In Deutschland ist Deutsch die Amtssprache. Daher macht die Bundesregierung ihre öffentlichen Erklärungen auf Deutsch – und man ist gehalten, bei deren Auslegung den Regeln der deutschen Semantik zu folgen.
Zum Beispiel bei einem Satz, der sich seit dem Jahr 2000 jedes Jahr im jeweiligen jährlichen Rüstungsexportbericht der wechselnden Bundesregierungen findet: "Genehmigungen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern werden nur erteilt, wenn zuvor der Endverbleib dieser Güter im Endempfängerland sichergestellt ist", versichert die Regierung da immer wieder wortgleich.
Die Formulierung ist unmissverständlich. Die Regierung kündigt regelmäßig an, dass die Waffentechnik die Empfängerländer keinesfalls verlassen darf. Sonst hätte sie ja in ihren öffentlichen Erklärungen nähere Erläuterungen hinzufügen müssen – etwa, dass es unter bestimmten Bedingungen für die Empfängerländer vielleicht doch die Möglichkeit gibt, die deutschen Rüstungsgüter in einem Krieg im Nachbarland einzusetzen.
Aber eine solche einschränkende Erläuterung findet sich nicht in den alljährlichen Rüstungsexportberichten der Bundesregierung. Massive Abweichungen von dem Prinzip, dass Waffen im Empfängerland bleiben müssen, findet man jedoch in der Realität – in der insbesondere die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) in großem Umfang aus Deutschland geliefertes Kriegsgerät im Jemen einsetzen. Der stern und die anderen Partner des Rechercheprojekts #GermanArms haben das jetzt nachgewiesen.
Bundesregierung reagiert verdruckst
Haben die Emiratis also die Regeln gebrochen? Die Bundesregierung reagiert auf diese Frage überaus verdruckst. Das von Minister Peter Altmaier (CDU) geführte Wirtschaftsministerium gibt aber zu verstehen, dass die scheinbar eindeutigen Aussagen in den Rüstungsexportberichten keinesfalls wörtlich zu nehmen seien: "Es zählt grundsätzlich zu den legitimen Sicherheitsinteressen von Staaten, Rüstungsgüter auch außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets oder der eignen Hoheitsgewässer einsetzen zu können", etwa bei Manövern oder "international legitimierten Einsätzen", zum Beispiel bei UN-Missionen, schrieb uns ein Sprecher des Ministeriums. "Entsprechend der internationalen Praxis ist daher grundsätzlich darauf abzustellen, dass die ständige Verfügungsgewalt des Endempfängers gewährleistet bleibt", fügte er hinzu.
Manchmal dürfen die Waffen also doch außer Landes verwendet werden, entgegen den scheinbar klaren Aussagen der Regierung in den Rüstungsexpoortberichten. Nun sind aber die blutigen Interventionen von Saudis und Emiratis im Jemen weder Manöver noch UN-Missionen – wenngleich ihre Truppen dort auf Wunsch der offiziellen Regierung kämpfen. Durften die Emiratis also dennoch in Deutschland gebaute Kriegsschiffe in Häfen im Jemen schicken und in Deutschland entwickelte Waffenstationen und Panzertechnik durch das Bürgerkriegsland rollen lassen?
Auf diese Frage reagiert die Bundesregierung – wie gesagt – verdruckst. Aus dem von Heiko Maas (SPD) geführten Auswärtigen Amt hieß es vergangene Woche auf eine Anfrage von uns sogar relativ apodiktisch, der Bundesregierung lägen "keine Informationen zu einem Verstoß gegen Endverbleibserklärungen für aus Deutschland ausgeführte Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien oder in die Vereinigten Arabischen Emirate vor". Das Kanzlerin Angela Merkel unterstehende Bundespresseamt formulierte es etwas vorsichtiger: "Der Bundesregierung liegen keine gesicherten Informationen über einen Verstoß gegen Endverbleibserklärungen für unmittelbar aus Deutschland ausgeführte Rüstungsgüter in die Vereinigten Arabischen Emirate oder nach Saudi-Arabien vor", schrieb uns eine Sprecherin.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier "ist nichts bekannt"
Aber was hat die Regierung getan, um gesicherte Informationen zu beschaffen? Darauf gibt es keine klaren Antworten. Besonders hemmungslos redet man das Problem im Bundeswirtschaftsministerium klein. Deutsche Waffen und deutsche Rüstungstechnologie im Jemen? Nein, "mir ist davon nichts bekannt", beteuerte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) noch dieser Tage.
Und noch im Oktober 2018 – vor gut vier Monaten – versuchte sich ein Vertreter seines Hauses im besonders entschlossenen Schönreden der Situation: "Wir haben bisher keinerlei Erkenntnisse darüber, dass unmittelbar aus Deutschland nach Saudi-Arabien gelieferte Waffen im Jemen zum Einsatz gekommen wären. Nichts spricht nach den bisherigen Erkenntnissen dafür", versicherte Christian Hirte (CDU), Parlamentarischer Staatsekretär im Wirtschaftsministerium, im Bundestag. Und er erweckte den Eindruck, dass das das auch für die Emiratis gelte. Dort sei man bei einer jüngsten Endverbleibskontrolle für Kleinwaffen "zu dem Ergebnis" gekommen, "dass keine Verwendung erfolgt ist".
