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Zitate zur Migrationspolitik Vom Hardliner zum Menschenretter? Der fragwürdige Kurswechsel des Horst Seehofer

Bundesinnenminister Horst Seehofer
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in Valletta (Malta) beim Treffen der EU-Innenminister
© Jonathan Borg/AP / DPA
In den vergangenen vier Jahren äußerte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer oft knallhart zur Migrationspolitik. Von einer "Herrschaft des Unrechts" war etwa die Rede. Nun schlägt er jedoch plötzlich versöhnlichere Töne an. Ein Überblick.

Bundesinnenminister Horst Seehofer hat in der Migrationspolitik zumindest verbal eine Kehrtwende hingelegt. Sprach der CSU-Politiker in diesem Zusammenhang bislang mitunter von einer "Herrschaft des Unrechts", die es in Deutschland gebe, ist er nun um eine humane (Übergangs-)Lösung für Seenotrettung bemüht. Vor einem entsprechenden Treffen in Malta (lesen Sie hier mehr dazu) hatte Seehofer sich noch empört gezeigt, dass er sich als Bundesinnenminister "für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss".

Die Zweifel an seinem neuen Kurs liegen womöglich darin begründet, dass der Bundesinnenminister über Jahre hinweg einen anderen Ton wählte als zuletzt, wenn es um die Migrationspolitik ging. Ein Überblick.

11. September 2015: Scharfe Abgrenzung von Merkel

Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine Woche zuvor grünes Licht gegeben, Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland zu lassen. Horst Seehofer, zu diesem Zeitpunkt noch CSU-Parteichef und Ministerpräsident in Bayern, nennt das Vorgehen einen "Fehler". "Wir kommen bald in eine nicht mehr zu beherrschende Notlage", sagt er dem "Spiegel".

3. Oktober 2015: Wir schaffen das? "Wir können nicht mehr"

Wir können nicht mehr, wir sind überfordert, wir haben die Kapazitätsgrenze erreicht. Mehr geht nicht mehr

Seehofer fordert im Bayerischen Rundfunk, dass die "Zuwanderung begrenzt wird" und warnt Bundeskanzlerin Merkel vor einem "Kollaps mit Ansage". Vom "Wir schaffen das" der Kanzlerin will Seehofer offenbar nichts wissen. "Wir können nicht mehr", so der CSU-Parteichef. 

11. Oktober 2015: Die "Kapitulation" des Rechtsstaats

Jetzt fühlt sich doch jeder Flüchtling geradezu eingeladen. Wir müssen hier ein anderes Signal setzen, dann geht auch der Zustrom zurück.

Im Gespräch mit der "Welt" fordert Seehofer in der Migrationsfrage ein härteres Durchgreifen. Der CSU-Chef wolle zwar nicht am Grundrecht auf Asyl rütteln ("Wir wollen keine Zäune, keine Mauern"), aber "all jene, die keine Bleibeperspektive haben, müssen wir zurückschicken, und zwar schon an unseren Grenzen." Aktuell bestehe ein "Zustand der Kapitulation des Rechsstaats", der "schleunigst" beendet werden müsse.

10. Februar 2016: Der "üble Missgriff"

Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.

Seehofer rückt die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel in die Nähe des Vorgehens von Unrechtsstaaten. Nach Meinung der CSU (und des von ihr beauftragten Verfassungsrechtlers Udo Di Fabio), sei die Bundesregierung dazu verpflichtet, die deutsche Grenze zu schützen. Dass Flüchtlinge und Migranten ohne gültige Dokumente ungehindert ins Land reisen dürften, sei aus ihrer Sicht ein andauernder Rechtsverstoß. Respektive, in Seehofers Augen, gebe es "eine Herrschaft des Unrechts". Der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Thomas Oppermann, nennt die Äußerung Seehofers in der "Süddeutschen Zeitung" einen "üblen Missgriff". 

16. September 2016: Drohung mit dem Bruch

Wir werden auf die Obergrenze von 200.000 nicht verzichten. Da geht es schlicht und einfach um unsere Glaubwürdigkeit.

Das Verhältnis der Schwesterparteien CDU und CSU ist zum Zerreißen angespannt: Seehofer droht Merkel, sie im Bundestagswahlkampf 2017 nicht zu unterstützen – sollte sich die Bundeskanzlerin und CDU-Chefin nicht die Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge zu eigen machen. Diese lehnt Merkel strikt ab. Seehofer wisse, dass Dauerstreit der Union schade, sagt er dem "Spiegel". "Richtig ist aber auch, dass sich die Politik ändern muss, wenn wir wieder Vertrauen zurückgewinnen wollen."

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23. August 2017: Obergrenze mit allen Mitteln

Sie können nicht sagen: Wir wollen nicht, dass sich das wiederholt und dann machen Sie die Tore auf

Seehofer will die von ihn geforderte Obergrenze mit allen Mitteln umsetzen, notfalls auch mit Zurückweisungen an der Grenze. Das sei etwa dann notwendig, so der CSU-Chef in der BR-Sendung "Kontrovers", sollte es nicht gelingen, die Fluchtursachen zu bekämpfen. "Sie können nicht sagen: Wir wollen nicht, dass sich das wiederholt und dann machen Sie die Tore auf", sagt er mit Bezug auf den Flüchtlingszuzug im September 2015.

