen Krieg begonnen hat, der nicht ordentlich geführt wurde. Dies wird ein umso größeres Problem werden, je länger sich diese "militärische Spezialoperation" hinzieht."

"Wall Street Journal", New York: "Dies ist kein Zufall, Genosse, wie die Sowjets zu sagen pflegten. (...) Wenn es sich bei Prigoschins Tod um ein Attentat handelte, war dies als Botschaft an andere potenzielle Putschisten gedacht. (...) Prigoschins Tod offenbart die brutale Politik, die Russland jetzt beherrscht. Zu viele im Westen, darunter auch die US-amerikanische Linke und Rechte, glauben, dass Putin durch Bloßstellung oder Beschwichtigung dazu gebracht werden kann, von seinen Ambitionen zur Wiederherstellung eines großrussischen Imperiums abzusehen. Das unterschätzt seine ihn antreibende Ideologie und Rücksichtslosigkeit. Er wird jeden töten, der sich ihm zu Hause in den Weg stellt, und er wird das Gleiche auch im Ausland tun – in der Ukraine, in Polen, oder anderswo, wenn er glaubt, damit durchzukommen."

Jewgeni Prigoschin soll tot sein: Reporter über Russlands Version des Flugzeugabsturzes.
Der Wagner-Chef Prigoschin war laut russischen Angaben an Bord des in Russland abgestürzten Flugzeugs. Russland-Reporter Peter Leontjew spricht über mögliche Unglücksursachen.
Prigoschin soll tot sein: Reporter über Russlands Version des Flugzeugabsturzes

"Neue Zürcher Zeitung", Zürich: "Kaum jemand wird an einen tragischen Zufall glauben wollen. Vor genau zwei Monaten, am Abend des 23. Juni, hatte der kahlköpfige 62-Jährige auf beispiellose Weise Putin den Fehdehandschuh hingeworfen und den 'Marsch für Gerechtigkeit' nach Rostow am Don und weiter nach Moskau angekündigt. (...) Dass Prigoschin den 'Hochverrat' längerfristig überleben würde, war aber seit jenen Tagen wenig wahrscheinlich. Nur über die Art des "plötzlichen Todes" wurde in den vergangenen Wochen eifrig spekuliert. (...)

Das vermeintliche Exil in Weißrussland nach dem gescheiterten Aufstand wirkte von Anfang an unglaubwürdig. Die Rückkehr nach Afrika, die Prigoschin noch in einem am Montag verbreiteten Video unter Beweis zu stellen versuchte, war nur ein Abgesang. Bereits hieß es, die dem Verteidigungsministerium angehängte Militärfirma Redut werbe Wagner-Angehörige ab und übernehme die Operationen in Afrika. Mit Prigoschin soll auch Dmitri Utkin, Kampfname 'Wagner', beim Absturz umgekommen sein. Das Kapitel Wagner scheint damit zumindest auf der praktischen Ebene beendet."

"de Volkskrant", Amsterdam: "Ob Prigoschin wirklich Opfer eines Anschlags wurde, ist noch unklar. Fest steht allerdings, dass der Chef der Söldnertruppe Wagner viele Feinde hat. Nicht allein in der Ukraine, auch in der russischen Führung. (...) Wenn Prigoschin tatsächlich umgekommen ist, dann ist das eine gute Nachricht für die Ukraine, aber auch für die russische Armeeführung, die zähneknirschend mit ansehen musste, wie der umstrittene Chef der Wagner-Truppe von russischen Militär-Bloggern bejubelt wurde.

Nun wird erwartet, dass (Verteidigungsminister) Sergej Schoigu und (Generalstabschef) Waleri Gerassimow diese Gelegenheit nutzen, um die Streitkräfte von Anhängern Prigoschins säubern. Es ist auffallend, dass der Chef der russischen Luft- und Raumfahrttruppen, General Sergej Surowikin, mit dem der Wagner-Chef enge Beziehungen unterhielt, am Dienstag entlassen wurde."

"Rzeczpospolita", Warschau: "Unabhängig davon, ob Prigoschin lebt oder tot ist, ob er nur auf der Passagierliste stand, aber nicht an Bord gegangen ist, oder ob er in dem Flugzeug saß – eines ist sicher: Er stand auf Putins Liste. Vor zwei Monaten, nach einer bizarren Meuterei der Wagner-Kämpfer, sprach Putin vor verwirrten und verängstigten Russen von einem Verrat, der bestraft würde. Man wird kaum einen Russen finden, der jetzt nicht glaubt, dass die Strafe vollzogen wurde. Nicht nur in Russland macht man sich keine Illusionen darüber, dass der Kreml nicht zögert, Gegner oder illoyale Parteigänger zu beseitigen.

Doch hätte der Tod des Wagner-Chefs, falls er sich bestätigen sollte, Auswirkungen auf die Aktionen, die wir mit Prigoschin assoziieren? Auf den Großen Krieg im Osten, auf russische Aktionen in Afrika oder Provokationen an den Grenzen von Belarus? Das ist zweifelhaft. Es gibt keine unersetzlichen Menschen, auch nicht unter Banditen. Russland wird nichts von dem aufgeben, bei dem Prigoschin und seine Söldner geholfen haben. Schlimmer noch: Die Liquidierung des Wagner-Chefs wäre ein Signal an die Russen, dass man dem Kreml nicht nur ab und zu mal helfen kann. Man muss es immer tun."

Wagner-Chef: Video soll Absturz von Prigoschin-Flugzeug zeigen
Video soll Absturz von Prigoschin-Flugzeug zeigen

"Gazeta Wyborcza", Warschau: "Der Tod dieses Menschen, zumal wenn die Nation ihn als fiktiv anerkennt, ist in der heutigen Situation von großem Nutzen. Er wird die Verwirrung in Russland nur noch vergrößern. Nach dem, was mit 'Putins Koch' geschehen ist, werden sich nun auch alle anderen bedroht fühlen. Prigoschin nahe stehende Medien verkünden, dass die Wagner-Gruppe nun 'einen speziellen Mechanismus aktivieren wird, der für den Fall seines Todes vorbereitet wurde'. Worin dieser bestehen soll, erklären sie nicht. Es ist jedoch kaum zu erwarten, dass die Wagner-Kämpfer, die in ganz Russland, Belarus und Afrika verbreitet sind, spontan gegen die Ermordung ihres Chefs protestieren werden. 

Dennoch bleiben sie eine gefährliche Kraft. Von der Front entlassen, von Verwundungen geheilt, nach Ablauf ihres Vertrages aus dem Dienst entlassen, sind sie überall in Russland zu finden. Sie haben Waffen und können hervorragend damit umgehen. Sollte es, wie man im Kreml befürchtet, zu einer weiteren Rebellion kommen, könnten sie zu einer mächtigen Kraft werden. Und einen 'falschen Prigoschin' oder 'falschen Wagner' an ihre Spitze zu setzen, der aus den Tiefen des Internets operiert, wäre in einer solchen Situation leicht möglich."

DPA
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