Deutschland bemüht sich nach dem Zerwürfnis mit den USA in der Irak-Frage mit einer Friedensinitiative wieder um mehr internationalen Einfluss. Gemeinsam mit Paris will Berlin einen Vorstoß zur Entwaffnung des Irak auf den Weg bringen. Allerdings dementierte das französische Außenministerium eine Blauhelm-Initiative. Bundeskanzler Gerhard Schröder wollte noch am Sonntagabend bei einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin um Unterstützung werben und auch andere Verbündete gewinnen. Der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow signalisierte Unterstützung für den deutsch-französischen Irak-Vorstoß.
Für das angespannte deutsch-amerikanische Verhältnis ist die Initiative eine neue Belastungsprobe. Offenbar wurde Washington nicht vorab darüber informiert. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz, die am Wochenende von einem harten Schlagabtausch zwischen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Außenminister Joschka Fischer geprägt war, lehnten US-Vertreter den Vorschlag klar ab.
«Entschuldigen Sie. Ich bin nicht überzeugt»
Fischer attackierte in seiner emotionalen Rede vor 250 Teilnehmern aus aller Welt Rumsfeld direkt: «Entschuldigen Sie. Ich bin nicht überzeugt», rief er auf Englisch. Nachdrücklich appellierte er an Washington, den Inspekteuren im Irak mehr Zeit zu geben. Die Mittel für eine friedliche Lösung seien «mitnichten ausgeschöpft». Die entscheidende Frage sei, ob die Bedrohung durch den Irak einen Krieg zum jetzigen Zeitpunkt rechtfertige. «Wir sind anderer Auffassung.»
Fischer: "Diplomatische Mittel mitnichten ausgeschöpft"
Er sehe keine Rechtfertigung für einen Krieg, sagte Fischer. Die diplomatischen Mittel seien «mitnichten ausgeschöpft». Nachdrücklich setzte er sich dafür ein, den Waffeninspekteuren mehr Zeit zu geben. Die Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, sprachen sich demgegenüber klar für einen Militäreinsatz als letztes Mittel aus.
Verteidigungsminister Peter Struck sagte, die deutsch-französischen Überlegungen seien «eine große Chance, den Krieg noch zu verhindern». Das wäre für alle Beteiligten ein diplomatischer Erfolg. Deutschland könnte sich mit einer Aufklärungsdrohne und Soldaten im Dienst der Vereinten Nationen (UN) beteiligen sowie mehr Inspekteure stellen, wenn der UN-Sicherheitsrat das für richtig halte.
Rumsfeld sagte, er wusste nichts von einem deutsch-französischem Abrüstungsplan
Rumsfeld sagte, er habe von dem deutsch-französischen Vorstoß aus der Presse erfahren. Struck teilte mit, er habe mit Rumsfeld in einem Vier-Augen-Gespräch am Samstagabend über das Thema gesprochen. Schröder werde an diesem Donnerstag in seiner Regierungserklärung zum Irak den Bundestag näher informieren. Die französische Regierung zeigte sich zurückhaltend.
Ausgangspunkt für die Überlegungen sind Struck zufolge die Vorschläge des französischen Außenministers Dominique de Villepin am vergangenen Mittwoch im UN-Sicherheitsrat. Dort hatte er sich für eine erhebliche Ausweitung der Inspektionen ausgesprochen. Nach einem vorab veröffentlichten Bericht des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» über die Initiative sollen UN-Blauhelm-Soldaten jahrelang faktisch die Kontrolle des Irak übernehmen und die Abrüstung garantieren. Das Konzept könnte laut «Spiegel» als deutsch-französischer Resolutionsentwurf in den Sicherheitsrat eingebracht werden.
Der frühere US-Verteidigungsminister William Cohen sagte, jetzt müsse nicht über 2000 Waffeninspekteure oder 20 000 Blauhelm-Soldaten geredet werden. Es wäre erfolgreicher, wenn die 15 Mitglieder des UN- Sicherheitsrats Saddam Hussein «im Schulterschluss» zur Abgabe seiner Waffen zwängen. Der republikanische Senator John McCain nannte den erwarteten Vorstoß einen «Reklametrick». Struck sagte dagegen: «Wenn es zutrifft, was der Chef der UN-Waffenkontrolleure, Hans Blix, und andere sagen, dass die Bereitschaft des Irak zur Kooperation gestiegen ist, muss man in der Tat jede Möglichkeit zu einer friedlichen Lösung ausnutzen.»
