Fischer bemüht sich um Nahost-Entspannung - Sorge um Arafat
Außenminister Joschka Fischer hat sich über die Ostertage in die internationalen Bemühungen um eine Entschärfung des eskalierten Nahost-Konflikts eingeschaltet. Er hielt engen telefonischen Kontakt mit Vertretern Israels und der Palästinenser, wie eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Montag in Berlin sagte.
Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, nannte das militärische Vorgehen Israels gegen die Palästinenser legitim und angemessen. CDU und FDP kritisierten die Haltung von Palästinenserpräsident Jassir Arafat zum Terror in Israel.
Eine Sprecherin Fischers sagte, Ziel des Außenministers sei es, dass die Staatengemeinschaft auf beide Konfliktparteien geschlossen diplomatisch einwirke, um Terror und Gewalt zu beenden. Es werde versucht, eine Wiederaufnahme der Waffenstillstandsverhandlungen unter Federführung des US-Unterhändlers Anthony Zinni zu erreichen.
Fischer fordert Garantie für Unversertheit Arafats
In einer Erklärung hatte Fischer die israelische Regierung am Sonntag aufgefordert, die Unversehrtheit von Arafat zu garantieren. Die palästinensische Autonomiebehörde müsse ihre Handlungsfähigkeit wieder erhalten.
Spiegel sagte am Montag der dpa in Düsseldorf, es gebe derzeit eine »organisierte Terror-Kampagne« gegen den Staat Israel. Der Nahost-Konflikt sei schon längst keine »Spirale der Gewalt« mehr, sondern eine Kriegserklärung aller palästinensischen Fraktionen gegen Israel.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland sprach dagegen von einem »Vernichtungskrieg« Israels, den die Vereinten Nationen stoppen müssten. Der Vorsitzende des Zentralrats, Nadeem Elyas, sagte, die Lebensgrundlage der Palästinenser werde systematisch zerstört.
Der CDU-Außenexperten Friedbert Pflüger wies den USA die Schlüsselrolle bei einer Lösung des Konflikts zu. »Die USA sind die einzigen, die in der Lage sind, vielleicht die Schraube der Gewalt ein Ende zu bereiten und einen Waffenstillstand zu ermöglichen«, sagte Pflüger am Montag in einem dpa-Gespräch. Die Europäer sollten die USA unterstützen aber auf Alleingänge verzichten.
Fischer telefonierte mit Peres, Ben-Elieser, Arafat , Solana und Annan
Pflüger hat nach eigenen Worten »große Zweifel«, dass Arafat als Verhandlungspartner von Israel noch einmal akzeptiert wird. Er habe zu viel Autorität verspielt.

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Auch der FDP-Nahostexperte Dirk Niebel kritisierte Arafat. Dieser weigere sich seit Monaten, die Terrorinfrastruktur im Autonomiegebiet zu bekämpfen. Solange sich daran nichts ändere, müsse die Bundesregierung darauf hinwirken, dass alle EU-Fördermittel für die Autonomiebehörde »sofort eingefroren werden«.
Die PDS verurteilte dagegen das israelische Vorgehen, das »zu einem quasi-totalen Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung ausufert«. Der Vizevorsitzende der PDS-Bundestagsfraktion, Wolfgang Gehrcke, verlangte von Außenminister Fischer, den israelischen Botschafter einzubestellen.
Fischer sprach an Ostern mit dem israelischen Außenminister Schimon Peres und Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser sowie Palästinenserpräsident Jassir Arafat. Weitere Telefonate habe er mit dem EU-Koordinator Javier Solana und UN-Generalsekretär Kofi Annan sowie Repräsentanten der USA und Russlands geführt, teilte seine Sprecherin mit.
Israel will Offensive weiter verstärken - Armee will 20.000 zusätzliche Soldaten mobilisieren
Israel richtet sich im Konflikt mit den Palästinensern auf eine mehrwöchige militärische Offensive ein. Drei Tage nach der Besetzung von Ramallah und Teilen des Amtssitzes von Jassir Arafat rückten am Montag Panzer in Bethlehem, Kalkilja und El Chader ein. Für die »Operation Schutzwall« sollen nach Angaben von Brigadegeneral Ariel Hyman 20.000 zusätzliche Soldaten mobilisiert werden.
