Rudy Giuliani Absturz eines Zockers

Rudy Giuliani lebt von einer Legende, vom 11. September 2001. Und galt damit lange als Favorit für die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner. Doch dann sanken seine Umfragewerte drastisch. Gewinnt er nun die Vorwahlen in Florida nicht, ist der Traum vom Weißen Haus geplatzt. Ein Porträt von Jan Christoph Wiechmann, Miami

Er versucht noch einmal, den Helden zu spielen. Er versucht noch einmal, das Publikum anzufeuern. Ein letzter Versuch vor dem nahenden Untergang. Es ist 22 Uhr am Montagabend, gerade hat Präsident Bush seine Rede an die Nation beendet, und nun will Rudy Giuliani im Ballsaal der Florida International University noch ein letztes Ausrufezeichen setzen. Für die Spätnachrichten. Für die Skeptiker. Für all jene, die ihn schon abgeschrieben haben. "Ich habe Dinge gemacht, die man für unmöglich hielt", ruft er. "Ich bringe Euch die größten Steuerkürzungen in der Geschichte Amerikas." Sein Team verbreitet, dass Giuliani selbst einen Plan habe, um Hugo Chavez loszuwerden und auch Fidel Castro, und weil auch das nicht reicht, hat er noch ein letztes Versprechen: "Wir schicken den ersten Menschen auf den Mars." Da lacht das Publikum. Das war zu viel. Das nimmt ihm keiner mehr ab. "Nein, nein, das ist ein ernsthaftes Versprechen", erwidert er und merkt wahrscheinlich selber, dass diese Wahlen nicht mehr zu gewinnen sind.

Umfragewerte sinken

Seit vier Wochen tourt Rudy Giuliani durch Florida, und mit jedem Tag kommen weniger Besucher zu seinen Veranstaltungen. Seit vier Wochen sagt er den Bürgern, dass er Florida liebt und braucht, doch mit jedem Tag sinken seine Umfragewerte. Im Stil eines Zockers hat der ehemalige Bürgermeister New Yorks alles auf eine Karte gesetzt. Er hat die Vorwahlen in Iowa, New Hampshire, Michigan und South Carolina ausgesessen, um in Florida einen glorreichen Sieg einzufahren.

Ein Erfolg im "Sunshine State", so sein Kalkül, würde ihm die Schlagzeilen sichern, würde ihn zum "Comeback-Rudy" machen, zum Favoriten für die Vorwahlen in 23 Staaten am "Super Tuesday" (5.Februar). Doch er hat sich verkalkuliert. In den Umfragen liegt er weit abgeschlagen auf Platz drei hinter John McCain und Mitt Romney. Seit Wochen schon spielt er in der Wahrnehmung des Wahlvolks keine Rolle mehr. Ließ sich in Iowa nicht blicken. Ignorierte New Hampshire. Verschwand vom Radarschirm der Nation. War nicht viel mehr als ein Gespenst.

Irgendetwas ist richtig schief gelaufen für den Frontrunner. Aber was?

Die Bösen in einem Satz

Wilmington, Delaware. Es ist spät geworden an diesem nebligen Abend, 23.50 Uhr, schon naht ein neuer Tag, doch Rudy Giuliani will diese eine Schlacht noch gewinnen. Gerade erst hat er 800 Republikaner im Ballsaal eines Luxushotels an die glorreiche Vergangenheit Amerikas erinnert. Er hat die Bösen der Welt in einem Satz untergebracht (Hitler, Stalin, Bin Laden) und seine Helden noch hineingequetscht (Lincoln, Churchill, Reagan) und auch den schlimmsten Tag der Geschichte noch (11. September 2001) und dessen Superhelden (Giuliani), und nun betritt er ein plüschiges Hinterzimmer und fährt seine Hand mit dem Anlauf eines Stabhochspringers zur Begrüßung aus.

