Am Tor des Kanzleramts gerüttelt wie einst Gerhard Schröder in Bonn hat er nicht. Aber dass sich Finanzminister Scholz gut vorstellen kann, in Zukunft Regierungschef der Bundesrepublik zu sein, daran lässt er keinen Zweifel. "Natürlich" traue er sich das Amt zu, schließlich zähle er laut Umfragen "zu den Politikern mit hoher Unterstützung bei Bürgerinnen und Bürgern und SPD-Anhängern", tat der frühere Hamburger Bürgermeister im Interview mit der "Bild"-Zeitung kund. (Beim letzten Parteitag erhielt Scholz mit 59 Prozent der Stimmen das schlechteste Ergebnis aller Vize-Parteichefs; im jüngsten RTL-/n-tv-Politikerranking liegt Scholz auf Platz vier mit 47 von 100 möglichen Punkten, d. Red.) Und er glaube auch, dass es der SPD gelingen kann, den kommenden Kanzler zu stellen. Titel der "Bild": "Olaf Scholz will Kanzler werden!"
Olaf Scholz eröffnet Debatte um K-Frage bei der SPD
Ablehnend reagierten vor allem linke Vertreter der SPD auf den Vorstoß Scholz': "Das ist der falsche Zeitpunkt, der falsche Mann und die falsche Methode", sagte etwa Juso-Vize Katharina Andres der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Für sie sei SPD-Chefin Andrea Nahles die "erste Wahl", "zumal es an der Zeit ist, dass die SPD eine Frau zur Kanzlerkandidatin macht".
Auch die Führung der Sozialdemokraten hält die Diskussion über die K-Frage für verfrüht. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte dem Blatt: "Im Moment stellt sich diese Frage innerhalb der SPD nicht besonders dringlich, denn bis zu der nächsten Bundestagswahl sind es noch mehr als zwei Jahre."
"Olaf kann es"
Der nordrhein-westfälische SPD-Vorsitzende Sebastian Hartmann kritisierte Scholz. "Das Letzte, was die SPD vor der so wichtigen Europawahl braucht, ist es, eine Kanzlerkandidatendebatte zu führen", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (u.a. "Westdeutsche Allgemeine Zeitung"). "Ich erwarte nach dem schwierigen Jahr 2018, dass sich alle Vertreter der Parteiführung auf die wesentlichen Dinge konzentrieren."
Zuvor hatte sich bereits SPD-Bundesvize Ralf Stegner ähnlich geäußert. "Im Zuge der programmatischen Erneuerung der SPD würde es uns guttun, wenn sich zum richtigen Zeitpunkt verschiedene Kandidaten mit unterschiedlichem Profil einem innerparteilichen Wettbewerb und einem Mitgliedervotum über die Kanzlerkandidatur der SPD stellen", sagte er dem "Handelsblatt". Ein solcher "Vorwahlkampf" stehe aber erst später an.
Vertreter des konservativen Parteiflügels signalisierten Unterstützung für den derzeitigen Vizekanzler. "Olaf kann es", twitterte beispielsweise der Hamburger SPD-Abgeordnete und Scholz-Vertraute Johannes Kahrs.
Skepsis klingt in den Kommentarspalten der Zeitungen durch. Die "Tageszeitung" schreibt etwa: "Einmal mehr verkörpert Scholz hier die sich selbst erdrückende SPD, die am notorischsten von allen Parteien Verlässlichkeit mit Starrköpfigkeit, Fortschritt mit machtpolitischem Erfolg verwechselt. Da Scholz seinen Vorstoß vermutlich nicht mit Nahles abgestimmt hat, dürfte die gute Zusammenarbeit an der Parteispitze nun empfindlich gestört sein, was der SPD nur noch mehr schaden könnte."
"Vorstoß wie ganze SPD: ziemlich angstgetrieben."
Das Düsseldorfer "Handelsblatt" meint: "Grundsätzlich ist Scholz’ Machtwille begrüßenswert. Der Dreikampf in der CDU hat gezeigt, wie gut offener Wettbewerb einer Partei tun kann. Und sicher wollte Scholz ein Zeichen an die eigene Partei senden: Die SPD darf sich nicht kleiner machen, als sie ist. Wenn eine CDU-Vorsitzende sich das Kanzleramt zutraut, muss das für einen SPD-Vizekanzler erst recht gelten. Aber das Timing verwundert. Denn bevor die SPD über Köpfe diskutieren kann, muss sie überhaupt erst wieder einen Markenkern entwickeln. Doch offenbar fürchtet Scholz, im Kanzlerrennen gegenüber Annegret-Kramp-Karrenbauer seinen Amtsbonus zu verlieren, wenn er seine Ambitionen nicht früh herausstreicht. Sein Vorstoß wirkt daher wie die ganze SPD: ziemlich angstgetrieben."
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung"(kostenpflichtiges E-Paper) hat Verständnis für Scholz' Vorstoß: "Es wäre eine große Nachricht gewesen, wenn Finanzminister Olaf Scholz auf die Frage, ob er sich das Amt des Bundeskanzlers zutraue, negativ geantwortet hätte. (...) Selbst wenn es nach der nächsten Bundestagswahl eine realistische Mehrheit jenseits von CDU und CSU gäbe, könnte die SPD nach gegenwärtigem Stand nicht sicher sein, als stärkste Kraft einer ziemlich bunten Koalition den Bundeskanzler zu stellen."
Spott in den sozialen Netzwerken
Olaf Scholz stellte zwar auch klar, "weder bei der Union noch bei uns steht diese Frage heute an", aber er hat sie losgetreten: Die Diskussion um die K-Frage, mehr als zweieinhalb Jahre vor der nächsten planmäßigen Bundestagswahl. Ausgerechnet in der SPD, jener Partei, die sich in einem verheerenden Umfragetief befindet und zurzeit weitaus andere Sorgen hat, als sich um das Kanzleramt zu kümmern. Und dann auch noch Olaf Scholz, der als spröde geltende Vertreter der alten Sozen-Zunft, der den schweren Rucksack des G20-Gipfeldesasters in Hamburg weiter mit sich rumträgt. So oder so ähnlich fielen dementsprechend auch erste Reaktionen in den sozialen Netzwerken aus, nachdem Scholz sich als Kanzlerkandidat für die Sozialdemokraten ins Spiel brachte.

Quellen:Olaf Scholz in der "Bild", "Spiegel Online", RTL-/n-tv-Politikerranking, "Hannoversche Allgemeine Zeitung", "Westdeutsche Allgemeine Zeitung", Ralf Stegner im "Handelsblatt", Johannes Kahrs bei Twitter, "Tageszeitung", Kommentar im "Handelsblatt", "Frankfurter Allgemeine Zeitung"