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Haushaltsausschuss Die heimlichen Herrscher des Geldes

In dieser Woche debattiert der Bundestag darüber, wofür 2008 die Staatseinnahmen verwendet werden. Die wahre Macht über Deutschlands wichtigstes Zahlenwerk hat jedoch ein Gremium, das nicht einmal im Grundgesetz erwähnt wird. Ein Blick hinter die Kulissen des Haushaltsausschusses.
Von Guido Bohsem

Einen Haushaltspolitiker gering zu schätzen kann selbst einem Siemens-Chef Scherereien bringen. Peter Löscher steht im 14. Stock des Taj-Mahal-Hotels in Neu-Delhi, als er diese Lektion lernt. Gerade hat Angela Merkel Löscher über erste Ergebnisse ihrer Indienreise informiert. Ihn und die anderen Mitglieder der Wirtschaftsdelegation, Bahn-Chef Hartmut Mehdorn etwa, Lufthansa-Vorstand Wolfgang Mayrhuber oder Thomas Enders von Airbus. Es ist der richtige Klub, der richtige Ort: die mächtigen Konzernlenker und die Kanzlerin in einem der wichtigsten Wachstumsmärkte der Welt.

An die Seite des Managers tritt ein runder Mann mit Dreitagebart und spricht ihn von der Seite an. Löscher kennt das Gesicht nicht. Die Jackett-Ärmel des Mannes lassen sich nicht knöpfen, die Schuhe sind nicht handgenäht. Und doch drängt sich Steffen Kampeter über Löschers Wahrnehmungsschwelle. Wie bedeutsam für Siemens eigentlich der Bau der U-Bahn in Ho-Chi-Minh-Stadt sei, will Kampeter wissen.

Obwohl Siemens seit Jahren um den Auftrag in Vietnam buhlt, gibt sich Löscher abweisend. Und so gewinnt der haushaltspolitische Sprecher der Union den Eindruck, Siemens brauche den Deal nicht so dringend. Zurück in Berlin, ordnet Kampeter die 85 Mio. Euro, die der Bund für das Projekt in Vietnam zuschießen will, erst einmal der Kategorie "strittig" zu.

Löscher hat sich verzettelt

Wer es in der Wirtschaft so weit gebracht hat wie Löscher, verfügt über ein sicheres Gespür für Macht. Wichtig oder unwichtig - nach Tausenden Konferenzen, Sitzungen und Verhandlungen reicht ein Blick auf den Auftritt des Gegenübers, die Haltung, den Anzug, die Schuhe, um diese Entscheidung zu treffen. Diesmal ist sie falsch.

Der Ausschuss

Kontrollorgan: Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags kontrolliert die Ausgabenpolitik der Bundesregierung und berät federführend den alljährlichen Bundeshaushalt. Hierzu muss die Regierung dem 41-köpfigen Gremium jedes Jahr ihren Entwurf vorlegen.

Zusammensetzung:

Die Verteilung der Ausschuss-Sitze erfolgt nach dem Kräfteverhältnis im Parlament. Um die Kontrollaufgabe zu betonen, hat fast immer ein Mitglied der größten Oppositionsfraktion den Vorsitz im Haushaltsausschuss - zurzeit der FDP-Politiker Otto Fricke. Obleute der Fraktionen sind Steffen Kampeter (CDU/CSU), Carsten Schneider (SPD), Jürgen Koppelin (FDP), Gesine Lötzsch (Die Linke) und Anja Hajduk (Bündnis 90/Die Grünen).

Budgetrecht:

Die Kontrolle des Staatshaushalts durch das Parlament gilt als eines der zentralen Elemente moderner Demokratien. Seitdem das Budgetrecht im Jahre 1689 erstmals in der britischen Bill of Rights auftauchte, ist es Merkmal einer jeden repräsentativen Staatsform. In Deutschland schrieben es die Volksvertreter 1849 in die Paulskirchenverfassung. In der Weimarer Zeit wurde es fester Bestandteil der Republik und 1922 in der Reichshaushaltsordnung ausgestaltet. Nicht umsonst war das Budgetrecht eines der zentralen Rechte, welche die Nazis 1933 dem Reichstag mit den Gleichschaltungsgesetzen entrissen.