"Hi", sagt er zum stern.de-Reporter. "Schön, Sie zu sehen", als bedeutete es ihm wirklich etwas. Doch er schüttelt die Hand seines Gegenübers nicht. Er zerquetscht sie. Er drückt so fest zu, wie er es bei den Feuerwehrleuten in der Bronx gelernt hat. Ich bin hier der Boss, sagt der Händedruck. Ich werde dieses Gespräch gewinnen. Ich bin auch um Mitternacht noch wie auf Drogen.

Es rutscht ein Lächeln in seinen Blick, doch ist dies von der verbissenen, der streitlustigen Sorte. Ich gebe hier die Kommandos, sagt dieser Blick. Ich habe die Kontrolle. Auch dieses Duell geht an mich.

Und dann legt er los. Er wartet nicht auf die Frage des Journalisten. Er spricht mit jener kampfgestählten Haltung, als sei das ganze Leben eine Schlacht, jeder Händedruck, jeder Blick, jeder Konsonant. Er sagt, dass die Deutschen nach dem 11.September zunächst noch große Unterstützer Amerikas waren. Dass er etliche Male in Deutschland war, in Frankfurt, Hamburg, Berlin - Äppelwoi und Bier. Er erklärt dem Deutschen ein bisschen was über Deutschland und den Irakkrieg und sagt zum Abschluss, dass man der Offensive in Bagdad eine Chance geben muss.

Er begann mit Äppelwoi und endet mit Bagdad.

Dann geht er auch schon. Dann tritt Rudy Giuliani mit Generalsschritten hinaus in den nächtlichen Nebel, als wollte er auch diesen noch erlegen. Den bösen Nebel von Wilmington. Hinter ihm lag ihm ein fulminanter Abend. An dessen Ende standen die Menschen im Saal und gaben ihm Ovationen, einige hatten Tränen in den Augen. Die Republikanische Partei überreichte ihm einen Freiheitspreis, aber es wirkte eher wie eine Krönungszeremonie. Er kennt diese Feiern. Er hat bereits die Ritterwürde der englischen Königin erhalten und die Ronald-Reagan-Freiheitsmedaille, er war Times "Person of The Year", und je länger der Abend wurde, desto mehr erinnerte der kompakte, hochstirnige Mann auf der Bühne an einen Feldherrn, der sich vor lauter Orden kaum mehr auf den Beinen halten kann.

Er ist kein Politiker

Giuliani trug einen dunkelblauen Anzug und eine rote Krawatte und eine US-Fahne im Revers. Er redete von Amerikas Exportschlager Nummer 1 - der Freiheit - und vom Krieg gegen das Böse. Wenn Giuliani im Wahlkampf auftritt, hält er sich ungern mit Nuancen auf, mit jenen Brosamen des politischen Alltags, über die Politiker in Washington immer reden müssen. Er ist keiner von ihnen. Er ist kein Politiker. Und auch nicht aus Washington. Er steht auf der Bühne in Sacramento, Kalifornien und ruft: "Ich dachte, wir bezahlen die Leute in Washington für Führungsstärke." Er ist anders. Er denkt in Epochen. Er liest Shakespeare und Churchill. Er war immer Boss, und als er es mal nicht war, wie einst im Justizministerium, war der große Ronald Reagan sein Boss. Er erzählt von seiner "Mission Impossible", von seinem Kampf gegen die Mafia und Drogengangs und den Mehltau von New York City, und irgendwann steuert er auf den Höhepunkt zu, den 11.September. Dann ist es totenstill - in Wilmington, in Sacramento, in Florida.

"Es gab eine Zeit, als ich mich fragte: Kommen wir dadurch? Sind wir stark genug?" Giuliani macht eine dramaturgische Pause. "Ich sah so viele Verletzte und Traumatisierte. Ich lebte durch den schlimmsten Tag in der Geschichte unseres Landes." Er blickt tief bewegt ins Publikum. "Ich verrate Euch, wie ich es überstand. Ich sah dieses Foto. Drei Feuerwehrmänner, die unsere Fahne wieder hissten. Sie standen auf den Trümmern des World Trade Centers, hoch über 2000 Grad heißen Flammen, die noch 100 Tage brannten." Er hebt ehrfurchtsvoll den Kopf. "Da wusste ich: Wir packen das. Man kann uns nicht schlagen. Denn wir sind Amerikaner." Applaus im Publikum, Ovationen, Rudy-Rufe, Rudy, Rudy. "Und nun muss ich mich fragen: Kann ich das sein? Kann ich derjenige sein, der unser Land anführt?"