Der Vorstoß in Bethlehem folgt auf vier Selbstmordanschläge von palästinensischen Extremisten aus dieser Stadt und ihrer Umgebung. Die am frühen Morgen eingerückten Panzer stoppten rund 500 Meter vor der Geburtskirche. Am nördlichen Stadtrand wurden 40 Panzer und Schützenpanzer in Stellung gebracht. Außerdem marschierten israelische Truppen im nahe gelegenen Beit Dschala ein. Sie besetzten mehrere Gebäude mit Blick auf Bethlehem und verhängten ein allgemeines Ausgehverbot.
Panzer in Bethlehem, Kalkilja und El Chader
Kalkilja im Norden des Westjordanlands wurde von rund 60 Panzern besetzt, wie Bürgermeister Mustafa Malki mitteilte. Die Soldaten durchsuchten die Häuser nach Verdächtigen und nach Waffen. In der Nähe von Kalkilja nahmen die Truppen nach Angaben der Streitkräfte mehrere Positionen ein, von denen die Stadt Tulkarem überblickt werden kann. Auch in El Chader bezogen Panzer Stellung.
In Ramallah wurde Arafat den vierten Tag in Folge daran gehindert, sein Büro zu verlassen. Israelische Einheiten waren am Karfreitag in Arafats Amtssitz vorgedrungen und hatten dort mehrere Gebäude besetzt. Mit Bulldozern schütteten Soldaten am Montag rund um die Anlage einen Wall auf.
Scharon verteidigte das israelische Vorgehen in einer Fernsehansprache mit den Worten: »Der Staat Israel befindet sich im Krieg, im Krieg gegen den Terrorismus. Es ist ein Krieg, der uns aufgezwungen wurde.« Arafat bezeichnete er als »Kopf einer Koalition des Terrorismus«, als Feind Israels und der gesamten freien Welt.
15 Tote bei Selbstmordanschlag in Haifa
Vor Scharons Ansprache kam es binnen weniger Stunden zu zwei Selbstmordanschlägen. In einem voll besetzten Restaurant in Haifa sprengte sich am Sonntag ein Palästinenser in die Luft und riss 14 Israelis mit in den Tod, mehr als 40 weitere Personen wurden verletzt. In der Siedlung Efrat im Westjordanland zündete kurz darauf ein Attentäter einen Sprengsatz und verletzte vier Menschen. Erst am Samstagabend waren bei einem Selbstmordanschlag in einem Cafe in Tel Aviv 32 Menschen verletzt worden.
Im Westjordanland wurden am Montag zehn Palästinensern erschossen, denen Kollaboration mit Israel vorgeworfen wurde. Neun von ihnen waren in palästinensischer Haft, wie am Montag aus Sicherheitskreisen verlautete. Offenbar wollten die Täter verhindern, dass die Beschuldigten bei einem Vorstoß israelischer Truppen befreit werden.
Palästinenser töten elf angebliche Spitzel Israels
Aufständische Palästinenser haben nach Polizeiangaben am Montag im Westjordanland elf angebliche Spitzel der Besatzungsmacht Israel getötet. Seit Beginn des Palästinenser-Aufstands vor anderthalb Jahren sind Dutzende von Spitzeln gelyncht worden, aber noch nie soviele an einem Tag.
Die israelische Armee war in der Nacht im Westjordanland vorgestoßen, während sie in Ramallah weiter das Gelände des Amtsitzes von Palästinenser-Präsident Jassir Arafat besetzt hielt. Auf dem Gelände hielt sich auch eine Gruppe von Friedensaktivisten auf, zu der nach Angaben des Auswärtigen Amtes auch zwei Deutsche gehörten.