Man könnte es auf Kampeters zuweilen hektische Art schieben oder seine blau getönte Brille, dass Löscher ihn in Indien nicht ernst nimmt. Wahrscheinlich ist es eher die Unkenntnis über den politischen Betrieb, die den Österreicher in die Irre führt. Als wichtigster Haushaltsexperte der größten Bundestagsfraktion kann Kampeter auf die im Topmanagement üblichen Insignien der Macht verzichten. Mächtig ist er trotzdem. Heimlich mächtig. Denn der Einfluss, den er, sein SPD-Amtskollege Carsten Schneider und die anderen 39 Mitglieder des Haushaltsausschusses ausüben, ist fern des Berliner Parlamentsbetriebs kaum bekannt. Zu technisch ist ihr Metier, zu komplex die Materie.

Ohne den Ausschuss kann Merkel nicht regieren

Erbsenzähler werden sie von den Kollegen der anderen Ausschüsse abfällig genannt. Sie gelten als Besserwisser, als Typen mit TÜV-Plaketten auf den Seelen. Sie sind im Rausch des politischen Ausgabenfests die Partypuper, diejenigen, die vom Kater des nächsten Tages sprechen, wenn die Stimmung am besten ist. Sie haben Macht, weil sie den Daumen draufhalten auf den Stoff, der die Politik, das ganze Land am Laufen hält, das Geld.

Wenn der Bundestag in dieser Woche den Etat für 2008 abschließend berät, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel Schlagzeilen machen, Finanzminister Peer Steinbrück, die Führer der Oppositionsfraktionen. Die Haushälter gehen meist unter. Dabei kann Merkel ohne den größten Ausschuss des Parlaments nicht regieren, kann der ganze Bund keinen einzigen Cent seines 283,2 Mrd. Euro schweren Etats ausgeben.

283,2 Mrd. Euro, das ist etwa ein Viertel dessen, was Deutschland - die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt - in einem Jahr erwirtschaftet. So viel geballte Macht kann auch Siemens treffen. Man kann sagen, dass das Gespräch in Neu-Delhi die Konzernspitze danach tage-, ja wochenlang in Atem hält. Zahllose Telefonate mit den Ministerien, anderen Haushältern, Fachpolitikern und mit Kampeter selbst sind notwendig, um die Entscheidung wieder umzustoßen. Kampeter ist eitel genug, Siemens lange zappeln zu lassen. Ehe der Ausschuss am 15. November die Mittel in einer seiner letzten Beratungen über den Etat fürs kommende Jahr doch noch bewilligt.

Niemand stellt die Macht des Gremiums infrage

Königsmacher oder Ärmelschonerklub, Rechthaberverein oder Elitegremium: Die Attribute, die den Haushältern verliehen werden, reichen weit auseinander. Doch so sehr der Ausschuss, der nicht einmal im Grundgesetz erwähnt wird, auch polarisiert - niemand stellt seine Macht infrage.

Das Gremium hat so viel Einfluss, weil die Haushaltsberatungen in jedem Jahr neu geführt werden müssen. Und so werden die Haushälter von der Regierung bevorzugt behandelt. Die Ministerien beziehen sie frühzeitig in ihre Planungen ein, obwohl das den Politikern laut Verfassung gar nicht zusteht. Damit nicht genug: Auch das laufende Ausgabenjahr steht unter ständiger Kontrolle des Gremiums. Immer wieder müssen Staatssekretäre und Minister vorsprechen, die geplanten Ausgaben genau erklären und um eine Freigabe der Mittel ersuchen. Man kann es auch so sagen wie der FDP-Haushaltsexperte Jürgen Koppelin, einer der Veteranen des Klubs: "Wenn der Haushaltsausschuss Informationen will, kommt binnen 48 Stunden der reitende Bote aus dem Ministerium."

Einer in diesem Machtzirkel ist Carsten Schneider. Der haushaltspolitische Sprecher der SPD ist 31 Jahre alt, trägt eine dieser horngeränderten Brillen, modische Anzüge und kommt mit seinem lang getragenen Seitenscheitel daher wie einer der jungen Kreativen vom Prenzlauer Berg. "Es gibt wohl keinen anderen Ausschuss, der so selbstbewusst ist", sagt er gelassen. Schneider sieht müde aus, und das seit Kurzem im ganzen Bundestag geltende Rauchverbot geht ihm mächtig gegen den Strich.