Die Antwort braucht er nicht zu geben. Die Antwort gibt das Publikum.

Viele Amerikaner sehen Rudy Giuliani noch immer als Helden - aber längst nicht mehr als einen Präsidenten. Keine Woche verging, ohne dass er nicht mit unangenehmen Details konfrontiert wurde. Sein Sohn Andrew aus zweiter Ehe erklärte öffentlich, dass er seinem Vater die Scheidung übel nimmt. Seine Anwaltskanzlei gestand, dass sie Lobbyarbeit für Hugo Chavez‘ Ölgiganten Citgo macht. Parteigenossen erklärten, dass Giulianis liberale Positionen zu Abtreibung und Homosexualität ihn für Republikaner und Katholiken unwählbar machen. Die New York Times nannte ihn einen "engstirnigen, besessenen, geheimniskrämerischen, rachelüstigen Mann".

Im amerikanischen Selbstverständnis zwischen Hybris und Hollywood spielte Rudolph Giuliani lange die Paraderolle des klassischen Helden. Er erfüllte die Sehnsucht nach dem Übermenschlichen. Er brauchte nur "11.September" zu sagen - und drang tief in die Herzen der Menschen vor. Er steht in einer Riege mit den großen Kriegshelden, obwohl er nie im Krieg war. Er gilt als Feldherr einer Schlacht, die nie stattfand. Er ist der General, obwohl er nie mehr war als ein Bürgermeister. "Rudy the Rock". Ein Mann für harte Zeiten. Je härter die Zeiten, desto besser seine Chancen, desto lauter der Ruf nach einem Befreier. Einer Legende. Davon lebt er. Von der Legende. Von 9/11.

Unbeliebt in New York

Am 10. September 2001 noch galt Rudolph William Louis Giuliani, der Junge aus Brooklyn, Sohn eines verurteilten Raubtäters, Neffe eines Mafiosi, als Bürgermeister auf Abruf. Er hatte New York in den acht Jahren seiner Regentschaft gesäubert, war jedoch unbeliebt wie kein anderer. Seine aggressive Zero-Tolerance-Politik, die selbst Grafittisprüher mit Verbrechern gleichsetzte, hatte New York sicherer gemacht, doch Amnesty International prangerte die Brutalität seiner Polizei an. Er hatte 23 Steuern gesenkt und die Wirtschaft belebt, doch seine raubeinige, selbstherrliche Art stieß Menschen vor den Kopf. Als man ihn einmal fragte, was er für ethnische Minderheiten getan hat, erwiderte er: "Sie sind am Leben. Wie wär‘s damit?" Als sich in seiner wöchentlichen Radioshow ein stotternder Anrufer über die Kürzungen für Behinderte beschwerte, keifte Giuliani: "Mit Dir stimmt was nicht. Wir schicken Dir einen Psychiater, den kannst Du echt gebrauchen." Der Mann hatte Parkinson.

"Am 10.September hätte Giuliani nicht mal mehr die Wahl zum Hundefänger gewonnen", sagt der ehemalige Bürgermeister Ed Koch. "Ab dem 11.September konnte er übers Wasser laufen."

Der 11.September. Rudy Giuliani saß zum Frühstück im Peninsula Hotel auf der 55.Straße, als er die Nachricht vom Anschlag aufs World Trade Center bekam. Er eilte zum Tatort und war an jenem Tag noch fünf Mal an Ground Zero. Er koordinierte den Einsatz und suchte Deckung in Häusern, und beinahe hätte der Südturm auch ihn erschlagen. Im Chaos des Tages war er die Stimme der Ruhe und Ordnung, die am Abend das ganze Land, ja die Welt tröstete: "Wir haben furchtbar viele Opfer und werden unermesslich trauern, doch New York wird auch morgen noch hier sein. New York wird immer hier sein."

