Schuldenkrise in Europa Ratlose Retter

Was als Haushaltsproblem Griechenlands begann, hat sich zu einer Gefahr für die Einheit der EU ausgewachsen. Zaudern und Streit der Akteure ebneten den Weg ins Desaster. Eine Übersicht.

Seit nahezu zwei Monaten feilschen die Regierungen um ein Hilfspaket, das Griechenland retten und der Euro-Zone eine Atempause verschaffen soll.

Ein roter Faden, dem Kanzlerin Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) folgen würden, ist nicht erkennbar. Die Politik reagiert auf die Entwicklung an den Märkten. Als die Renditen auf italienische Staatsanleihen plötzlich stiegen, brach kurzfristig Panik aus. Eine Lösung für Griechenland bekamen die Finanzminister am vergangenen Montag aber trotzdem nicht hin.

Doch das ist nur die Spitze des Eisberges: Seit mehr als einem Jahr dauert die europäische Schuldenkrise an und damit der Schlingerkurs der Politik. Doch wie verhalten sich die Beteiligten eigentlich in der Krise und wer hat sie angeheizt? Hier ein Überblick.

Angela Merkel - Schleudertrauma in Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat seit dem Frühjahr 2010 einen halsbrecherischen Schlingerkurs vollführt, der in Europa beispiellos ist. Am Anfang stand ein klares Nein der Regierungschefin zu Hilfszahlungen an Griechenland , Merkel ließ sich kurz vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen damals von der deutschen Boulevardpresse als eiserne Kanzlerin feiern. Bis heute hat Deutschland insgesamt fast 20 Milliarden Euro an Garantien geleistet und sich außerdem bereit erklärt, zur Bewältigung der Schuldenkrise etwa das Zehnfache zur Verfügung zu stellen. Dazwischen legte Merkel zahlreiche abrupte Volten hin - und obendrein noch öffentliche Auseinandersetzungen mit ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Merkel wollte für hoch verschuldete Euro-Staaten automatische Sanktionen durchsetzen, Strafzinsen für den Fall von EU-Hilfskrediten und einen Stimmrechtsentzug für Defizitsünder. Inzwischen sinken die Zinsen für Hilfskredite stetig, von einem Stimmrechtsentzug ist nicht mehr die Rede. Und ob es einen Sanktionsautomatismus geben wird, darüber gehen die Interpretationen der EU-Staats- und Regierungschefs auseinander. Im vorigen Frühling gab Merkel dann noch völlig überraschend ihren langjährigen Widerstand gegen Frankreichs Vorschlag für eine europäische Wirtschaftsregierung auf.

Stattdessen setzte sich die Kanzlerin kurzerhand an die Spitze der Befürworter einer engeren Abstimmung der Euro-Staaten in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik. Auch mit ihrer Forderung einer substanziellen Beteiligung privater Gläubiger an dem neuen Rettungspaket für Griechenland legte Merkel eine Bruchlandung hin. Im Gespräch ist mittlerweile nur noch ein freiwilliger Beitrag.

Erreicht hat Merkel, dass der Internationale Währungsfonds an den Hilfspaketen beteiligt wurde und die Sparbemühungen in den betroffenen Schuldenstaaten überwacht werden. Dazu musste sie allerdings zuerst einmal ihren eigenen Finanzminister überzeugen. Claudia Kade

Olli Rehn - Vermittler ohne eigene Macht

Die EU-Kommission hat in der Schuldenkrise einige Niederlagen einstecken müssen: Im März 2010 wollte EU-Währungskommissar Olli Rehn ebenso wie der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble einen Europäischen Währungsfonds gründen, der Staaten geholfen, aber auch eine Insolvenz ermöglicht hätte. Im Mai wollten dann Rehn und sein Chef José Manuel Barroso die Euro-Rettung ganz allein aus dem EU-Haushalt stemmen, der dafür allerdings erheblich hätte ausgeweitet werden müssen. Die Staaten entschieden sich aber zunächst für bilaterale Hilfen und dann für einen Fonds außerhalb der EU-Strukturen. Der Traum von einer neuen Institution war dahin.

Gefunden in der ...

Andererseits bekam Rehn neue Zuständigkeiten bei der wirtschaftspolitischen Koordinierung. Die Staaten brauchen die Kommission bei der ständigen Überprüfung der Länder, die Geld von Euro-Staaten und IWF erhalten. Auch der verschärfte Stabilitätspakt wurde weitgehend von der Kommission vorformuliert. Rehn spielt dabei oft den Vermittler und Koordinator. Früh forderte der Finne etwa die Verstärkung der Ausleihkapazität des Rettungsfonds. Der Vorschlag, den Fonds jetzt noch einmal zu verdoppeln, hat aber kaum Chancen. Rehns Informationspolitik ist deutlich vorsichtiger als die aller anderen Akteure. Seine oft geäußerte Hoffnung, nun beginne das "Endspiel" bei der Euro-Rettung, wurde bislang allerdings noch ein jedes Mal von der Realität zerstört. Peter Ehrlich

Jean-Claude Trichet - Vom Dogmatiker zum Pragmatiker

Für Jean-Claude Trichet war die Krise ein permanenter Drahtseilakt zwischen Dogmatismus und Pragmatismus. Kurz nach dem Kollaps von Lehman Brothers senkten der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) und seine Kollegen ab Herbst 2008 den Leitzins auf den historischen Tiefstand von 1,0 Prozent. Krisengeschüttelte Banken versorgte die Euro-Notenbank seit dieser Zeit durch eine Vollzuteilung zu festem Zinssatz mit Liquidität.