28. Juni 2018: Ein "Shuttle"

Wir müssen verhindern, dass es zu einem Präzedenzfall wird

Nach sechs Tagen auf See kann das deutsche Rettungsschiff "Lifeline" in den Hafen von Maltas Hauptstadt einlaufen, wie etwa die "Welt" berichtete. 234 Menschen werden an Land gebracht. Bundesinnenminister Seehofer wollte offenbar zunächst keine Flüchtlinge aufnehmen. Im Bundestag sagte er, es gebe wegen der mittlerweile von anderen Staaten erklärten Aufnahmebereitschaft "nach momentanem Stand keine Handlungsnotwendigkeit für Deutschland". Zuvor hatte Seehofer konkrete Bedingungen für die Aufnahme der Menschen genannt. Eine Voraussetzung sei, dass das Schiff festgesetzt werde, sagt er am Rande einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestages. "Wir müssen verhindern, dass es zu einem Präzedenzfall wird." Das habe er auch Außenminister Heiko Maas (SPD) gesagt, der sich nun um die Details kümmern werde. Zwischen Libyen und Südeuropa dürfe es kein "Shuttle" geben, sagt er.

10. Juli 2018: Das fragwürdige Geschenk

Ausgerechnet an meinem 69. Geburtstag sind 69 - das war von mir nicht so bestellt - Personen nach Afghanistan zurückgeführt worden.

In einer Pressekonferenz zu seinem "Masterplan Migration" zeigt sich der Bundesinnenminister scheinbar erfreut, dass ausgerechnet an seinem 69. Geburtstag auch 69 Afghanen abgeschoben wurden. "Das liegt bei weit über dem, was bisher üblich war", so Seehofer dazu. Dafür bekommt Seehofer heftigen Gegenwind: "Das ist selbst nicht der CSU würdig", schrieb Karl Lauterbach auf Twitter.

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5. September 2018: Wo das Problem liegen soll

Migration ist die Mutter aller Probleme

Nach den teilweise gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz habe Seehofer die Demonstranten in Sachsen verteidigt, berichtete die "Welt". Der CSU-Vorsitzende habe am Rande einer Klausurtagung der Landesgruppe gesagt, dass er Verständnis habe, wenn sich Leute empören würden. Das mache sie noch lange nicht zu Nazis, zitierte das Blatt den Innenminister. Darüber hinaus soll auch der Satz gefallen sein: "Migration ist die Mutter aller Probleme." Definitiv überliefert, von Seehofer selbst, ist der Satz: "Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land", sagt er einen Tag nach dem "Welt"-Bericht in einem Gespräch mit der "Rheinischen Post".

20. April 2019: "Die Achillesferse Europas"

Ich bin erst zufrieden, wenn wir mehr Abschiebungen durchführen als abgebrochen werden müssen.

"Die Asylpolitik ist die Achillesferse Europas", befindet Seehofer im Gespräch mit der "Neuen Zürcher Zeitung" (NZZ). Er kündigt an, beim Thema Abschiebung hartnäckig zu bleiben. Und zeigt sich gleichzeitig resigniert: "In Europa sind wir noch meilenweit von einem wirksamen Außengrenzenschutz entfernt." Zwar soll die EU-Grenzagentur Frontex ausgebaut werden, doch das würde dauern. "Früher als 2027 ist das mit unseren europäischen Partnern nicht zu machen."

19. September 2019: Seehofers Kehrtwende?

Es ist unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss.

Seehofer reagiert auf Kritik, zum Teil aus den eigenen Reihen. Zuvor hatte er der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, dass die Bundesregierung jeden vierten auf See geretteten Flüchtling aufnehmen wolle. In einer Pressekonferenz stellt sich Seehofern Kritikern entschieden entgegen. "Ich weise die Kritik an diesem Verfahren aufs Schärfste zurück. Es ist unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss", sagt der Bundesinnenminister. Seehofer betont allerdings auch, dass Deutschland seit Juli 2018 lediglich die Aufnahme von 565 aus Seenot geretteten Migranten zugesagt habe. Da die Sicherheitsüberprüfung durch deutsche Behördenvertreter in Malta und Italien noch nicht bei allen von ihnen abgeschlossen sei, hätten erst 225 von ihnen bislang die Bundesrepublik erreicht.

"Seehofers Wandel", kommentiert die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Die "Süddeutsche Zeitung" ist überrascht, "dass er auf einmal über Flüchtlinge und über deren Rettung aus Seenot ganz anders redete als bisher, nämlich humaner und christlicher". Der Deutschlandfunk kommentiert zu Seehofers Kritik gegen seine Kritiker: "Seehofer kämpft mit den Geistern, die er selbst rief" – der Bundesinnenminister sei für "die negative Stimmung" in der Debatte "selbst mitverantwortlich".

fs

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