Ach, hätte er es doch gemacht wie Vorgänger Helmut Schmidt: Sich eine noble, dem Gemeinwohl aufs Engste verbundene Zeitung gesucht, diese herausgegeben, und hin und wieder klug dazwischen gerufen, oder, wenn nötig, auch böse kritisiert, sanft gepolstert durch das staatliche Ruhegeld und erkleckliche Gagen für kluge Reden. Oder wie Vorgänger Helmut Kohl: Noch ein bisschen Bundestag, ein paar Reden, ein paar Memoiren, wohl entgoltenes Futter für Volk und Historiker. So oder so, an diesen Lebensentwürfen hätte sich niemand gestört.
"I did it my way"
Mit diesen friedliebenden Alt-Kanzler-Visionen ist es jetzt erst einmal vorbei. Zum Abschied aus dem Amt ließ sich Schröder von der Bundeswehr noch "I did it my way" vorblasen, und auch seinen neuen Lebensabschnitt scheint er gemäß diesem Sinatra-Motto zu eröffnen. Zuerst hat er Politik gemacht, jetzt will er nun mal Kohle machen, bei dem Verleger Ringier in Zürich und nun eben auch als Aufsichtsrats-Chef des Betreiber-Konsortiums der Ostsee-Pipeline. Dessen Sitz ist in der Schweiz, im schönen Zug. .
Zitat
"Ich bin erst 61 Jahre alt und will arbeiten. Ich will meiner Frau nicht daheim auf den Wecker fallen." (Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder in der "Süddeutschen Zeitung" (Dienstag) über seinen umstrittenen Aufsichtsratsvorsitz bei der deutsch-russischen Pipeline-Gesellschaft)
Irgendwie entspricht es dem Aufsteiger-Image Schröders, dass er nach geleisteter Arbeit am Gemeinwohl nun kassieren will - und zwar subito. "Bild" vermeldet, dass die Russland-Connection ihm pro Jahr über eine Million Dollar einbringen könnte. "Was dagegen?", hört man Schröder förmlich schnauzen
"Schröder im Dienste der Heuschrecke"
Was dagegen? In der Tat wächst in Berlin stündlich die Zahl derer, denen Schröders künftiges Engagement nicht passt. Für den feinsinnig-ethischen Diskurs war Schröder auch während seiner Amtszeit nicht bekannt, als frisch gebackener Altkanzler scheint er - glaubt man den Äußerungen in Berlin - das Gefühl für Anstand jedoch weitestgehend verloren zu haben.
Grüne und FDP bangen unisono um das Ansehen der politischen Klasse schlechthin, FDP-Chef Guido Westerwelle sieht Schröder schon im "Dienste der Heuschrecke". Der Niedersachse Christian Wulff will genau wissen, was der Kanzler verdient, und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla fürchtet "erheblichen Schaden", weil der Ex-Kanzler jetzt bei denen kassiere, die noch vor einigen Monaten von seiner Politik profitiert hätten.

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Schröder weist Kritik zurück
Gerhard Schröder hat Kritik an seinem Wechsel in den Aufsichtsrat des deutsch-russische Gaspipeline-Konsortiums zurückgewiesen und juristische Schritte gegen Falschmeldungen angekündigt. "Da wird von Politikern und Medien viel Unsinn verbreitet", sagte Schröder am Montag der "Süddeutschen Zeitung". Bislang sei weder die Zusammensetzung des Aufsichtsrates klar, noch sei "jemals über Geld gesprochen" worden. Er rechne damit, dass die "für solche Aufgaben übliche Aufwandsentschädigung" gezahlt werde, sagte Schröder.
Die in einigen Medien verbreiteten Summen, die zwischen 200.000 und einer Million Euro liegen, seien "völlig aus der Luft gegriffen und sicherlich viel zu hoch". Sein Hamburger Anwalt Michael Nesselhauff werde in den nächsten Tagen Unterlassungserklärungen und Richtigstellungen bei Gericht beantragen. "Für mich ist es eine Ehrensache, bei dem Pipeline-Projekt mitzumachen", sagte Schröder.
Nach eigener Darstellung war Schröder am Freitag "von russischer Seite" angerufen worden. Dabei sei ihm das Amt im Aufsichtsrat angeboten worden, erklärte der frühere Kanzler, wollte aber den Namen des Anrufers nicht nennen. Er habe in dem Gespräch darauf hingewiesen, dass er einen solchen Posten nur dann antrete, wenn die an dem Konsortium beteiligten deutschen Firmen E.ON und BASF einverstanden seien. Kurz darauf sei er von Vorstandsmitgliedern beider Unternehmen angerufen und gebeten worden mitzumachen. "Ich habe schon in der Vergangenheit das Projekt politisch unterstützt, weil ich es für sinnvoll halte", sagte Schröder. "Ich bin erst 61 Jahre alt und will arbeiten."
Unverständnis äußerte der Altkanzler über die Kritik einiger Sozialdemokraten an seiner Zusage. Insbesondere kritisierte er Thüringens SPD-Vorsitzenden Christoph Matschie, der sich skeptisch über Schröders Pläne geäußert hatte. "Wenig hilfreich" sei auch die Aussage des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck. Dieser hatte erklärt: "Ich hätte es nicht gemacht." Er wiederum hätte "es schön gefunden, wenn mich Peter Struck vor dieser Äußerung angerufen und sich nach dem Sachstand erkundigt hätte", sagte Schröder.
AP
Wie frei war Schröder bei seinen Entscheidungen?
