Die Mannschaft habe keine Weltklassespieler, tönte Uli Hoeneß zuletzt bei Sky90 über Borussia Dortmund. Ein solches Urteil wird er über Real Madrid nicht abgeben. Da Hoeneß die Qualität des Dortmunder Kaders als Maßstab ansetzt, ist es nur recht und billig, dass wir auch den Kader der Münchner nach Spielern dieser Kategorie absuchen und als Maßstab für die Favoriten-Frage ins Rennen werfen.
Wir haben uns die beiden Teams des ersten Champions League-Halbfinales einmal genauer angesehen und sagen Ihnen, wer in Punkto Qualität und Form in den verschiedenen Mannschaftsteilen besser abschneidet und somit Favorit auf das Erreichen des Finales ist.
Die Torhüter
FC Bayern: Manuel Neuer
Real Madrid:
Iker Casillas
Neuer parierte im Hinspiel gegen Olympique Marseille einige schwierige Bälle, war auch im Rückspiel bei Mbias Fernschuss zur Stelle. Im Achtelfinale machte er in Basel ebenfalls ein gutes Spiel. Mit 31 Partien in der Königsklasse ist der 26-jährige durchaus nicht unerfahren. Allerdings hat sein Gegenüber Iker Casillas bereits 120 CL-Partien auf dem Buckel. Die bessere Quote in Punkto Gegentore hat allerdings der Deutsche. Neuer kassierte in 31 Partien 27 Treffer (0,87 Gegentore pro Spiel). Casillas musste 140 Treffer in 120 Partien hinnehmen (1,17 Gegentore pro Spiel).
Fazit: Manuel Neuer ist in dieser Saison einen Tick besser in Form. Das zeigt der Notenschnitt. Der 30-jährige Casillas punktet allerdings bei der Erfahrung. Von der Qualität bewegen sich beide auf extrem hohem Niveau. Neuer hat Vorteile in der Strafraumbeherrschung und der Spieleröffnung. Casillas ist ungemein reaktionsschnell, dazu unterlaufen ihm weniger grobe Patzer. Für uns hat sich Manuel Neuer in dieser Saison einen kleinen Vorsprung verdient.
Urteil: Vorteil Bayern 1-0
Die Abwehr
FC Bayern: Philipp Lahm, Holger Badstuber, David Alaba, Jerome Boateng, Rafinha;
Real Madrid:
Marcelo, Pepe, Sergio Ramos, Raphael Varane, Arbeloa, Coentrao;
Nach einem tollen Spiel samt Treffer beim FC Villarreal zu Beginn der CL-Saison galt Rafinha schon als Volltreffer, doch der rechte Außenverteidiger hat seinen Stammplatz mittlerweile an David Alaba verloren. Der auf die rechte Seite gewechselte Philipp Lahm spielt eine exzellente CL-Saison. In der zentralen Verteidigung war Daniel van Buyten in den ersten fünf Partien der Gruppenphase gesetzt, mittlerweile haben sich Jerome Boateng und Holger Badstuber als verlässliches Duo eingespielt. Die Bayern-Defensive kassierte nur sieben Gegentore in den zehn CL-Spielen dieser Saison. Real Madrid kassierte mit sechs Gegentoren in zehn Spielen sogar einen Treffer weniger.
Sergio Ramos ist das Herz der Real-Abwehr. Er fehlte nur in einer der neun CL-Partien. Daneben spielt auch Pepe eine starke Saison. Auf den Außenpositionen experimentierte Mourinho in der Königsklasse viel. Fünf verschiedene Spieler durften sich auf den zwei Positionen versuchen. Dabei überrascht, dass der Brasilianer Marcelo in nur vier von zehn CL-Partien von Beginn an ran durfte. Alvaro Arbeloa spielte sechs Mal auf Außen, Fabio Coentrao fünf Mal. Wenn Ricardo Carvalho oder Raphael Varane zentral eingesetzt wurden, dann rückte Sergio Ramos auf die Rechtsverteidigerposition.
