Herr Präsident, seit zwei Jahren sitzen Sie hier in Ihrem Büro und wagen nicht, es zu verlassen, weil die Israelis Sie dann außer Landes schaffen oder gar töten könnten. Wie fühlen Sie sich als Gefangener Ihres alten Widersachers Ariel Sharon?
Es ist nicht das erste Mal, dass ich so etwas auszuhalten habe. Schon vor 20 Jahren in Beirut ging es mir ähnlich. Damals bin ich für etwa zwei Jahre im Hermon-Gebirge im Libanon untergetaucht, Tag und Nacht auf der Hut vor den Israelis. Auch damals war mein Widersacher Sharon. Ich bin solche Situationen gewohnt.
Aber damals galten Sie vielen als Chef der Terrororganisation PLO, inzwischen sind Sie der gewählte Präsident der Palästinenser, und viele glauben, Sie seien auf dem Weg zu einem eigenen Staat.
Ja, natürlich. Wir haben 1993 unter den Augen von Präsident Clinton einen entsprechenden Vertrag im Weißen Haus unterschrieben. Mein Partner war damals Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin. Wir waren auf dem richtigen Weg seit dem Vertrag von Oslo. Selbst unter Premier Ehud Barak ging es weiter, auch Sharon hatte dem Friedensprozess zugestimmt.
Und woran ist dieser Prozess gescheitert?
Mein Partner Rabin, mit dem wir einen Frieden der Mutigen schaffen wollten, wurde ermordet, wie Sie wissen. Und zwar von jenen Fanatikern, die jetzt die Macht in Israel haben.
Auch Israelis, die mit Ihnen mal am Verhandlungstisch saßen, haben das Vertrauen in Sie verloren. Shimon Peres zum Beispiel, Außenminister unter Rabin und später Premierminister, redet allem Anschein nach nicht mehr mit Ihnen. Weshalb?
Doch, es gibt weiter Kontakte. Durch meine Minister halten wir Verbindung zu Politikern um Peres und zur Friedensbewegung in Israel. Vergessen Sie nicht den Vertrag von Genf, den Israelis und Palästinenser im vergangenen Jahr geschlossen haben.
Ein fiktiver Friedensvertrag zwischen beiden Seiten, der nur einen Schönheitsfehler hat: Israels Regierung ist nicht daran beteiligt gewesen.
Ja. Aber es geht voran. Denken Sie nur an die große Demonstration in Tel Aviv vor vier Wochen. 150 000 Israelis trafen sich auf dem Rabin-Platz, um Frieden mit den Palästinensern zu fordern, unterstützt von der Arbeiterpartei und Shimon Peres.
Eben dieser Shimon Peres war zunächst auf Seiten Ariel Sharons und trat dessen Regierung bei. Fühlen Sie sich von ihm betrogen?
Nein. Peres war davon überzeugt, dass Sharon den Friedensprozess fortsetzen würde. Aber dann machte der genau das Gegenteil.
Auch die US-Regierung will von Ihnen nichts mehr wissen.
Alle waren sie hier. Außenminister Colin Powell, CIA-Direktor George Tenet, US-Unterhändler Anthony Zinni.
Das war einmal.
Ja. Denn Bush und Sharon hatten sich plötzlich verständigt.
Gegen Sie?
Ja. Aber jetzt sind es die Russen und die EU, die darauf drängen, dass der Friedensprozess weitergeht. Selbst Amerikas engster Verbündeter Tony Blair akzeptiert nicht, was Bush und Sharon im Nahen Osten tun.
Glauben Sie, dass Sie sich je mit Sharon verständigen werden, solange seine Regierung an der Macht ist?
Das Quartett muss darauf drängen...
... die EU, Russland, China und die USA ...
... dass die Road Map für den Frieden fortgeführt wird.
Verliert Ihr Volk nicht allmählich die Geduld?
Der Wille meines Volkes ist stark. Und wir sind stolz und zuversichtlich trotz all der Umstände, unter denen wir leiden.
Aber manche Ihrer Landsleute sagen, wir sehen nur, wie die Israelis neue Siedlungen bauen und nach Belieben in Gaza einmarschieren. Wir brauchen stärkere Männer als den Präsidenten und die PLO. Wir brauchen die Hardliner der Hamas, die gegen jede Konzession an Israel ist.
