Internationale Pressestimmen "Stärke der amerikanischen Arroganz"

Weltweit kommentiert die Presse den Kriegsbeginn überwiegend USA-kritisch. Die Russische Tageszeitung «Kommersant» spricht sogar von der «Koalition der toten Seelen».

«Libération» (Frankreich): UN sollten in Nachkriegs-Irak das Kommando übernehmen
Für die linksliberale französische Tageszeitung «Libération» am Donnerstag steckt der Irak-Krieg voller Ungewissheiten:

«Der beginnende Krieg wird von vielen Ungewissheiten begleitet und die Nachkriegszeit verspricht noch problematischer zu werden. Es ist zu erwarten, dass die Vereinten Nationen ihre Funktion wieder übernehmen und nicht nur den Flüchtlingen helfen, so wie es in ihrer Charta steht, sondern auch die Zukunft des Irak kontrollieren. Die UN sollten eine institutionelle Lösung für dieses Land vorschlagen, um zu verhindern, dass der Sturz dieser blutrünstigen Diktatur in einen Krieg der Zivilisationen ausartet. Man wünscht, dass die UN in einem befreiten Irak das Kommando von Amerika übernehmen.»

«Le Monde» (Frankreich): Tony Blair ist in den UN gescheitert


Die unabhängige französische Tageszeitung «Le Monde» (Paris) kritisiert am Donnerstag den britischen Premierminister Tony Blair:

«Tony Blair ist mit seinen Bemühungen, eine zweite UN-Resolution zum Irak zu erreichen, gescheitert. Er klagt (den französischen Präsidenten) Jacques Chirac an, statt auf Partnerschaft ständig auf Rivalität mit (US-Präsident George W.) Bush zu setzen. Die britische Nation wird sich allerdings schnell wieder hinter ihren 45 000 Soldaten unter dem Union Jack versammeln. Aber die Konsequenzen werden Europa speziell in der gemeinsamen Verteidigungspolitik treffen, die sich vor allem auf zwei Länder stützt, Großbritannien und Frankreich, die nunmehr in klarer Opposition gegeneinander stehen.»

«Tages-Anzeiger» (Schweiz): Die UNO bleibt unentbehrlich


Zur Zukunft der Vereinten Nationen nach der Niederlage bei der Verhinderung des Irak-Krieges schreibt der in Zürich erscheinende «Tages-Anzeiger» am Donnerstag:

«Doch so arg, wie es auf den ersten Blick scheint, ist es um die UNO nicht bestellt. Zwar lassen die USA und ihre Verbündeten kurzfristig wieder das Faustrecht aufleben. Doch selbst das versucht der US-Präsident noch mit dem Argument zu rechtfertigen, die UNO-Resolution 1441 biete „ausreichend Rückhalt“ für seinen Coup. Zu schweigen vom krampfhaften Bemühen des britischen Premiers in den vergangenen Wochen, mit einer weiteren Resolution die Staatengemeinschaft einzubinden. Gerade dieses Ringen zeigt: Das moderne Völkerrecht existiert und lässt sich nicht mehr so leicht vom Tisch wischen, auch wenn die „Koalition der Willigen“ dieses Recht jetzt verletzt.»

«New York Times» (USA): Tiefster Grund für Irak-Krieg ist 11. September
Zum Krieg gegen den Irak schreibt die «New York Times» (Onlineausgabe) vom Donnerstag:

«Viele Amerikaner erinnern sich zu lebhaft an den Golfkrieg 1991 und die Versuchung wird sein, diesen (neuen) Krieg vor dessen Hintergrund zu sehen. Das Gelände ist gleich, aber alles andere hat sich verändert. (...) Jetzt geht es um Saddam oder nichts. Es gibt kein Gefühl für eine internationale Koalition, für einen Einsatz, der ungleiche Nationen zusammenbindet. Dieser Einsatz hat die Welt entfesselt. (...) Von allen Gründen für diesen Einsatz ist der unausgesprochene, tiefste und aussichtsloseste, den 11. September in unseren Herzen auszulöschen.»

«Salzburger Nachrichten» (Österreich): EU-Außenpolitik ohne Chance


«Keine Chance auf eine gemeinsame Außenpolitik der EU», überschreibt die überregionale österreichische Zeitung «Salzburger Nachrichten» am Donnerstag ihren Kommentar zu den Defiziten der Europäischen Union in der Irak-Krise:

«Die Irak-Krise hat Europa vor Augen geführt, wie es um seine Einigkeit tatsächlich bestellt ist. Sie reicht bestenfalls für die Verabschiedung von Verordnungen über die Beschaffenheit von Traktorensitzen oder die Behandlung von Haustieren auf Urlaubsreisen. In existenziellen Fragen, wenn es also ans Eingemachte geht, dann klafft hingegen eine riesige Lücke zwischen den Ansichten der Mitgliedstaaten. (...) Doch was nützt etwa die Installierung eines Super-Außenministers, wenn hinter dessen Rücken jeder macht, was er will? Er wird bestenfalls der Grüßaugust Europas in der Welt.»