Fazit: Beide Teams sind in der Abwehr stark besetzt. Im Abwehrzentrum sehen wir Ramos und Pepe qualitativ und leistungsmäßig vor Badstuber und Boateng. Allerdings bekam die Defensive der Madrilenen mit Olympique Lyon und ZSKA Moskau bisher nur zwei mittelschwere Gegner vor die Brust. Ajax, Zagreb und Nikosia konnten Madrid nicht wirklich fordern. Bayern musste sich immerhin gegen Villarreal, Neapel, Manchester City und Olympique Marseille durchsetzen, nur der FC Basel entpuppte sich letztlich als ein leichtes Los.
Auf den Außenpositionen beeindruckte Philipp Lahm durch seine Konstanz auf hohem Niveau. Marcelo ist zwar ebenbürtig, aber in der Champions League nicht zwingend Stammspieler. Vor Fabio Coentrao und Alvaro Arbeloa müssen sich David Alaba oder gegebenenfalls Rafinha nicht verstecken. Vorteil Madrid im Zentrum, Vorteil Bayern auf den Außen.
Urteil: Remis 2-1
Mittelfeld defensiv
FC Bayern: Toni Kroos, Bastian Schweinsteiger, Luiz Gustavo, Anatoliy Tymoshchuk, Danijel Pranjic;
Real Madrid
Xabi Alonso, Sami Khedira, Nuri Sahin, Esteban Granero, Lass Diarra
Für Bastian Schweinsteiger stehen immerhin 60-CL-Einsätze zu Buche. In dieser Saison spielte er aber nur fünf Mal. Schweinsteiger wurde nach seinem zweiten Verletzungsausfall in dieser Saison zuletzt behutsam aufgebaut. Dem Denker und Lenker im Bayernspiel fehlen derzeit noch ein Paar Prozent zur Topform, er ist somit schwer zu bewerten. Toni Kroos kann die Sechs ebenfalls exzellent spielen, könnte aber bei Schweinsteigers Einsatz auf die Zehn rücken.
Für die zweite Position im strategischen Zentrum der Bayern wird sich Jupp Heynckes wohl für den spielstärkeren Luiz Gustavo entscheiden, der zweikampfstarke Tymoshchuk hat das Nachsehen. Bei Real Madrid führt kein Weg an Xabi Alonso vorbei. Der 30-jährige Welt- und Europameister gewann die Champions League bereits mit Liverpool. Er spielt sowohl in der Liga als auch in der Königsklasse eine ganz starke Saison. Neben dem absoluten Chef und Leader im Mittelfeld ist auch der lauf- und zweikampfstarke Sami Khedira erste Wahl.
Fazit: Beide Teams verfügen über ein defensives Mittelfeld auf hohem Niveau. Allerdings ist Bastian Schweinsteiger noch nicht in Topform und der jeweilige Sidekick (Gustavo/Tymoshchuk) hat nicht die Qualität eines Sami Khedira. Aus diesem Grund schlägt unser Urteil knapp zu Gunsten von Real Madrid aus.
Urteil: Vorteil Real 2-2
Mittelfeld offensiv
FC Bayern Franck Ribery, Arjen Robben, Toni Kroos, Thomas Müller
Real Madrid
Cristiano Ronaldo, Kaká, Mesut Özil, Ángel Di María, José Callejón
Franck Ribery und Arjen Robben können beide ein Spiel entscheiden. Die Flügelzange der Bayern war an 12 der 22 Treffer des FC Bayern in der Champions League beteiligt. Robben erzielte drei Tore und gab zwei Vorlagen. Vor allem im Rückspiel gegen Basel und im Hinspiel gegen Marseille konnte der Niederländer seine Klasse nachweisen. Ribery erzielte zwei Treffer und gab fünf Vorlagen. Er gehört zu den besten CL-Spielern dieser Saison.