Nach Palästinenser-Angaben riegelte die Armee Tulkarm mit Panzern ab. Panzer fuhren am Stadtrand auf. Aus Polizeikreisen verlautete, die angeblichen Kollaborateure hätten sich in einem unbewachten Gebäude der palästinensischen Geheimpolizei aufgehalten. Die Wachen seien bei dem israelischen Vorstoß aus Furcht vor Beschuss abgezogen worden. Hunderte Palästinenser versammelten sich um die Leichen der acht Opfer, die auf die Straße gezogen worden waren.
In den Autonomiegebieten wurde die Todesstrafe für Kollaboration mit Israel eingeführt
In der Nacht zum Montag rückte die israelische Armee zudem mit rund 100 Panzern in Kalkilja ein. Kurz darauf wurden auf offener Straße zwei junge Männer erschossen aufgefunden, die im Verdacht gestanden hatten, mit den Besatzungstruppen zusammengearbeitet zu haben. Nach Militärangaben explodierte in Kalkilja während einer Hausdurchsuchung ein Sprengsatz. Acht Soldaten wurden verwundet, einer von ihnen schwer.
In Bethlehem erschossen nach Augenzeugenberichteten zwei maskierte Männer am Montagmorgen einen weiteren angeblichen Spitzel.
In den autonomen Gebieten des Westjordanlandes wurde nach Beginn des Aufstandes für Kollaboration mit Israel die Todesstrafe eingeführt. Bislang vollstreckte die Justiz zwei Urteile. Mehrere Dutzend Palästinenser hingegen wurden von Aufständischen getötet. Die Spitzel werden dafür verantwortlich gemacht, dass die Besatzungsarmee gezielt Jagd auf die Hintermänner des Aufstandes machen kann.
Als Reaktion auf eine Reihe von Anschlägen war die Armee am Freitag auf das Gelände von Arafats Amtssitz eingedrungen; einen Tag später standen die Soldaten nach palästinensischen Angaben vor Arafats Arbeitszimmer, drangen aber nicht ein. Außenminister Schimon Peres bekräftigte, Israel wolle Arafat nichts zu Leide tun.
Bundesregierung setzt sich für eingeschlossene Deutsche in Arafats Amtssitz ein
Einzelheiten über die Deutschen unter den internationalen Friedensaktivisten wurden am Montag nicht bekannt. »Die Bundesregierung wird sich bei der israelischen Seite dafür einsetzen, dass alles unterlassen wird, was sie gefährden könnte«, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Montag in Berlin. Die Mitglieder der Organisation »Internationale Basisgruppen für den Schutz des palästinensischen Volkes« wollen sich durch ihren Aufenthalt bei Arafat zwischen die Beteiligten stellen und so ein weiteres Vorrücken Israels verhindern. Nach Angaben des internationalen Medien-Zentrums in Ramallah wurden am Sonntag zehn Mitglieder der Gruppe von Soldaten festgenommen, als sie den Amtssitz wieder verließen.
Nach palästinensischen Angaben konnte eine Gruppe von Nahost-Gesandten der USA, EU, UNO und Russland nicht wie geplant zu Arafat gelangen. Mit der Belagerung halte Israel die Gruppe von Arafat fern, sagte Informationsminister Jasser Abed Rabbo. Die israelische Regierung teilte mit, Arafat bleibe isoliert, bis die Bedrohung durch den Terrorismus vorbei sei.
Scharon: »Bürger von Israel: Der Staat Israel ist im Krieg, im Krieg gegen den Terror.«
In einer Rede an die Nation kündigte der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon am Sonntag einen kompromisslosen Krieg gegen die »Terror-Kampagne« gegen Israel an: »Bürger von Israel: Der Staat Israel ist im Krieg, im Krieg gegen den Terror. Wir müssen diesen Terrorismus bekämpfen, in einem kompromisslosen Krieg, um diese Wilden auszurotten, ihre Infrastrukturen zu zerschlagen, denn es gibt keinen Kompromiss mit Terroristen.« Dieser Terrorismus werde dirigiert und koordiniert von einem Mann, von Arafat.
Vor Scharons Rede hatte ein Selbstmordattentäter in Haifa 15 Menschen mit in den Tod gerissen. Sechs Menschen wurden bei einem Selbstmordanschlag in einer jüdischen Siedlung im Westjordanland verletzt. Seit Beginn des Palästinenseraufstands sind mindestens 1127 Palästinenser und 398 Israelis getötet worden.