«The Times» (England): Hoffen auf einen kurzen Krieg


Zum Beginn des Krieges gegen den Irak schreibt am Donnerstag die «Times» (London):

«Nun, nachdem der Krieg begonnen hat, muss jeder normale Mensch hoffen, dass er nach wenigen Wochen, wenn nicht Tagen enden wird - mit der bedingungslosen Kapitulation Bagdads und der Gefangennahme oder dem Tod von Präsident Saddam Hussein. Glücklicherweise ist ein solcher Ausgang sehr wahrscheinlich. (...) Irakische Zivilisten werden unweigerlich in den kommenden Wochen getötet werden; aber diese Toten werden zahlenmäßig weit übertroffen von den Zehntausenden, die während des Terrorregimes Saddams hingemetzelt wurden.»

«Kommersant» (Russland): «Koalition der toten Seelen» zieht in Irak-Krieg


Die russische Tageszeitung «Kommersant» kritisiert am Donnerstag die Länder in der von den USA aufgebauten «Koalition der Willigen» für den Krieg gegen den Irak:

«So sieht also die „breite anti-irakische Koalition“ aus. Gleich hinter den USA und Großbritannien laufen Afghanistan und Albanien, Äthiopien und Eritrea, El Salvador und Mazedonien, Estland, Lettland und Litauen mit. Dieser Gruppe ist Krieg oder Frieden egal, sie blickt nur auf die Weltführerschaft der Mächtigen und Reichen. Ihre Logik ist: Warum sollte nur die Supermacht am Irak verdienen? Auch für die Galerie soll etwas abfallen. So wurde eine „Koalition der toten Seelen“ geboren von billigen Verbündeten, die sich für die Propaganda des amerikanischen Vorgehens im Irak hergeben.»

«Adevarul» (Rumänien): Irak-Krieg konstituiert neues System von Allianzen
Die liberale rumänische Tageszeitung «Adevarul» kommentiert am Donnerstag den Beginn des Irak-Krieges:

«Der Rauch des Irak-Krieges wird schnell verfliegen. Schwerer wird sich allerdings der Nebel heben, der die heutige Welt umhüllt. Formell werden sich die transatlantischen Beziehungen erholen. (...) Parallel zur NATO entsteht aber ein völlig neues System von Allianzen. (...) Das Verschwinden der direkten Gefahr des Kommunismus hat, so scheint es, auch die reflexartigen Bestrebungen (des Westens) zerstört, in einem multilateralen Rahmen zu handeln.»

«Il Messaggero» (Italien): Illusion der Machtpolitik


Die römische Tageszeitung «Il Messaggero» schreibt am Donnerstag zum Krieg gegen den Irak:

«Die Würfel sind gefallen. Jetzt müssen die Soldaten in der Wüste mit Waffen und Blut die internationale diplomatische Niederlage der USA ins Gegenteil verkehren. Wo die Argumente nicht ausreichen, geben die Stärkeren der menschlichen Versuchung nach, Gewalt anzuwenden. Dies ist aber nur eine Illusion der Machtpolitik. Die Diktatoren flüchten nicht im Morgengrauen, weil sie von feindlichen Panzern oder Bomben bedroht werden. Sie geben nur nach, wenn sie vom Hass und dem Widerstand der Bürger, die sie ohne ihre Zustimmung regiert haben, verjagt werden. Es ist nicht der militärische Konflikt, der in den kommenden Tagen das Schicksal dieses Krieges bestimmen wird, sondern das Verhalten der Iraker.»

«Washington Post» (USA): USA sollten Kriegskosten nicht unterschätzen


Die «Washington Post» (Onlineausgabe) mahnt den US-Kongress am Donnerstag, die Kosten eines Irak-Krieges nicht zu unterschätzen:

«Wir glauben, dass dieser Krieg notwendig ist und ein Beitrag zum Wiederaufbau nach dem Krieg äußerst wichtig sein wird. Aber das heißt nicht, dass der Kongress seinen Kopf in den Haushaltssand stecken und das Preisschild des Krieges ignorieren soll. Bei den Haushaltsberatungen sollte der Kongress den Rat von John Maynard Keynes (1883-1946, Nationalökonom Englands) beherzigen: Besser „unpräzise richtig als präzise falsch“. Einen Haushaltsplan mit großen Steuersenkungen zu billigen ohne auch nur zu versuchen, die Kriegskosten einzuschätzen, wäre atemberaubend unverantwortlich.»