Auch Toni Kroos hat seine Klasse in dieser Saison bereits auf allerhöchstem Niveau nachgewiesen. Kroos erzielte zwei Treffer und gab vier Vorlagen, spielte eine tolle Gruppenphase. Einzig Thomas Müller hinkt in dieser Spielzeit hinterher. Müller gelangen nur ein Treffer und eine Vorlage in sieben Spielen. Auch in der Bundesliga spielt Müller nicht so stark wie im letzten Jahr.
Real erzielte 32 Treffer in zehn Spielen dieser Champions League-Saison. Das sind also zehn Tore mehr als der FC Bayern. Dabei sticht besonders Cristiano Ronaldo mit 8 Treffern und zwei Vorlagen heraus. Die starke Ersatzbank erzielte immerhin fünf Tore (Kaka drei und Di Maria zwei Treffer). Kaka ist mit fünf Vorlagen der beste Assistgeber bei Real (zusammen mit Benzema). Mesut Özil brauchte in dieser Spielzeit eine lange Anlaufzeit, um in Form zu kommen. Mit einem Treffer und zwei Vorlagen konnte der Deutsche nicht so stark auftrumpfen wie noch in der letzten Spielzeit. Dennoch ist er ein enorm wichtiger Spieler im Räderwerk der Real-Angriffsmaschine.
Fazit: Die Stärken beider Teams liegen im offensiven Mittelfeld. Cristiano Ronaldo sticht mit 36 CL-Toren in 78 Spielen heraus (0,462 Tore pro Spiel). Im Vergleich dazu: Ribery (0,32 Tore pro Spiel), Robben (0,23 Tore pro Spiel). Der Vergleich zwischen Toni Kroos (22 Jahre) und Mesut Özil (23 Jahre) verspricht Spannung (sollte Kroos im offensiven Mittelfeld zum Einsatz kommen). Kroos ist torgefährlicher und dynamischer als Özil, der 10er von Real besticht allerdings durch ein exzellentes Passspiel und eine schnelle Kombinationsgabe.
Dieser Mannschaftsteil könnte in dem Duell Bayern-Real den Ausschlag geben. Gelingt es Real Madrid Ribery und Robben auszuschalten? Kann Bayern München Cristiano Ronaldo stoppen? In unserem Teamcheck sehen wir Real Madrid durch den Ausnahmespieler Cristiano Ronaldo und die bessere Ersatzbank (Angel Di Maria, Kaká, José Callejón) vorne.
Urteil: Vorteil Real 2-3
Sturm
FC Bayern: Mario Gomez, Ivica Olic, Nils Petersen;
Real Madrid
Karim Benzema, Gonzalo Higuain
Mario Gomez erzielte in dieser Saison bereits 11 Treffer in der Champions League. Insgesamt traf er 23 Mal in 34 Spielen (0,676 Treffer pro Spiel). Karim Benzema ist flexibler einsetzbar, kann auch auf dem Flügel spielen und ist zudem ein wichtiger Vorlagengeber (5 Vorlagen für Benzema, Gomez gab keinen Assist). Die Torquote des Franzosen ist allerdings nur wenig schlechter (0,634 Tore pro Spiel).
Fazit: Mario Gomez ist in dieser Saison in Topform. Der 26-jährige beidfüßige Stürmer ist exzellent im Verwandeln von so genannten One-Touch-Torchancen. Zudem ist er kopfballstark und schnell. Benzema ist Gomez technisch überlegen und hat sich spielerisch enorm verbessert. Insgesamt spielen beide auf einem ähnlich hohen Level.
Die Ersatzbank ist bei Real mit Gonzalo Higuain im Gegensatz zu Ivica Olic besser besetzt, allerdings ist Higuain nicht in bester Verfassung. In den letzten vier CL-Einsätzen bekam er drei Mal die Note vier. Deshalb sehen wir Real in der Sturmspitze gleichauf mit Bayern München.
