Trotz Getreide-Deal Russland gibt Angriff auf Hafen von Odessa zu – und steht noch mehr unter Druck

Krieg in der Ukraine: Trotz Getreide-Deal: Russland räumt Angriff auf Odessa ein
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Bilder, die von der ukrainischen Armee am Samstag veröffentlicht wurden. Sie sollen die Löscharbeiten nach einem russischen Raketenangriff auf die ukrainische Hafenstadt Odessa zeigen. Das russische Außenministerium hatte den Angriff auf Odessa eingeräumt. Mit hochpräzisen Raketen sei ein Kriegsschiff der Ukraine getroffen worden, erklärte Sprecherin Maria Sacharowa. Zudem seien auch von den USA gelieferte Raketen zerstört worden. Nach Darstellung der Ukraine wurden Hafenanlagen getroffen. Die Regierung in Kiew sieht damit den Vertrag über die Wiederaufnahme von Getreidelieferungen in Gefahr. Mit dem Getreide-Export soll der weltweite Anstieg von Lebensmittelpreisen eingedämmt werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij sagte, der Angriff zeige, dass man Moskau nicht trauen könne. Sein Wirtschaftsberater rechnet nach dem russischen Angriff auf Odessa mit Problemen beim geplanten Getreide-Export. Das werde schwierig, erklärt Oleh Ustenko im Fernsehen. Die Ukraine könnte 60 Millionen Tonnen Getreide im Lauf von acht bis neun Monaten ausführen, sollte die Blockade der Schwarzmeerhäfen tatsächlich aufgehoben werden. Sollte Russland das Abkommen über die Freigabe der Exporte aber nicht einhalten, werde Transport des Getreides 20 bis 24 Monate in Anspruch nehmen. US-Außenminister Antony Blinken verurteilt den russischen Raketenangriff auf die ukrainische Hafenstadt Odessa scharf. Russland sei dafür verantwortlich, dass sich die weltweite Lebensmittelkrise verschlimmere, sagt Blinken. Der Angriff untergrabe die Bemühungen der UN, der Türkei und der Ukraine, wichtige Lebensmittel zu den Weltmärkten zu bringen.
Keine 24 Stunden nach der im Kampf gegen den Hunger in der Welt wichtigen Vereinbarung über die Ausfuhr von ukrainischem Getreide bombardiert Russland die Hafenstadt Odessa. Was bedeutet der Angriff für die Zukunft dieses international begrüßten Abkommens?

Als ein "Leuchtfeuer der Hoffnung" wollte UN-Generalsekretär António Guterres die mühsam errungene Einigung über die Ausfuhr von Millionen Tonnen ukrainischem Getreide verstanden wissen. Doch es dauerte keine 24 Stunden, bis Russland den für den Export wichtigen Hafen in Odessa am Schwarzen Meer mit Raketen angriff. In den Silos dort lagern große Mengen an Weizen und Mais, die für die Welternährung wichtig sind. Die neuen russischen Raketenschläge schüren massive Ängste, dass das am Freitag in Istanbul unterzeichnete Abkommen platzen könnte.

Zwar wurden nach ukrainischen Angaben keine Getreidesilos getroffen bei dem Beschuss mit "Kaliber"-Raketen. Von "offensichtlicher russischer Barbarei" sprach jedoch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Wochenende. Aus russischer Sicht ist der Anschlag vom Samstag ein klarer Warnschuss für die Ukraine.

Russland will militärische Infrastruktur beschossen haben

Es sei ein Objekt militärischer Infrastruktur beschossen worden, räumte das russische Außenministerium ein. Sprecherin Maria Sacharowa wies am Sonntag Kritik zurück, dass Vereinbarungen mit Russland keinen Bestand hätten und verwies auf die laufende Afrika-Reise von Außenminister Sergej Lawrow. Dieser hatte ebenso wie der Kreml erklärt, dass das Getreide wichtig sei im Kampf gegen den Hunger.

Aus russischer und aus ukrainischer Sicht hat das maßgeblich unter Vermittlung von UN-Generalsekretär Guterres und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ausgehandelte Abkommen weiter seine Gültigkeit. Für die Umsetzung aber müssen erst die technischen Voraussetzungen getroffen werden. Zudem hat Russland eigene Bedingungen gestellt und sich schriftlich Zugeständnisse geben lassen von den Vereinten Nationen, damit die Einigung am Ende Bestand hat. Dazu hat die russische Seite zwei Vereinbarungen unterzeichnet.