Vergessen Sie nicht, dass die Hamas einst von den Israelis als Gegengewicht zur PLO aufgebaut wurde.
Wie auch immer - nun könnten diese Fundamentalisten in Gaza stärker sein als Ihre Partei.
Über das Exekutivkomitee der PLO in Gaza gibt es wöchentliche Treffen. Wir haben die Situation im Griff.
Aber die bomben doch weiter, und die Lage für die Menschen ist auch nicht besser geworden.
Keine richtige Schule, keine Arbeit. Mehr als 75 Prozent der Menschen in Gaza leben unterhalb der Armutsgrenze. Im Westjordanland sind es mehr als 60 Prozent. Und die Lage wird von Tag zu Tag schlechter.
Weil der palästinensische Präsident nicht imstande ist, etwas dagegen zu tun?
Wir geben unser Bestes. Die Palästinenser werden niemals vergessen, dass ein israelischer Ministerpräsident sein Leben dafür gegeben hat, dass wir miteinander leben können. Unser Volk will den Frieden.
Sind Sie, gefangen im Hauptquartier, dazu in der Lage?
Das ist nicht einfach. Wir haben unsere Leute in Gaza. Aber selbst in Nablus hier im Westjordanland, in Hebron oder Jenin ist es schwierig, in Kontakt zu bleiben, wegen all der Behinderungen durch die Israelis. Sogar Leute aus Jerusalem, die nur wenige Kilometer entfernt leben, müssen Erniedrigungen und Behinderungen in Kauf nehmen, um mich zu besuchen.
Haben die Israelis Sie dadurch stärker gemacht, dass die Sie hier in Gefangenschaft halten?
Es geht nicht um mich. Es geht um mein Volk, das viel mehr leiden muss als ich. Aber wir sind bereit dazu. Denn früher oder später werden wir unseren eigenen unabhängigen Staat bekommen.
Werden Sie das noch erleben?
Das ist nicht wichtig. Mein Volk wird es erleben. Und dann nicht bloß durch mich, sondern durch das Quartett der großen Mächte, US-Präsident Bush eingeschlossen, der von zwei Staaten gesprochen hat, die nebeneinander existieren werden: Israel und Palästina.
Gibt es zurzeit irgendwelche offiziellen Kontakte zwischen der palästinensischen Autonomiebehörde und der israelischen Regierung?
Ja. Wir haben nie aufgehört, mit den Israelis zu reden.
Über die kleinen Alltagsprobleme oder auch über die großen Fragen, wie ein Friedensvertrag aussehen könnte?
Immer wenn wir über die entscheidenden Fragen sprechen wollen, stellen die Israelis neue Bedingungen. Sie sprechen über einen Abzug aus Gaza. Wir bestehen darauf, dass solch ein Abzug Teil eines großen Plans sein muss. Dazu gehört der gleichzeitige Rückzug aus dem Westjordanland.
Aber es scheint so, als ob Sharon intern nicht mal einen Teilabzug aus Gaza durchsetzen kann. Im Parlament hat er die Mehrheit verloren. Selbst seine Partei ist dagegen.
Glauben Sie, dass es notwendig war, erst die eigene Partei darüber abstimmen zu lassen, wie Sharon es getan hat? Er verplempert Zeit, um zu Bush sagen zu können: Ich habe alles versucht, leider bekomme ich keine Mehrheit.
Wenn es doch noch zu Gesprächen und nicht nur zu Vorgesprächen käme, sähen Sie einen Weg aus der verfahrenen Lage?
Dazu braucht es einen starken Druck durch das Quartett. Vor allem die Europäer sind jetzt gefordert. In ihren Verlautbarungen bezieht die EU klar Position.
Solange Sharon Amerika hinter sich weiß, spielen die Europäer doch keine Rolle.
Auch die Amerikaner können nicht akzeptieren, was Sharon mit uns macht oder mit den für Christen heiligen Stätten im Westjordanland ...
... die Besetzung der Geburtskirche in Bethlehem?
Zum Beispiel. Der Konflikt im Nahen Osten ist ein internationales Problem.