Also keine Verwendung im Jemen, das war die Botschaft. Selbst am heutigen Mittwoch beharrte eine Altmaier-Sprecherin in der Bundespressekonferenz darauf, dass der Behörde "keine Erkenntnisse darüber vorliegen, dass solche deutschen Waffen im Jemen sind". Und anderslautende Presseberichte? Die, so die Sprecherin, könne man "nicht weiter kommentieren". Bis Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer dazwischen ging und versicherte, dass man die Berichte von #GermanArms natürlich "zur Kenntnis genommen" habe und "jedwedem Hinweis" nachgehe.
Dafür waren die von #GermanArms präsentierten Belege zu eindeutig – zum Beispiel die Bilder von Waffenstationen des Typs Fewas auf den Straßen des Bürgerkriegslandes oder ein in Deutschland gebautes Kriegsschiff in der Hafenstadt Mocha.
"Wir sind ja auch die Restriktivsten in der EU"
Das Thema Rüstungsexporte ist wichtig, und es ist heikel. Deshalb betont die Bundesregierung bei vielen Gelegenheiten, sie zeige hier "Transparenz". Und sie sagt, sie sei "restriktiv". Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums behauptete gar im Oktober: "Wir sind ja auch die Restriktivsten in der EU."
Aber die Regierung ist hier bis heute nicht transparent. Sie lässt konkrete Frage zu einzelnen Waffenausfuhren meistens unbeantwortet. Und sie ist weniger restriktiv als andere EU-Länder. Anders als Deutschland haben Dänemark und Finnland Waffenembargos inzwischen nicht nur gegen Saudi-Arabien, sondern auch gegen die VAE verhängt. In unserem Nachbarland Österreich hat man nach Angaben des dortigen Wirtschaftsministeriums unmittelbar nach Ausbruch des Kriegs im Jemen im März 2015 reagiert. Seitdem würden "Ausfuhrgenehmigungen für Verteidigungsgüter in die VAE" von den Behörden in Österreich "grundsätzlich nur unter Auflagen erteilt". So sei der Exportkontrollbehörde "glaubhaft zu machen, dass durch eine entsprechende Zusicherung in der Endverbleibserklärung (EVE) oder aufgrund der Beschaffenheit der Güter das eindeutige Risiko ausgeschlossen werden kann, dass die Güter tatsächlich von den im Konfliktgebiet Jemen operierenden VAE-Truppen eingesetzt werden".
Es muss also "ausgeschlossen" sein, dass die Emiratis neue aus Österreich gelieferte Rüstungsgüter im "Konfliktgebiet Jemen" einsetzen. Ähnliche Aussagen der angeblich noch restriktiveren deutschen Bundesregierung sind bisher nicht bekannt.
Doch, halt! In den von der damaligen rot-grünen Koalition im Jahr 2000 beschlossen "Politischen Grundsätzen" für Rüstungsexporte steht ja auch: "Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht."
Das hieße nach den Regeln der deutschen Semantik: Seit März 2015 dürfte es überhaupt keine Rüstungsexporte an Saudis und Emiratis mehr geben.
Die Bundesregierung bricht regelmäßig ihr Rüstungsgrundsätze
Nach den Regeln der deutschen Politik gab es sie aber doch, Semantik hin oder her. Allein im Jahr 2017 wurden den Emiratis Rüstungsfausuhren aus Deutschland im Wert von 214 Millionen Euro genehmigt, den Saudis für 254 Millionen. Beide standen damit unter den Top Ten der Empfängerländer – trotz des Grundsatzes, dass keine Waffen an Länder gehen, die in Kampfhandlungen verwickelt sind.
Richtig ist: Diese Grundsätze, die die Bundesregierung regelmäßig bricht, haben keine Gesetzeskraft. Aber die Regierung und die sie tragenden Parteien CDU/CSU und SPD haben immer wieder behauptet, man breche diese Prinzipien nicht, sondern halte sich daran. Sie seien für die Große Koalition "verbindlich", hieß es zum Beispiel in der Koalitionsvereinbarung aus dem Jahr 2013. Und im jüngsten Koalitionsvertrag aus dem Februar 2018 formulierte es die alten und neuen Regierungsparteien CDU, CSU und SPD noch forscher: "Wir schärfen noch im Jahr 2018 die Rüstungssexportrichtlinien aus dem Jahr 2000 und reagieren damit auf die veränderten Gegebenheiten."
Ja, genau. Man errät es gleich. Die Regierung hat die Grundsätze bisher nicht geschärft. Sie hat sie nicht einmal eingehalten, auch nicht im Jahr 2018. Denn auch nach Abschluss der Koalitionsvereinbarung gab der Bundessicherheitsrat unter dem Vorsitz von Kanzlerin Angela Merkel im Lauf des vergangenen Jahres Rüstungsausfuhren für Saudis wie Emiratis frei, für Kriegsschiffe, Gefechtsköpfe und Artillerieradarsysteme. Obwohl Saudis und Emniratis nach wie vor im Jemen in "bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt" waren. Das Waffenembargo gegen die Saudis verhängte die Regierung dann im Oktober nicht etwa, weil sie sich ehrlich machen wollte – sondern wegen des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi.
Doch wenn die Regierung bei einem solch heiklen Thema wie den milliardenschweren Rüstungsausfuhren so ungehemmt unaufrichtig ist – was soll man ihr dann noch glauben?
Seien wir ehrlich: Allein an mangelnden Kenntnissen der Amtssprache Deutsch kann es nicht wirklich liegen.
Mehr zu den Recherchen lesen Sie im neuen stern, der am Donnerstag (28.02.) erscheint.