Struck zeigte sich nach der Konferenz zufrieden. «Es sind manche Irritationen ausgeräumt worden», sagte er der dpa. «Ich halte das deutsch-amerikanische Verhältnis überhaupt nicht für zerstört.» Abgesehen von den unterschiedliche Positionen in der Irak-Frage herrsche bei anderen Themen Übereinstimmung. Als Beispiel nannte er das Vorgehen mit der internationalen Schutztruppe in Afghanistan (ISAF). Dafür habe Rumsfeld Deutschland ausdrücklich gedankt.
Rumsfeld nennt Blockade der Schutzmaßnahmen für die Türkei schändlich
Auch nach der Sicherheitskonferenz bleibt das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland gespannt. Als „schändlich“ bezeichnete Donald Rumsfeld die Haltung Deutschlands, Frankreichs und Belgiens in Bezug auf Schutzmaßnahmen für die Türkei: Alle drei Länder lehnen entsprechende Planungen zum jetzigen Zeit als falsches politisches Signal ab.
Bundesverteidigungsminister Peter Struck hatte eine französisch-deutsche Initiative zur gewaltlosen Abrüstung Iraks angekündigt. Nach der Abreise Rumsfelds teilte er in München mit, die Zahl der Inspekteure solle erhöht und von Blauhelmen unterstützt werden. „Wir könnten uns schon daran beteiligen“, sagte er am Sonntag dem Fernsehsender Phoenix. Man müsse aber abwarten, welche Zahl von Blauhelmen die Vereinten Nationen für richtig hielten. In Paris wiederum wollte man von einer gemensamen Initiative mit Deutschland nichts wissen. „Es gibt keinen deutsch-französischen Plan“, zitierte die „Berliner Zeitung“ (Montagausgabe) einen Sprecher des Außenministeriums.
Die US-Behörden zeigten sich verärgert darüber, dass sie über das Vorhaben erst über die Medien informiert worden seien. „Rumsfeld war hier zu 24-Stunden-Treffen mit Vertretern Frankreichs und Deutschlands, und keiner hat irgendetwas gesagt“, verlautete aus US-Regierungskreisen. „Das war kein viel versprechender Anfang.“
Die NATO-Planungen zum Schutz der Türkei bei einem Irak-Krieg will Belgien gemeinsam mit Deutschland und Frankreich blockieren. „Wir sind jetzt damit beschäftigt, mit Frankreich und Deutschland einen Brief aufzusetzen, um unser Vetorecht wahrzunehmen“, sagte der belgische Außenminister Louis Michel dem Fernsehsender VRT. Struck kündigte an, Deutschland und die Niederlande würden der Türkei Raketenabwehrsysteme vom Typ Patriot zur Verfügung stellen. Die Verlegung von AWACS-Aufklärern halte die Bundesregierung aber noch nicht für erforderlich. Rumsfeld kritisierte, selbst minimale Vorbereitungen zum Schutz des NATO-Partners Türkei zu verweigern, sei verantwortungslos und unverzeihlich.
Die Gespräche der UN-Chefinspekteure Hans Blix und Mohammed ElBaradei mit der irakischen Regierung sind am Wochenende offenbar konstruktiv verlaufen. Blix sprach von „nützlichen Diskussionen“. Die beiden trafen sich am Sonntagnachmittag zu einer letzten Gesprächsrunde mit irakischen Vertretern. Am Freitag unterrichten sie den UN-Sicherheitsrat über den Fortgang der Inspektionen. Ihre Einschätzung könnte mitentscheidend dafür sein, ob es zum Krieg komme. Gegen einen eventuellen Krieg demonstrierten am Samstag in München, Bremen und Frankfurt am Main insgesamt mehrere zehntausend Menschen.
Ein Irak-Krieg würden einen Flächenbrand in der Golfregion mit katastrophalen Folgen auslösen, warnte der iranische Vizeminister für internationale Beziehungen, Gholamali Khoshroo. Israel erhofft sich dagegen von einem Krieg positive Auswirkungen. Ein erfolgreiches Vorgehen gegen Saddam Hussein könne ein Signal auch für andere terroristische Regimes sein, sagte der Sicherheitsberater Ephraim Halevy. «Wir hoffen auf größere Stabilität vom Persischen Golf bis Marokko.»
Merkel und Stoiber stellten sich klar an die Seite der Amerikaner. Wenn am Ende die friedliche Entwaffnung des Iraks fehlschlage, würde die CDU «auch ein militärisches Vorgehen» befürworten. Der Platz Deutschland sei an der Seite der Verbündeten, sagte Stoiber.