Getreide-Abkommen gerade erst unterzeichnet

Verteidigungsminister Sergej Schoigu unterschrieb in Istanbul am Freitag mit seinem türkischen Amtskollegen Hulusi Akar ein Dokument, das einen sicheren Seetransport über einen Korridor im Schwarzen Meer vorsieht. Ausdrücklich erwähnt ist darin auch, dass sich keine Kriegsschiffe, Flugzeuge oder Drohnen in der Nähe des Korridors aufhalten dürfen. Bei dem Angriff auf den Hafen von Odessa aber seien ein ukrainisches Kriegsschiff, ein Depot mit von den USA gelieferten "Harpoon"-Raketen und ein Dock zerstört worden, hieß es in Moskau.

Die Einigung sieht auch vor, die Schiffe von Vertretern aller Parteien in einem Kontrollzentrum in Istanbul überwachen zu lassen. Die Schiffsinspektoren müssen dem Vernehmen nach allerdings erst noch gefunden werden. Bis die Kontrolleinheit tatsächlich arbeitsfähig ist, dürften Tage, wenn nicht Wochen vergehen. Moskaus Vertreter Schoigu wies auch darauf hin, dass die Schiffe, die die Ukraine verließen und jene, die dorthin führen, kontrolliert werden müssten. Russland befürchtet, dass Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, Waffen an Bord haben könnten.

Krieg große Gefahr für Schiffsbesatzungen

Unklar ist aber auch, wie Reedereien den Verkehr überhaupt sicherstellen können. So sind etwa auch Versicherungsfragen zu klären, weil Schiffsbesatzungen in einem Kriegsgebiet großen Gefahren ausgesetzt sind. Für die Ukraine allerdings drängt die Zeit, weil sie in der laufenden Ernte die Silos freibekommen muss. Vor dem Krieg hatte das Land, das zu den großen Weizen- und Maisexporteuren gehört, rund 45 Millionen Tonnen Getreide jährlich ausgeführt.

Viel wichtiger für Russland ist allerdings das zweite Dokument, eine Absichtserklärung, die parallel zu dem Istanbuler Abkommen mit den Vereinten Nationen unterzeichnet wurde. Demnach wollen sich die UN bei den westlichen Ländern dafür einsetzen, dass die unter anderem auf Russlands Getreide- und Düngemittelexport drückenden Sanktionen abgeschafft werden. Zwar gibt es keine direkten Sanktionen auf russische Lebensmittel. Aber die Strahlkraft der Strafmaßnahmen ist inzwischen so, dass das Riesenreich keine Geschäfte mehr machen kann.

Russland beklagt Sanktionen

Russland beklagt durch die Sanktionen des Westens etwa massive Einschränkungen für seinen internationalen Schiffsverkehr, der für den Transport von Getreide und Düngemitteln genutzt wird. So dürfen die russischen Schiffe viele Häfen nicht mehr ansteuern oder erhalten keine Versicherungen. Auch die Abwicklung von Zahlungen ist durch die Sanktionen im Finanzsektor nur schwer möglich. Kremlchef Wladimir Putin hatte deshalb zuletzt betont, dass es nur eine Paketlösung geben könne – für das ukrainische und das russische Getreide.

Auch mit Blick auf die Preisexplosionen bei Lebensmitteln, Energieträgern und anderen Rohstoffen hatte Putin den Westen wiederholt aufgefordert, die wegen Russlands Krieg in der Ukraine erlassenen Sanktionen abzuschaffen. Die EU und die USA lehnen das ab. Allerdings betonte auch Verteidigungsminister Schoigu am Freitag, dass für Moskau die beiden Dokumente zum Getreideexport der Ukraine und zu Russlands Zielen miteinander verbunden seien.

Krieg in der Ukraine: Trotz Getreide-Deal: Russland räumt Angriff auf Odessa ein
Trotz Getreide-Deal: Russland räumt Angriff auf Odessa ein

Ob das ukrainische Getreide tatsächlich auf den Weltmarkt kommt und hilft, den Hunger zu bekämpfen, hängt demnach maßgeblich davon ab, ob auch Russland exportieren kann. Wie die Ukraine will auch Russland sich die Milliardeneinnahmen aus dem Getreideverkauf nicht entgehen lassen. Dafür ist das Land nun aber angewiesen darauf, dass die Vereinten Nationen tatsächlich erreichen, dass der Sanktionsdruck auf Russland nachlässt. Nach dem Angriff auf den Hafen von Odessa allerdings steht Russland erneut international in der Kritik – und ist nun eindringlich aufgefordert, die Vereinbarung von Istanbul umzusetzen.

DPA
tkr/Ulf Mauder