Der große Sheriff entscheidet doch, was wir zu tun haben!" Nicht viele wagen laut zu sagen, was der kubanische UN-Botschafter schon im Januar 1991 so deutlich ausgesprochen hat. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem erfolgreichen Golfkrieg von 1991 ist für die USA klar: Die UN sind ihre UN. Der Sicherheitsrat arbeitet am besten, wenn er tut, was Washington will.
Doch der Sicherheitsrat pariert nicht immer.
Tatsächlich passiert schon im Dezember 1991 etwas völlig Unerwartetes: Als neuer Generalsekretär wird ein 69-jähriger Intellektueller aus Ägypten gewählt, gegen den Willen der USA. Boutros Boutros-Ghali gehört zur christlich-koptischen Minderheit seines Landes, der Juraprofessor ist bekannt für diplomatische Meisterleistungen unter dem ägyptischen Regierungschef Anwar as-Sadat in den siebziger Jahren. Die Regierung von Präsident George Bush senior hält ihn für zu alt, zu schwach und überhaupt zu altmodisch. Die Rolle des Generalsekretärs soll doch gerade jetzt mit neuem Leben ausgefüllt werden. Der in sich gekehrte, manchmal übellaunige Boutros-Ghali ist störrisch auf seine Unabhängigkeit bedacht - und gerade damit verhilft er dem Amt wieder zu internationaler Anerkennung, die es seit dem Tod von Dag Hammerskjöld 1961 nicht mehr gehabt hat.
Der Sicherheitsrat beginnt das neue Jahrzehnt mit einer Ausweitung der Friedensmissionen, zuerst in Kambodscha. In Paris haben Rote Khmer und Royalisten im Oktober 1991 einen Friedensvertrag unterschrieben, der 20 Jahre Krieg beendet. Jetzt sollen UN-Kräfte den Aufbau des völlig zerstörten Landes kontrollieren. Das erste Mal übernehmen die Vereinten Nationen ein komplettes Staatswesen, von den Gerichten über die Polizei bis zur Passkontrolle. Die UN entsendet dafür 22 000 Blauhelme, die dreijährige Mission kostet zwei Milliarden Dollar. Bald ist die Friedensarmee eine eigene, gewaltige Wirtschaftsmacht, auch mit allen negativen Folgen: einer Teuerungsrate von 75 Prozent und einer Zunahme der Prostitution und damit Aids. In Kambodscha bringen die Friedenstruppen neben dem Training zur Entschärfung von Minen, der Ausbildung von Beamten und der Registrierung für freie Wahlen das HI-Virus ins Land. Heute sind 165 000 Menschen infiziert.
1993 finden in Kambodscha freie und größtenteils
friedliche Wahlen statt. Die UN-Truppe wird im September 1993 abgezogen. Sehr schnell zeigt sich, wo die Schwachpunkte der Mission lagen: Sie hat nie die Roten Khmer entwaffnet, die weiter ihre Stellungen ausbauen können, weder Polizei noch Armee, noch Gerichte sind ausreichend reformiert. Als die UN-Truppen gehen, kommen die alten Massenmörder der Roten Khmer aus ihren Verstecken. Der einzige Garant der neuen demokratischen Ordnung ist der fragile Prinz Sihanouk, der jedoch den Waffen der Bürgerkrieger nichts entgegenzusetzen hat. Kambodscha kämpft gegen die Mafia aus alten Roten-Khmer-Kämpfern, die das Land wieder mit Terror überziehen.
Der nächste Krisenherd entwickelt sich auf dem Balkan. Am 3. Januar 1992 schickt der Sicherheitsrat 14 000 Soldaten nach Kroatien und schafft es, den aufkommenden Bürgerkrieg einzudämmen. Auch aus Slowenien ziehen sich die Serben zurück. Doch dann erklärt Bosnien-Herzegowina seine Unabhängigkeit. Der Bürgerkrieg beginnt. Der Sicherheitsrat sieht sich einer völlig neuen Situation ausgesetzt: Ihrer Satzung gemäß haben sich die Vereinten Nationen aus inneren Angelegenheiten der Staaten herauszuhalten. Soll das nun anders werden? Und wie können sich die UN beteiligen, ohne Partei zu werden?
Bisher war dort, wo eine UN-Flagge wehte,
der Krieg gebannt. In den neuen Konflikten scheint es ein Sport für die Beteiligten zu sein, Waffenstillstände zu brechen. Jahre später, im August 2000, veröffentlicht der Sondergesandte Lakdar Brahimi seinen Bericht über die Friedensmissionen und spricht aus, was der Weltöffentlichkeit in einer Katastrophe nach der anderen vor Augen geführt wird: "Frieden kann nur mit der Möglichkeit von Gewalt gesichert werden."
