Kleinkinder-Betreuung Es fehlen noch 320.000 Plätze

Nordrhein-Westfalen Flop, Sachsen-Anhalt top: In Sachen Kinderbetreuung liegt der Osten deutlich vor den alten Bundesländern. Um die geforderte Betreuungsquote zu erreichen, braucht Westdeutschland 320.000 neue Plätze - wie jüngste Statistiken zeigen.

Als hätte die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf wenige Tage vor der Landtagswahl nicht schon genug Sorgen: Nun hat eine neue Studie ergeben, dass die Regierung bei der Kinderbetreuung, der wichtigsten familienpolitischen Baustelle, im Bundesvergleich hoffungslos hinterher hängt: Nach den neusten Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) werden in NRW nur 11,5 Prozent aller Unter-Dreijährigen in einer Krippe betreut. Das ist der niedrigste Wert aller 16 Bundesländer.

Auf dem Krippengipfel von Bund, Ländern und Kommunen im Jahr 2007 wurde vereinbart, bis zum Jahr 2013 bundesweit für 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren ein Angebot zur Kindertagesbetreuung zu schaffen. Nach der Hochrechnung von Destatis besteht für die nächsten drei Jahre in NRW noch ein Ausbaubedarf von rund 100.000 zusätzlichen Plätzen - aktuell werden im größten Bundesland 52.000 Kleinkinder betreut. Allerdings ist die Regierung von Jürgen Rüttgers (CDU) gerade dabei, massiv Betreuungsplätze auszubauen. Zum neuen Kindergartenjahr, das am 1. August beginnt, werde es bereits 90.000 Plätze für die Kleinsten geben, verkündete das Familienministerium. Bis 2013 will Nordrhein-Westfalen 144.000 Krippenplätze haben.

Zu wenig Betreuung, zu viel Bürokratie

Doch die großen Ambitionen der Landesregierung stoßen auf Kritik: Das im August 2008 in Kraft getretene Kindergartenbildungsgesetz (KiBiz) sorge für zu große Gruppen in den Krippen, für die zu wenige Betreuer zu Verfügung stünden und außerdem zu bürokratisch sei, so die Klagen der Opposition. Die Arbeitsbedingungen hätten sich zum Nachteil der Kinder verschlechtert, die Krankenstände der Erzieherinnen eklatant erhöht, heißt es bei der Gewerkschaft Verdi. "Das KiBiz ist der missratene Versuch, mehr Kinder mit weniger Personal und weniger Geld zu betreuen", so SPD-Landtagsfraktionsvize Britta Altenkamp.

Zudem hat Familienminister Armin Laschet (CDU) bereits die Forderung nach einem allgemeinen Gratis-Kindergarten in ganz NRW abgelehnt. In diesem Fall müsse das Land jährlich 450 Millionen Euro mehr berappen, rechnete er vor. Knapp 1,3 Milliarden Euro stellt das Land in diesem Jahr für die Kitas bereit - das ist eine Steigerung um mehr als die Hälfte seit 2007.

Mehrkosten in Thüringen übernimmt das Land

Thüringen dagegen, mit einer Betreuungsquote von 42 Prozent ohnehin schon im oberen Bereich aller Bundesländer, hat nun ein Gesetz verabschiedet, dass Kindern im Alter von einem Jahr einen Kita-Platz garantiert, bei einer Betreuungszeit von bis zu zehn Stunden täglich. Dafür sollen 2400 neue Stellen für Erzieherinnen finanziert werden. Die Mehrkosten für diese Stellen - allein dieses Jahr rund 43 Millionen Euro - übernehme das Land.

Die Betreuungsquote in Ostdeutschland, so geht aus den Zahlen des Statistischen Bundesamts hervor, ist deutlich höher als im Westen. Schon zu DDR-Zeiten war es üblich, Kinder in Kitas betreuen zu lassen. Diese Tradition wirkt bis heute nach und hat zur Folge, dass in allen neuen Bundesländern mindestens 40 Prozent aller Dreijährigen in Krippen betreut werden. Spitzenreiter ist Sachsen-Anhalt mit einer Quote von 55 Prozent. Auch Berlin liegt mit 41,5 Prozent in vorderen Bereich. Im Westen liegen Hamburg (22 Prozent) und Rheinland-Pfalz (17,5) an der Spitze der Betreuungsquote.