Aber haben Sie nicht vor vier Jahren leichtfertig alles aufs Spiel gesetzt, als Sie einen Vertragsentwurf ablehnten, den Sie mit Präsident Clinton und Israels damaligem Premier Barak in Camp David verhandelt hatten? Sie hätten, sagen viele, längst Ihren Palästinenser-Staat, wenn Sie damals nicht gezögert und blockiert hätten.
Wir sind damals nicht gescheitert. Unsere Verhandlungen sind fortgesetzt worden. In Paris, in Sharm-el-Scheik im Beisein von Präsident Clinton, von Präsident Mubarak und König Abdullah von Jordanien. Später ging es in Taba weiter.
Aber dann war es zu spät. Clintons Amtszeit endete. Und Barak wurde nicht wiedergewählt. Womöglich stimmt, was Israels ehemaliger Außenminister Abba Eban einst gesagt hat: Die Palästinenser verpassen niemals eine Gelegenheit, eine Gelegenheit zu verpassen.
Barak hat damals seine Partei verraten, als er darauf bestand, früher zu wählen als nötig. Es gab eine geheime Absprache darüber zwischen ihm und Sharon.
Sie werfen Barak vor, dass er niemals ernsthaft mit Ihnen zu einer Vereinbarung kommen wollte?
Wir hatten uns in Taba über alles verständigt. Für Barak bestand kein Grund, die Leute wählen zu lassen. Er wollte keinen Vertrag.
Er hat mit Ihnen nur ein Spiel gespielt?
Ja.
Wie wollen Sie aus dieser Situation rauskommen?
Wie ich schon gesagt habe, dies ist eine große Chance für die Europäische Union. Die nächsten sechs Monate sind entscheidend. Und die Europäer müssen stark sein und schnell vorgehen.
Hilft es Ihnen, dass die Amerikaner wegen ihrer Probleme im Irak auf eine Zusammen-arbeit mit den Europäern angewiesen sind?
Ja, das vergrößert die Aussichten, etwas zu erreichen. Vergessen Sie nicht, dass nun die Chance für die Israelis besteht, nicht nur mit den Palästinensern und Ägyptern Frieden zu schließen, sondern mit der gesamten arabischen Welt, wie der arabische Gipfel in Tunis deutlich gemacht hat.
Glauben Sie wirklich, dass Sie dann all die Probleme lösen könnten: die Situation der palästinensischen Flüchtlinge, die bis heute im Libanon oder in Syrien leben, die israelischen Siedlungen, den Status Jerusalems?
Wir waren uns in Camp David mit Barak und Clinton darüber einig, dass wir uns zunächst um die Flüchtlinge im Libanon kümmern müssen, die in den Lagern unter schrecklichen Bedingungen leben. Bei den Siedlungen waren wir uns schon mit Jitzhak Rabin einig, dass es um den Tausch von Land gehen würde.
Alles wäre lösbar, wenn die Israelis wieder mit Ihnen reden würden?
Eindeutig. Und es ist nicht nur meine Rolle, für eine Lösung zu sorgen. Es ist die Rolle der internationalen Gemeinschaft. Denn was hier passiert, wirkt sich auf die ganze Welt aus.
Aber können Sie wirklich noch für alle Palästinenser sprechen? Die Fundamentalisten von Hamas sind in Gaza womöglich längst viel stärker und populärer als Ihre PLO und folgen Ihnen nicht länger.
Wir sind bereit, uns zur Wahl zu stellen. Bis heute, nach fast zwei Jahren, ist die Hamas nicht bereit dazu. Je länger die schreckliche Lage andauert, je hoffnungsloser die Situation, umso schwieriger wird es natürlich. Darum brauchen wir schnell eine Bewegung Richtung Frieden.
Wäre es besser, wenn Sie den Weg für einen anderen freimachten, damit wieder Bewegung in die Sache kommt?
Sobald wir freie Wahlen veranstalten können und einen eigenen Staat haben - vielleicht. Aber wollen Sie, dass ich mich jetzt zurückziehe, statt mich dem zu stellen, dem mein Volk heute ausgesetzt ist? Wollen Sie, dass ich in einer solchen Lage mein Volk im Stich lasse?