Doch so weit sind die Vereinten Nationen 1992 noch nicht. Bosnien-Herzegowina, Kroatien und Slowenien werden Mitglieder der UN, und damit können sie diese um Hilfe anrufen. Im Juli bestätigt der Sicherheitsrat Waffenembargos gegen Bosnien-Herzegowina und Serbien. Eine Farce, denn Serbien besitzt die Bestände der ehemaligen jugoslawischen Armee und braucht daher keine Waffenlieferungen von außen. Die Bosnier werden allein gelassen.
Dann trifft der "kälteste Eimer Wasser die internationale Gemeinschaft", wie es der oberste Militärberater von Boutros- Ghali, der kanadische General Maurice Baril, ausdrückt. Und er kommt aus einer ganz anderen Richtung: aus Somalia.
Die Welt wartet immer noch auf die besseren Zeiten,
die der US-Präsident in seinen letzten Reden angekündigt hat, und George Bush wartet auf den glorreichen Abgang von der internationalen Bühne, nachdem er sich im Präsidentschaftsrennen dem Demokraten Bill Clinton geschlagen geben musste. Der ehemalige UN-Botschafter Bush sieht seine Chance, als sich das Bild eines Kindes in das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit bohrt: Ein etwa zweijähriges Kind hockt im Hungerland Somalia ausgemergelt im Sand, während hinter ihm schon drohend ein Geier lauert. Ein Sturm der Entrüstung bricht los: Warum hilft niemand diesem Land, das nach dem Sturz des Diktators Siad Barre im Chaos der Clan-Kämpfe versinkt? Im Dezember 1992 schickt Bush 28 000 Soldaten. Sie stehen nicht unter dem Kommando der UN, die bereits vor Ort ist - vielmehr haben sie sogar die Direktive, deren Befehle zu ignorieren. Als Clinton 1993 amerikanischer Präsident wird, ist die Situation in Somalia längst außer Kontrolle geraten.
Zwar werden die Hungernden versorgt, doch die Probleme in Somalia sind viel tiefgehender. Mit den komplizierten Clan-Verhältnissen wollen sich die Amerikaner allerdings gar nicht erst abgeben - genauso wenig wie die Pakistanis, Kanadier, Belgier und Deutschen, die inzwischen auch mit Truppen im Land sind. Das Unheil nimmt seinen Lauf: 24 pakistanische Blauhelm-Soldaten werden bei einer Demonstration getötet, mindestens 100 Zivilisten sterben, als US-Kampfhubschrauber und Panzer in eine Menschenmenge feuern.
Die GIs beginnen die Jagd auf Rebellenführer
Mohammad Aidid, setzen ein Kopfgeld von 20 000 Dollar auf ihn aus und verschlimmern die Lage mit fast jeder ihrer Aktionen: Sie töten Clan-Älteste in einem angeblichen Aidid-Unterschlupf, erschießen über 30 Menschen in einem Krankenhaus, nehmen irrtümlich UN-Mitarbeiter fest und sprengen den Eingang zum Haus einer Hilfsorganisation. Kanadier prügeln einen Somali zu Tode, Deutsche erschießen einen Einbrecher. Die Stimmung im Lande wandelt sich. Die Blauhelme und die US-Truppen werden zu Besatzern. Italienische UN-Soldaten weigern sich, mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten: "Wir sind keine Rambos und nicht gewohnt, Massaker zu begehen."
Am 3. Oktober 1993 werden zwei Blackhawk-Hubschrauber in Mogadischu abgeschossen, 18 US-Soldaten sterben beim Versuch, die Abgestürzten zu befreien. Bilder, auf denen johlende Somalis die nackte Leiche eines GIs durch die Straßen ziehen, gehen um die Welt. Die Fernsehnation USA ist entsetzt. Clinton zieht unter öffentlichem Druck seine Soldaten wenige Monate später ab.
Ab jetzt gilt: No casualties! Keine Verluste!
In einer Präsidenten-Direktive formuliert Clinton die Regeln für künftige Friedensmissionen: klare Ziele, ausreichende Mittel - und vor allem müssen die Einsätze amerikanische Interessen voranbringen. Diese Regeln führen direkt zum zweiten Desaster der Vereinten Nationen in den neunziger Jahren.
