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Isis-Islamisten Wer den Zerfall des Irak zu verantworten hat

Die Krise im Irak wird auch Barack Obama zugeschrieben, weil er die US-Truppen aus dem Land abgezogen hat. Doch wirklich verantwortlich für die Katastrophe sind ganz andere.
Von Steffen Gassel

Barack Obama, US-Präsident

Eine Bande von ein paar Tausend Dschihadisten übernimmt mordend und plündernd große Teile des Irak. Das Land droht zu zerfallen. Doch US-Präsident Barack Obama zögert wie so oft mit einer Reaktion. Erst jetzt schickt er eine Eliteeinheit in das Land, die helfen soll, das Schlimmste zu verhindern. Man kann dem Mann im Weißen Haus dafür zu Recht Vorwürfe machen. Mit ein paar rechtzeitigen Luftangriffen wären die Arsenale der fliehenden irakischen Armee zu zerstören gewesen, bevor sie Isis in die Hände fielen. Berechtigt auch der Vorwurf, Obama habe beim Abzug der US-Truppen 2011 mehr seine Wiederwahl im Blick gehabt, als das Wohl des Irak.
Doch bei aller Kritik an Obamas unentschlossener Haltung in Nahost: Die Hauptschuld am Desaster im Irak tragen andere.

George W. Bush, ehemaliger US-Präsident

"Die irakische Demokratie wird erfolgreich sein. Und dieser Erfolg wird die Nachricht nach Damaskus und Teheran senden: Freiheit kann die Zukunft jeder Nation sein." So sprach US-Präsident George W. Bush im November 2003. Elf Jahre später droht der Irak an seinem frei gewählten, aber diktatorisch agierenden Regierungschef Nuri al Maliki zu zerbrechen. Amerika erwägt angesichts des irakischen Desasters ein Bündnis mit genau dem Regime in Teheran, das die "demokratische Revolution" des George Bush jun. eigentlich schon lang hinweggefegt haben sollte. Und Diktator Baschar al Assad in Damaskus bietet feixend seine Hilfe beim Kampf gegen den Terror an. Bomben für die Demokratie: Die Idee des George W. Bush hat grenzenloses Verderben über den Nahen Osten gebracht. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

Tony Blair, ehemaliger britischer Premierminister

"Wir müssen uns von der Vorstellung freimachen, dass wir diese Krise verursacht haben. Das stimmt nicht", schrieb Tony Blair vor wenigen Tagen in einem Essay für die britische Zeitung "The Independent". Eine steile These für den Mann, dessen Regierung neben der George W. Bushs die Hauptverantwortung für Entscheidung trug, Saddam Hussein zu stürzen. 2002 führte die Blair-Regierung die Welt mit getürkten Informationen über Saddam Husseins angebliche geheime Massenvernichtungswaffen-Programme in die Irre. Die Warnungen der eigenen Militärexperten schlug Blair damals in den Wind. Ihn interessierte nur, was zur Rechtfertigung eines Einmarschs im Irak taugte.

Dick Cheney, ehemaliger US-Vizepräsident

"Eine richtige Entscheidung": So beschreibt Dick Cheney, mächtigster Mann im Weißen Haus unter George W. Bush, die Irak-Invasion bis heute. Hunderttausende Toten und über zwei Billionen US-Dollar Ausgaben für Krieg und Wiederaufbau zum Trotz. Die Wirklichkeit hat den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der US-Ölfirma Halliburton noch nie angefochten. Die US-Soldaten würden im Irak als Befreier willkommen geheißen, prognostizierte er. Was genauso falsch war wie seine Behauptung, der Irak habe bei der Planung der Anschläge vom 11. September 2001 geholfen. 2005 behauptete er, der Irak werde binnen weniger Monate befriedet sein. Neun Jahre später droht das Land, das Cheney zu brechen half, vollends zu kollabieren.

Paul Bremer, ehemaliger US-Zivilverwalter im Irak

"Wir müssen allen klar machen, dass wir es ernst meinen: Saddam und die Baathisten sind am Ende", schrieb Bushs Oberster Zivilverwalter im Irak, Paul Bremer Ende Mai 2003 an seinen Präsidenten. "Sie haben meine volle Unterstützung und mein Vertrauen", antwortete George W. Bush einen Tag später. Ergebnis dieses Briefverkehrs war die wohl verhängnisvollste Entscheidung der US-Besatzer: die Auflösung der irakischen Armee. Unter Saddams Militärregime war sie als einzige Institution übrig geblieben, die den multi-ethnischen Staat zusammenhielt. Doch statt die sunnitisch dominierte Armee von innen heraus zu reformieren, zerschlugen die Amerikaner sie, um die Macht der alten Garde zu brechen. Über 100.000 der alten Offiziere leben heute in Mossul - der Stadt, die vergangene Woche nahezu ohne Widerstand an Isis fiel.