Doch das Schicksalswochenende im Mai 2010, an dem die Euro-Regierungen beschlossen, Griechenland zu retten und den Notfonds EFSF zu schaffen, war auch für Trichet ein einschneidendes Datum. Schon kurz zuvor hatte die EZB die Mindeststandards für griechische Staatsanleihen ausgesetzt, die notleidende Hellas-Banken in Frankfurt als Sicherheit im Gegenzug zu Liquidität hinterlegen können. Heute gelten die Ausnahmen auch für Irland und Portugal. Am Wochenende selbst beschloss die Notenbank, am Sekundärmarkt Staatsanleihen aus den Krisenstaaten zu kaufen und so den Kollaps des europäischen Anleihemarkts zu verhindern. In Deutschland wurde Trichet dafür als Brecher des Prinzips gegeißelt, nach dem Staatsschulden nicht monetisiert werden dürfen.

Die EZB betont, dass sie strikt trennt zwischen Zinspolitik, die sich an Preisstabilität orientiert, und Sondermaßnahmen gegen die Krise. Da die Inflationsrate 2011 über dem Notenbankziel von knapp 2,0 Prozent liegt, hat die EZB den Zins seit April auf 1,5 Prozent angehoben - mehr Erhöhungen werden erwartet.

Sehr dogmatisch zeigt sich Trichet jedoch im Streit um die Beteiligung von Privatgläubigern an einem zweiten Griechenland-Paket. Jede Lösung, die zu einem Kreditereignis oder einem Zahlungsausfall führen könnte, lehnt die EZB kategorisch ab. Kommt es dazu, so droht die Notenbank, würde sie Hellas-Anleihen trotz der Ausnahmeregel nicht länger als Sicherheiten akzeptieren. Das würde unweigerlich zum Kollaps des griechischen Bankensystems führen. Wolfgang Proissl

Nicolas Sarkozy - Ängstlicher Antreiber

Frankreichs Präsident hat in der Euro-Krise gern den Feldherrn herausgekehrt. So verkündete er nach dem Sondergipfel der Euro-Staats- und -Regierungschefs am frühen Morgen des 8.Mai 2010 die "absolute Generalmobilmachung" gegen die Finanzmärkte. Dabei wäre diese Mobilmachung zuvor beinahe am Streit zwischen Sarkozy und EZB-Chef Jean-Claude Trichet gescheitert. Trichet wollte zwar helfen, bestand aber auf seiner Unabhängigkeit. Im Frühjahr 2010 sah sich der Präsident als Antreiber, der vor allem Kanzlerin Angela Merkel zu entschiedenerem Handeln drängen musste. Auf seine Initiative gehen die Gipfeltreffen der Euro-Gruppe zurück. Bis zur Schuldenkrise gab es nur Gipfel aller 27 EU-Staaten, seitdem gibt es die kleineren Euro-Gipfel. Merkel konnte allerdings verhindern, dass sie regelmäßig stattfinden, sie bleiben Notfällen vorbehalten. Die Euro-Gipfel sollten die "Wirtschaftsregierung" Europas sein. Merkel akzeptierte den Begriff nur für die 27 Staaten, aber immerhin konnte Sarkozy den Begriff durchsetzen.

Im eigenen Land achtet Sarkozy entgegen seinen markigen Worten stärker auf die Finanzmärkte, als er nach außen zugibt. Auf keinen Fall will das Land sein "AAA"-Rating verlieren. Reformen wie die Anhebung des Rentenalters setzte er daher gegen großen Widerstand durch. Trotz einer Öffentlichkeit, die den Euro und die Rettungskredite positiv sieht, vermeidet Sarkozy einen engen Schulterschluss mit den Krisenländern. Peter Ehrlich

Der Markt - Rette sich, wer kann

Ein Versuch der Politik, die Turbulenzen an den Finanzmärkten zu beruhigen, jagt den anderen - und das seit über einem Jahr vergeblich, ablesbar an den Renditen der hoch verschuldeten Euro-Staaten. Sie gehen zwar immer dann ein bisschen nach unten, wenn die Aussicht auf Hilfspakete der EU und des Internationalen Währungsfonds Linderung verspricht. Nachhaltige Reaktionen treten allerdings nur dann ein, wenn konkrete Maßnahmen folgen mit direktem Einfluss auf die Anleihemärkte.

So geschehen um das Krisenwochenende in Brüssel im Mai 2010 herum: Vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs rauscht der Euro in den Keller. Spanien und Portugal drohen in den Sog Griechenlands zu geraten. Die Politiker beschließen einen Rettungsschirm für die gesamte Euro-Zone. Zu einer starken Erholung an den Anleihemärkten kommt es aber erst, als die EZB am 10. Mai 2010 ihren Widerstand gegen den Ankauf von Staatsanleihen der Euro-Länder aufgibt und ankündigt, in großem Stil aktiv werden zu wollen. Die Rendite zehnjähriger griechischer Anleihen stürzt ab von 12,5 auf 7,2 Prozent.

Ähnlich verläuft das Muster im Falle Portugals und Irlands. Hier wirken die Rettungsschirme aber nur noch kurz. Kein Wunder, verunsichert die Politik die Anleger doch immer wieder mit neuen Ideen zur Beteiligung privater Gläubiger an den Kosten für die Rettung der Schuldenländer. Entsprechend klettern die Anleiherenditen aller Peripheriestaaten unter Schwankungen auf immer neue Rekordhochs. Zuletzt am 11. Juli 2011, als sich die Finanzminister nicht auf ein zweites Hilfspaket für Griechenland einigen können. Institutionelle Anleger wie Banken, Versicherungen und Investmentfonds wollen kein Risiko mehr eingehen. Sie sind die häppchenweisen Rettungspakete leid. Ihnen fehlt der große Wurf, den die Politik in der Finanzkrise wagte, als sie Banken und die Wirtschaft mit gigantischen Summen im Gegenwert von 60 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung auffing. Doris Grass

FTD