Die erste Warnung kommt am 25. Februar 1994 aus Belgien - in dem kleinen afrikanischen Land Ruanda werde ein Völkermord geplant. Nichts geschieht, obwohl sich bereits eine kleine Blauhelm-Truppe in dem Land befindet. Als in den UN über eine Erweiterung dieser Friedensmission abgestimmt werden soll, ist es gerade zwei Tage her, dass in Somalia die 18 amerikanischen Soldaten getötet wurden. "Amerika kann die Probleme anderer Völker nicht lösen", verkündet Clintons Sicherheitsberater Lake. Dann beginnt das große Töten in Ruanda. Und Washington ist mit der Wahrung der Sprachregelung beschäftigt, derzufolge die Gräuel nicht Völkermord genannt werden dürfen.
Am 6. April 1994 wird die Maschine des ruandischen
Präsidenten abgeschossen. Sofort ruft das nationale Radio "Libre de Mille Collines" die Volksgruppe der Hutu zum Mord an den "Schmarotzern" der Tutsi auf. Eines der ersten Opfer ist die Premierministerin des Landes. Zehn belgische Soldaten, zu ihrem Schutz abgestellt, werden gelyncht. Vor den zugekniffenen Augen der Welt spielt sich einer der schlimmsten Völkermorde des 20. Jahrhunderts ab.
Bis heute weiß niemand, wie viele Menschen genau zerhackt, erschossen und erschlagen wurden. 800 000 ist die offizielle Zahl. Die UN schweigen dazu - schlimmer noch: Der Delegierte Ruandas in der Generalversammlung ist ein Komplize der Mordbanden, trotzdem darf er sein Land weiter vertreten, sogar im Sicherheitsrat.
Die Helden sind die Helfer vor Ort. Zum Beispiel der senegalesische Blauhelm-Soldat Mbaye Diagne, der die fünf Kinder der Premierministerin persönlich schützt und sie mit ungezählten anderen Tutsi in Sicherheit bringt. Er stirbt durch eine Mörsergranate. Oder der Rotkreuz-Beauftragte Philippe Gaillard, der das Krankenhaus für schwer verletzte Tutsi offen hält und immer wieder mit seinen Mitarbeitern hinausfährt und Opfer aufsammelt. Einmal finden seine Leute ein Mädchen an einen Baumstamm gelehnt, voll geschmiert mit Blut und Exkrementen und männlichem Samen, die Augen stumm aufgerissen, die Leichen ihres Vaters und ihrer Brüder neben ihr im Graben. Tagelang liegt Marie-Ange im Koma, bis Rotkreuz-Helfer sie ins Leben zurückholen.
Ein Held ist auch der kanadische Blauhelm-Kommandant
Roméo Dallaire, der weiter versucht zu verhandeln, die Weltöffentlichkeit aufzurütteln, Menschen zu retten - selbst als im Radio sein Tod verlangt wird, als Essen und Benzin ausgehen, weil die Vereinten Nationen im Gegensatz zu allen anderen Hilfsorganisationen noch nicht einmal in der Lage sind, ihre eigenen Leute zu versorgen. Dallaire kämpft sogar dann noch weiter, als der Sicherheitsrat beschließt, seine Truppen auf 270 Mann zu reduzieren. Auch der Leiter der Friedensmissionen im UN-Büro in New York, Kofi Annan, der spätere Generalsekretär, reagiert nicht auf die Hilferufe aus Ruanda.
Mit 456 seiner ghanaischen und tunesischen Blauhelme - alles Freiwillige - bleibt Dallaire bis zum bitteren Ende in Ruanda, während die Belgier all ihre Soldaten abziehen, die Franzosen ihre Landsleute herausholen und dabei jeden einzelnen ihrer ruandischen Mitarbeiter dem sicheren Tod überlassen. Die Franzosen kommen erst wieder, als die Hutus geflohen sind und die Tutsi-Armee RPF einen Großteil Ruandas erobert hat. "Vielleicht wäre es besser gewesen, die ruandischen Berggorillas wären abgeschlachtet worden. Dann wäre vielleicht früher Hilfe gekommen", mutmaßt Dallaire sarkastisch.
"Wir haben zu wenig zu spät getan",
sagt Madeleine Albright, die zu diesem Zeitpunkt Amerikas UN-Botschafterin ist und sich vor allem durch eine ausgeprägte Hass-Liebe zu Boutros-Ghali auszeichnet, mit der Betonung auf Hass. Doch die Weltgemeinschaft lernt nicht. Das nächste Desaster wartet: Srebrenica.
Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžič und sein General Ratko Mladič haben inzwischen den Eindruck gewonnen, sie können sich alles mit den Blauhelmen erlauben. Und sie erlauben sich viel: Die Welt und vor allem Europa ist geschockt von der Brutalität der "ethnischen Säuberungen" in Bosnien-Herzegowina, von Bildern ausgemergelter Männer aus dem Lager Omarska, von Zeuginnen, die den bosnischen Serben systematische Vergewaltigungen anlasten, von der Zerstörung der Altstadt in Dubrovnik. Zwischen 1992 und 1995 verabschiedet der Sicherheitsrat 81 Resolutionen gegen die Vorgänge im ehemaligen Jugoslawien, mehr als doppelt so viele wie in 30 Jahren Apartheid in Südafrika. Als die Nato schließlich auf Initiative der Amerikaner mit ersten Bombardements beginnt, haben die Serben über 300 Blauhelme als Geiseln an ihre Brücken und Munitionslager gekettet. Bis sie wieder frei sind, müssen die Bombardements gestoppt werden.
Die Blauhelme in den sechs "Sicheren Gebieten"
sind höchst unzureichend ausgerüstet. Sie sind abhängig von Luftunterstützung, die nur durch eine komplizierte Kommandokette angefordert werden kann. Der niederländische Befehlshaber Ton Karremans kabelt seine Anfragen nach Tuzla, von dort gehen sie nach Sarajevo, dann nach Zagreb, dann zum Gesandten des UN-Generalsekretärs Yuko-shi Akashi und schließlich zur Nato. Zwei Stunden dauert das meist. Am 6. Juli 1995 um 3.15 Uhr greifen die Serben Srebrenica an. Die von den Niederländern angeforderte Luftunterstützung kommt nie - sei es, weil das Verlangen nicht weitergeleitet wird, sei es, weil die niederländische Regierung Druck ausübt, jedes Risiko für die eigenen Männer zu unterlassen. Nachdem ein erster holländischer Soldat an einem Checkpoint getötet wird, ergeben sich die Niederländer General Mladič.
Der überrumpelt Karremans auch noch: Es kommt zu dem berühmten Foto, auf dem es so aussieht, als begieße der Blauhelm-Kommandant seine Niederlage. Die Blauhelm-Soldaten schauen zu, wie muslimische Männer aussortiert und weggeführt werden, einige beobachten Exekutionen. Innerhalb von 13 Stunden werden 23 000 Muslime aus Srebrenica weggeschafft, fast 6000 der Männer sind bis heute verschwunden.
Die Vereinten Nationen haben versagt,
weil ihre Mitglieder nicht den Willen zeigen, den Frieden tatsächlich durchzusetzen. Generalsekretär Boutros-Ghali hätte für die "Sicherheitszonen" in Bosnien-Herzegowina 60 000 Soldaten gebraucht, in Kenntnis der schwierigen Situation nur 34 000 angefordert und lediglich 7600 genehmigt bekommen. Davon sind weniger als 5000 tatsächlich vor Ort. Pakistan beispielsweise stellt zwar Soldaten, die treffen aber erst mit einjähriger Verspätung ein und haben keine Ausrüstung. Die Deutschen versprechen daraufhin 169 Militärfahrzeuge, die aus den Beständen der Nationalen Volksarmee stammen - und die Vereinten Nationen müssen also slowakische Spezialisten beauftragen, die Pakistanis in der Bedienung der Fahrzeuge auszubilden.
Wie durch ein Wunder kommt das Friedensabkommen von Dayton trotzdem zustande. Unterschrieben wird es knapp ein halbes Jahr nach Srebrenica, am 14. Dezember 1995.
Unterdessen muss sich Präsident Clinton einer republikanischen Mehrheit im Senat erwehren, die das amerikanische UN-Engagement weiter reduzieren will. Besonders vehement tritt Senator Jesse Helms auf, der umfassende Reformen des UN-Apparates verlangt, bevor die Vereinigten Staaten ihre fast 1,5 Milliarden Dollar Schulden zahlen. "Die Vereinten Nationen müssen sich reformieren oder sterben!", fordert er. Um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können, erhalten die Vereinten Nationen 10,5 Milliarden Dollar, davon bezahlen die USA 25 Prozent, gerade mal 0,1 Prozent des US-Budgets.
In vielen wichtigen Fragen weigern sich die USA
, UN-Abkommen mitzutragen: Die Zerstörung chemischer Waffen lehnen sie ebenso ab wie die Ächtung von Landminen und die Konvention zum Schutz der Kinder (dies, weil die US-Armee auch Soldaten unter 18 Jahren verpflichtet). Zwar unterschreibt Clinton den ersten Entwurf für einen Internationalen Strafgerichtshof, doch wird diese Unterschrift vom heutigen Präsident George W. Bush ebenso zurückgezogen wie die Zustimmung zu den Umwelt-Abkommen von Kyoto.