Ramallahs Einwohner zittern - Berichte über plündernde Soldaten
Zwei israelische Panzer stellen sich in Position. Ihre Kanonen sind auf ein vierstöckiges Gebäude im Zentrum Ramallahs gerichtet. »Kommt alle raus!« bellt eine Lautsprecherstimme. »Sofort. Ich zähle bis zehn.« Niemand zeigt sich. Der Soldat auf dem Panzer schießt etwa zwei Minuten lang mit seinem Maschinengewehr. Alle Scheiben am Haus gehen zu Bruch, dann wird das Gebäude mit mehr als 15 Panzergranaten beschossen. Die Panzer rattern weiter. An Festnahmen scheinen die Soldaten nicht interessiert.
Hanan Schehadeh (29) wohnt im Nachbargebäude und hat sich in die hinteren Räume ihrer Wohnung verkrochen. Sie sitzt auf dem Küchenboden, den Kopf auf den Knien. Die vergangenen drei Tage, sogar die Hausdurchsuchung am Ostersonntag, hat sie ziemlich gefasst überstanden. Jetzt aber ist die Palästinenserin mit ihren Nerven am Ende. »Wie sollen wir hier noch leben?« Sie fängt still an zu weinen. Bei jeder neuen Maschinengewehr-Salve zuckt sie zusammen.
Die Aufforderung der israelischen Regierung an Journalisten und Ausländer, Ramallah sofort zu verlassen, beunruhigt die Bewohner besonders. »Sie wollen noch viel mehr Leute umbringen und alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit zerstören«, befürchtet Schehadeh. Die Bewohner berichten von israelischen Schützenpanzerbesatzungen, die vor Läden, Goldschmieden, Banken und Computergeschäften gehalten und diese geplündert hätten. Die am Sonntag durchsuchten 40 palästinensischen Studenten in Schehadehs Nachbarhaus berichten, Soldaten hätten ihnen den Inhalt der Geldbeutel genommen. »Etwa 300 Schekel hatte ich«, sagte Mohammed Hanadi (26). Das sind etwa 80 Euro, ein Drittel des durchschnittlichen Monatsgehalts.
Helfer wagen sich zeitweise nicht mehr auf die Straße. Ebenso die Feuerwehr, die die vielen Brände in der Stadt nicht löschen darf. »Die Ausfahrt ist von Panzern blockiert«, sagt ein Beamter am Telefon. »Unsere Leute werden beschossen.« Sobald die Panzer vorbeigerollt sind, verständigen sich die Nachbarn untereinander mit Rufen von Haus zu Haus. Sie versorgen Bedürftige mit Lebensmitteln, auch Kinderspielzeug wechselt den Besitzer.
»Es macht mich verrückt, wenn die Leute draußen herumlaufen«, sagt Schehadeh. Sie schildert, wie am Ostersonntag zwei Meter vor ihrem Schlafzimmerfenster ein Bewohner des Nachbarhauses angeschossen wurde. Erst nach einer Stunde hätten Sanitäter zu ihm vordringen können. »Wir sind seit 48 Stunden im Einsatz«, sagt ein Helfer. »Wir können nicht mehr.« Die Frontscheibe ihres Krankenwagens ist zerschossen, die Karosserie von Panzerketten zerschrammt.
Im größten Teil der Stadt sind die Bewohner ohne Wasser und Strom. Rundfunknachrichten über die Ereignisse in anderen Stadtteilen können sie nicht verfolgen. Immer wieder werden Tote und Verletzte in Wohnungen gefunden. Dazu kommen ständige Explosionen der Panzergranaten und die Maschinengewehrsalven, obwohl der palästinensische Widerstand längst gebrochen scheint. Als am Sonntag für kurze Zeit Strom zur Verfügung stand, sah Schehadeh Fernsehbilder von Solidaritäts-Demonstrationen in anderen Ländern. »Es tut so gut zu wissen, dass andere Menschen in diesen Zeiten an uns denken«, sagt sie.
Von Peter Schäfer, dpa