Während George W. Bush an Bord der Airforce One hilflos durch den Luftraum kreiste und Vizepräsident Dick Cheney sich in den Bunker zurückzog, stand Rudy Giuliani auf dem Schlachtfeld. Als sich der Präsident drei Tage später endlich nach New York traute, war längst ein anderer Held geboren, ein Mann mit Sweatshirt und einer Mütze der New Yorker Feuerwehr, ein Mythos, eine Statue.

Drei Monate später lief seine Amtszeit ab. Giuliani war klar, dass er zu Höherem berufen war, wie einst George Washington nach dem Unabhängigkeitskrieg oder General Dwight Eisenhower nach dem Sieg über Hitler. Er hatte bei den Senatswahlen gegen Hillary Clinton antreten wollen, doch Prostatakrebs zwang ihn zur Aufgabe in jenem Kampf der Giganten, den viele herbeisehnten für 2008.

So machte Giuliani seinen Namen zu Geld. Er gründete eine Sicherheitsfirma und kaufte eine Investment-Bank und trat einer Kanzlei bei und ging als Motivationsredner auf Tournee. Er vermarktete: sich selbst. Die Marke Giuliani. Law and Order. Den Terminator. Die Real-Life-Version seines Seelenverwandten Arnold Schwarzenegger. Für einen halbstündigen Auftritt forderte er 100.000 Dollar plus freien Transport im Gulfstream-Jet, eine Hotelsuite mit zwei Schlafzimmern und die Aussperrung der Medien. Er redete über Mafia, Drogenbanden und Giuliani am 11.September und strich für seine Reden insgesamt acht Millionen Dollar ein.

Doch schon damals, so erzählt sein Freund und Mentor Arnold Burns, wusste Rudy, dass er zurück musste auf den Thron, den höchsten Thron überhaupt, ins Weiße Haus - als erster Katholik seit John F. Kennedy, als erster New Yorker seit Theodore Roosevelt vor 100 Jahren, als erster Bürgermeister überhaupt. Ein politischer Quantensprung. Ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn Menschen über Rudy Giuliani reden, dann steht am Ende ein Führer - oder Autokrat. Ein Mann mit Ecken und Kanten - oder ein Tyrann. Sie sehen ihn so ähnlich wie er die Welt: Schwarz und Weiß, dazwischen gibt es nicht viel. Ed Koch sagt über Giuliani: "Er ist kein Rassist. Er ist einfach zu allen gemein." Giuliani selbst sagt über sich: "Ich liebe das Motto "Lebe frei - oder stirb."

Verachtung für seine Stadt

Im Wahlkampf blickt Giuliani nicht selten mit Verachtung auf New York, seine zutiefst liberale Stadt. Er beginnt seine Rede oft mit einem Witz: "Hier im Saal sind mehr Republikaner als in ganz New York City." Da schmunzelt der Saal. "Man sagte mir einst, eher gefriert die Hölle, als dass es in New York mal einen republikanischen Bürgermeister gibt." Wieder schmunzeln die Menschen, doch schon mischt sich auch Bewunderung hinzu: Da steht ein Gladiator. Er hat das Unmögliche geschafft. Er hat die Demokraten auf ihrem eigenen Territorium geschlagen, in New York, im uneinnehmbaren New York City. "If he can make it there, he‘ll make it anywhere."

Seine Berater haben ihm geraten, dass er im Wahlkampf etwas sanfter werden muss. Mehr Mensch sein. Führer und Mensch. Sie verbreiten, dass er seit dem 11.September schon viel sanfter geworden sei, so sanft wie Reagan. Irgendwann in seinen Reden findet Giuliani seinen Weg immer zu Ronald Reagan, dem letzten Heiligen der Partei. "Ich bin ein Optimist wie Reagan", sagt Giuliani und führt dabei die Hand zum Herzen. "Du hast sehr viel mehr Spaß im Leben als Optimist." Noch optimistischer. "Wir sind die erfolgreichste Gesellschaft der Welt und in der ganzen Geschichte der Welt." Noch optimistischer. "Wir sind die positivste Kraft in der ganzen Welt." Das ist es. Das ist seine politische Agenda. Er ist ein Optimist. Ein furchtloser Optimist. Ein furchtloser, optimistischer Feldherr. Es liest sich wie eine Stellenausschreibung nach acht desaströsen Jahren Bush.