Urteil: Remis 3-4
Die Trainer
FC Bayern: Jupp Heynckes
Real Madrid: Jose Mourinho
Der Portugiese gewann zwei Mal die Champion League. 2003/2004 holte er mit dem FC Porto, 2009/2010 mit Inter Mailand die Trophäe. Dazu unterlag er mit Chelsea 2007/08 denkbar knapp im Elfmeterschießen gegen Manchester United. Jupp Heynckes gewann mit Real Madrid 1997/98 die Champions League. Zudem gewann Mourinho einmal den UEFA-Cup.
Fazit: Heynckes ist ein sehr erfahrener Trainer. Mourinho übertrumpft ihn in Punkto Erfolge aber deutlich. Hinsichtlich der taktischen Vorlieben war Mourinho aufgrund seiner Zeit bei Chelsea und Inter für defensiv orientierten Fußball bekannt. Bei Real Madrid passte er sich allerdings den Gegebenheiten und dem Spielermaterial an. Jupp Heynckes gelingt es meist exzellent, aus dem Spielermaterial, das ihm zur Verfügung steht, das Beste heraus zu holen. Er steht nicht für ein übergeordnetes Konzept. Urteil: Mourinho ist der erfolgreichere Trainer.
Urteil: Vorteil Real 3-5
Zusammenfassung
Unser Teamcheck ergibt einen 5:3-Erfolg für Real Madrid. Allerdings stellt das nur eine Einschätzung der generelle Qualität und Form des Kaders dar. Für den Ausgang der beiden Spiele sind weitere Faktoren ausschlaggebend. Als Mannschaft präsentierte sich Real Madrid in diesem Jahr gefestigter als Bayern München. Die Königlichen verloren lediglich drei Mal (2 x gegen Barcelona, 1x Levante).
Bayern dagegen verlor gegen Gladbach (2x), Hannover, Dortmund (2x), Manchester City, Basel und Leverkusen - also acht Spiele in dieser Saison. Dazu steht Madrid im Meisterrennen in aussichtsreicher Position, die Bayern müssen eine erneute Niederlage im Meisterrennen verkraften. Somit lastet enorme Druck auf den Spielern, denn das Duell mit Real entscheidet über das Saisonfazit. "Sollten wir ins Champions-League-Finale kommen, dann werde ich ( ) sagen, wir haben eine Supersaison gespielt."
Ein weiterer Nachteil für Bayern ist die Tatsache, dass zuerst in München gespielt wird. "In K.o.-Vergleichen kamen wir lediglich dann weiter, wenn wir zuerst auswärts antreten konnten", merkte Oliver Kahn im kicker an. Dazu werden die taktischen Entscheidungen eine entscheidene Rolle spielen. Wie setzen die beiden erfahrenen Trainer die starke Offensive des Gegners matt.
Real Madrid wird im Hinspiel vermutlich sehr defensiv auftreten, vielleicht sogar mit drei Sechsern spielen, sodass die defensiven Mittelfeldspieler den Außenverteidigern beim Doppeln von Ribery und Robben helfen können. Die Bayern müssen im Rückspiel die rechte Seite stabilisieren, da Ronaldo und Marcelo ein enorm starkes Duo bilden. Zudem muss die Lücke zwischen Mittelfeld und Abwehr geschlossen werden, in der sich Özil gerne aufhält und die entscheidenden Pässe spielt.
Ein 5:3-Erfolg von Real Madrid ist zumindest über zwei Spiele gesehen nicht unmöglich. Allerdings setzten wohl beide Trainer gerade im Hinspiel nicht auf ein Offensivspektakel. "Priorität hat, den eigenen Kasten sauber zu halten," so Jupp Heynckes vor dem Spiel. Es spricht also einiges für einen knappen Bayern-Sieg oder ein 0:0 im Hinspiel. Im Rückspiel im Estadio Bernabéu wird sich dann entscheiden, ob die Bayern eine verkorkste Saison aufarbeiten müssen, oder die Chance auf den ganz großen Wurf im eigenen Wohnzimmer in den Händen halten.