Es ist Anfang November, und Schneiders Müdigkeit hat ihren Grund. Die Haushaltsberatungen gehen in die Schlussphase. Da tagt der Ausschuss zweimal die Woche - nicht selten 12, 14 Stunden lang. Das Ganze wird begleitet von zahllosen Sitzungen in Arbeitsgruppen und Unterarbeitsgruppen. Die Aktenmappen, die vor den Politikern auf den Ausschusstischen gestapelt sind, ragen knapp einen halben Meter in die Höhe. Davor liegen vier dicke gebundene Bücher - zwei mit dem laufenden Haushalt und zwei mit dem für 2008.

Karrieresprungbrett Haushaltsausschuss

Was die Politiker seit Sommer durchgeackert haben, ist gewaltig. Der aufgeschriebene Etatentwurf des kommenden Jahres wiegt 5,7 Kilogramm. Auf mehr als 2500 Seiten stehen 6681 Ein- und Ausgabetitel. Jeder ist mit einer Art geschriebenem Strichcode aus Buchstaben und Ziffern versehen. Die Etats der Ministerien, des Verfassungsgerichts oder des Bundespräsidenten heißen Einzelpläne. Davon gibt es 22. Diese bestehen aus 194 Kapiteln und die wieder aus 368 Titelgruppen. Als Oswald Metzger noch Haushälter im Bundestag war, konnte man den Stand der Beratungen immer am Bauch des Grünen-Politikers ablesen: Weil Metzger wegen der Belastung ständig Schokolade futterte, wurde er bis November immer dicker. Um danach wieder abzunehmen.

Die Plätze in dem Gremium sind begehrt, weil es oftmals die Karriere befeuert. "Der Ausschuss sorgt dafür, dass man nicht zum Fachidioten wird", urteilt etwa Gesine Lötzsch. Sie kam 2002 zusammen mit ihrer Parteifreundin Petra Pau als einzige Abgeordnete der PDS in den Bundestag und suchte sich das Gremium aus, um den besten Überblick über die Politik zu behalten. Viele ihrer Vorgänger nutzten die Mitgliedschaft als Sprungbrett: Peter Struck ist heute Fraktionschef der SPD, Michael Glos (CSU) ist Wirtschaftsminister, Kurt Faltlhauser (CSU) wurde Finanzminister in Bayern, Peter Jacoby (CDU) übernahm dasselbe Amt im Saarland. Dietrich Austermann (CDU) stieg zum Wirtschafts- und Verkehrsminister in Schleswig-Holstein auf.

Zusammenhalt über die Parteigrenzen hinweg

Das Bewusstsein um die eigene Bedeutung erzeugt eine spezielle Mentalität. Fast alle Mitglieder und deren Mitarbeiter duzen einander. Der Haushalt eint sie über die Parteigrenzen hinweg. Vorsitzender wird immer ein Mitglied der Opposition. "Korpsgeist", nennt Steffen Kampeter das. Es gibt einen Raum im Abgeordnetenhaus, der diesen Zusammenhalt verkörpert - die "Papierkneipe". Es ist die Registratur des Ausschusses, hier lagern alle Dokumente und Unterlagen. Einmal im halben Jahr werfen die Abgeordneten zusammen und feiern hier gemeinsam die vergangenen Geburtstage. Zugang haben ausschließlich Mitglieder.

Wolfgang Hinz ist der Herr der Papierkneipe. Als Büroleiter im Haushaltsausschuss kümmert er sich mit seinen Mitarbeitern um die Tagesordnungen, Vorlagen, den ganzen Kram. Hinz hat auch die Aufsicht über die Kaffeemaschine des Ausschusses. Diese ist ein besonderes Gerät - was vor allem an einem seiner Vorgängermodelle liegt.

Jene Kaffeemaschine wurde noch in Bonn angeschafft, zur Zeit der konservativ-liberalen Koalition. Um ihre Bedeutung richtig zu verstehen, ist es gut, zwei Dinge über den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) zu wissen. Erstens: Geld spielte in Kohls Weltbild eine entscheidende Rolle. Zweitens: Er hielt sein Netz an Kontakten, Freundschaften und Verbindungen stets mit kleinen Gefälligkeiten in Form. Gefragt, was sie brauchen könnten, wünschten sich die Haushälter eine Kaffeemaschine. Kohl sagte zu. Und so wurde ein funkelnagelneuer Espresso-Vollautomat angeschafft. Kostenpunkt: mehr als 1000 DM. Kohl erhielt die Rechnung und ließ anfragen, ob die Maschine aus Gold sei. Einige Jahre später in Berlin ging das Ding kaputt. Das erzählte einer aus dem Ausschuss dem damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD). Wenige Tage später hatte das Gremium eine neue Maschine.