Knackpunkt der Kritik an Schröders Zukunftsplänen ist, dass er durch sein Engagement für das deutsch-russische Betreiber-Konsortium Nordeuropäische Gaspipeline (NGEP) den Verdacht nährt, sich nun die reichhaltige Belohnung für eine gefällige Politik abzuholen.
Während seiner Kanzlerschaft setzte sich Schröder vehement für das Projekt ein, an dem neben dem russischen Energie-Konzern Gazprom auch die deutschen Energie-Unternehmen Eon Ruhrgas und BASF beteiligt sind. Die erste Schweißnaht für die Pipeline, die den russischen Konzernen erstmals direkt eine Gas-Pipeline-Verbindung zu den westeuropäischen Märkten schafft, wurde am vergangenen Freitag gesetzt. Schröder gerät nun in den Ruch, bei seinen politischen Entscheidungen nicht frei gewesen zu sein.
Manch einer, wie etwa FDP-Fraktions-Vize Ludwig Thiele, mutmaßt sogar, die Aussicht auf den Pipeline-Job habe Schröder dazu bewogen, vorzeitige Neuwahlen auszurufen. Die Neuwahl-Entscheidung müsse "heute in einem neuen Licht gesehen werden", wird Thiele von "Bild" zitiert. Kritik, etwa von Wirtschaftsminister Michael Glos aber auch von der PDS, gibt es auch daran, dass die NGEP ihren Sitz nicht in Deutschland, sondern in der steuerlich günstigeren Schweiz hat.
Ich sehe nichts Anstößiges
In der SPD gibt es noch Beißhemmungen gegenüber dem verdienten Ex-Frontmann. Schröders Genossen sträuben sich, ihren Wahl-Helden schon wenige Wochen nach dessen Abschied offen anzugreifen. Aber auch hier werden die Stimmen der Kritiker lauter. Am Rande der Sitzung der SPD-Gremien in Berlin outete sich Thüringens SPD-Chef Christoph Matschie am Montag als Schröder-Kritiker. Dieser müsse aufpassen, sein hohes Ansehen nicht zu verspielen, sagte Matschie.
Andere, wie Fraktions-Chef Peter Struck und Bundestagsvize Wolfgang Thierse verpackten die Kritik und sagten, sie hätten es einfach nicht so gemacht wie der Ex-Kanzler. Finanzminister Peer Steinbrück sagte, die Angelegenheit sei Schröders Privatsache. Einzig der ewig schrödertreue Ludwig Stiegler erwies sich als Ex-Kanzler-Versteher. "Ich sehe nichts Anstößiges" in dem Vorgang, sagte er. Stiegler war auch derjenige, der als einziger Spitzengenosse noch auf die Kanzlerschaft Schröders beharrt hatte, als dieser sie im Tausch gegen acht Ministerien schon an Angela Merkel vertickt hatte.
Verständnis für "aufgeworfene Fragen"
Kanzlerin Merkel schweigt derzeit noch zu den Plänen ihres Vorgängers. Ihr Regierungssprecher Thomas Steg, der in der vergangenen Legislaturperiode noch für Schröder sprach, sagte am Montag lediglich, die Bundeskanzlerin habe ein "gewisses Verständnis für aufgeworfene Fragen". Durchblicken ließ er, dass die Kanzlerin von dem Schritt Schröders überrascht worden sei. Sie habe davon nicht von Schröder selbst erfahren, sondern erst von Michael Glos, dem Wirtschaftsminister. Dieser war am vergangenen Freitag anwesend, als in Russland die erste Schweißnaht der Pipeline gesetzt wurde. Fast nebenbei hatte Gazprom-Chef Alexej Miller Glos über Schröders künftige Verwendung informiert.
EU-Kodex als mögliches Vorbild
Einig sind sich fast alle Berliner Politiker, dass aus der Affäre Schröder Konsequenzen gezogen werden müssen. Der Vorschlag von Justizministerin Brigitte Zypries, einen Ehrenkodex für ausscheidende Politiker einzuführen, trifft auf breite Zustimmung. Regierungssprecher Steg sagte, die Regierung sei offen für diesen Plan, auch wenn noch keine Entscheidung über ein konkretes Gesetzesvorhaben gefallen sei. Zunächst müsse geprüft werden, welche Regelungen es bei der Europäischen Union oder in anderen Ländern gebe und ob diese in Deutschland sinnvoll angewendet werden könnten. Kernpunkt der europäischen Regelung ist etwa, dass ausscheidende Kommissare zwischen dem Ausscheiden aus dem Amt und der Annahme eines neuen Jobs eine Karenzzeit von einem Jahr verstreichen lassen müssen. So sollen Interessenskonflikte vermieden werden.
Zuverdienst wird nicht auf Ruhegeld angerechnet
Schröder selbst dürfte der neue Kodex - wenn er denn irgendwann kommen sollte - kaum mehr betreffen. Kniffliger in seinem neuen Job könnte für ihn ein anderes Problem werden:
"Er darf nie etwas einbringen, was er als Kanzler vertraulich erfahren hat", sagte der Frankfurter Strafrechtsprofessor Peter-Alexis Albrecht der Deutschen Presse-Agentur. Aber vielleicht hat Schröder ja auch für dieses Problem, seine eigene, originelle Lösung. Ohnehin kann er bei all diesen Diskussionen recht entstpannt bleiben. An seinem Ruhegeld-Anspruch, den er als Kanzler erworben hat, ändert sein üppiger Hinzuverdienst nichts - nur auf das Übergangsgeld wird dieser angerechnet.