Nach seiner Rede kehrt Giuliani in ein kleines Restaurant namens Blake‘s Diner ein, gemeinsam mit seiner dritten Frau Judith Nathan, einer dreimal verheirateten, stark geschminkten, elegant gekleideten ehemaligen Pharmavertreterin und Millionärsgattin. Nicht gerade das Ideal einer First Lady, aber die hatte auch Ronald Reagan nicht. Sie wollen jetzt ein bisschen Mensch sein. Sie bestellt einen Hamburger mit viel Speck - und er Fladenbrot gefüllt mit Huhn-Fajita. Sie wollen ein wenig plauschen. Kumpel sein. Das Bratfett aus den Mundwinkeln laufen lassen. Lustig sein: "Wenn du der Schulbehörde zu viel Geld gibst, kriegst du so was wie die alte Sowjetunion." Traurig sein: "Als die New York Yankees damals verloren, habe ich geweint." Mal so richtig Mensch sein.

Doch die Restaurantgäste wollen keinen Menschen. Sie wollen den Helden. Noch bevor sie "Hi Mister Mayor" sagen, sagen sie: "Danke für Ihren Dienst am Vaterland." Er war nie im Krieg wie John McCain, aber er wirkt so. Er war nicht mal bei der Nationalgarde wie George W. Bush, aber er wirkt so. Er wirkt so, als könnte er auch den Saustall Washington säubern. Als könnte er Osama Bin Laden persönlich aus seinem Versteck zerren. Später, als Giuliani in seinem prächtigen weißen Lincoln schon weiter gefahren ist, sagen sie: "Mit Giuliani im Weißen Haus fühlt man sich sicher. Da geht man abends beruhigt ins Bett."

Das war die Strategie seiner Berater. Die Leute sollen ihn bewundern und möglichst keine Fragen stellen. Er muss als Figur gewinnen. Als Mythos. Nur so hat er eine Chance. Je weniger sie nach seinen Positionen fragen, desto besser. Wenn die Erinnerung an 9/11 schwinden sollte, werden sie seine Vita zerlegen. Die Berater haben nur eines nicht bedacht. Der Terrorismus spielt keine Rolle im Wahlkampf. Das Land braucht momentan keinen Helden. Und wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht, ist John McCain ihm um Längen voraus.

Mischung aus Jesus Christus und John Wayne

Giulianis größtes Problem ist sein Leben. Er hat eine Seifenoper gelebt. Bei den Vorwahlen entscheiden Konservative über ihren Präsidentschaftskandidaten, und die haben gern einen gottesfürchtigen, Schusswaffen liebenden Abtreibungsgegner und treuen Ehemann. Sie wollen eine Mischung aus Jesus Christus und John Wayne. Giuliani ist nichts davon. Sein Privatleben ist eine Mischung aus "Sopranos" und "Dallas".

Als erste Frau heiratete er seine Cousine. Die Scheidung von seiner zweiten Frau verkündete er auf einer Pressekonferenz, noch bevor er sie selbst darüber informierte. Im Gegenzug verkündete diese seine Affäre mit einer Pressesprecherin, woraufhin er verkünden ließ, dass dies nicht sein könne, weil er wegen seines Prostataleidens vorübergehend impotent war. Und weil das für eine New Yorker Seifenoper noch nicht reichte, zog er nach der Trennung zu einem schwulen Pärchen und einem Chihuahua-Hund.