Der Kampf gegen die schwarz-rote Regierung

Die Haushälter können ihren Einfluss nur gezielt, im Kleinen ausüben: Ein Großteil des Budgets ist selbst für sie unantastbar. An Leistungen für die Arbeitslosigkeit oder die Rente können sie nicht ran, weil diese in Gesetzen verankert sind. Tabu sind auch die gewaltigen Zinszahlungen, die der Bund für seine Schulden leisten muss. Schneider schätzt den effektiven Spielraum des Ausschusses auf zwei bis drei Prozent der Gesamtausgaben, Kampeter spricht von mehr als fünf Prozent. Weil aber gerade diese Posten wehtun können, werden die Haushälter umworben, gepflegt.

Und doch befinden sie sich in ständigem Kampf: gegen Fachpolitiker mit übergroßen Ausgabenwünschen, gegen Lobbyisten, gegen die Exekutive, die immer mehr Macht beansprucht. Seit dem Antritt der Großen Koalition vor zwei Jahren bekommen die Parlamentarier das besonders stark zu spüren. Die Grünen-Haushaltsexpertin Anja Hajduk etwa findet, dass die Kompromiss-Zwangsjacke des schwarz-roten Regierungsbündnisses ihrem Gremium immer weniger Spielraum lässt. Der Ausschussvorsitzende Otto Fricke (FDP) pflichtet bei: "Wir müssen unsere Rolle ständig demonstrieren, sonst droht umgehend Machtverlust."

Die ständige Gefechtsbereitschaft kriegt die Regierung immer wieder zu spüren. Kommt ein Minister zu spät, wird er rausgeschickt und muss warten. Kommt er gar nicht, wird er bestellt. "Disziplinierungsmaßnahmen" nennen das die Abgeordneten.

Wenn der Aussschuss Pause hat, müssen auch Minister warten

Am deutlichsten wird der Wille zur Selbstbehauptung in der Bereinigungssitzung, dem abschließenden Treffen des Ausschusses in den Etatberatungen. Hier werden alle bis dahin strittigen Punkte entschieden und das Haushaltspaket abgeschlossen. Sie findet immer im November statt, immer an einem Donnerstag. Die Minister dürfen noch einmal vortreten, um den Ausschuss von der ein oder anderen Ausgabe zu überzeugen. Sie kommen oft mit ihrem wichtigsten Arbeitsstab in das Paul-Löbe-Haus, wo der Ausschuss residiert. Vor den Türen des Sitzungssaals halten sich in Hochzeiten 40 oder 50 Leute auf. Mitunter werden die Minister abgestraft, um mangelhafte Kooperation und eigenmächtige Ausgaben zu rügen. Mitunter werden sie regelrecht gedemütigt.

In diesem Jahr trifft es Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Gegen 21.30 Uhr ist die SPD-Politikerin da. Wer sie kennt, weiß: Sie wartet nicht gern. Der Ausschuss macht gerade Pause, die Haushälter halten sich in der Papierkneipe auf. Sie essen, trinken. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt schaut nach den Beratungen ihres Etats kurz vorbei, auch Verbraucherschutzminister Horst Seehofer ist eingeladen. "Wieczorek-Zeul zu fragen haben wir wohl vergessen", erinnert sich ein Haushälter.

Die gedemütigte Ministerin Wieczorek-Zeul

Es dauert bis nach Mitternacht, ehe in den Ausschuss darf. Ohne jede Aussprache verabschiedet das Gremium einen Posten nach dem anderen. Vieles davon passt der Ministerin nicht. Wütend ergreift sie das Wort. Die Haushälter hören zu. Danach fragt Ausschusschef Fricke: "Gibt es Wortmeldungen?" Keine. Ohne Debatte wird der gesamte Etat verabschiedet. Fricke bedankt sich für Wieczorek-Zeuls Geduld. Sie antwortet: "Ich habe hier nichts zu danken."

Trotz der dicken Türen ist ihr Zornesausbruch auch draußen im Saal zu hören. Manche wollen eine Rücktrittsdrohung vernommen haben. Doch das passiert öfter. Wieczorek-Zeul wollte bereits vor der Bereinigungssitzung bei den Fraktionschefs der Koalition, Peter Struck und Volker Kauder, intervenieren. Vergeblich. Es lohnt sich für die parlamentarischen Zuchtmeister nicht, sich deshalb mit den Haushältern anzulegen. So etwas bringt nur Scherereien.

FTD

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