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Videospielmesse Gamescom Apps sind die neuen Bossgegner

Auf der Gamescom sorgen die Blockbuster unter den Videospielen für Budenzauber. Derweil kämpfen die Großen der Branche mit neuen Gegnern: Smartphones und Tablets stellen den Spielemarkt auf den Kopf.
Von Ralf Sander, Köln

Der Star ist nicht da. Nintendo wird auf der Videospielmesse Gamescom, die vom 17. bis 21. August in Köln stattfindet, seine kommende Konsole Wii U nicht zeigen. Wer gehofft hatte, nach der Weltpremiere im Juni auf der E3-Messe in Los Angeles würde der japanische Konzern den Nachfolger seiner erfolgreichen Wii-Konsole mit an den Rhein bringen, wird enttäuscht. Wahrscheinlich erst nächstes Jahr wird sich zeigen, ob die Wii U der Spielebranche einen Innovationsschub verpassen kann, wie es der Wii vor fünf Jahren gelungen ist. Das bedeutet für diese Gamescom: Es gibt kein Thema, das die Messe so überstrahlt, wie es im vergangenen Jahr die Bewegungssteuerungen Kinect für Microsofts Xbox 360 und Move für Sonys Playstation getan haben. Beide Produkte waren späte, aber doch direkte Reaktionen auf Nintendos Wii. Was die Branche - und damit auch die Gamescom - zurzeit prägt, ist nicht so offensichtlich wie neue Hardware, aber nicht weniger wichtig. Die Spielewelt wandelt sich:

  • Smartphones und Tablets gewinnen als Spieleplattform rasant an Bedeutung und bedrohen die Konsolen und den PC.
  • Apps und Downloads verändern das klassische Vertriebsmodell.
  • Junge Firmen mischen den Markt auf, die Riesen der Branche müssen sich bewegen.

Noch funktioniert der traditionelle Games-Markt. Titel für die großen Konsolen und den PC spülen gutes Geld in die Kassen der Hardwarebauer und der großen Spieleentwickler wie Electronic Arts, Ubisoft und Activision Blizzard. Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers schätzt das Volumen dieses Marktes auf knapp zwei Milliarden Euro in diesem Jahr. Doch die spektakulären Wachstumsraten sind Geschichte. Der Markt ist fast gesättigt, es gibt einen spürbaren Preisdruck: Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) hat errechnet, dass die Zahl der verkauften Titel zwar um acht Prozent gestiegen ist, die Erlöse aber um drei Prozent gefallen sind. Richtig Geld wird zurzeit mit anderen Spielen verdient - und das trotz geringerer Preise.

Mobile Gaming als Volkssport

"Mit der zunehmenden Verbreitung intelligenter Mobiltelefone sind Spiele-Apps zu einer Art Volkssport geworden", sagt BIU-Geschäftsführer Olaf Wolters. Zahlen hat er auch parat: 13 Millionen Games wurden allein in Deutschland im vergangenen Jahr auf Smartphones und Tablets heruntergeladen. Rund vier Millionen Deutsche hätten mit Apps gespielt, erfragte der IT-Verband Bitkom. Obwohl Apps häufig weniger als ein Euro kosten oder meistens sogar kostenlos sind, sorgt die pure Masse zumindest bei den Entwicklern erfolgreicher Titel wie "Angry Birds", "Pflanzen gegen Zombies" oder "Fruit Ninja" für volle Kassen. Und das bei geringen Produktionskosten. Während Konsolen-Blockbuster wie "Uncharted" oder die "Call of Duty"-Serie in der Entwicklung viele Millionen verschlingen, kann eine Games-App von kleinen Teams, ja sogar von Einzelkämpfern erschaffen werden. Berühmtes Beispiel: Andreas Illiger aus Kiel programmierte in sieben Monaten das 79 Cent billige iPhone-Spiel "Tiny Wings" - und landete damit innerhalb einer Woche an der Spitze der Download-Charts, in 49 Ländern.

Die Welt der App-Spiele wird beherrscht von bis Kurzem noch völlig unbekannten Studios wie Roxio ("Angry Birds") aus Finnland oder Fishlabs ("Galaxy on Fire 1 + 2") und Chimera/Dreamfab ("Demolition Dash") aus Deutschland. Die ganz Großen der Spielebranche ziehen aber mit Macht nach. Electronic Arts (EA) hat mit PopCap ("Bejeweled Blitz") und Chillingo ("Minigore") zwei erfolgreiche Produzenten übernommen und versucht außerdem schon länger, seine Bestseller-Serien "Sims", "Fifa" und "Need for Speed" auf mobilen Geräten zu etablieren.