Das muss er nun erklären, auf seinen Reisen in Texas und Florida und dem Mittleren Westen. Wie kann einer, der drei Frauen im Leben braucht, die richtigen Entscheidungen fürs Land treffen? Wie soll einer, der sich in der Schlammschlacht einer Scheidung verliert, die Truppen aus dem Morast im Irak ziehen? Und das Schlimmste: Wie soll einer, der mit Schwulen gelebt hat, Amerikas moralischen Führungsanspruch in der Welt vertreten? Giuliani weiß, dass er auf dem Gebiet nicht gewinnen kann. Er sagt dann, wie auf einer Konferenz in Washington: Ich stimme mit mir selbst nicht hundert Prozent überein." Er sagt, wie in Kalifornien: "Das große moralische Thema unserer Zeit ist der Sieg über den Terrorismus."

Schwer getroffen hat Giuliani in Florida noch etwas ganz anderes, und folgt man dieser Spur, so landet man in seiner Heimat, in einer kleinen Wohnung in Queens, 34th Avenue, Apartment 11d. Hier wohnen Maureen und Al Santora, der einst für die Sicherheit der New Yorker Feuerwehr zuständig war. Die Santoras verloren ihren 21jährigen Sohn am 11.September. Christopher war das jüngste Opfer unter den 343 toten Feuerwehrmännern, von seinem Körper blieben den Santoras nur Einzelteile. "Hätten ihre Funkgeräte funktioniert, wären die Männer noch am Leben", sagt Al Santora. "Die Geräte hatten schon 1993 beim ersten Anschlag aufs World Trade Center nicht funktioniert, doch sie wurden nie ersetzt. Giuliani wusste das. Er war es auch, der die Einsatzzentrale im 23.Stock des World Trade Centers untergebracht hatte, obwohl ihn alle davor gewarnt hatten. Er hat viele Opfer auf dem Gewissen."

Der Held wird zum Hochstapler

Die Santoras und andere Angehörige der Toten folgen Giuliani nun durchs ganze Land, um ihn zu demaskieren. Aus dem Helden einen Hochstapler machen. Ihn dort treffen, wo er am empfindlichsten ist. Der Chef der mächtigen Feuerwehr-Gewerkschaft IAFF hat angekündigt: "Wir haben gehört, dass Giulianis Wahlkampfteam die Unterstützung von Feuerwehrleuten sucht. Wenn sie Euch kontaktieren, sagt nicht einfach "Nein". Sagt: Zur Hölle mit Dir."

"Wir haben ihn oft erlebt, auch auf Beerdigungen", sagt Maureen Santora. "Er tritt auf wie der Allmächtige, dabei ist er kalt, verletzend, gefährlich." "Ach was, gefährlich", unterbricht sie ihr Mann. "Er ist der Teufel persönlich. Mit ihm kriegen wir den nuklearen Holocaust."

Giuliani selbst hat nie auch nur einen Fehler eingestanden. Er will mit dem stern.de auch nicht über die Santoras sprechen. Er erinnert lieber daran, dass er nicht nur 1993 beim ersten World Trade Center- Anschlag in New York war und beim zweiten 2001, sondern auch bei den Bombenattentaten von London 2005, nur zehn Straßen entfernt. Es klingt wie Prahlerei. Wie ein Werbespot. Nur weiß man nicht so recht, was er damit sagen will. Dass er unbesiegbar ist? Oder dass der Terror ihm folgt? Ins Weiße Haus?

Für ein Raubein wie ihn gab es in diesem Wahlkampf zu wenige Gegner. Al Kaida spielte keine Rolle, auch die Bedrohung durch den Iran nicht, also versuchte er es in Florida mit Hurrikans, er baute Hurrikans zu großen Monstern auf und kündigt an, einen nationalen Katastrophen-Fond zu schaffen - ein letzter verzweifelter Versuch, Stimmen zu gewinnen. Vermutlich zu spät.

Scheitert Giuliani in Florida, wird er am 5.Februar wohl selbst seinen Heimatstaat New York verlieren, wo er einen Sieg fest eingeplant hatte. Das wäre mehr als eine Niederlage. Eine Schmach. Mehr als eine Schmach. Der Sargdeckel auf sein politisches Leben. Die späte Rache seiner Stadt.