"Die UN sind das Werkzeug amerikanischer Außenpolitik", sagt Madeleine Albright. Und wenn die Linie der Vereinten Nationen den USA nicht in den Kram passt, werden sie ignoriert. Das gilt vor allem für den Israel-Palästina-Konflikt. Von Madrid bis Oslo und darüber hinaus trifft Bill Clinton alle Vereinbarungen ohne Mitwirkung der UN. Madeleine Albright ist es auch, die schließlich die Wiederwahl des unbequemen Generalsekretärs Boutros-Ghali vereitelt. Zwar ist der Nachfolger Kofi Annan nicht der Wunschkandidat der Amerikaner, aber er scheint geschmeidiger zu sein als der störrische Ägypter.
Kofi Annan beginnt sein Amt mit Reformen
der UN-Bürokratie. Mit seiner ruhigen Art, der "stillen Diplomatie", wie der Ghanaer es selbst nennt, überredet er Saddam Hussein 1998, wieder UN-Inspektoren ins Land zu lassen. Zwar hält der Friede nicht lange, aber Annan erweist sich als umsichtiger Diplomat. Er verkörpere die "Würde im Korsett der Machtlosigkeit" - so die Meinung über sein Auftreten. Er lässt die Vorkommnisse in Ruanda und Srebrenica untersuchen, bei denen er selber als Führer der Friedensmissionen beteiligt war. Er spart nicht an harten Worten. Die Vereinten Nationen sollen aus ihren Fehlern lernen.
Als sich die Lage im Kosovo wieder zuspitzt, beginnen amerikanische Bomber am 24. März 1999 mit ihren Angriffen auf Serbien, insgesamt fliegen sie mehr als 37 000 Einsätze - ohne Mandat der Vereinten Nationen. Hunderttausende Flüchtlinge strömen nach Mazedonien. Als sich die Serben aus dem Kosovo zurückziehen, hat Annan innerhalb von zwei Tagen ein Konzept zum Aufbau einer neuen Zivilverwaltung, einer Polizei und eines Gerichtswesens im Kosovo bereit. Bis heute ist die Uno-Mission UNMIK vor Ort, druckt Briefmarken und Pässe, bildet Polizisten aus und versucht, wieder eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Eine präventive UN-Mission in Mazedonien verhindert, dass es zu einem Bürgerkrieg kommt.
Ost-Timor wird zum Vorzeigemodell der neuen UN-Politik
des "nation building". Die UN bereiten im Januar 1999 ein Unabhängigkeits-Referendum vor. Übergriffe der indonesischen Zentralregierung werden gestoppt, schon im Oktober arbeitet eine Übergangsregierung. Auch hier übernehmen die UN alle Aufgaben eines Staates. Nach ersten Wahlen ist Ost-Timor seit Mai 2002 unabhängig. Die Blauhelme bleiben, anders als in Kambodscha, vor Ort, um die junge Demokratie zu schützen.
Zu Anfang des neuen Jahrtausends atmen die Vereinten Nationen auf. Die großen Katastrophen liegen hinter ihnen. Erste Erfolge in Sierra Leone, im Kongo und in Angola lassen hoffen. Zu einer Millenniumskonferenz kommen so viele Staatsoberhäupter zum UN-Hauptquartier wie noch nie zuvor. Die Weltgemeinschaft feiert sich. Doch die Ruhe währt nicht lange.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001
verändern die Welt. Kofi Annan warnt in seiner Kondolenzrede: "Wir dürfen nicht zulassen, dass dieses Ereignis uns spaltet." Der Sicherheitsrat verurteilt die Angriffe einstimmig. Der Krieg gegen Afghanistan findet zwar ohne UN-Mandat statt, doch mit Billigung der Weltgemeinschaft. Die USA als angegriffener Staat haben das Recht zurückzuschlagen. Die UN schicken die Schutztruppen ISAF zum Wiederaufbau nach Kabul.
Doch während George W. Bush die Vereinten Nationen in seiner ersten Rede vor der Generalversammlung noch zu umarmen scheint, wird daraus bald eine Fesselung. In seiner zweiten Rede am 12. September 2002 warnt Bush die UN, dass sie bei einer falschen Entscheidung über einen Krieg gegen den Irak "irrelevant werden" würden. Die Mehrheit des Sicherheitsrats schwenkt jedoch trotz aller Tricks und Pressionen nicht auf den Kriegskurs der USA ein. Bush findet keine Mehrheit für einen Angriff auf den Irak. Der neueste Krieg findet unter Missachtung des Völkerrechts statt.