Liebe Leser, in der ersten Fassung dieses Artikels haben wir Paul Bremer mit Ian Bremer vertauscht. Wir bitten die Verwechslung zu entschuldigen.

Douglas Feith, ehemaliger Unterstaatssekretär im Pentagon

"So langsam lernt Obama, wie es läuft. Aber diese Lektion geht auf Kosten des syrischen und des irakischen Volks - und der amerikanischen Interessen", tönte Douglas Feith, früherer Militärberater von George W. Bush, vor wenigen Tagen. Was er nicht sagte: Er selbst ist einer der Architekten der verheerenden US-Politik im Irak, deren Erbe Obama nun mehr schlecht als recht verwaltet. Als Chef des "Counter Terrorism Evaluation Unit" des Pentagon suchte er vor der US-Invasion im Auftrag der Bush-Regierung Belege für eine Verbindung zwischen Saddam Hussein und Osama bin Laden – und fand sie auch. Dass sie falsch waren, kam erst heraus, als die US-Truppen längst im Irak einmarschiert waren. Unter Saddam Hussein hatten islamische Extremisten im Irak kaum Einfluss. Vergangene Woche eroberten sie große Teile des Landes. Auch dank Douglas Feith.

Nuri al Maliki, irakischer Premierminister

Isis ist nicht der Auslöser, sondern nur der Nutznießer der irakischen Staatskrise. Geschaffen hat sie der Mann, der seit acht Jahren in Bagdad an der Macht ist: Nuri al Maliki. Als der Schiit 2006 Regierungschef wurde, hatten moderate sunnitische Stammesmilizen - Sahwa genannt – gerade die extremistischen Vorläufer von Isis zerschlagen. Doch er begegnete den Sahwa-Truppen vor allem mit Misstrauen. Statt sie und andere moderate Sunniten in seinen Machtapparat zu integrieren, grenzte er sie aus und baute um sich einen Sicherheitsapparat aus loyalen schiitischen Armee-Einheiten und Milizen. Den sunnitischen Präsidenten trieb er Ende 2011 außer Landes, auf friedliche sunnitische Demonstranten ließ er schießen. Malikis Klientelpolitik zugunsten der Schiiten rächt sich jetzt: Iraks Sunniten haben keinen Grund für Maliki zu kämpfen. So hat Isis beim Marsch durch den Irak leichtes Spiel.

Baschar al Assad, syrischer Präsident

Wovor hat der Westen am meisten Angst? Vor radikalen Islamisten. Und Syriens Diktator Baschar al Assad hat das genau verstanden. Seit Jahren tut er deswegen, was er kann, um Isis auf Kosten der moderaten syrischen Rebellen zu stärken. Zu Beginn des Aufstands entließ er die Dschihadisten zu Hunderten aus den Gefängnissen. Später verschonte seine Armee bei ihrem gnadenlosen Luftkrieg gegen die Rebellen auffallend häufig die Stellungen der Radikalen. Die Provinzhauptstadt Raqqa am Euphrat - seit über einem Jahr in Händen von Isis - hatte Assad kampflos räumen lassen. Als wollten sie sich revanchieren, kämpften die Isis-Truppen fortan weniger gegen Assad als vielmehr gegen andere Rebellen - was Assads Armee Entlastung brachte. Der Treibstoff aus den Ölquellen in den Isis-Gebieten Syriens floss derweil weiter Richtung Damaskus - und Dollars flossen zurück.

Hajjaj al Ajmi, sunnitischer Prediger aus Kuwait

"Ich werde persönlich dafür sorgen, dass die Rebellen Waffen erhalten." Dieses Versprechen gab Scheich Hajjaj al Ajmi seinen Anhängern schon 2012. Seitdem hat der salafistische Prediger über Twitter mehrere Fundraising-Kampagnen für den Widerstand in Syrien betrieben. Ohne die Spenden reicher Privatleute aus den Golfstaaten wäre der Aufstieg extremistischer Rebellengruppen wie Isis undenkbar. Inzwischen sind die Islamisten von externen Geldflüssen nahezu unabhängig: Die Dschihadisten finanzieren sich durch Schutzgelderpressungen, Einnahmen aus dem Erdölverkauf und Lösegeldzahlungen westlicher Regierungen für von Isis entführte Staatsbürger. Und manchmal fallen ihnen die Millionen einfach so in die Hände - wie in Mossul, als ihnen beim Fall der Stadt Bankvermögen von mehreren Hundert Millionen Dollar in die Hände fielen.

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