Zwei Millionen Kleinkinder in 2013

Hochrechnung des Statistikamts zufolge werden zum Jahresende 2012 insgesamt knapp zwei Millionen Kinder unter drei Jahren in Deutschland leben. In seiner Erklärung schreibt Destatis: "Geht man davon aus, dass die anvisierte Betreuungsquote auch in jedem einzelnen Bundesland erreicht werden soll, werden in Westdeutschland insgesamt rund 559.000 Betreuungsplätze benötigt." Abzüglich bereits bestehender Plätze fehlen also noch rund 320.000 Betreuungsplätze, das sind 134 Prozent mehr als 2009.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: So schnitten die Bundesländer 2009 im Einzelnen ab

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Übersicht Bundesländer 2009

Stand 2009

Baden-Württemberg
44.022 betreute Kinder
Betreuungsquote: 15,8 Prozent

Bayern
50.424 betreute Kinder
Betreuungsquote: 15,7 Prozent

Berlin
38.235 betreute Kinder
Betreuungsquote: 41,5 Prozent

Brandenburg
27.287 betreute Kinder
Betreuungsquote: 48,3 Prozent

Bremen
2234 betreute Kinder
Betreuungsquote: 13,7 Prozent

Hamburg
10.846 betreute Kinder
Betreuungsquote: 22,2 Prozent

Hessen
25.359 betreute Kinder
Betreuungsquote: 16,3 Prozent

Mecklenburg-Vorpommern
19.037 betreute Kinder
Betreuungsquote: 49,5 Prozent

Niedersachsen
23.328 betreute Kinder
Betreuungsquote: 11,9 Prozent

Nordrhein-Westfalen
52.092 betreute Kinder
Betreuungsquote: 11,5 Prozent

Rheinland-Pfalz
16.971 betreute Kinder
Betreuungsquote: 17,5 Prozent

Saarland
3264 betreute Kinder
Betreuungsquote: 15,1 Prozent

Sachsen
40.402 betreute Kinder
Betreuungsquote: 40,1 Prozent

Sachsen-Anhalt
28.529 betreute Kinder
Betreuungsquote: 55,1 Prozent

Schleswig-Holstein
9951 betreute Kinder
Betreuungsquote: 14,3 Prozent

Thüringen
21.726 betreute Kinder
Betreuungsquote: 42,8 Prozent

Modellrechnung 2013

Ausbaubedarf in Plätzen bei einer angestrebten Betreuungsquote von 35 Prozent im Jahr 2013

Baden-Württemberg
94.150 betreute Kinder
Ausbaubedarf in Plätzen: 50.128

Bayern
109.130 betreute Kinder
Ausbaubedarf in Plätzen: 58.706

Berlin
38.235 betreute Kinder
41,9 Prozent werden 2013 betreut

Brandenburg
27.287 betreute Kinder
51,7 Prozent werden 2013 betreut

Bremen
5740 betreute Kinder
Ausbaubedarf in Plätzen: 3506

Hamburg
17.325 betreute Kinder
Ausbaubedarf in Plätzen: 6479

Hessen
52.360 betreute Kinder
Ausbaubedarf in Plätzen: 27.001

Mecklenburg-Vorpommern
19.037 betreute Kinder
51,9 Prozent werden 2013 betreut

Niedersachsen
65.065 betreute Kinder
Ausbaubedarf in Plätzen: 41.737

Nordrhein-Westfalen
152.145 betreute Kinder
Ausbaubedarf in Plätzen: 100.053

Rheinland-Pfalz
32.900 betreute Kinder
Ausbaubedarf in Plätzen: 15.929

Saarland
7245
Ausbaubedarf in Plätzen: 3981

Sachsen
40.402 betreute Kinder
41,3 Prozent werden 2013 betreut

Sachsen-Anhalt
28.529 betreute Kinder
59,6 Prozent werden 2013 betreut

Schleswig-Holstein
22.995 betreute Kinder
Ausbaubedarf in Plätzen: 13.044

Thüringen
21.726 betreute Kinder
Reuters
nik mit DPA/Reuters