Es wird hart für die kleinen Konsolen

Smartphone und mit Abstrichen auch Tablets sind allgegenwärtig und schnell zur Hand. Wer das kurze Spiel für zwischendurch sucht, braucht nur in seine Tasche zu greifen. Eine Entwicklung, die die Hersteller klassischer mobiler Spielekonsolen hart trifft. Nintendo hat den Preis für seinen 3DS, der immerhin 3D ohne Brille bietet, von 250 auf 180 Euro gesenkt. 3,5 Millionen Exemplare wurden weltweit in den ersten sechs Monaten verkauft - für die erfolgsverwöhnten Japaner eine Enttäuschung. Das Unternehmen gibt zu, dass attraktive Titel fehlen. Auch Sony glaubt weiterhin, dass inmitten der Millionen von Smartphones noch Platz ist für eine mobile Konsole und präsentiert auf der Gamescom die Playstation Vita. Schon vorher gab es allerdings schlechte Nachrichten: Der Nachfolger der PSP schafft es nur im Mutterland Japan in diesem Jahr noch in die Regale. In Europa und den USA kommt der Taschenspieler erst 2012. Damit verliert Sony ein wichtiges Weihnachtsgeschäft und vielleicht einen möglichen Technologievorsprung. Der verantwortliche Sony-Manager Kazua Hirai sagt, die PS Vita richte sich an Hardcore-Spieler, denen die Qualität der Smartphones nicht ausreiche. Doch deren Leistungsfähigkeit steigt rasant, brillenloses 3D können einige Modelle auch schon. EA-Boss John Riticello sagt im "Industry Gamers"-Interview: "Die am schnellsten wachsende Plattform, für die wir entwickeln, existierte vor 18 Monaten noch gar nicht". Er meint das iPad.

Messeservice

Dauer 17. bis 21. August 2011. Am 17. ist ein Fachbesucher- und Medientag, danach ist die Gamescom offen für alle.

Öffnungszeiten


Donnerstag/Freitag - 10.00 bis 20.00 Uhr
Samstag - 9.00 bis 20.00 Uhr
Sonntag - 9.00 bis 18.00 Uhr.

Eintrittspreise

Tageskarte Erwachsene: Donnerstag/Freitag 12,50 (ermäßigt 8,00) Euro, Samstag/Sonntag 15,00 (ermäßigt 12,50) Euro
Tageskarte Kind (7 bis 12 Jahre) 5,50 Euro;
Tageskarte Eltern/pro Person 10,00 Euro
Familienticket (nur am Sonntag) 20,00 Euro
Dauerkarte Erwachsene: 31,00 Euro
Abendkarte (ab 16.00 Uhr) 6,50 Euro.

Zeitfresser

Smartphones und Tablets bedrängen nicht nur die kleinen Konsolen, sondern haben auch indirekt Auswirkungen auf die Games-Industrie. Das Prinzip der App verstärkt einen Trend, der vor wenigen Jahren seinen Anfang mit kostenlosen Browserspielen genommen hat: Die Spielerschaft verlernt es, sich im Laden für 60 Euro einen Spitzentitel zu kaufen oder diesen als Riesendatenmenge herunterzuladen. Die nachwachsende Generation ist es gewohnt und bereit, Cent und geringe Eurobeträge für kleine Programme auszugeben. Die Hardcore-Gamer, die viel Geld in Spiele und Hardware investieren, sind umzingelt von Gelegenheitsspielern mit lockerer Kleingeldbörse. In unzähligen Spielen, die innerhalb von Facebook oder im Browser ablaufen, werden erkleckliche Summen von Minibeträgen eingesetzt, um sich für die Drachenjagd ein besonders scharfes Fantasy-Schwert zu kaufen oder den virtuellen Bauerhof mit gut frisierten Schweinen zu schmücken. Nach diesem Prinzip funktionieren auch viele mobile Games.

"Wenn es etwas gibt, das uns im traditionellen Spielegeschäft umbringt, dann sind das Dollar-Apps", sagt Mike Capps, Chef des Entwicklerstudios Epic, dessen nächster Actionkracher "Gear of War 3" sich millionenfach verkaufen muss, um seine gewaltigen Kosten wieder hereinzuholen. Doch wer einen Blockbuster kauft, muss nicht nur das Geld dafür haben - sondern auch Zeit. "Wenn ich 30 Minuten habe, was spiele ich dann?", fragt Capps. Und gibt selbst die Antwort: "Diese Zeit wird mehr und mehr von mobilen Spielen aufgebraucht. Irgendwann brauche ich kein teures Game mehr zu kaufen."

Das muss so laut!

Damit die Spieler ja nicht auf dumme Ideen kommen - und weil Spiele für Smartphones in einer Messehalle nicht so viel hermachen - werden in Köln aber mit Sicherheit die aufwendigen Produktionen am dicksten auftragen. Es wird wieder stundenlange Wartezeiten geben, um einen Blick auf das seit Jahren heiß ersehnte "Diablo III" zu erhaschen. Eine neugeborene Lara Croft ("Tombraider") wird ihre Fans anziehen. Auf den Schlachtfeldern von "Call of Duty" und "Battlefield" wird es wieder krachen und blitzen, bis die Augen flimmern und die Ohren wummern. Die Besucher werden es lieben. Und viele werden hinterher in der Bahn nach Hause ihr Smartphone zücken und für null Euro auch Spaß haben.

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