«Politika» (Serbien-Montenegro): Stärke der amerikanischen Arroganz
Die Belgrader Tageszeitung «Politika» vergleicht am Donnerstag die von den USA und der NATO im März 1999 geführten Luftangriffe auf das damalige Jugoslawien mit dem Krieg gegen den Irak:

«Wie vor vier Jahren, als unsere Tragödie begann, wurde auch jetzt der Weltsicherheitsrat umgangen. Und wenn das ein Mal geschehen ist, dann kann man das auch später tun zum Preis des vollständigen Abbaus der Autorität der Vereinten Nationen. (...) Der größte Unterschied zwischen der damaligen serbischen und jetzigen irakischen Position ist, dass wir damals vielleicht die einzigen waren, die im ganzem Umfang die Stärke der amerikanischen Arroganz gespürt haben. Heute fühlen es selbst die engsten amerikanischen Verbündeten und Partner.»

«De Standaard» (Belgien): Bild einer einigen Union verbessern


Zu den Erwartungen an den EU-Gipfel in Brüssel schreibt die Brüsseler Tageszeitung «De Standaard» am Donnerstag:

«In Brüssel beginnt heute Abend der jährliche Frühlingsgipfel der EU-Regierungschefs, wo normalerweise nur über die wirtschaftlichen und sozialen Reformen der Union gesprochen wird. Aber der drohende Krieg in und um Irak und vor allem die Spannungen zwischen den EU-Regierungschefs über dieses Thema lenken die Aufmerksamkeit ab von der Arbeitslosigkeit, der nachhaltigen Entwicklung, der Liberalisierung und den Staatsfinanzen. (...) In den vergangenen Tagen zeigte sich deutlich, dass der griechische EU-Ratsvorsitz versuchen wird, während des Gipfels das Bild einer einigen Union mit dem Thema der humanitären Hilfe zu verbessern.»

«Nepszabadsag» (Ungarn): Schröder und Chirac werden zu lächerlichen Figuren


Zum Irak-Krieg und seine möglichen Auswirkungen auf die transatlantischen Beziehungen schreibt die liberale ungarische Tageszeitung «Nepszabadsag» am Donnerstag:

«Das Wesentliche der Bush-Doktrin ist nicht nur der Präventivkrieg sondern auch, dass internationale Fragen nicht Verhandlungssache sind. Sie (die Bush-Doktrin) ist einzig und allein bereit, die eigenen Interessen anzuerkennen, und die macht sie rücksichtslos geltend. (...) Wenn der Irak-Krieg erfolgreich sein wird, wenn die Amerikaner ihn als erfolgreich werten, und zwar nicht nur in der Propaganda, dann werden wir beobachten können, was es heißt, wenn es nur eine einzige Supermacht gibt.»

«Frankfurter Allgemeine Zeitung»:

«Eine Einstufung des amerikanischen Angriffs als Angriffskrieg, an dem sich Deutschland nicht beteiligen dürfte, zwänge die Bundesregierung dazu, Zusagen gegenüber Amerika und der Nato zurückzunehmen, die sie aufrechterhalten will und muss: Die Bündnisfähigkeit Deutschlands zieht die Grenze für die Eskalation im Streit mit Washington. Daher konnte Außenminister Fischer die «schlechteste aller Lösungen» auch nur «Abrüstungskrieg» nennen, daher musste Verteidigungsminister Struck brummen, es sei sinnlos, sich jetzt mit Rechtsfragen zu beschäftigen.»

«Süddeutsche Zeitung» (München):

«US-Präsident George Bush hat in seiner Angriffsrede die Nation gewarnt, der Irakische Feind habe keinen Sinn für die Regeln des Krieges. Das ist richtig - aber leider nur die halbe Wahrheit. Denn auch Washington schert sich nicht um Konventionen und Verbote, wenn es um den Irak geht. Seit Jahren bombardieren US-Jets illegal irakische Stellungen. Und nun begeht Bush auch noch die Kardinalssünde des modernen Völkerrechts: einen von der UN-Charta geächteten Akt der Aggression gegen einen anderen Staat. Zwar werden von den alliierten Regierungen allerlei Begründungen vorgebracht, warum der Waffengang doch von der Charta gedeckt sein soll. Und Juristen lieben ja den zynischen Satz, es lasse sich jede Position vertreten, Hauptsache man habe eine starke Begründung. Die Gründe der Krieger aber sind schwach. Sie stützen sich auf alte UN-Resolutionen, die keine Gewalt-Ermächtigung hergeben, und sie berufen sich auf ein ausuferndes Recht zur präventiven Selbstverteidigung, das es so nicht gibt.»

«Berliner Zeitung»:


Kann ein falscher Krieg vielleicht am Ende doch noch zu den richtigen Ergebnissen führen? So stellt Amerika sich das vor: In Bagdad wird es eine demokratische Regierung geben, das Land wird wirtschaftlich wieder aufgebaut. Im Nachbarland Iran gibt das der jungen, ohnehin westlich orientierten Generation Auftrieb, auch in anderen Ländern der Krisenregion müssen die alten Oligarchien nach und nach abdanken... Es ist eine sehr amerikanische Hoffnung, dass es so kommen könnte. In Wahrheit spricht nichts dafür, dass man die Welt zu ihrem Glück bomben kann. Nicht einmal zum Frieden.